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Ihr Raum

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19.06.2024
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Ihr Raum

Ich starre ins Endlose. Es ist ein kalter stürmischer Wintertag. Vor mir eine weite Landschaft, zugedeckt von einer meterhohen Eisschicht. Neben mir ein schwarzer Kater, der sich an meinen Beinen warm streicht. Und hinter mir, hinter mir höre ich ein fröhliches Kinderlachen. Ich sitze vor dem Fenster und höre der Stimme hinter mir grinsend zu. Dann drehe ich mich um und sehe sie. Sie sitzt auf ihrem frisch bezogenen Bett und spielt lachend mit ihrer kleinen Puppe. Ich bewege mich auf sie zu. Ich versuche ihre Schulter mit meinen Händen sanft zu berühren, doch dann verschwindet sie. Da sie mich allein in ihrem Zimmer lässt, fange ich an zu weinen. Eine Träne läuft über meine Wange, weiter bis zum Hals, bis die nächste Träne aus meinen Augen kullert. Doch sie achtet nicht auf mein Weinen. Sie bleibt fort. Ich wische meine Tränen ab und gehe ihr nach, um sie zu suchen. Und dann sehe ich sie wieder. Sie steht mit dem Rücken zu mir, außerhalb des Hauses, im Schnee. Mit jedem Schritt, den ich auf sie zumache, knirscht der Boden unter mir. Plötzlich stolpere ich über einen verdeckten Ast und falle zu Boden. Meine zarten Hände berühren die feine Eisschicht und meine Knie drücken zwei Vertiefungen in den eiskalten Boden. Plötzlich sehe ich sie zu mir rennen, doch sie rast an mir vorbei geradewegs zur Eingangstür unseres Hauses. Ich humple ihr hinterher und öffne schließlich die alte Tür zum Haus, die mit einem kräftigen Windstoß hinter uns zu fällt. Als wir eintreten, fällt mein Blick auf die große Kuckucksuhr, die jeden Besucher freudig begrüßt. Mich jedoch muntert sie nicht auf. Im Gegenteil, sie langweilt mich. Wir gehen weiter in die Küche, wo unsere Eltern schon beim Abendessen sitzen. Mutter isst mit gesenktem Kopf eine dünne Scheibe Brot mit einer dicken Butterschicht darauf. Vater steckt die Nase in die 25-Cent Zeitung und löffelt nebenbei seinen Eintopf. Doch keiner von beiden bemerkt sie. So wie jedes Mal, wenn wir an der Tür stehen und ich hoffnungsvoll warte, dass irgendjemand unsere Anwesenheit spürt. Und wie jedes Mal gehe ich zu meinem Essplatz, nehme mir eine Scheibe Graubrot und dazu eine versalzene Brühe. Sie geht mir nach und setzt sich mir gegenüber auf ihren leeren Sitzplatz. Ich biete ich ihr ein Stück Brot an und, ohne eine Antwort abzuwarten, schiebe ich ihr ein Stück herüber. Meine Eltern starren mich fragend an. Doch ich lasse mir nicht anmerken, dass ich ihren Gesichtsausdruck bemerkt habe. Ich senke meinen Blick auf den Teller und esse Biss für Biss mein ganzes Brot.

Ich sitze wieder vor dem Fenster und höre eine Stimme leise mit der Katze reden. Es ist die Zeit, in der ich im Bett sein müsste. Wie aber jeden Abend schleiche ich mich in ihr Zimmer, um ihr näher zu sein. Dann drehe ich mich um und sehe, wie sie auf ihrem kleinen Sessel sitzt und den schwarzen Kater streichelt. Ich gehe zu ihr und hocke mich neben sie. Ich versuche sie zu umarmen. Doch ehe ich sie berühren kann, verschwindet sie wieder. Ich fange an zu weinen. Wiedermal hat sie mich alleine gelassen. Ich suche sie, doch finde sie nicht! Nach langer Zeit erfolgloser Suche, schleiche ich traurig aber hoffnungsvoll ins Bett. Sie ist bis jetzt immer wieder gekommen.

Am nächsten Tag gehe ich die Treppe runter in die Küche zum Abendessen. Meine Eltern sitzen dort schon. Ich setze mich zu ihnen und schnappe mir eine dicke Möhre. Dann warte ich, bis sie kommt. Doch der Platz mir gegenüber bleibt leer. Meine Eltern räumen den Tisch ab, Meine Eltern gehen ins Bett. Ich warte immer noch. Ich schlafe am Küchentisch ein.

Wieder starre ich ins Endlose. Vor mir eine weite Landschaft, zugedeckt von einer meterhohen Eisschicht. Und hinter mir, hinter mir ist Stille. Ich sitze vor dem Fenster in ihrem Zimmer. Mir ist in diesem Augenblick bewusst, dass ich alleine bin, denn als ich mich umdrehe, blicke ich in ihren leeren Raum.

