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Idyll

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22.09.2014
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Idyll

Still. Still war es geworden im Dorf.
Ja, früher. Da traf man sich schon morgens beim Bäcker, ärgerte sich gemeinsam über die vielen Fremden, die auf dem Weg zur Arbeit oder in den Urlaub hier ihr Vesper einkauften. Die, die die wenigen Parkplätze vor der Bäckerei belegten. Die, die die Bäckerei so bevölkerten, dass man nicht einmal in Ruhe die Neuigkeiten bereden konnte. Die vielleicht noch die letzten Kaffeehörnchen kauften, auf die man sich schon selbst so gefreut hatte.
Ja, früher. Da traf man sich im Lebensmittelgeschäft, hielt ein Schwätzchen mit der Besitzerin, holte sich die Zeitung, fragte nach, warum Frau Maier von gegenüber noch immer die Fensterläden geschlossen hielt. Und man wusste Bescheid, was vor sich ging im Dorf und auf der Welt.
Ja, früher. Da saß man abends in der Wirtschaft, ließ den Tag ausklingen und beredete so manches Problem.
Wie damals, als allen der Verkehr zu viel wurde. Als sich täglich Tausende von Autos durch die engen Straßen zwängten.
Ja, damals. Als man gemeinsam vor die Landesregierung zog, Protestaktionen organisierte und land-auf-land-ab bekannt war für den Widerstand.
Damals war noch Leben im Dorf.
Doch heute. Die Umgehungsstraße war gebaut und mit hoher politischer Prominenz eingeweiht worden. Nur noch selten verirrte sich seither ein fremdes Fahrzeug ins Dorf. Man war für sich.
Der Bäcker gab als Erster auf. Seine Brötchen blieben in den Regalen liegen. Niemand wollte seine Kaffeehörnchen mehr haben. Dann folgte das Lebensmittelgeschäft. Die Besitzerin fuhr jetzt jeden Morgen selber in die Stadt und arbeitet in einem großen Supermarkt als Kassiererin. Und zuletzt die Dorfwirtschaft. Der Brauerei war der Umsatz zu gering. Sie stellte die Lieferung ein. Jetzt trank man sein Bier zu Hause.
Tagsüber war es ein Dorf der Alten. Um der Langeweile zu entgehen, traf man sich morgens unter der Linde, bewaffnet mit langen Stöcken. Und dann ging es los. In einer gemütlichem Geschwindigkeit, sodass man sich noch gut unterhalten konnte, ohne außer Puste zu kommen. Und es wurde geredet. Über Frau Maier, dass sie heute noch nicht einmal die Fensterläden geöffnet hatte. Darüber, dass der Sohn von Hilde in die Stadt gezogen war und eine von „drüben“ heiraten wollte. Darüber, dass die Kaffeehörnchen vom Discounter wieder billiger geworden waren und mindestens genauso gut schmeckten wie früher beim Bäcker.
Nach der Runde ging man wieder in die eigenen vier Wände zurück. Jedoch nicht, ohne sich gegenseitig zu versichern, dass man sich nachher per Telefon meldete. Denn das Netz funktionierte. Ausgezeichnet sogar. Über das ganze Dorf verteilt waren die Posten besetzt. Niemand gelangte unbemerkt ins Dorf. Keine Neuigkeit, die nicht schnellstens verbreitet wurde. Nichts, absolut gar nichts blieb verborgen.
So war es denn kein Wunder, dass sie Paulas Ankunft sofort bemerkten.
