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Ich verstehe dich!

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02.10.2016
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Ich verstehe dich!

Der Wecker klingelte in der widerlichsten Tonlage, die er sich verstellen konnte, und das bereits zum dritten Mal heute Morgen. Toms Arm war gerade dabei auszuholen, um mit einem Schlag auf die Schlummer-Taste den unvermeidlichen Alltag noch ein wenig weiter hinauszuschieben, da riss genau dieser Alltag in Gestalt seiner Mutter die Tür zu seinem Schlafzimmer auf.
"Tom, nun steh doch mal auf. Das Gebimmel macht mich wahnsinnig. Willst du schon wieder zu spät zur Arbeit kommen? Die schmeissen dich auch wieder raus. Und dann? Willst du das?"
Bei dem Gedanken daran, gleich aufstehen zu müssen, wurden Toms Augen feucht, und ein Gefühl von Übelkeit stellte sich in seinem Magen ein. Sein gesamter Widerwille, den Tag außerhalb seines Bettes zu verbringen, schien sich in seiner Bauchhöhle zu konzentrieren. Tom unterdrückte ein Würgen und presste ein resigniertes "Nein, Mama." hervor. Früher hatte er Lügen verachtet, heute machte es sein Leben ein klein wenig einfacher. Wenn die Menschen das hörten, was sie hören wollten, fingen sie keine dieser ermüdenden Diskussionen an. Warum ließ ihn die Welt nicht einfach in Ruhe?
Toms Mutter riss den Rolladen mit lautem Ratschen in zwei Zügen in die Höhe.
Die Muskeln verkrampften sich und brachten Toms Körper in Fötusstellung. Eine einsame Träne rollte über seine Wange.
"Hopp los, Frühstück ist fertig!", rief seine Mutter gut gelaunt.

Letztlich hatte Tom sich doch noch aufgerafft und war aus dem Bett gestiegen. Wahllos griff er sich Unterwäsche und T-Shirt aus seinem Kleiderschrank. Die Hose von gestern lag griffbereit über der Stuhllehne. Die selbe wie vorgestern und letzte Woche. So angezogen, ging Toms Körper in die Küche und lies dabei seine Gedanken im Bett zurück. Zumindest fühlte sich Tom so. Ohne den Stuhl zu bewegen, quetschte er sich in die Lücke zwischen Rückenlehne und Tisch.
Toms Mutter füllte seine Tasse mit Kaffee. Diese hässliche Tasse. Ein florales Muster, Altrosa auf fast weißem Porzellan. Und die beiden Enden des Henkels, die sich wieder vom Tassenkörper wegbogen, als würde der Henkel die Tasse genauso ekelhaft finden, wie Tom. Kaffee ist ekelhaft. Wenigstens wenn er in dieser Tasse serviert wurde. Wieder musste Tom würgen. Aus ihm heraus kam aber weder sein Widerwille, noch seine Galle.
"Was möchtest du essen? Ich kann dir noch schnell ein Ei machen, wenn du möchtest."
Toms Magen schien sich auf Links drehen zu wollen. "Ich möchte nichts, danke!"
"Junge, du machst mir Sorgen. Fehlt dir irgendwas? Mit mir kannst du doch Reden."
Ja klar. Ein kurzer Blick in die Augen seiner Mutter sagte Tom etwas anderes. Sie versuchte aufmunternd zu lächeln, es stellte sich aber nur eine verzerrte Fratze mit verkrampft hochgezogenen Mundwinkeln ein.
Ein lautloses und resigniertes "Ist alles gut, Mama." drang durch Toms Lippen.
"Na, siehst du. Kopf hoch, Brust raus! Dann geht der Rest wie von selbst!"
Toms wiederholtes Würgen bekam seine Mutter nicht mit. Sie war bereits anderweitig im Haushalt beschäftigt. Das musste man ihr schon lassen, es blitzte und blinkte im ganzen Haus. Kaum ein Stäubchen konnte sich längere Zeit irgendwo im Haus festsetzen. Alle Hemden waren akkurat gestärkt und gebügelt. Sogar Vaters Unterhosen wurden in ihren Händen wieder weiß. Gott weiß, wie viel Bleiche sie dafür durch die Kanalisation jagte. Als Hausfrau war sie nun wirklich brillant. Ihre Rolle als Mutter füllte sie leider weniger gut aus. Mit Sorgen und Problemen brauchte man ihr gar nicht erst zu kommen. Mit einem flotten Spruch wurde ein drohendes Gespräch elegant weggefegt.
"Ich mach mich dann auf den Weg", murmelte Tom stimmlos. Bevor seine Mutter antworten konnte, hatte er sich schon vom Stuhl erhoben und näherte sich der Wohnungstür. Wahrscheinlich bemerkte sie seinen Abgang erst, als hinter ihm die Tür zuschlug.
Mit dem Rücken an die Tür gelehnt, lies Tom seinen Oberkörper in sich zusammensacken, und der Inhalt seiner Lungen strömte deutlich hörbar durch seine Nase. Er fühlte Erleichterung. Allerdings nur für einen kurzen Augenblick, denn der Rest des gruseligen Tages lag noch vor ihm.

