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Igor
Igor saß im Hinterraum einer Bar und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Es war kurz vor elf Uhr nachts. Leise Barmusik drang durch die dünnen Wände, einige Gläser klirrten. Der Raum war spärlich ausgestattet, er enthielt einen runden Tisch mit den dazugehörigen vier Sesseln und einen kleinen Hocker auf dem ein schwarzes Telefon stand. Am hinteren Ende des Raumes befand sich eine Tür, die in den Hinterhof führte, auf der gegenüberliegenden Seite gab es eine Schwingtür, die ins Innere der Bar führte.
Igor gegenüber saß ein Mann mittleren Alters. Er hatte leicht angegrautes Haar und trug einen schlecht sitzenden, dunklen Anzug. Igor musterte seine Schultern, auf denen sich Schuppen wie Schnee zur guten, alten Weihnachtszeit niedergelassen hatten.
„Ich hab von deinem letzten Job gehört“, sagte der Mann und schnappte sich eine Zigarette. Er zündete langsam ein Streichholz an und führte es zur Zigarettenspitze. Sie glühte rot auf, als er an der Zigarette zog. Igor dachte an Brandeisen. Langsam stieg blauer Rauch zur Decke auf und formte Spiralen, die sich sogleich in nichts auflösten.
„Ja, wirklich. Dein letzter Auftraggeber spricht in den höchsten Tönen von dir. Verdammt gute Arbeit.“ Der Mann nickte anerkennend. Igor sagte nichts. Der Barkeeper kam durch die Schwingtür, blieb neben dem Mann im Anzug stehen, beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Nachdem er seine Mitteilung überbracht hatte, machte er kehrt und verzog sich wieder in die Bar.
„Okay, hör zu“, sagte der Mann, nach kurzem Überlegen „Ich habe dir eine kleine Wohnung freimachen lassen, ganz in der Nähe. Ich schlage vor, du machst es dir die nächsten Tage dort gemütlich und wartest darauf, daß ich dich rufen lasse. Hier die Adresse, ist nur ein paar Straßen weiter.“ Er zog einen kleinen weißen Zettel aus der Tasche und reichte ihn Igor, der ihn sofort einsteckte. „Ich habe momentan einige Sachen um die Ohren, die es zu klären gilt. Nichts Großartiges, aber auch nichts, wobei ich auf dein Service zurückgreifen möchte.“ Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und stand auf. „Wenn es soweit ist, wirst du benachrichtigt. Sieh dir inzwischen die Stadt an. Du bist heute angekommen, richtig?“ Igor nickte kaum merkbar. „Okay. Ist ne schöne Stadt. Wird dir gefallen.“ Er kam um den Tisch herum, blieb neben Igor stehen und sah ihn an. „Du redest wirklich nicht viel, oder?“ Igor sagte nichts. Der Mann klopfte ihm leicht auf die Schulter und verließ leise lachend den Raum durch die Schwingtür.
Igor blieb noch einige Sekunden sitzen, ehe er aufstand und zur Hintertür ging. Ihm fiel auf, daß jemand eine kleine Schwingtür an der unteren Seite der Tür angebracht hatte. Jemand mußte hier wohl früher eine Katze gehalten haben oder so. Er öffnete die Tür und trat in den Hinterhof. Kühle Luft wehte ihm entgegen. Er schloß kurz die Augen und atmete tief durch. Die Stadt ansehen? Den Teufel würde er tun. Er interessierte sich nicht für Architektur oder Sehenswürdigkeiten. Was dachte sich der Idiot eigentlich? Sein letzter Auftraggeber hatte ihm nahegelegt die Stadt zu verlassen, weil er bei seinem letzten Job sieben Männer kalt gemacht hatte, drei davon waren Polizisten gewesen. Er hatte ihm nahegelegt, sich einige Zeit bei einem Geschäftskollegen in einer anderen Stadt zu verkriechen, bis sich die Angelegenheit beruhigt hatte. Also war Igor in den nächsten Bus gesprungen und 800 Kilometer weit gefahren. Er hatte sich die Adresse der Bar, in der sein neuer Auftraggeber und Geschäftspartner seines letzten Chefs sein Unternehmen leitete auf einen kleinen Zettel geschrieben, inklusive Wegbeschreibung. Trotzdem war es ihm nicht leicht gefallen, diese miese, kleine Spelunke ausfindig zu machen.