Paula entstieg mit ihrem Koffer dem Bus. Sie klackerte auf ihren hohen Schuhen die Dorfstraße entlang. Tief sog sie die Luft ein. „Wenn die Kühe in den Ställen muhen und es nach Gülle stinkt, dann sind wir bei der Oma!“ Das war der Standardsatz ihres Vaters, wenn sie nörgelnd auf der Rückbank des Wagens saß und es nicht mehr erwarten konnte, die Oma zu sehen. Paulas Vater war nur selten dazu zu bewegen in das Dorf seiner Kindheit zurückzukehren. Dabei war sein Verhältnis zur Großmutter gut. Sie telefonierten oft miteinander und Oma war auch gerne zu Besuch bei ihnen in der Stadt. Aber Paulas Vater kam nur an Weihnachten und Ostern mit ins Dorf. Paula konnte ihren Vater in diesem Punkt überhaupt nicht verstehen, wusste nicht, was ihn so störte an dem Ort, an dem er aufgewachsen war. Seit Paula denken konnte, verbrachte sie einen Teil der Ferien bei ihrer Oma, ohne Papa, ohne Mama. Sie hatte viele Freunde im Dorf, genoss die Ruhe, das Muhen der Kühe und auch den Geruch nach Gülle. Es war für sie selbstverständlich bei der Oma zu wohnen, in der Zeit, in der sie Praktikum machen musste. Ihr Vater schüttelte den Kopf und Paula konnte sein Unbehagen spüren. Seine Andeutungen, „ein Dorf ist keine Stadt“, „man müsse ein Dorf aushalten können“, „man sieht nicht in die Menschen hinein“ waren für Paula nur Floskeln, mit denen sie nichts anfangen konnte. Aber der Vater hinderte sie nicht zu gehen, er respektierte ihre Entscheidung. Und was sollte ihr schließlich in dieser Idylle, im Dorf passieren?
Einige Wochen waren seit Paulas Ankunft vergangen. Sie hatte sich eingelebt im Dorf, traf sich abends nach dem Job mit den anderen jungen Leuten, fuhr mit ihnen in die Kneipen der Stadt. Dass ihre Großmutter über jeden, wirklich jeden ihrer Schritte informiert war, verwunderte Paula zwar, aber es störte sie nicht. Schließlich hatte sie nichts zu verbergen. Doch dann kam jener Tag, der Paula tief erschütterte.
Ausnahmsweise kam sie früher von ihrer Arbeitsstelle zurück ins Dorf. Sie ging die Dorfstraße entlang und war gerade auf der Höhe des Hauses von Omas bester Freundin, Elsa, angelangt. Lautes Geschrei, Weinen und Poltern drang aus dem Haus und schallte Paula entgegen. Paula wusste, dass im Haus außer Elsa auch deren Sohn, die Schwiegertochter und die Enkelkinder wohnten. Die Schreie, das dumpfe Aufschlagen von Fäusten auf einen Körper waren unmissverständlich. Hier wurde jemand aufs Übelste verprügelt. Paula konnte es nicht ertragen, wenn jemand in ihrer Umgebung Gewalt erleiden musste. Sie schaute nicht weg. Sie ergriff Partei. Sie mischte sich ein. Immer. Energisch öffnete sie das Gartentor, beeilte sich zum Gebäude zu kommen und klingelte stürmisch an der Haustüre. Das Geschrei verstummte augenblicklich, aber nicht das Weinen und Wimmern. Jemand polterte zur Türe, riss sie förmlich auf. Vor Paula stand der Sohn von Omas Freundin, Hans. Groß, kräftig, das Gesicht hochrot und von Wut verzerrt. „Was willst du? Hau bloß ab von hier. Und halt dein Maul! Sonst geht’s dir gleich!