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Ich
Ich soll von mir erzählen, wurde mir geheißen. Ich soll ganz einfach über mich sprechen. Damit will ich nun beginnen. Das heißt, ich werde es versuchen. Wie dieser Versuch enden wird, kann ich nicht sagen. Ich kann auch nicht für die richtige Reihenfolge garantieren, in der ich nun über meine Dinge plaudere. Es wird also passieren, dass ich manchmal etwas aus der Reihe tanze. Vielleicht werde ich auch Zeiten verwechseln und auch die Hosen dabei verlieren, die ich zu den falschen Zeitpunkten trug. Es kann auch sein, dass ich Erlebnisse nur teilweise wiedergeben werde, weil diese mir eben nur noch teilweise erinnerlich sind. Ich hoffe aber doch, mich so beschreiben zu können, dass danach Irrtümer oder Zweifel über meine Person aus dem Weg geräumt sind. Wiewohl ich glaube, dass das Bemühen des nicht Zweifelns schwieriger in die Tat umzusetzen ist, als darüber nachzudenken und es auf ein Blatt Papier zu schreiben. Wiewohl ich auch glaube, dass ein paar Steinchen übrigbleiben werden. Vielleicht lohnt es sich, gerade über die paar nicht zu stolpern. Ich will versuchen. Ich will versuchen, die Splitter so zu fassen zu kriegen, wie sie in der Netzhaut meiner Erinnerung stecken. Nach den Eingriffen werden Löcher bleiben. Durch diese wird Licht fallen, oder noch mehr Dunkel von draußen. Das Draußen kann ich nicht beeinflussen. Alles ist abhängig vom Wetter vor der Türe. Ja, noch etwas. Ich bin kurzsichtig seit meinem vierzehnten Lebensjahr. Ich muss knapp davor stehen, um das zu sehen, das sich aus Entfernungen anbahnt. Aus Entfernungen aufbaut. Sich von Entfernungen nährt.
Entfernungen stellen andererseits kein Problem dar.
Ich orientiere mich an Gewohntem, pragmatisch bemüht, nicht meiner inneren Uhr Folge zu leisten. Daraus entsteht eine Orientierungslosigkeit, die sich in den Nächten, wenn ich an den Tresen diverser kleinbürgerlicher Bars kleben bleibe, bemerkbar macht. Ich saufe mir dort meine kleinen Träume groß und gedenke der ertrunkenen Erinnerungen.
Wie der mit der Ladezone. Es war heiß damals. Es war Juli. Sie lag auf der Motorhaube meines Wagens, hatte den Rock ausgezogen. Der sich abkühlende Motor knisterte unter ihren Beinen. Wir hatten eine Stange Salami und Dosenbier auf den Rücksitzen liegen. Der Wagen stand in der Ladezone eines Supermarktes. Es war vier Uhr früh. Die Sonne kroch irgendwo im Osten die Hänge hoch. Der Fahrer saß hinter dem Lenkrad seines Kühlwagens und ließ uns fertig machen. Das Radio lief. Es war guter, ehrlicher Sex. Wir waren danach mit schwingenden Hüften zum Frühstückskaffee nach oben getorkelt, hatten uns entschlossen, den Tag über blau zu machen, hatten noch ein paar Mal miteinander geschlafen. Wir hatten der Welt ein Stückchen Zeit abgetrotzt. Es blieb eine Freundschaft. Heute wuchern Jahre darüber. Wir standen zu dem, was wir in den Augen anderer falsch machten. Es war ein großer Beschiss, das alles. Im Grunde ist es das heute noch, nur anders herum betrachtet. Kurzum, ich habe immer gerne und intensiv gelebt. Ich habe keine Scheu vor eigenen Gefühlen, auch keine Scheu davor, sie zu zeigen.
Ich wünschte, ich wäre stärker.
Es richtig zu machen war und ist mein erklärtes Ziel. Damals, jetzt und in der Zukunft. Konflikten, die sich durch diese Zielstrebigkeit ergeben, versuche ich mit der Wahrheit zu begegnen. Richtig war für mich damals, nicht nein sagen zu können. Das ist heute anders geworden, weil die Wahrheit nicht mehr nur Versuch ist, sondern Verkörperung dessen wurde, was tatsächlich richtig ist. Auch Verneinung ist Wahrheit. Meine Wahrheit darin zu finden, ist ein Schlüsselerlebnis. Solche Erlebnisse mehren sich mit den Jahren. Es ist gut, davon zu merken. Wertigkeiten haben sich verschoben und viele Schlechtwetterwolken sind weitergewandert.