Igor öffnete wieder die Augen und ging ein paar Schritte. Vor ihm lag eine kleine Seitengasse, die zirka zweihundert Meter weiter in eine Hauptstraße mündete. War ihm die Luft vorhin noch frisch und kühl erschienen, mußte er nun die Nase rümpfen. Er sah sich stirnrunzelnd um, hier roch es erbärmlich. Er bemerkte drei große Mülltonnen, die an der linken Hausmauser standen und Moder und Verwesungsgeruch verbreiteten. Igor drehte sich hastig um und wollte Richtung Hauptstraße gehen, als er einen Pudel bemerkte, der vor ihm saß. Igor schaute das Tier überrascht an. Er hatte nicht bemerkt, daß der Pudel sich herangeschlichen hatte. Er war schwarz wie die Nacht. Bis auf seine linke, vordere Pfote. Die war schneeweiß. Igor ging in die Knie und streckte die Hand nach dem Pudel aus. Der Hund knurrte. Plötzlich machte er einen Satz und verbiß sich in Igor’s Hand.
Grunzend schoß Igor in die Höhe und versuchte, den Pudel abzuschütteln. Er stolperte rückwärts auf den Hof, kam ins Straucheln und fiel auf seinen Hintern. Der Pudel knurrte und grunzte zwischen geschlossenen Kiefern. Offensichtlich hatte er vor, Igor’s Daumen abzunagen. Igor erholte sich langsam vom ersten Schock. Er packte mit der anderen Hand ein Ohr des Pudels und ballte sie zu einer Faust. Seine Nägel gruben sich tief ins weiche Fleisch. Der Pudel japste kurz, verbiß sich jedoch noch fester in Igor’s Hand. Seine Hand ließ das Ohr los. Igor ballte eine Faust und donnerte sie dem Pudel auf seine zarte, gepuderte Schnauze. Der Pudel quietschte, ließ aber nicht los. Die Faust krachte abermals gegen die Schnauze. Immer noch nichts. Igor ballerte seine Faust insgesamt fünfmal auf die Schnauze des Pudels, ehe dieser losließ und sich blutend und halbtot aus dem Staub machen wollte. Igor hechtete ihm nach und bekam eine Hinterpfote zu fassen. Der Pudel blickte gehetzt nach hinten. Langsam wurde ihm klar, daß er den Falschen angepißt hatte. Igor zerrte den Hund mit seiner blutenden Hand zu sich her und packte die zweite Hinterpfote. Der Pudel quiekte und japste und versuchte erneut mit seiner geschundenen Schnauze nach einer Hand zu schnappen. Igor hob ihn hoch und sah ihn grimmig an. Ruckartig schossen seine Arme auseinander. Mit einem ungemütlichen Knacken ging einiges im Inneren des Pudels kaputt. Igor schnappte sich seinen Kopf. Die Augen blickten matt drein, mit der Gewißheit, einen fatalen Fehler begangen zu haben. Er drehte den Kopf um 360 Grad. Es machte ‚Knacks‘ und ‚Knirsch‘ und ‚Plopp‘. Der Pudel war erledigt.