“ Damit warf er die Türe wieder zu. Paula wusste, mit jähzornigen Menschen war nicht zu spaßen. Sie wusste, dass sie dem Opfer dort drinnen nicht helfen konnte, wenn sie selbst in Gefahr war. Notgedrungen zog sie sich zurück. Sie hatte genug gesehen. Omas Freundin Elsa stand auf der Wohnungstreppe, dahinter auf der Schwelle zur Küche lag die Schwiegertochter, die versuchte, sich zu verbergen. Paula musste schnell handeln. Sie drehte sich auf dem Absatz um, holte noch auf dem Rückweg zum Gartentor ihr Handy heraus und alarmierte die Polizei. Dann rannte sie auf direktem Weg zu ihrer Großmutter. Sie musste die alte Dame darüber aufklären, was im Haus ihrer Freundin vor sich ging. Doch wie überrascht war Paula, als sie von der Oma schon erwartet wurde. „Komm rein,“ herrschte sie die Großmutter an. Paula wollte gerade ansetzen und von dem Vorfall berichten. Aber die Oma fiel ihr ins Wort. „Wie konntest du? Das geht dich gar nichts an! Misch dich nicht ein!“ Paula traute ihren Ohren nicht. „Aber Oma. Der Hans hat seine Frau verprügelt. Die schrie um Hilfe! Da musste ich doch helfen!“ „Nichts musst du! Die Ilse wird schon wissen, weshalb sie Prügel kriegt. Hat den Hans wohl wieder gereizt. Das geht vorbei und uns geht’s nichts an!“ „Aber Oma, wir können doch nicht tun, als sei nichts passiert.“ „Doch genau das tun wir! Der Hans ist wichtig im Dorf. Er hat den Protest organisiert. Und er ist der einzige Sohn von Elsa. Du hast nichts gesehen. Ist das klar!“ Damit schob sie Paula durch die offene Tür in die Wohnung hinein. Und als ob man einen Schalter umgedreht hätte, lächelte die Oma, war die Freundlichkeit in Person und bot Paula Tee und Kaffeehörnchen vom Discounter an. Paula konnte die Verwandlung der Oma nicht verstehen. Immer wieder wollte sie ansetzen und mit ihr über den Vorfall reden. Aber es war nichts zu machen. Für Oma war das Thema erledigt. Auch in den folgenden Tagen. Oma traf sich mit ihrer Walking-Truppe, ging zum Kaffeekränzchen zu ihrer Freundin Elsa und telefonierte mit den anderen Dorfbewohnern. Sie unterhielten sich über Neuigkeiten aus der Welt. Aber kein einziges Mal wurde über die arme Ilse gesprochen, oder über Hans, den Sohn der Freundin. Die Polizei verfolgte den Fall nicht weiter, da Ilse versicherte, sie sei die Treppe hinunter gefallen und ihr lieber Ehemann Hans habe sie bestens versorgt. Paula versuchte mit den Freunden aus dem Dorf zu reden. Doch auch hier traf sie auf eine Mauer der Gleichgültigkeit. Nur einmal bemerkte einer der Kumpel: „ Ach, hör doch auf! Was ist schon passiert? Das geht vorbei. Und du, du bist in ein paar Wochen wieder weg!“ Damit war auch für Paulas Freunde die Angelegenheit erledigt. Aber für Paula war nichts erledigt. Einige Male versuchte sie mit Ilse ins Gespräch zu kommen, doch die Frau wich ihr aus, redete nicht mit ihr. Paula konnte dieses kollektive Wegsehen im Dorf, dieses Fehlen von Solidarität mit Opfern nicht begreifen. Die Menschen, die ihr so vertraut schienen, wurden zu Fremden. Sie wollte weg, nur noch weg aus dieser verlogenen Idylle. Enttäuscht packte sie ihre Koffer und verließ das Dorf..
Zu Hause angekommen redete sie stundenlang mit ihrem Vater über das Verhalten der Großmutter, der Freunde und der anderen Dorfbewohner. Sie wollte begreifen. Der Vater hörte Paula geduldig zu dann antwortete er: “Verstehst du mich jetzt? Kannst du jetzt begreifen, weshalb ich dir oft gesagt habe: Stadtluft macht frei! Ich habe Ähnliches erlebt. Aber das ist eine andere Geschichte.“

