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Ihr Lieblingsfilm war Casablanca

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02.07.2017
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Ihr Lieblingsfilm war Casablanca

Trostlos und verlassen steht es da, das alte, marode Kino am Ende der Fußgängerzone. Bald schon soll es einem modernen Einkaufscenter weichen; einem Outletstore, das vor allem junge Menschen anziehen soll. Die Kinogänger von heute haben keinen Sinn für Nostalgie; statt dessen wollen sie Hightech, jede Menge Fastfood und Filme sehen in 3D. Dies alles bietet ihnen das neue Cinestar Filmcenter direkt gegenüber.

Durch die milchigen Glasscheiben der Flügeltüren lässt sich noch ein letzter Blick auf die großzügige Eingangshalle des alten Lichtspielhauses erhaschen. Mit etwas Fantasie kann man sich leicht ausmalen, wie es hier früher ausgesehen hat; damals, als der pompöse Kronleuchter an der Decke die luxuriöse Halle hell erstrahlte, als es nach frischem Popcorn roch und ein wenig nach Bohnerwachs.

Am Tag der Eröffnung, einem Samstag, war das Kino schon Stunden vor Beginn der Vorstellung restlos ausverkauft. Die letzten beiden Kinokarten hatte Max ergattern können, für sich und die hübsche Ida. Und das war ein wirkliches Glück, denn es handelte sich um ihre erste Verabredung, oder, wie Cinestarbesucher heute sagen würden, ihr erstes Date. Ida mag achtzehn gewesen sein, Max ein wenig älter. Die Aufregung stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Ida stand verlegen, mit geröteten Wangen an der Treppe, während Max Popcorn und Cola besorgte.

Gespielt wurde Casablanca mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann.

Im Kinosaal saßen Ida und Max zunächst wie Bruder und Schwester nebeneinander, langsam ist er dann näher herangerückt, hat schließlich den Arm um sie gelegt. Als Humphrey alias Rick dann diesen legendären Satz gesagt hat - den damals allerdings noch niemand kannte, denn es war die Premiere des Filmes - küsste Max Ida auf den Mund. Nur ganz flüchtig. Von nun an sah sich das Paar, mit wenigen Ausnahmen, jeden Samstag einen Film an.

Casablanca lief wochenlang.

Im Gegensatz zu dem neuen Cinestar, in dem 20 Filme gleichzeitig abgespielt werden können, verfügt das alte Lichtspielhaus über lediglich einen Kinosaal, was die Wahl des Streifens, den man sehen wollte, deutlich vereinfachte. Für Ida und ihren Max war es in den ersten Wochen ihrer Verliebtheit ohnehin egal, welcher Film lief; ihre Münder schienen aneinander gewachsen zu sein. Irgendwann haben sie dann immer weniger geknutscht, damit aber nie ganz aufgehört. Jedenfalls konnten die Zwei sich nun viel besser auf die Filme, die gespielt wurden, konzentrieren. Und sie haben wirklich alle gesehen.

Im Laufe der Zeit veränderten Ida und Max sich zusehends. Aus dem pausbäckigen Teenager wurde eine attraktive Frau, aus dem jungen Schnösel ein stattlicher Mann.

Es fiel gleich auf, als beide eines Tages goldene Ringe trugen. War auch kaum zu übersehen, weil Ida ihre rechte Hand permanent hochhielt und ihren bestaunte. Nach jeder Vorstellung hat das Paar die Handlung des jeweiligen Films heiß diskutiert. Überhaupt hatten Ida und Max sich viel zu erzählen, brauchten auch keine anderen Menschen um sich herum, sie hatten an sich selbst genug.

Die Jahre vergingen und die Spuren des Alters gingen weder an Ida und Max, noch an dem Lichtspielhaus vorbei. Während die Fassade des Gebäudes immer mehr bröckelte, bekam Ida graue Haare, Max fielen sie vollständig aus.

Ganz plötzlich blieben die Stammplätze des alten Liebespaares, die Sitze achtundvierzig und neunundvierzig in Reihe sechs, leer.

Und dann kam das Unvermeidliche: Sanierungsstau. Das Wasser stand dem Kinobetreiber bis zum Hals. Der Supergau war die Eröffnung des Cinestars gegenüber. Insolvenzantrag wurde gestellt, dann kam das Aus.

