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Identität
IDENTITÄT
Ich lege meinen falschen Ausweis vor, meine Hand zittert als ich ihn auf den Tisch lege, ich weiß nicht warum, ich habe es schon hundertmal gemacht. Die Frau vom Sekretariat schaut mich misstrauisch an, sie muss meine zitternde Hand bemerkt haben, ich lächelte sie an und nahm meine Tasche. Ich holte mein Handy raus und scrollte durch meine Nachrichten, ich habe keine neue Nachricht erhalten, ein kurzer Schauer von Traurigkeit durchzog meinen Körper, aber wer sollte mir auch geschrieben haben? Meine Eltern die mir viel Glück an der neuen Schule wünschen? Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als die Frau mir meinen Ausweis zurück gab, sie blickte über ihre schmale, rote Lesebrille erst schaute sie mich mit ernster Miene an, aber dann verzog sich ihr Gesicht zu einem lächeln.
,,Herzlich willkommen hier, Schätzchen.” sagte sie mit einer Stimme, die mich an meine Oma erinnert. Ich lächelte zurück und steckte meinen Ausweis zurück in meine Tasche.
Der Flur war angenehm kühl und leer, ich bog nach links ab um in den Klassenraum zugehen. Der Raum war fast leer, nur ein paar Schüler saßen auf ihren Plätzen und spielten an ihrem Handy. Mich packten zwei Hände an der Schulter und schoben mich zur Seite, ich zuckte kurz zusammen, doch dann ließ ich mich zur Seit schieben, es trat eine Frau mit braunen Haaren an mir vorbei, dass muss die Lehrerin sein, sie schaute mich mit strengem Blick an und ging weiter zu ihrem Schreibtisch, ich blieb noch ein paar Sekunden in der Tür stehen, doch dann bewegten sich meine Füße in die Letzte Reihe, wo ich meine Tasche auf einen Tisch lege. Neben einem Mädchen, das schwarze Haare hatte, die sie zu einem Zopf zusammengebunden hat. Mein Handy vibrierte, ich zog es aus der Tasche und setzte mich auf den Stuhl, der sich mit einem komischen Geräusch meldete. Es war meine Freundin Joudy, sie wollte wissen wie es mir in der neuen Schule gefällt, ich tippte schnell ein Nachricht in der stand, dass es mir bis jetzt eigentlich ganz gut gefällt. Es klingelte und wie auf Knopfdruck strömten Massen an Schülern in den Raum und verteilen sich auf den Plätzen. Man konnte förmlich fühlen wie der Raum immer wärmer wurde, wie er sich mit Leben erfüllte, vorher saßen hier nur ein paar stille Menschen, aber jetzt ist der Raum voll, voller Menschen die sich unterhalten und lachen. Es klingelt zum zweiten Mal, es setzten sich alle auf ihre Plätze und es trat Stille ein, eine gezwungene Stille, die Frau mit den braunen Haare, erhob sich von ihrem Stuhl und begann zu reden, sie redete über vieles, zu viel. Ich hörte schon seit einiger Zeit nicht mehr zu und war in meinen Gedanken vertieft, aber bei einem Wort wurde ich hellhörig, dieses eine Wort riss mich aus meinen Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Sie sagte Identität dieses kleine Wort, was für mich eine so große Bedeutung hatte, es war voller Angst.
,,Stellt euch eurer Identität und berichtet in den nächsten Stunden darüber. Nicht über irgendeine andere Person, sondern über euch.” mir drehte sich der Magen um, es war unmöglich, ich kann das nicht, ich kann nicht über meine Identität berichten, was soll man da überhaupt sagen? Wie ich heiße, und wie alt ich bin, kann ich auch in einem einfachen Steckbrief anfertigen, dafür muss ich nicht in meiner Vergangenheit graben, die schließlich niemanden etwas anging.
Es klingelte wieder und der Kurs war zu Ende, so schnell wie sich der Raum mit Leben gefüllt hat, so schnell wurde es ihm auch wieder ausgesaugt, wie eine Zitrone. Ich erhob mich und trat aus den Raum in den jetzt vollen Flur, der vorher so angenehm kühl war, jetzt aber ist er aufgeheizt wie ein Backofen. Ich zwängte mich durch sämtliche Schüler und lief Richtung Ausgang, oder wie ich es auch gerne nennen würde, die Befreiung aus der Hölle, wie ein Tor zum Himmel. Es waren zwei schwere Türen, auf einer Tür stand drücken also lehnte ich mich gegen die Tür die langsam und knirschend auf gang. Mir wedelte warme Luft entgegen, ich atmete den frischen Sauerstoff ein, merkte wie er sich in meinen Lungenflügel aus breitete. Als ich gerade einen weiteren Schritt gehen wollte, klingelte es zum zweiten Kurs ich drehte mich also wieder um und lief zurück in den überhitzten Flur, drängte mich wieder durch dieselben Menschen zu demselben Raum und setzte mich wieder auf den gleichen Platz wie vor einer halben Stunde.