 

Hallo WPunkt!


Dein Geschichte beschreibt das für manche typische Leben eines quasi isolierten Dorfs. Die Umgehungsstraße macht das Dorf zu einer Insel der Einsamkeit und Isolation. Das gefällt mir sehr gut.
Kritik-Punkte habe ich auch, selbstverständlich:

1. Die Mutter heißt ja Else und die Freundin vom Sohn Ilse. Eine der beiden Frauen solltest du umbenennen. Du wirst lachen, aber das gleiche Problem hatten wir auch in meiner Schreibwerkstatt. Da wurde dann aus Ilse einfach Claudia und die Sache war gegessen.

2. Mir fehlt ein Ende. Dieses gleichgültige

“Verstehst du mich jetzt? Kannst du jetzt begreifen, weshalb ich dir oft gesagt habe: Stadtluft macht frei! Ich habe Ähnliches erlebt. Aber das ist eine andere Geschichte.“

vom Vater passt einfach nicht und ich sehe es nicht als gute Abschluss der Geschichte.

3. Bei Gesprächen fängt nach jedem Personenwechsel eine neue Zeile an.

Paula: "redet"
Oma: "sagt was"
Paula: "antwortet"
etc. pp.


Die Zeichensetzungs- und Grammatikfehler makeln bestimmt andere an. Ein paar habe ich schon gefunden.


Sonst ist die Geschichte schön erzählt und flüssig erzählt. Selbst diesen zähen Anfang mit dem "ja, früher" würde ich an deiner Stelle nicht ändern. Das gibt einem schon zu Beginn die Vorstellung, was sich im Laufe der Zeit (die Zeit vor der Umgehungsstraße) verändert hat. Leider negativ.

Ich freu mich schon auf mehr.

LG

Betze

 

Hallo WPunkt

Ich finde das Thema deiner Geschichte spannend - Anonymität in einer Großstadt ist man gewohnt und ist bekannt, du beschreibst hier die Idylle und den (vermeintlichen) Zusammenhalt in einem Dorf, nur um diese dann als Lug und Trug zu entlarven.

Richtig gepackt hat mich die Geschichte dann aber leider nicht. Ich versuch mal zu beschreiben, woran das liegt:

Da hätten wir zum einen den Einstieg. Ich fand den nicht besonders spannend oder originell, ich finde auch, für das, was du erzählen möchtest, brauchst du zu lange bis Paula ins Spiel kommt. Ich bringe das auch nicht so recht in Einklang mit dem Rest der Geschichte - ich frage mich, würde da wirklich was verloren gehen, wenn der Einstieg fehlte? Wir erfahren ja doch nicht, warum Frau Maier die Fensterläden geschlossen hält, und Hilde und ihr Sohn spielen auch keine Rolle mehr. Klar, das sind Beispiele, aber im Grunde erzählst du halt, die Leute schwatzen. Ja, das tun sie. Aber besonders spektakulär finde ich das nicht.

Das hier wiederum fand ich gut:

Niemand gelangte unbemerkt ins Dorf. Keine Neuigkeit, die nicht schnellstens verbreitet wurde. Nichts, absolut gar nichts blieb verborgen.

Da dachte ich zunächst auch, die Geschichte geht in eine andere Richtung, dass bspw. Paulas Leben von den gelangweilten Alten über die Maßen ausspioniert wird - aber was du ja erzählen willst: Nichts bleibt verborgen, aber über vieles wird nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen.

Das zweite Problem habe ich mit den Figuren. Da solltest du meiner Meinung nach mehr Arbeit investieren, ihre Motive bleiben überwiegend im Dunkeln. Paula ist ein junges Mädchen, warum macht sie ein Praktikum in diesem (aussterbenden) Dorf? Du schreibst zwar:

Sie hatte viele Freunde im Dorf, genoss die Ruhe, das Muhen der Kühe und auch den Geruch nach Gülle.

aber zuvor hast du ja ausführlichst dargelegt, dass das Leben dort für junge Leute unattraktiv geworden ist:

Tagsüber war es ein Dorf der Alten.

Ich denke, Paula müsste für das, was ihr widerfährt, dort auch nicht hinziehen oder dort ein Praktikum machen, es würde ja schon reichen, wenn sie eine Woche ihre Oma besucht.

Nächste Figur: Paulas Vater. Was spielt der für eine Rolle?

„Wenn die Kühe in den Ställen muhen und es nach Gülle stinkt, dann sind wir bei der Oma!“ Das war der Standardsatz ihres Vaters, wenn sie nörgelnd auf der Rückbank des Wagens saß und es nicht mehr erwarten konnte, die Oma zu sehen. Paulas Vater war nur selten dazu zu bewegen in das Dorf seiner Kindheit zurückzukehren. Dabei war sein Verhältnis zur Großmutter gut. Sie telefonierten oft miteinander und Oma war auch gerne zu Besuch bei ihnen in der Stadt. Aber Paulas Vater kam nur an Weihnachten und Ostern mit ins Dorf. Paula konnte ihren Vater in diesem Punkt überhaupt nicht verstehen, wusste nicht, was ihn so störte an dem Ort, an dem er aufgewachsen war. Seit Paula denken konnte, verbrachte sie einen Teil der Ferien bei ihrer Oma, ohne Papa, ohne Mama. Sie hatte viele Freunde im Dorf, genoss die Ruhe, das Muhen der Kühe und auch den Geruch nach Gülle. Es war für sie selbstverständlich bei der Oma zu wohnen, in der Zeit, in der sie Praktikum machen musste. Ihr Vater schüttelte den Kopf und Paula konnte sein Unbehagen spüren. Seine Andeutungen, „ein Dorf ist keine Stadt“, „man müsse ein Dorf aushalten können“, „man sieht nicht in die Menschen hinein“ waren für Paula nur Floskeln, mit denen sie nichts anfangen konnte. Aber der Vater hinderte sie nicht zu gehen, er respektierte ihre Entscheidung. Und was sollte ihr schließlich in dieser Idylle, im Dorf passieren?

