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Ihr Menschen mit euren Geschichten

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02.02.2012
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Ihr Menschen mit euren Geschichten

Ben war 42 Jahre alt, als ihn die Erde verschluckte.
Es gab keinen Erdrutsch und keine Spalte tat sich auf. Im einen Moment lag er auf seiner Parkbank und fror sich den Arsch ab und im nächsten fühlte er sich nach unten gezogen und sah, wie sich die Grasnarbe über ihm schloss.

Dieser Vorgang wäre ja schon erstaunlich genug. Noch viel erstaunlicher war es allerdings, dass er die Prozedur keinesfalls als unangenehm empfand. Er fühlte sich sicher, wie in einem unsichtbaren Kokon und sah die Gesteinsschichten in gemächlichem Tempo an sich vorbeiziehen. Er sah! Und das unter der Erde. Toll! An so nebensächliche Dinge wie Atmung dachte er im Moment nicht. Atmung war nicht relevant. Hitze übrigens auch nicht, wie er feststellte, während er eine flüssig-glühende Masse durchquerte. Er schwebte durch eine riesige Höhle, mit diesen ganzen Stalak-Dingern, die in alle möglichen Richtungen wiesen und tauchte am Höhlenboden wieder sanft in die Erde ein.

Es ging tiefer und immer tiefer.

In einer kleinen Felsenkammer endete die Reise. Ben wurde abgesetzt. Vor ihm spielte ein kleines, rothaariges Mädchen Hüpfkästchen. Sie trug ein T-Shirt und eine kurze Hose mit Spiderman-Motiven drauf, dazu grüne Ringelsocken. Als Ben sich aufrichtete, sprach das Mädchen ihn an. „Moin“, sagte sie, „Ich habe auf dich gewartet.“ „Moin Moin“, gab Ben zurück, „Wo bin ich hier - und wer bist du?“ „Du bist am Eingang“, antwortete das Mädchen, „und ich bin Tod.“ „Oh“, sagte Ben, „dann bin ich ja wohl auch tot.“ Das Mädchen seufzte: „Nein, du hast mich falsch verstanden. Ich bin DER Tod! Aber was dich selber betrifft, liegst du schon ganz richtig.“ „Du bist der Tod?“, Ben hob die Augenbrauen, „Wie ulkig!“ Das Mädchen sah Ben fragend an: „Wieso das denn?“ „Na ja“, antwortete Ben, „ich dachte, du wärst irgendwie ... größer. Und mir fehlt der schwarze Mantel mit der Kapuze - und die Sense.“ Der Tod schüttelte den Kopf: „Ihr Menschen mit euren Geschichten. Komm jetzt mit.“ Sie huschte davon. „Moment noch!“, rief Ben ihr nach. Der Tod drehte sich zu ihm um. „Ist das hier die Hölle?“, fragte Ben. „Die Hölle?“, das Mädchen blickte ihm ins Gesicht, „Die Hölle gibt es nicht.“ Sie ging voraus in einen langen, gewundenen Gang und Ben folgte ihr.

Nachdem sie eine Weile schweigend hintereinander her gelaufen waren, nahm Ben das Gespräch wieder auf: „Wie bin ich eigentlich gestorben?“, fragte er. „Erfroren.“, antwortete der Tod, „Auf der Parkbank im Schlaf erfroren. Es war sehr kalt in der Nacht. So, da sind wir auch schon.“ Sie betraten einen riesigen, domartigen Saal, in dessen Mitte ein kleines Pult mit unglaublich vielen Knöpfen zu sehen war. Die Wand gegenüber dem Pult war voller Monitore. Ben staunte. Das mussten Tausende sein. „Dann wollen wir mal.“, sagte der Tod und drückte auf einen der Knöpfe. Die Monitore flackerten auf und Ben erblickte sich tausendfach. Er erlebte seine Geburt, die er schon vergessen hatte. Er sah sich in allen möglichen Altersstufen all die Dinge tun, die er getan hatte. Sein Leben zog an ihm vorüber und er schaute es sich an.Plötzlich blinkte einer der Monitore rot. Der Tod zog das Bild größer auf und Ben sah sich, wie er seinem alten Klassenlehrer Reißnägel auf den Stuhl legte. Der Tod kicherte: „Eine lässliche Sünde, aber trotzdem eine Sünde.“ Das Bild lief weiter.