Irgendwie hatte Tom es zu Bahnhof geschafft.
Vorbei an den kleinen, spießigen Häuschen mit dicken, spießigen Menschen und einer Papp-Wohnwand mit aufgedruckter "Eiche rustikal" im Wohnzimmer. Wie konnten all diese Menschen nur so zufrieden sein?
Vorbei am Kiosk, an dem morgens um acht schon die ersten Kurzen für einen besseren Start in den Tag sorgten. Oder sorgen sollten. Tom wollte das auch mal ausprobieren. Aber heute nicht. Die Menschen, die am Kiosk standen, sahen nach Toms Geschmack nicht unbedingt sympathisch aus.
Vorbei an der Kirche. Seinen Glauben an das Christentum und Nächstenliebe hatte Tom schon vor einiger Zeit verloren. Und der Glaube an einen gütigen Gott war kurz darauf auch verschwunden. Warum trat Tom sonst in jedes Stück Hundekacke auf seinem Weg, wenn Gott es gut mit ihm meinte?

Nun saß er jedenfalls einsam auf der unbequemen Bank am Bahnhof und wartete auf seinen Zug. Um ihm herum tummelten sich die Pendler, die ihm im Zug gleich die Luft zum Atmen nehmen würden.
Ein alter Mann mit grauen Haaren hielt zielstrebig Kurs auf Toms Bank und setzte sich schließlich neben ihn.
"Tom", sagte der Mann unvermittelt, "ich weiß, wie du dich gerade fühlst. Mir ging es mal genauso."
Tom drehte seinen Kopf zum alten Mann und sah ihn an. So alt sah der Mann aber doch nicht aus. Nur wenige Falten um die Augen waren im ansonsten recht straffen Gesicht zu sehen. Es wurde eingerahmt von kräftigem, blondem Haar in modischem Kurzhaarschnitt. Die Blicke der beiden blauen Augenpaare trafen sich, und Tom fühlte sofort Verbundenheit und Vertrauen. Er meinte ihn zu kennen, konnte sich aber nicht erinnern, woher.
Die Lautsprecheranlage fing schrill an zu plärren und riss Toms Aufmerksamkeit von seinem Sitznachbarn weg. Toms Zug wurde angekündigt, er sollte in Kürze einfahren.
"Tom, alleine schaffst du das nicht. Du brauchst jemanden, der dich aus deinem Loch wieder herausholt."
Wieder sah Tom zur Gestalt neben ihm. Ein junger Mann, Anfang zwanzig, ein Abbild seiner selbst.
"Ich verstehe dich. Komm, ich helfe dir!" Das Kind neben ihm stand auf und ergriff Toms Hand.
Schlagartig wurde Tom klar, wie er dem allen entfliehen konnte. Tom erhob sich, und zielstrebig gingen beide auf die Bahnsteigkante zu.

 

Hallo HoWoA,

es geht mir wie meinem Vorredner bzw. Vorschreiber.

Das Ende lässt den Leser hilf- und ratlos zurück. Mir erschließt sich auch nicht so recht der Sinn der Geschichte bzw. die Handlung.

Mich stört auch, dass etliche Sätze mit "Tom" beginnen. So wird der Text langweilig.

Ich denke, der Text gibt mehr her, wenn du ihn aus der Ich-Perspektive schreibst. So kannst du es besser umgehen, zuviele Sätze mit "Ich" zu beginnen. Das hat auch noch den Vorteil, dass sich der Leser besser in die Person "Tom" hereinfühlen kann.
Denk mal drüber nach.


LG

betze

 

Danke für die Antworten, Reinhard und betze.

Suizid als Ausweg aus einer Depression ist leider nicht ganz so selten, davon handelt die Geschichte. Tom wirft sich vor den einfahrenden Zug und kehrt damit dahin zurück, wo er vor der Geburt war. Der alte Mann ist Tom selbst. Ich werde versuchen, dass für den Leser noch etwas verständlicher zu machen..