Den Abschnitt fand ich mühsam. Der ganze Teil, wie oft nun der Vater mit der Oma telefoniert, wie oft er sie besuchen kommt - ist das wirklich wichtig? Wir erfahren am Ende ja doch nichts über seine wahren Motive - außer leeren Floskeln, die Paula ja auch schon als solche entlarvt. Warum kommt er denn nur 2x im Jahr ins Dorf? Was ist der Grund für seine Abneigung? Und warum sagt er das Paula nicht klar und deutlich, anstatt sich hinter Floskeln zu verstecken? Er könnte ja klipp und klar sagen: Die Leute sind verlogen und kümmern sich nicht umeinander. Das tun sie in der Stadt zwar auch nicht mehr oder weniger als im Dorf (meine Meinung), also warum stört ihn das dort mehr? Ich bin da nicht schlau draus geworden.

Dann: die Oma. Warum sagt sie sowas?

„Wie konntest du? Das geht dich gar nichts an! Misch dich nicht ein!“ Paula traute ihren Ohren nicht. „Aber Oma. Der Hans hat seine Frau verprügelt. Die schrie um Hilfe! Da musste ich doch helfen!“ „Nichts musst du! Die Ilse wird schon wissen, weshalb sie Prügel kriegt. Hat den Hans wohl wieder gereizt. Das geht vorbei und uns geht’s nichts an!“ „Aber Oma, wir können doch nicht tun, als sei nichts passiert.“ „Doch genau das tun wir! Der Hans ist wichtig im Dorf. Er hat den Protest organisiert. Und er ist der einzige Sohn von Elsa. Du hast nichts gesehen. Ist das klar!“

Mir ist das als Begründung zu wenig: "Der Hans ist wichtig im Dorf." Was hat sie denn von ihm zu befürchten? Warum steht sie ihrer Freundin nicht bei? Und den interessanten Konflikt zwischen Paula und der Oma, der sich ja notgedrungen daraus ergibt, den sparst du aus. Das macht die Oma für mich ein wenig zum Klischee. Genau wie die anderen (namenlosen) Dorfbewohner:

„ Ach, hör doch auf! Was ist schon passiert? Das geht vorbei. Und du, du bist in ein paar Wochen wieder weg!“

Das kann sich alles schon so zutragen, aber ich finde, (auch) eine Kurzgeschichte muss hier weitergehen. Du bleibst mir zu sehr an der Oberfläche, das wird alles irgendwie erwähnt, aber nicht wirklich thematisiert.

Paula konnte dieses kollektive Wegsehen im Dorf, dieses Fehlen von Solidarität mit Opfern nicht begreifen. Die Menschen, die ihr so vertraut schienen, wurden zu Fremden. Sie wollte weg, nur noch weg aus dieser verlogenen Idylle.

Das geht mir zu schnell, und auch zu reibungslos. Beschreibe diesen Prozess doch ausführlicher, was macht das aus Paula, wie versucht sie sich zu wehren, wie genau eckt sie an und reagiert dann darauf? Das wären interessante Stellen (viel interessanter als der allgemeine Anfang), aber das sparst du aus, was ich schade finde.