Es sollte eine letzte große Vorstellung geben, für all die Gäste, die dem alten Lichtspielhaus jahrelang die Treue gehalten haben. Würden Ida und Max auch kommen? Der Film, der gezeigt wurde, war, wie am Eröffnungstag, natürlich Casablanca. Ein letzte Mal sollte Ilsa ihren Rick in die Augen schauen. Ein letzte Mal sollte Sam es noch einmal spielen, diesen Song, „As time goes by“.

Und dann kam…. Max. Nur Max. Er sah alt aus, fahl und eingefallen, trug schwarze Kleidung, doch noch immer seinen goldenen Ring…. Und an seinem rechten kleinen Finger …. ihren.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Linda und herzlich willkommen bei Wortkrieger,

"As time goes by". So ist das eben.
Der Welten Lauf skizzierst du rasch am Beispiel eines Liebespaares und dem Zerfall des Lichtspielhauses von einst. Man kann es bedauern, man kann es aber auch akzeptieren. Die Paare, die sich das erste Mal in einem Kinosaal küssen wird es aber weiterhin geben und mit großer Wahrscheinlichkeit auch die gleiche Aufregung des Pausbackigen Teenagers und dem jungen Schnösel. ;)

Das alles ist plausibel erzählt, aber du lässt mir keine Zeit und Gelegenheit dem Paar und der vergangenen Zeit nachzufühlen, geschweige denn nachzutrauern. Weder der Veränderung vom Lichtspielhaus zum Hightechcinema, noch vom schüchternen Teenagerpaar zur Trennung durch den Tod, denn dafür fehlt der Geschichte für mein Empfinden Einiges.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, sowie viel Vergnügen hier im Forum, Kanji

 

Hallo Linda,
und willkommen hier!

Wären da nicht Ida und Max, würde sich Deine Geschichte wie ein Artikel über den Verlust der Kinokultur lesen. Unter dem Aspekt ist es gut geschrieben, aber als Geschichte funktioniert es für mich leider nicht.

Eigentlich ist es eine schöne Idee, die Vergänglichkeit der Welt anhand eines alternden Paares zu zeigen, aber Du lässt mich nicht miterleben, was wirklich zwischen den beiden passiert, es wird mir zwar erzählt, aber es bleibt oberflächlich, weil Du nicht in die Figuren reingehst.
So bleiben Ida und Max für mich nur irgendein Paar von vielen, sie gehen ins Kino, heiraten und zum Schluss stirbt einer.

Vielleicht könnte es helfen, mir Ida und Max näher zu bringen, indem Du sie handeln und sprechen lässt, ich mir ein Bild machen kann, was sie für eine Persönlichkeit haben, denken und empfinden. So, wie Du die Geschichte aufgezogen hast, bleiben sie nur Randfiguren in einem Bericht darüber, wie schnell der Weltenlauf sich ändert.

Mein Vorschlag wäre, sich mehr auf das Paar zu konzentrieren, ihm ein Leben und Besonderheiten zu geben, die mich als Leserin in die Geschichte eintauchen lassen.

Das Thema "Vergänglichkeit" ist durchaus spannend, haben wir doch alle damit zu kämpfen, aber anstatt darüber informiert zu werden, möchte ich es beim Lesen einer KG lieber spüren.
Was macht das Alter mit Max und Ida? Zwischendrin könntest Du ein paar Details über den Wandel der Zeit einstreuen, sei es nun ein Cinemaxx oder andere Veränderungen. Das würde ich aber nicht übertreiben oder dem Leser aufdrücken, sondern so sparsam einstreuen, dass er selbst darauf kommt, dass es um Veränderung geht.

Ein paar Kleinigkeiten sind mir noch aufgefallen:

1) " Ein letzte Mal" letztes. Kommt kurz darauf nochmal vor.
2) " ... ihren Rick..." ihrem

Mehr ist mir erstmal nicht aufgefallen. Du schreibst sehr flüssig und wie bereits angemerkt, ließe sich das in einem Artikel einwandfrei lesen. Aber an einer richtigen Geschichte solltest Du mMn noch weiter basteln.

Viele Grüße,

Chai

 

Hallo Linda

Ein nostalgischer Rückblick auf das vordigitale Kinoerlebnis. So haben es viele erlebt und einige werden die alten Lichtspielhäuser vermissen.