Im Lauf der Zeit leuchteten viele Monitore rot auf. Die meisten zeigten Ben beim Diebstahl. Oft gab es aber auch grün leuchtende Monitore. Die guten Taten. Irgendwann begannen die Monitore sich abzuschalten. Einer nach dem anderen. Bis Ben sich auf dem letzten laufenden Monitor friedlich und mit Zeitungen zugedeckt auf einer Parkbank schlafen sah. Dann wurde auch dieses Bild dunkel.

„Tja“, sagte der Tod, „deine Statistik ist dieses Mal gar nicht so schlecht ausgefallen.“ Er drückte Ben eine kleine Chipkarte in die Hand. „Ich habe dir deine Sünden hier mal aufgezeichnet. Du solltest sie dir in einer ruhigen Minute ansehen und darüber nachdenken. Aber alles in allem kannst du schon recht zufrieden sein.“ „Komme ich jetzt in den Himmel?“, fragte Ben. Der Tod verdrehte die Augen: „Wie ihr euch das immer alles so vorstellt. Der Himmel. Viel zu kompliziert, viel zu weit weg. Das würde nie vernünftig funktionieren. Nein nein, so ist es schon ganz okay. Das Vergessene Tal ist doch wirklich sehr schön. Und wenn du genug Zeit hier verbracht hast und wir dich wieder zurückschicken, ist auch der Weg nicht so wahnsinnig weit.“ Ben sah den Tod nachdenklich an: „Aber wenn es keinen Himmel und keine Hölle gibt ... ich meine ... was macht ihr dann mit den richtig schweren Jungs? Bekommen die ihre Sünden auch nur auf einer Chipkarte in die Hand gedrückt? Zum lernen?“ Das Mädchen, das der Tod war, setzte ein vielsagendes Gesicht auf: „Weißt du, normalerweise schicken wir alles, was hier ankommt, wieder als das zurück, was es gewesen ist. Also ein Mensch wird wieder ein Mensch. Aber in besonderen Fällen machen wir auch schon mal Ausnahmen und wenn du dir oben so einen richtigen Hammer geleistet hast, dann könnte es durchaus sein, dass du in etwas ... sagen wir mal ... unangenehmerer Form zurück musst.“ „Zum Beispiel?“, fragte Ben. Der Tod zuckte mit den Achseln: „Egal ... Huhn in Käfighaltung zum Beispiel ... oder Weihnachtsbaum .... oder Toilettenpapier.“ Ben glaubte sich verhört zu haben: „Toilettenpapier? Aber - Toilettenpapier lebt doch nicht.“ „Wie kommst du denn darauf?“, fragte der Tod, „Alles lebt!“ Ben schluckte: „Du meine Güte ... das ist ja ... die Hölle!“ „Eben!“, sagte der Tod und setzte ein schiefes, dreckiges Grinsen auf, das so gar nicht in sein niedliches Mädchengesicht passen wollte.

Plötzlich spürte Ben ein Ziehen in der Brust. „Oh Oh“, sagte der Tod und sah zu, wie Ben von einem starken Sog erfasst und nach oben an die Decke des Saales gezogen wurde. „Hey!“, rief Ben dem Tod zu, „Gibt es eigentlich Gott?“. Aber die Antwort hörte Ben nicht mehr. Er tauchte in die Decke des Saales ein und wurde in ziemlich flotter Geschwindigkeit durch feste und flüssige Gesteinsschichten nach oben gezogen. Dann sah er ein helles, wunderschönes Licht, auf das er unaufhaltsam zusteuerte. Je näher er kam, desto deutlicher wurden die Umrisse des Lichts. Es hatte die Form zweier Augen. Und es sog ihn ein.