Auch wenn es jetzt nach viel Kritik klingt: Das ist ganz gewiss kein schlechter Text, WPunkt. Auch wenn manche Formulierungen ein wenig unglücklich sind, wie hier:

Die, die die wenigen Parkplätze vor der Bäckerei belegten. Die, die die Bäckerei so bevölkerten, dass man nicht einmal in Ruhe die Neuigkeiten bereden konnte.

und auch das eine oder andere Komma fehlt, aber ich hab das im Groß und Ganzen gern gelesen. Aber der Text weiß nicht so recht, in welche Richtung er will, was er wirklich erzählen will. Da steckt vieles drin, aber eine echte Richtung schlägt er nicht ein. Wenn die noch erkennbarer wird, wenn du noch etwas mehr auf die Figuren und die Konflikte eingehst, das detaillierter zeigst - dann könnte der Text noch ordentlich gewinnen, denke ich.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo WPunkt,

Zuerst einmal muss ich sagen, dass die Atmosphäre mir sehr gut gefällt. Das Leben in einen kleinen Dorf, das sozusagen im Sterben liegt ist sehr schön beschrieben.
Allerdings habe ich auch Kritikpunkte. Das Ende ist meiner Meinung nach etwas abprubt und passt auch nicht wirklich zur Geschichte. Die Aussage des Vaters steht so einfach ziemlich im luftleeren Raum und schließt die Geschichte auch nicht wircklich schön ab. Desweiteren kommt der Konflikt zwischen Paula und ihrer Oma etwas zu kurz. Da hätte man finde ich etwas mehr drauß machen können.
Auch die Begründung, warum der Hans wichtig ist, ist mir etwas zu wenig. Nur weil er einmal den Protest organsiert hatte und der einzige Sohn von Elsa ist? Für mich wird da nicht wirklich klar, warum gerade dies ihn so wichtig macht.

MFG Henrik

 

Stadtluft macht frei!,

behauptet der Vater unserer Prot. Das galt "vielleicht" mal „früher“, im Mittelalter, um der Leibeigenschaft und der Knechtschaft des Territorialherrn zu entkommen, hernach begab man sich in die Knechtschaft des Fabrikherren,

lieber Wpunkt,

sofern man Geschichte in wenige Worte fasst und somit an sich unzulässig verkürzt. Aber auch der heutige, durchschnittliche („normale“?) Städter bevorzugt die drei Affen, nix hören, nix sehen, nix sagen, wenn Dir das ein Ruhrgebietler sagen darf. Kann auch nahezu gar nicht anders sein, wenn etwa in einer Mietskaserne der eine den andern Nachbarn schon auf der gleichen Etage kaum kennt, oft nicht einmal den Namen des Nachbarn kennen will – wobei Ausnahmen nicht auszuschließen sind.

Dass das Landleben jemals idyllisch war, bezweifelt ein Städter wie ich. Das Idyll ist eine romantische Vorstellung des Landlebens, sozusagen eine Utopie der kleinen, überschaubaren heilen Welt.

Still. Still war es geworden im Dorf
beginnt Deine kleine Erzählung. 's soll wohl eine Ellipse zum zwoten Satz sein, mit dem Du - bistu aufs Landleben spezialisiert? - das Idyll beginnst, und fordert uns/das Dorf doch auf, still zu sein. Aber waren wir/das Dorf laut? Lärmten gar? Mitnichten! „Stille“, das Substantiv wäre die korrekte Ellipse zum zwoten Satz, wollt' es nicht schon aufs Ende der Geschichte verweisen.

Das dreifache, von einem Vorredner (Vorschreiber wäre ein zu hartes Wort) bemängelte „die“ würd ich dagegen so lassen. Warum? Es klingt wie ein Schlagwerk, auf dem zu Anfang (ähnlich Beethovens Fünfter) dreimal der gleiche Ton getroffen wird. Als pochte das "['diddi'di:] gegen eine verschlossene Tür. Und man kann nicht oft genug gegen Verschlossenheit angehn.

Du schreibst angenehm, zeigst aber eine besondere Schwäche insbesondere bei Infinitivsätzen (die ja inzwischen von der Kommasetzung befreit sind, dafür aber eine große Zahl von Ausnahmen gegen diesen Freispruch liefern. Und genau da hapert's.)

Paulas Vater war nur selten dazu zu bewegen[,] in das Dorf seiner Kindheit zurückzukehren.
Ist die Infiintivgruppe von einem Substantiv abhängig, ist allemal ein Komma zu setzen, wie auch hier:
Es war für sie selbstverständlich[,] bei der Oma zu wohnen, in der Zeit, in der sie Praktikum machen musste.
(und hier, wenn ein zwotes Komma zugleich den Infinitivsatz beenden muss)
..., beeilte sich[,] zum Gebäude zu kommen[,] und klingelte stürmisch an der Haustüre ...

