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ikea
IKEA: Imbezillität könnte einmal auftreten. Ich schlage alle Warnungen in den Wind und pflaster meine Studentenbude mit schwedischen Möbeln zu. Kommode, Bett, Regal - was man so zum Leben braucht. Immerhin habe ich Abitur und Führerschein. Wäre doch gelacht.
Zuerst einen Sessel. Paketband zerbeißen, Karton aufzerren, Inhalt rausrupfen. Beim Auspacken bin ich unkonventionell. Kurz die Lage gesichtet und flugs sitzt die erste Schraube. Die zweite. Dritte, vierte. Irgendwas stimmt nicht. Vielleicht einmal die Anleitung konsultieren. Ah, in die falschen Löcher gebohrt. „Dilletant“, höhnt eine Stimme in mir. Ehe ich fortfahre, wird Musik aufgelegt. Die Schöpfung von Haydn. Wenn das nicht mein kreatives Schaffen stimuliert.
Also, die falschen Löcher. Welche sind die richtigen? Der Chor plärrt bereits „und es ward Licht“. Bloß ich tappe noch im Dunkeln. Voller Scham werfe ich einen Blick auf die Anweisung: ich habe links und rechts vertauscht. Wie ärgerlich. Erste Schraube raus. Zweite. Dritte. Die vierte will nicht. Hat mir vorher keiner gesagt, daß man nicht weiterdrehen soll, wenn sie schief sitzt. Die Zange hilft aus. Währendessen purzelt der erste Schweißtropfen zwischen die Leisten. Geschafft. Die erste Seite schaut aus wie ein Stuhl. Nur den Metallzapfen einsetzen. Die Bohrung passt nicht. Typisch IKEA. Entweder es fehlen Teile oder sie schmiegen sich nicht zusammen. Oder habe ich mich in dem Krampenchaos verlaufen? Ein anderer Versuch. Noch einer. Nein. Dieses Mal liegt die Schuld nicht bei mir. Erleichterung. Sofort packt mich Despektierlichkeit. IKEA. Sind die dumm. Fügen falsche Zapfen bei. Was nun? Ich habe Durst, ab in die Küche. Was kneift dort unter meiner Ferse? Ein Zapfen. Er funkelt mich an. Ich funkel zurück. Mißtrauisch. Ihr seid doch alle gleich. Oder? Der am Boden. Er ist. Kleiner. Warum werden zwei verschiedene Größen verwendet, wer denkt sich sowas aus? Schikane. Ich schnappe ihn, presse ihn gegen die Schraube, suche mein Werkzeug, finde es unter meinem Gesäß, drücke mit dem Zeigefinger, zieh mir einen Spreisel, verliere den Bolzen in der Sitzfläche, taste danach, verkeil meine Nase an der Kante... „Von deiner Güt‘. o Herr und Gott, ist Erd‘ und Himmel voll. Die Welt, so groß, so wunderbar ist deiner Hände Werk.“
Hätte ich die Welt erschaffen müssen, sie wäre ein asymetrisches Gestell. Ohne Oben, ohne Unten. Mit einer scheppernden Eisenmutter als Nukleus-jetzt-komm-endlich-da-raus- du-Miststück!
Ich wechsle die CD. Mozarts Requiem. Kyrie eleison. Die Arbeit der letzten Dreiviertelstunde wird zerlegt. Anders lässt sich des Bolzens nicht habhaft werden.
Ich bin längst nicht mehr sicher, ob das Abitur mich für diese Arbeit qualifiziert. Wie sehr diese Ausbildung am Leben vorbeigeht. Polynomdivision, Effie Briest, Photosynthesegleichung - und dennoch bleibt man epimetheisch wie das Stück Holz, das in meinem Finger steckt.
Zweieinhalb Stunden. Ich bin fertig. Der Stuhl auch. Gerade rechtzeitig zum sanctus. Vor mir wartet ein Gebirge aus mehr Spanplatten, Scharnieren, Nieten, Nägeln, Dübeln. Für heute reicht es. Zu viel Frustration schafft Ausweichverhalten. Dann nehme ich einen Säge. Ritsche- ratsche, Span für Span und mit Genuß. Das ganze Lager. Da würden sie kucken. Im IKEA.