Manche Hänge liegen jetzt im Gold der Sonne. Ich musste nur den Berg verdrehen.
Als ich damals die Wassermelone mit den weißen Streifen auf dem Markt in Genua gekauft hatte, hatte ich an meinen Bruder gedacht und dass er sich freuen würde, wenn ich sie ihm mitbrächte. Als ich, zu Hause angekommen, Wassermelonen mit dem selben Streifenmuster in den Obststeigen liegen sah, habe ich mit dem Fingernagel Genua in die feste Schale seiner Melone geritzt. So habe ich ihm ein bisschen was von weit weg mitgebracht. Das süße Fleisch der Ferne hat köstlich geschmeckt. Er konnte die Kerne am weitesten spucken. Der Garten war voll mit unserem Lachen. Ich scheue keine Mühen, um jemandem, den ich liebe, Freude zu bereiten.
Wenn ich jemanden nicht liebe, ist das Interesse, diesem eine Freude zu machen, geringer. Der Versuch, die Liebe nach dem Prinzip der Gießkanne zu verstreuen, muss scheitern. Bei allem Respekt. Das hat aber nichts mit fehlendem Respekt zu tun. Auch begangene und noch kommende Fehler verdienen es, mit Respekt behandelt zu werden, weil immer Mut dahintersteckt. Ich denke, dass Respekt nicht verdient werden muss und nicht zu verschenken ist. Respekt ist unabdingbar und die Basis, auf der Häuser gebaut werden können. Ich respektiere also. Die Toleranz ist schwerer zu handhaben, weil es dazu des größeren Mutes bedarf, diese aber nichts desto trotz oder gerade deshalb auch lernbar ist.
Als die halbverwesten Körper toter Wasserbüffel unweit des Ufers den Ganges hinabtrieben und ich die Kinder beobachtete, die sich mit ihren kleinen Fingern in den Wellen des Flusses die Zähne putzten, begann ich zu ahnen, wie Toleranz aussehen müsste. Toleranz muss gelebt sein. Alles andere wäre im Widerspruch zu einer Liebe, die aus dem Respekt heraus ihren Nährstoff zum mutigen Sein erhält. Ich bin jetzt erst so weit, aber es ist gut, da zu sein.
Ich habe immer geglaubt.
Dann geschah etwas Seltsames. Ich Mensch kam darauf, dass Menschen lügen können. Und schlimmer noch, ich entdeckte, dass Freunde Menschen sind, sich Menschen auch zu meinen Freunden zählen. Es ist bitter zu merken, wie ein vertrautes Kartenhaus zusammenbricht. Die Trümmer erschlagen nicht, die daraus resultierenden Schmerzen sind nachhaltiger. Doch eben durch ihre Nachhaltigkeit wird der Versuch permanent, diese loszuwerden. Das erfordert Ablenkung durch kreatives Handeln, Distanz durch Denken. Ich stelle bei mir Kreativität fest. Darum kenne ich keine Angst vor einstürzenden Kartenhäusern. Die Erforschung dieser kreativen Grenzen betreibe ich konsequent. Es ist wie die Überquerung stiller tiefer Wasser. Es ist ein Vorwärtskommen, hervorgerufen durch die Besinnung auf mich selbst. Endlich, denke ich manchmal. Endlich ist es auch so weit. Wie lange manche Wege sein können.
So ist das mit mir.
Ich bin nichts Außergewöhnliches. Nichts, das nicht schon einmal da gewesen wäre, nichts, das nicht wieder passieren würde. Und doch, denke ich, ist da was Einzigartiges, etwas, das so, wie es ist, einsam und alleine für sich steht. Es scheint sich bei diesem Etwas um mich zu handeln, um das eine Ich, das nur in meinem Besitz steht, nicht übertragbar, nicht verwechselbar im großen Spiel eines Lebens, das immer gefährlicher zu werden scheint.
Trotzdem. Angekommen.
Ich war auch der Fahrer des Kühlwagens, war auch in den Streifen auf der Wassermelone, war im Körper des halbverwesten Wasserbüffels, bin das Kartenhaus, das sich immer wieder aufrafft und auf wackelige Beine stellt.
Ich bin.