Paula versuchte[,] mit den Freunden aus dem Dorf zu reden.
Einige Male versuchte sie[,] mit Ilse ins Gespräch zu kommen, doch

Zudem sind zwo. nee drei kleinere Korrekturen vorzunehmen
Land-auf-land-ab
besser „landauf, landab“

Und hier wäre das abschließende Komma hinters auslaufende Gänsefüßchen zu setzen, weil der "übergeordnete Satz" fortgesetzt wird

„Komm rein[...]“ [,] herrschte sie die Großmutter an.

Und zuletzt
, sie sei die Treppe hinunter gefallen
besser ein Wort „hinuntergefallen“

Gern gelesen vom

Friedel,
der noch einen schönen Restsonntag wünscht!

 

Hallo betzebub,
danke für deine Anregungen.
Das mit der Namensgleichheit von Ilse und Else ist mir selbst gar nicht aufgefallen.
Also dafür herzlichen Dank. Die Geschichte liest sich mit differenzierten Namen wesentlich besser.

Auch die formale Gestaltung, dass bei jedem Personenwechsel eine neue Zeile begonnen wird,
war mir noch nicht bekannt. Danke.

Deine Kritik zum Ende kann ich nachvollziehen. Bin selber nicht so glücklich damit und aufgrund deiner und der anderen Kommentare werde ich daran arbeiten.

Danke für deinen Kommentar
Bis bald
WPunkt

 

Hallo Schwups,
erst einmal bitte ich um Entschuldigung, dass es mit meiner Antwort etwas gedauert hat.
Ehrlich gesagt war ich überrascht über deinen ausführlichen Kommentar. Danke dafür.

Deine Anmerkung zum Einstieg - Mir gefällt er immer noch sehr gut und ich möchte ihn auch beibehalten auch wenn er vielleicht etwas langatmig erscheint.
Den Aspekt, dass die Dorfbewohner Paulas Leben ausspionieren finde ich sehr interessant und ich möchte an dem Text in dieser Richtung weiter arbeiten.

Ich werde auch deine Anregung aufnehmen und die Personen weiter entwickeln. Ihre Beweggründe das Dorf zu meiden, siehe Vater-Figur, oder im Dorf eine Zeit zu leben, wie Paula, oder auch weshalb die Oma so und nicht anders reagiert.

Du hast mir viele Denkanstöße gegeben und ich brauche ein bisschen Zeit um alles umzusetzen.

Aber nochmals herzlichen Dank für deinen Beitrag
LG
WPunkt

 

Hallo HenrikS,
danke für deine Mühe meinen Beitrag zu kommentieren.
Deine Kritikpunkte treffen die Schwachstellen in meinem Text.
Das Ende ist ausbaufähig!
Ich habe aus deinem und den anderen Kommentaren gelernt, dass ich mich mehr mit meinen Figuren beschäftigen muss.
Es wartet also Arbeit auf mich.
Vielleicht verirrst du dich wieder zu meinem Text, wenn er überarbeitet ist.
LG
WPunkt

 

Hallo Friedel,
danke für deine Bemerkungen. Da sieht man doch mal wieder, der Autor kann seinen Text x-mal durchlesen und der Grammatikspezialist findet doch noch Fehler.
Du kannst dir gerne wieder meine Texte vornehmen.
LG
WPunkt

 
Zuletzt bearbeitet:

Nix zu danken,

WPunkt,

aber Spezialist zu sei, würd ich nie behaupten. Aber ich breche gerne Regeln und darum muss man die Regeln kennen, auf dass sich was bewege, und sitz dann auch mal gerne ein wie hier im Korrekturzentrum (aus politischer Korrektheit kürz ich das mal nicht ab, steht ja kein frommer Spruch wie "Jedem das Seine" oder "Arbeit macht frei" vor).

Du kannst dir gerne wieder meine Texte vornehmen.
Is' doch schon jeschehn bei die kwatschendn Fraunsläut ... Und Dein Erstling ... Naja, da frag ich mal nach den angekündigten Korrekturen ...

Bis denne

Friedel

 

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