 

Liebe @Susanna,

Nur eine kurze Rückmeldung von meiner Seite: Ich habe den Text gerade gelesen und brauchte ein paar Sätze, um hineinzufinden. Aber spätestens ab der Stelle, wo das Kind bei der Berührung verschwindet, begreift man, worum es geht. Mir gefällt, dass der Text zwar sehr emotional, aber nicht überladen ist und vieles unaufgeklärt bleibt (z.B. was mit dem Kind passiert ist). Ich weiß, einige würden das vielleicht kritisieren, aber ich mag dieses Rätselhafte sehr gerne.

Besonders hervorheben möchte ich die Abendessen-Szene. Da wird diese bedrückte Stimmung so greifbar. Sehr schön geschrieben!

Eine kleine Anmerkung: Ich würde eher "Schneeschicht" als "Eisschicht" schreiben. Ich kann mir unter einer meterhohen Eisschicht irgendwie nichts vorstellen. Aber davon abgesehen finde ich es schön, dass die Angangsszene sich zum Schluss wiederholt. Dadurch wird der Text super abgerundet.

Glg Jorinde

 

Liebe Jorinde,
vielen vielen Dank für deine Rückmeldung.
Deine Anmerkung nehme ich zu Herzen.
Gruß Susanna

 

Hallo Susanna,

ich werfe mal ein paar Dinge ein, vielleicht kannst du etwas davon gebrauchen.

Ich starre ins Endlose. Es ist ein kalter stürmischer Wintertag. Vor mir eine weite Landschaft, zugedeckt von einer meterhohen Eisschicht.
Vermutlich Geschmaksache, fände Leere anstatt Endlose passender.
Wie Jorinde, habe auch ich Probleme mit der meterhohen Eisschicht. Wenn dem so ist, ist Hausverlassen unmöglich.

Neben mir ein schwarzer Kater, der sich an meinen Beinen warm streicht.
Sich warmstreichen klingt für meine Ohren etwas eigenartig.

Ich sitze vor dem Fenster und höre der Stimme hinter mir grinsend zu.
Vor dem Fenster ist etwas missverständlich. Könnte man auch als draußen auffassen.

Eine Träne läuft über meine Wange, weiter bis zum Hals, bis die nächste Träne aus meinen Augen kullert.
Das zweite bis könnte man auch als zeitliche Begrenzung auffassen. Die erste läuft nur so lange, bis die zweite Träne loslegt. Und kullern klingt mir hier zu harmlos/niedlich.

Sie steht mit dem Rücken zu mir, außerhalb des Hauses, im Schnee.
Klar, das Ganze ist eine Art Traum. Dennoch ist mit meterhohem Eis nix mit raus in den Schnee.

Meine zarten Hände berühren die feine Eisschicht und meine Knie drücken zwei Vertiefungen in den eiskalten Boden.
Wieder das Problem der meterdicken Eisschicht vom Anfang. Zudem würde dünnes Eis eher brechen, als eingedrückt zu werden.

Ich humple ihr hinterher und öffne schließlich die alte Tür zum Haus, die mit einem kräftigen Windstoß hinter uns zu fällt.
Warum wird plötzlich gehumpelt?

Als wir eintreten, fällt mein Blick auf die große Kuckucksuhr, die jeden Besucher freudig begrüßt. Mich jedoch muntert sie nicht auf. Im Gegenteil, sie langweilt mich.
Klingt als würden sie gemeinsam eintreten. Dabei humpelt sie hinterher. Und die freudige Begrüßung der Uhr, samt Langeweile kommt irengwie unpassend daher. Zumindest kann ich die drei Sätze mit dem Rest der Geschichte kaum verbinden.

Doch keiner von beiden bemerkt sie. So wie jedes Mal, wenn wir an der Tür stehen und ich hoffnungsvoll warte, dass irgendjemand unsere Anwesenheit spürt.
Das die Schwester verstorben ist, scheint klar. Das hier klingt jedoch so, als wären beide für Vater und Mutter unsichtbar.

Ich biete ich ihr ein Stück Brot an und, ohne eine Antwort abzuwarten, schiebe ich ihr ein Stück herüber.
rüber oder hinüber fände ich passender

Meine Eltern sitzen dort schon. Ich setze mich zu ihnen und schnappe mir eine dicke Möhre.
Das kling auch recht beschwingt für die Schwere des Textes.

Meine Eltern räumen den Tisch ab, Meine Eltern gehen ins Bett.
Meine Eltern räumen den Tisch ab und gehen ins Bett.

Mir ist in diesem Augenblick bewusst, dass ich alleine bin, denn als ich mich umdrehe, blicke ich in ihren leeren Raum.
Mir ist in diesem Augenblick bewusst, dass ich alleine binPUNKT Denn als ich mich umdrehe, blicke ich in ihren leeren Raum.


Beste Grüße,
Sammis

 

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