„Wir haben ihn wieder!“, rief der junge Mann, dessen Gesicht Ben direkt über sich sah. Er fror. Bens Körper wurde in eine silbrig glänzende Decke gewickelt. „Los, schnell in den Wagen mit ihm!“ Ben fühlte sich hochgehoben und ein wenig durchgeschüttelt. Er war sehr müde. Er schloss die Augen. Dann fühlte er ein paar kräftige Klatscher auf seinen Wangen. „Hey, mein Freund, bleib bei mir! Nicht einschlafen! Du willst ja wohl jetzt nicht noch sterben.“ Ben schlug die Augen auf. Der junge Mann war wieder da. Ben grinste ihn an. Sterben? Komisch, davor hatte er jetzt überhaupt keine Angst mehr. Er war gestorben. Zwar konnte er sich nicht mehr wirklich erinnern, aber er wusste noch, dass dort ein wunderschönes Licht gewesen war. Er musste wohl in den Himmel gekommen sein. Weiß der Geier, weshalb er ausgerechnet jetzt an Toilettenpapier denken musste.

 

Hallo jonatan,

nachdem ich mir deine Horrorgeschichte vorgenommen habe, dachte ich mir ich mache gleich hier weiter, damit die Geschichte nicht mehr so völlig kommentarlos rumdümpeln muss :). Ich würde mich freuen wenn es eine Motivation für dich wäre, auch selbst andere Geschichten zu kommentieren - davon lebt das Forum!

Dein Ausflug ins Jenseits hat mir gefallen ... aber auch hier fehlt mir ein bisschen der Bezug zum Protagonisten. Im Zentrum steht halt dieser Dialog mit dem Tod, und das ist im Prinzip eine große Portion Infodumping, wie es halt so läuft nachdem man gestorben ist. Da stecken durchaus nette Ideen drin, und es liest sich gut - aber die Geschichte wäre doch praktisch genau die gleiche, wenn du Ben durch eine völlig andere Person ersetzen würdest - oder durch eine Rolle Klopapier :p.

Das ist quasi wie eine kleine Broschüre - "So ist das Jenseits - die wichtigsten Fakten im Überblick". Die ist durchaus ansprechend gestaltet, aber ähnlich wie Ben nach der Wiederbelebungsmaßnahme wird mir nicht viel im Gedächtnis bleiben von dem was ich gelesen habe.

Wenn ich über Bens Leben, seine "Sünden" und guten Taten ein bisschen mehr wüsste, dann würde die Geschichte vielleicht einen stärkeren Eindruck hinterlassen.

Tippfehler und so was habe ich nicht entdeckt, außer einen:

Sein Leben zog an ihm vorüber und er schaute es sich an.Plötzlich blinkte einer der Monitore rot.
Da fehlt das Leerzeichen nach dem Punkt

Grüße von Perdita

 

Hallo Perdita :)

Boah ... noch ein Kommentar. Jetzt bin ich erst recht begeistert :)

Mir ist selber schon aufgefallen, dass es für die Geschichte sicher gut wäre, dafür zu sorgen, dass Ben vielleicht ein paar mehr Emotionen auslösen würde. Aber da es bisher niemandem sonst aufzufallen schien, dachte ich, ich lass es erst mal so ;)

Aber nach Deinem Kommentar werde ich versuchen, auch diese Geschichte ein wenig ... tiefer zu machen. Auch, wenn das vielleicht ein wenig Zeit in Anspruch nehmen wird. Die Idee, da vielleicht Bens Taten einzubringen, gefällt mir sehr. Danke dafür.