Der Tag ging weiter an mir vorbei, die Schüler drängten sich jetzt aus ihren Räumen auf den Parkplatz und stiegen in ihre Autos fuhren los, fuhren mit ihren Freunden noch etwas essen, ich stieg in den leeren Bus und fuhr Richtung Zentrum, der Bus hielt an einer Haltestelle voller Graffiti, ich stieg aus und der Bus fuhr hinter mir weiter, ich lief in die kleine Straße ohne mich auch nochmal umzudrehen oder nochmal zurück zuschauen, mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es nichts bringt zurück zuschauen. Ich werde mich meiner Identität stellen, ich werde zeigen wer ich wirklich bin. Ich gehe die Straße entlang und biege in die Gasse ein. Meine Oma hätte dazu gesagt, dass ich jetzt in der Gosse wohnen würde. Sie hätte nicht ganz unrecht. Während ich mir den Weg zu meiner Tür stampfe. Ich steige über sämtliche Müllberge und Fährräder die schon seit einigen Jahren hier stehe. Ich habe meine Tür erreicht, ich stecke den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn zweimal herum. Es klemmt, wie jedes Mal, ich schmeiße mich mit meiner Schulter gegen die Tür und mit einem Knall springt sie auf. Ich gehe die Treppen hoch, ich wohne noch nicht lange hier, aber ich habe mich an die Treppen mittlerweile gewöhnt. Als ich hier einzog sah, das Schild auf dem stand, dass der Fahrstuhl defekt ist schon so aus, als ob es Jahre hier hängen würde.
Ich bin im dritten Stock angekommen, vor der Tür liegen Schuhe, die von meiner Mum sind nicht dabei. Ein kleiner Stich ins Herz macht sich bemerkt. Ich atme ihn weg, wie ich es immer tue und steige über die anderen hinweg. Ich schließe die Tür auf und gehe in die Wohnung. Als ich die Wohnung betrete kommt mir eine Welle von Lärm entgegen. Meine zwei jüngeren Brüder spielen gerade fangen und renne durch die Wohnung, mein älterer Bruder sitzt auf dem Sofa und schaut fern.
,,Warst du nicht in der Schule?“
Ich stelle meine Tasche auf den Stuhl. Er schüttelt nur mit dem Kopf und öffnet seine Flasche Bier. Und genau in diesem Moment wird mir klar, dass ich mich meiner Identität nicht stellen werde. Ich gehe in mein Zimmer, an der Wand hängen Poster, wie in jeden normalen Jugendzimmer. Ich gehe zu meinem Schreibtisch und öffne die Schublade. Ich nehme eine Schachtel aus der Schublade. Ich nehme den Deckel ab und suche mir einen Ausweis heraus. Es ist nur einer von vielen. Ich habe gar keine richtige Identität. Als meine Mum meinen Bruder bekam ist sie von zu Hause abgehauen. Seitdem ist sie nirgends mehr registriert, ich weiß bis heute nicht, wie sie es geschafft hat. Ich und meine Brüder haben nicht die selben Väter, weshalb wir wahrscheinlich aus so unterschiedlich sind. Meine Mum ist mit uns ständig umgezogen, aber jetzt nicht mehr sie will hier bleiben. Aber sie ist nicht da. Sie ist auf der Flucht, ich weiß nicht wieso, aber ein Zettel, wo drauf stand, dass ich ab jetzt kochen muss, weil sie fliehen muss, war schon ziemlich eindeutig. Ich habe einen Ausweis gefunden und beginne den Namen zu notieren. Meine Fantasie beginnt sich aufzubauen. Ich beginne das Leben dieser Person zu schreiben. Immer wieder aufs neue beginne ich einer Person ein Leben zu geben.
Ich habe es fertig gebracht, ich habe meinen Vortrag fertig. Ich habe meine Identität mit der dieser Person verknüpft. Ich schreibe als Abschlusssatz noch ein Zitat von Edgar Allan Poe.
-Ich war einst glücklich, wenn auch nur im Traum. Doch ich war glücklich.
Edgar Allan Poe