Igor stand keuchend auf. So etwas war ihm noch nie passiert. Er war als jemand, der in einer gefährlichen Branche tätig ist, immer auf alles mögliche vorbereitet gewesen. Aber daß ihn ein Pudel so aus der Fassung bringen konnte, hätte er nicht für möglich gehalten. Er zog sein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wickelte es um seine verletzte Hand. Hoffentlich holte er sich nicht irgendeine Scheiß – Infektion oder so. Er verpaßte dem Kadaver einen Tritt, dieser flog in hohem Boden zu den Mülltonnen und blieb davor liegen. Igor ging kopfschüttelnd hinüber, hob die Leiche des Pudels auf und warf sie in die nächste Mülltonne.
In diesem Moment kam der Barkeeper durch die Hintertür. Er hatte ein Stück Fleisch in der Hand und sah sich suchend um. „Lady! Laady!“ Er wackelte mit dem Stück Fleisch in seiner Hand. Igor sah in verständnislos an. Der Barkeeper bemerkte ihn und ging ein paar Schritte auf ihn zu. „He, hast du nen Hund hier draußen gesehen?“ Igor blickte ihn weiter mit einem nichtssagenden Gesichtsausdruck an. „Ein Pudel! Ein schwarzer Pudel! Hast du einen gesehen? Er gehört dem Boß.“ Er drehte den Kopf zur Seite und rief weiter nach dem Pudel.
Igor schluckte. Ihm wurde plötzlich ganz heiß. Er hatte doch wohl nicht etwa...
„Hoffentlich ist die Töle nicht wieder angefahren worden“ sagte der Barkeeper, der langsam aufgab und das Stück Fleisch in eine der Tonnen warf. Er wandte sich wieder an Igor „Vor zwei Monaten hat so ein Typ den Pudel angefahren. Der Boß hat ein paar Jungs zu ihm nach Hause geschickt, die ihn dann mit einem Lötkolben und ein paar Kneifzangen bearbeitet haben. War sicher kein schöner Anblick.“
Igor schwitzte jetzt etwas mehr. Der Barkeeper sah ihn beunruhigt an „Alles in Ordnung mit dir? Du siehst etwas blaß aus.“ Igor nickte leicht und versuchte zu grinsen. Es mißlang fürchterlich. „Okay.“ Sagte der Barkeeper, drehte sich um und verschwand wieder in der Hintertür zur Bar.
Das war nicht gut. Das war sogar äußerst beschissen. Igor wartete eine Weile um sicher zu gehen, daß niemand durch die Hintertür die Bar verlassen würde, ehe er schnell in die Mülltonne griff und den Kadaver rausfischte. Der Gestank war widerwärtig, doch Igor suchte weiter in der Tonne. Er brauchte etwas, worin er den Leichnam des Pudels transportieren konnte. Unter einem Berg Obstschalen fand er schließlich eine kleine schwarze Plastikplane. Er schnappte sie sich und ging in die Knie. Nachdem er die Plane auf dem Boden ausgebreitet hatte, packte er den Pudel darauf und rollte ihn ein, wie ein Geschenk. Er packte die zwei Enden der Plane, bog sie zusammen, hob sein Paket auf und richtete sich langsam auf. Nachdem er sich flüchtig umgesehen hatte, verließ er den Hinterhof schnellen Schrittes und machte sich auf den Weg zu der Wohnung, die ihm sein zukünftiger Boß ausgesucht hatte.