Kommentieren werde ich in Zukunft sicherlich auch. Aber bevor ich andere kritisiere, muss ich erst mal selber etwas lernen. Denn ich stehe beim Geschichtenschreiben wirklich noch ganz ganz am Anfang.

Darum nochmal gaaaaanz doll Danke für deine Kritik :)

Jonatan

 

Hallo,

Der Tod, vor allem in Persona sowie die Frage nach dem Danch ist, wie auch in diesem Fall, ein erheiternder Aufhänger. Zumindest hat sie mich angeregt, eine Kritik niederzuschreiben. Der Schreiber versteht es, innerhalb kürzester Zeit und ohne es explizit zu erwähnen, ein Bild des Obdachlosen zu vermitteln. Auch hält er der Gesellschaft mit all ihren Doktrin, Verständlichkeiten und Bildern den Spiegel vor.
Natürlich erkennt man das Werk eines Laien, doch abgesehen von der (ich nehme an gewollt) einfachen Sprache, der vorausahnbaren Handlung und den platten, wenn auch prägnanten Wortspielen ist es eine gelungene Geschichte.

Es grüßt
Arnesson

 

Hallo jonatan,

Wow, deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Sie ist spannend, hat ein wenig Witz und ließt sich echt super. :)
Vor allem finde ich schön, dass die Geschichte sozusagen ein "Happy End" hat.

Gut gemacht! ;)

 

Aloha!

Ich wahrlich kein Freund der kurzen Sätze, aber bei deiner Erzählung funktioniert es. Das mag an dem hohen Gehalt an Konversation mit Joeseline Black liegen, oder schlicht daran, dass hier die Stimmung des für eine gewisse Zeitspanne fehlenden Herzschlags – zumindest für mich – gut eingefangen wird.

Das Spiel mit gängigen Klischees, die weder widerlegt noch vollständig bestätigt werden, der verwendete Stil und der Hauch von Humor in Feststellungen und Erkenntnissen gefällt mir. Sehr putzig die Variante mit den Monitoren, auf denen das Leben noch einmal Revue passieren darf und dabei auch gleich die Auswertung vorgenommen wird. Unpassend erscheint mir indes das Erscheinungsbild des Todes selbst, weil hier – auch wenn der sicherlich erscheinen kann wie er will, da ich ja nicht der Autor bin – der Bogen meines Erachtens ein wenig überspannt wird. Es ist nicht erkennbar, warum der Tod diese Gestalt hat. Nun muss nicht alles einen Grund haben, in einer Geschichte darf es aber so sein, schon um zumindest die Neugier von einem Leser, nämlich mir, zu befriedigen.

Möglicherweise ließe sich ja einbauen, dass genau dieses Mädchen Ben an irgendjemanden – aus seinem Leben oder einem seiner Leben? – erinnert, woraus sich für mich als Leser ableiten ließe, dass der Tod für jeden anders aussieht.

Die Erzählung folgt den gerne verwendeten Vorgaben – die mir allerdings herzlich egal sind – einer eher skizzenhaften, stringenten Handlung, die für den Protagonisten eine einschneidendes Erlebnis darstellt und folgt damit auch der Intention, nicht durch reine Kürze eine Kurzgeschichte zu sein. Dass der Tod hier ebenfalls eine gewichtige Rolle einnimmt, ist der Handlung selbst geschuldet. Eine Konversation kann zwangsläufig nur mit der einen anwesenden Gestalt betrieben werden – oder aber mit sich selbst.

In einem Rutsch und gut zu lesen, zu einem gedanklichen Schmunzeln hat es auch gereicht und ich sehe auch nicht die Notwendigkeit, hier groß Veränderungen vorzunehmen. Einzig die als Fließtext vorhandene Kommunikation zwischen den beiden könntest du durch jeweils eigene Zeilen, die nichts extra kosten, entzerren und so anderen Lesewilligen einen Gefallen tun ...

>x<

 

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