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- Anmerkungen zum Text
Das Resultat einer Challenge: Schreibe eine klassische Kurzgeschichte* mit aktuellem Bezug.
*Direkter Einstieg, nix Überflüssiges, Wende am Schluss.
Ihr Wille geschehe
„Hallo Herr Herrmann … hören Sie mich? Ja? Haben Sie Schmerzen?“
„Hmm, nein … doch, ja – was ist mit mir passiert?“
„Nichts Schlimmes. Bloß eine kleine Ohnmacht infolge von Stress und Hyperventilation. Erinnern Sie sich? Sie waren auf der Demo. Wahrscheinlich sind Sie im Gedränge über Ihr Plakat gestürzt. Leider haben Sie bei dem Sturz Ihr Knie ruiniert. Vielleicht ein paar Knorpelablösungen. Keine Angst wir … wir werden das bald operieren.“
„Vermutlich Knorpelschäden? Sind Sie sich nicht sicher? Gibts wenigstens MRT-Bilder oder sowas?“
„Das ist doch nichts für jemand wie Sie! Die optimale Versorgung unserer Patienten ist uns wichtig. Sehen Sie – es gibt da eine interessante Entwicklung von Geräten, die wesentlich fortgeschrittener sind als MRT. Die können auch physiologische Parameter darstellen. In zehn oder zwanzig Jahren sind die garantiert im klinischen Einsatz!“
„In zehn Jahren? Soll ich solange hier liegen?“
„Aber nein! Wenn es gar nicht anders geht, benutzen wir seit Jahrzehnten ein exzellentes Röntgengerät, damit kennen wir uns aus. Letztlich öffnet der Chirurg das Knie, schaut, was Sache ist – und alles wird gut. Jetzt ruhen Sie sich erst mal aus, ja?“
„Na, wieder bei Kräften?“
„Ja, Herr Doktor. Morgen ist also die Operation?“
„Genau. Wir sind ein sehr patientenorientiertes Krankenhaus, deshalb werden wir jetzt alles in Ruhe besprechen. Ich werde Ihnen gleich mal das Operationsteam präsentieren … ah, da kommen die Herren. Hat etwas gedauert, der Kollege … nun, er ist nicht mehr besonders gut zu Fuß, aber unheimlich erfahren.“
Tatsächlich, das graugesichtige, gebeugte Männlein, das zu mir ins Zimmer schlurft, hat erste chirurgische Kenntnisse offensichtlich im Dienst bei Professor Sauerbruch gesammelt. Der soll mich operieren?
Der Oberarzt hat meinen Gesichtsausdruck offenbar richtig interpretiert:
„Bitte haben Sie keine Sorgen! Ohne Zweifel ist Professor Benthem eine Koryphäe auf seinem Gebiet – er operiert genau so, wie man das vor dreißig Jahren bereits als bewährte Routine gemacht hat.“
„Vor dreißig Jahren? Seit damals hat es doch sicherlich medizinische Fortschritte gegeben?“
„Auf alle Fälle! Er greift halt auf das Altbewährte zurück. Schön alles aufschneiden, sauber freilegen.“
„A… aber – ist das nicht ineffizient, deshalb belastend für den Patienten?“
„Natürlich, naja, mögliche Probleme bekommt man mit geeigneten Gegenmaßnahmen in den Griff‘!“
„Bekomm ich das alles mit? Ich mein – krieg ich wenigstens eine gute Narkose?“
Der Oberarzt lächelt überlegen.
„Selbstverständlich, unser Kollege hier ist für die Anästhesie verantwortlich, ihm können Sie vertrauen.“
Ein großer Mann tritt an mein Bett, er gehört in die Kategorie ‚Fernsehserien-Chefarzt‘. Er strahlt mich an. Wenigstens diesmal kein Tattergreis.
„Ich bin Doktor anth. Bachmeier. Herr Herrmann, ich freue mich außerordentlich einen derart bekannten politischen Aktivisten wie Sie betreuen zu dürfen. Ich werde Sie durch die OP begleiten.“
„Sehr freundlich! Entschuldigen Sie, Herr Doktor Bachmeier – was bedeutet Doktor anth.?“
„Ich bin Anthropologe, spezialisiert auf traditionelle Behandlungsmethoden, ohne moderne Chemie.“
„Im Ernst? Ist das überhaupt erl… ehh – was ist das denn?“
Ich deute auf den zerfaserten Holzkeil in seiner Hand und die Flasche Schnaps in der anderen. Außerdem lugt aus seinem Arztkittel etwas Seltsames hervor – ein … ein Holzhammer!
„Lieber Herr Herrmann – wie erwähnt: Wir sind ein patientenorientiertes Krankenhaus. Auf Ihrem Demo-Plakat stand doch:
Technologieoffenheit jetzt!