Es beginnen wahrscheinlich wirklich zu viele Sätze mit Tom. Ich sehe mal, was ich da noch ändern kann.

Grüße
Holger

 

Hallo HoWoA,

ich habe deine Geschichte ebenfalls interessiert gelesen!

Depression ist eine ernstzunehmende Krankheit, die leider noch nicht richtig in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
Mir hat es zu Beginn gut gefallen, dass du nicht darauf eingegangen bist, warum es Tom schlecht geht. So bleibt dies der Fantasie des Lesers überlassen und die Krankheit muss ja nicht zwingend einen bestimmten Grund haben. Leider hast du das dann mit einer kurzen Erwähnung zunichtegemacht.

Freundin, Auto, Wohnung. Alles weg. Zu seinen Kumpels hatte er auch nach und nach jeden Kontakt verloren.
Das ist natürlich durchaus legitim, aber es wirkt auf mich wie eine ziemlich "einfache" Erklärung (bitte nicht falsch verstehen!), die man sich auch hätte sparen können. Warum nicht einen Menschen mit Depression beschreiben, der nicht alles verloren hat, sondern einfach an der Krankheit leidet und deswegen das Leben nicht mehr genießen kann?

Den alten Mann/Kind fande ich am Ende auch etwas verstörend. Der Sprung vor den Zug war für mich dagegen wieder verständlich.
Wenn der alte Mann wirklich Tom ist, warum sagt er dann:

"Weißt du, Tom", sagte der Mann unvermittelt, "mir ging es früher auch so ähnlich. Auch ich hatte kaum noch auf etwas Lust. Ich war froh, wenn ich niemanden sehen musste."
Also, ich weiß nicht... Irgendwie hat sich mir das, ebenso wie meinen Vorrednern, nicht so ganz erschlossen.

Die Mutter fande ich ganz gut beschrieben! Allerdings wirkt ihr "Mit mir kannst du doch reden" eigentlich ziemlich einfühlsam, entgegen ihrer sonstigen Beschreibung.

Auch ich würde empfehlen in einen "Ich-Erzähler" zu wechseln. Dies bietet sich einfach an, da die Geschichten von Toms Emotionen geprägt sind.

Ich hoffe, dass ich dir mit meinen kurzen Anmerkungen helfen konnte. Vielen Dank für deine interessante Geschichte!

Viele Grüße,
Sprachphysik

 
Zuletzt bearbeitet:

(Habe gerade ein paar Änderungen vorgenommen.)

Danke, Sprachphysik.

Mir hat es zu Beginn gut gefallen, dass du nicht darauf eingegangen bist, warum es Tom schlecht geht. So bleibt dies der Fantasie des Lesers überlassen und die Krankheit muss ja nicht zwingend einen bestimmten Grund haben. Leider hast du das dann mit einer kurzen Erwähnung zunichtegemacht.
Du hast recht. Das ist Füllwerk, das es hier nicht braucht, und sogar in meiner allerersten Fassung gar nicht drin war.

Wenn der alte Mann wirklich Tom ist, warum sagt er dann:

Also, ich weiß nicht... Irgendwie hat sich mir das, ebenso wie meinen Vorrednern, nicht so ganz erschlossen.

Vielleicht kann die Anrede des alten Manns etwas anders ausfallen, damit es stimmiger wird. Ich mache mir darüber Gedanken...
(NACHTRAG: Stelle ist geändert)

Die Mutter fande ich ganz gut beschrieben! Allerdings wirkt ihr "Mit mir kannst du doch reden" eigentlich ziemlich einfühlsam, entgegen ihrer sonstigen Beschreibung.
Vordergründig gibt sie sich besorgt und interessiert, in Wirklichkeit ist das aber nur eine Maske. Sie hofft innerlich, dass Tom abwiegelt. Vielleicht soll die Nachfrage ihr auch nur bestätigen, dass sie eine gute Mutter ist. Der Widerspruch besteht (für mich) nur scheinbar.

Ich hoffe, dass ich dir mit meinen kurzen Anmerkungen helfen konnte.
Durchaus.

Grüße
Holger

 

Hallo,

für mich hört sich die Geschichte nach einem seelischen Durcheinander, zum Schluß großzügig mit einem Selbstmord abgerundet... nach dem Vorbild von Anna Karenina.

Der Nervenzusammenbruch des Helden ist gut aufgebaut. Man liest den Text und wird praktisch mit depressiv.

Das zielstrebige Schreiten beider auf die Bahnsteigkante empfang ich als Erlösung für mich und somit für den Tom!

Der Text ist lesenswert...
Jo!

 

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