Was mir nicht so gefällt, ist der erhobene Zeigefinger:

Die Kinogänger von heute haben keinen Sinn für Nostalgie; statt dessen wollen sie Hightech, jede Menge Fastfood und Filme sehen in 3D.

Das klingt schon sehr nach "Früher war alles besser", und damit versperrst du dem Leser den Zugang zu deiner doch liebenswerten Erinnerung, als Küssen im Kino für Jungen und Mädels der Höhepunkt einer Woche war.

Es liegt an deiner auktorialen Erzählweise, die mir immer wieder vorgibt, was ich von der Sache halten soll. Lieber hätte ich mich in das junge Mädchen versetzt, wie sie den Kinostunden entgegenfiebert, die ersten, vielleicht ungeschickten Annäherungsversuchen miterlebt und auch die Abschiedsvorstellung im Kino, wo du einen schönen Bogen zum Beginn schlägst. (Ich sehe schon, wie sie unter Tränen die beiden Eheringe dreht, während Bogart und Bergmann sich am Flughafen verabschieden ...)

Was würde helfen? Eine andere Erzählperspektive auf jeden Fall. Als Ich-Erzählung aus der Sicht der Protagonistin, die auf diese Weise auch ihre Einstellung zu den Wandlungen der Zeit ausbreiten darf. Es wäre dann nicht Belehrung, sondern dient der Charakterisierung einer älteren Frau, die wehmütig an ihre Jugend zurückdenkt.

Der eine oder andere Dialog zwischen dem verliebten Pärchen und späteren Ehepaar könnte auch sehr gut Gefühle und Zeitgeist transportieren.

Das sind natürlich nur Vorschläge. Ich weiß schon, dass man meistens erst einmal schlucken muss, wenn man hier im Forum auftaucht.

Überhaupt kein Grund besteht , "das Schreiben zu lassen". Sprachlich hab ich nichts zu bemängeln. Auch von mir ein herzliches Willkommen.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, Linda,

herzlichst hier, bei den Wortkriegern!

Erstmal zu der Erzählerstimme. Der Autor ist allgegenwärtig, kann Gedanken lesen, genau so alt wie die zentralen Protagonisten, hat eine gewisse Abneigung zum Neuen und eine gewisse Vorliebe zu Alten Zeiten. Andererseits spricht er aber in einer modernen Sprache: Kino statt Kinotheater oder Lichtspielhaus... Hast Du das übersehen oder gehört es so zu deinem Plan?

Dann... Habe ich das richtig verstanden? Hier, bei deiner Story, handelt es sich um eine Liebesgeschichte? Ja, der Autor erzählt über ein Liebespaar, über die Liebe/Hobby ins Kino zu gehen, über die Liebe zu einem bestimmten Film, als es zu diesem einem ersten Kuss kam! Die Sprache, die der AUtor auswählt ist aber alles andere als tauglich für so eine Genre. Der Autor vertäufelt den modernen Konsumverhalten, dem alles "Schöne", Alte, Vertraute weichen muss, und übersieht dabei, die Tatsache, dass irgendwann von vielen vielen Jahren, viele Theater Insolvenz anmelden mussten, mit dem Aufkommen von Filmproduktion. Viele Schauspieler muss sich nach einem anderen Job umschauen, weil überall Freilichthäuser aufgemacht wurden. Das blendet die Autorstimme in deiner GEschichte aus, und vertäufeln die modernen Einkaufszentrem, modernen Kinos mit 3D, ohne zu realisieren, dass auch bei den VOrführungen in diesen Kino auch zu diesem entscheidenden ersten Kuss kommen könnte. Warum spricht der Autor in der Sprache der Verzweifelung und Neides? Weil er es nicht mehr kann... Er ist neidisch auf die Jugend, muss sich nun mit dem Tod auseinandersetzen... Auch die Auswahl des Titels mit dem Verb "lieben" in der Vergangenheitsform ist gut getroffen.

Das ist keine Liebesstory, sondern ein Versuch, die alte verblaste Liebe wieder lebendig zu machen. Vergeblich! Das ist eine Story darüber, dass alles vergänglich ist. Der geschreiterte Versuch, alles neue zu "verteufeln", macht der ERzählerstimme aber keine gute Ehre... Es klingt ein bisschen zu egozentrisch (wie eigentlich die LIebe immer ist) und zu engstirnig...

Viele Grüße
HErr Schuster

 

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