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Ich will nicht, dass du traurig bist...
Manchmal wache ich Nachts auf und mein Gesicht ist nass von Tränen. Ich bin so unsagbar traurig, kann mich nicht an einen Traum erinnern und weiß doch, warum. Die Traurigkeit frisst mich auf, von innen heraus und ich kann nichts dagegen tun. Sie ergreift Besitz von mir, vereinnahmt mich ganz und lässt mich nicht wieder gehen. Ich weine leise weiter. Und die Einsamkeit ist so dunkel und kalt.
Manchmal wache ich nachts auf und stelle mir vor, wir liegen auf einer Blumenwiese. Es ist Sommer, das Gras duftet, die Blumen auch und eine wundervolle Stille schwebt über unseren Köpfen. Wir liegen da und halten uns an den Händen, genießen den Sommer, die Stille und den Augenblick. Ich stelle mir vor, wie du mir eine Blume pflückst, eine einzelne und ich weiß, sie bedeutet mehr als ein ganzer Blumenstrauss.
Manchmal wache ich auf und denke an dich. An dich und dein Lachen. Deine Fröhlichkeit, deine Spontaneität, deinen Übermut und deine Freude. An dich und deine Augen. Deine Nachdenklichkeit, deine Ruhe, deine Ausgeglichenheit und deine Gelassenheit. Ich denke an dich. Ich denke an uns. An unser Lachen, so froh und unbeschwert. An unsere Augen, die sich einfach nur festhielten. Die keine Worte brauchten um sich verständlich zu machen. Unsere gemeinsame Zeit. Sekunden, Minuten, Stunden, Tage. So wenig im Lauf der Zeit, doch unendlich wichtig für mich.
Und dann kann ich nicht mehr einschlafen. Ich liege wach und stelle mir vor, wie du mich anlächelst. Ich stelle mir vor, wie du mich ansiehst, nur mich und deine Augen sagen mir so viel von den Dingen, die uns verbinden. Ich stelle mir vor, du würdest noch leben. Denn in Wahrheit sind all meine Vorstellungen nur Erinnerungen. Erinnerungen an dich, vor allem an dich. An uns.
"Wenn einer stirbt, dann leben andere", sagte einmal ein schlauer Mensch. Leben, im Sinne von Überleben.
Manchmal, wenn ich wach liege, dann wünsche ich mir, ich wäre auch tot. Und wir wieder zusammen. Auf einer Wiese und es ist Sommer. Wir haben nie zusammen auf einer Blumenwiese gelegen. Wir haben keinen Sommer erlebt. Als wir uns kennen lernten war es Herbst, kalt und nass. Bunte Blätter wirbeln durch den Wind, du und ich, wie kleine Kinder bewerfen wir uns mit Laub, rennen, toben, lachen. Leben. Dunkle Tage, es wird nicht richtig hell, doch die Kerzen strahlen Licht und Wärme aus, so dass wir das trübe Wetter vergessen können. Als der erste Schnee fällt hält uns nichts mehr. Unsere Zeit ist kurz, wir müssen sie nutzen.
Manchmal hast du mich so angesehen, als wüsstest du alles. Als könnte nichts vor dir verborgen bleiben. Dein Blick ging tief in mich hinein und verursachte ein wohliges Kribbeln im Bauch. Stundenlang geredet, nie den Sommer gesehen. Aber es war unser Sommer, warm und schön. Voll Fröhlichkeit und Lachen. Und er war, wie Sommer es an sich haben, viel zu kurz.
Ich lebe. Habe überlebt.
Obwohl ich, seit du weg bist, ums Überleben kämpfen muss. Jeden Tag aufs Neue. So vieles erinnert mich an dich, so vieles kann ich nicht vergessen. Werde ich jemals wieder im kalten Winter den Sommer spüren? Wird es jemals wieder jemand schaffen, mich so zum Lachen zu bringen wie du es getan hast? Werde ich dich immer vermissen und mich fragen, warum?
Manchmal wenn ich deine Fotos anschaue bekomme ich Angst. Ich habe Angst davor, nur noch Bilder von dir zu kennen, nicht dich. Nicht mehr die Erinnerung an dich zu haben, sondern an Papierstücke mit Farbe darauf. Angst davor, dass diese Bilder auch verblassen. Immer schwächer werden und sich irgendwann auflösen. Für immer verschwinden und eine große Leere hinterlassen.
Ein Lied im Radio, unser Lied, kann mich zum Weinen bringen.
"Ich will nicht, dass du traurig bist!", hast du mir gesagt. Und mich angesehen.
"Ich will nicht, dass du mit mir stirbst!"
Ich bin nicht gestorben. Nicht im medizinischen Sinne. Ich lebe noch. Aber ein Teil von mir ist auch gestorben. Fort und kehrt nie wieder zurück. Bin ich ohne diesen Teil von mir noch ich? Fehlt nicht etwas von mir? Bist das nicht du?
Manchmal will ich leben.