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Igor saß auf einen klapprigen Sessel in seinem Wohnzimmer und starrte seinen Wandschrank an. Neben ihm stand ein kleiner runder Tisch, darauf eine halb leere Flasche Scotch. Ein Glas mit dem Getränk befand sich in Igor’s verschwitzten Hand. Seitdem er den Pudel erledigt hatte, waren vier Tage vergangen. Er hatte sich seitdem fast ausschließlich in der Wohnung aufgehalten. Als er in der Nacht die Wohnung beziehen wollte, hatte er unglaubliches Glück gehabt. Offensichtlich gehörte das ganze Gebäude dem Kerl aus der Bar, außer Igor wohnten hier einige weitere Typen aus seiner Gang im zweiten Stock. Einer dieser Typen trieb sich den ganzen Tag vor dem Haus herum und paßte auf. Er hatte in besagter Nacht auf Igor gewartet und ihn in die Wohnung geführt. Dabei hatte er ständig auf das Paket unter Igor’s Arm geglotzt. „Was’n da drin?“ hatte er schließlich mißtrauisch gefragt. Igor hatte ihm den dreckigsten Blick zugeworfen, zudem er imstande war und langsam auf die Wohnungstür gezeigt um ihm zu signalisieren, er solle sich verpissen. Mürrisch war der Kerl abgezogen. Er schien tatsächlich den ganzen Tag vor dem Haus auf und abzumarschieren. Igor hatte ihn durchs Fenster beobachtet. Er schimpfte sich einen Idioten, warum zum Teufel hatte er den Pudel mitgenommen? Nun mußte er zusehen, wie er ihn los wurde. Da es im ganzen Haus keine Möglichkeit gab, sich des Kadavers zu entledigen, mußte er sich etwas anderes einfallen lassen.
Igor lehnte sich zurück und nahm einen weiteren Schluck Scotch. Straßenlärm drang durchs geöffnete Fenster. Und jetzt drehte auch noch so ein Verrückter zwei Stöcke über ihm seine Stereoanlage so laut auf, daß die Musik bis zu ihm herunter hörbar war. Igor haßte diesen Techno – Hiphop – Scheiß. Er starrte auf den Wandschrank, in den er den Pudel gelegt hatte. Ein süßlicher Verwesungsgeruch lag in der Luft und man hörte einige Fliegen surren. Sie hatten wohl den Pudel gefunden. Keine Ahnung, wie die Scheißviecher in den geschlossenen Wandschrank kommen, dachte Igor. Er mußte etwas unternehmen. Irgendwie mußte er dieses Vieh loswerden. Das Paket an dem Typen vor dem Haus heraus zu schmuggeln würde vermutlich nicht funktionieren, zumal der Kadaver schon übel stank. Er mußte ihn irgendwie in der Wohnung entsorgen. Nur wie?
Igor stand auf und ging zum Fenster. Seine verletzte Hand pochte unangenehm. Unten stand der Aufpasser. Als er Igor bemerkte grinste er zu ihm hoch. Igor ignorierte ihn und beugte sich aus dem Fenster heraus. Einige Blocks weiter konnte er ein kleines Schild über einem Geschäft sehen. Ein Drugstore. Er überlegte. Da gab es doch einen Film, in dem ein Cleaner in eine Wohnung gerufen wird, um eine Leiche verschwinden zu lassen. Wie hieß der Film nochmal... Nikita? Paquita? Chiquita? Igor fiel ein, daß der Cleaner damals einen Koffer voll mit Säurebehältern mitgenommen hatte. Säure! Das war es! Er würde den Kadaver dieses Scheißköters mit Säure einfach in der Badewanne auflösen! Das ihm das nicht schon früher eingefallen war!
Igor ging zum Tisch zurück trank sein Glas aus und schnappte sich danach seine Jacke. Er verließ die Wohnung und stieg langsam die Stiegen hinunter. Als er das Haus verließ fiel ihm auf, daß der Türsteher nirgends zu sehen war. Das war ja wohl wirklich nicht wahr! Die letzten vier Tage hatte sich dieser Wichser keine Minute vom Eingang entfernt und jetzt, wo Igor endlich eine Lösung für sein Problem hatte, hätte er ganz leicht mit seinem Paket die Wohnung verlassen können. Er überlegte kurz, ob er schnell in die Wohnung gehen und den Pudel holen sollte, als der Typ durch den Hausflur nach draußen kam und sich vor den Eingang setzte. Er grinste Igor an, als hätte er soeben einen weggesteckt.
Igor drehte sich um und ging die Straße hinunter. Es war heiß. Wenn alles gutging, würde er sich seines Problems in zwei Stunden entledigt haben.