- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Ich und ihr Pferd
Ich und ihr Pferd
Es gibt Tage, da möchte man lieber sterben...
Eigentlich bin ich nicht fürs Sterben. Bin ja ein lebensfroher Mensch, habe einen gutbezahlten Job, der mir auch noch Spaß macht und eine liebe Freundin, Sara.
Sara ist ein Engel und ich bin ihr Held. Unsere Beziehung könnte schöner nicht sein...
Doch da ist noch Nero. Ihr Pferd.
Ich habe nichts gegen Pferde. Auf keinen Fall! Sie sind bestimmt ganz wunderbare Geschöpfe, solange sie mir nicht zu nahe kommen! Man kann nicht sagen, dass ich Angst vor ihnen hätte. Nein, wirklich nicht. Das ginge ja auch gar nicht, denn Männer haben grundsätzlich vor nichts Angst. Ich zumindest nicht und schon gar nicht vor Pferden. Lächerlich!
Bis zu diesem Tag...
Ich stehe mit Sara vor der Stalltür. Wie hat sie es nur geschafft mich bis hierher mitzuschleppen? Wochenlang bin ich durch geschickte Ausweichmanöver meinerseits einem Treffen mit Nero entronnen. Jetzt stehe ich da und weiß nicht was tun...
Sie öffnet die Stalltür und geht mir voran in den schummrig wirkenden Stallgang. Ich stehe noch immer am gleichen Fleck und rühre mich nicht. Zittern da etwa meine Knie? Nein, bestimmt nicht. Ich sollte ihr nachgehen; nicht, dass sie noch was merkt. Ich zwinge mir ein ungezwungenes Lächeln auf die Lippen. Sieht es wohl echt aus? Sara war schon immer gut im Analysieren von Körpersprache. Konzentrier dich! Es wird schon nichts passieren. Da drin sind nur Pferde. Ganz liebe Tiere und auch gar nicht groß! Ich trete in den Stall und lehne mich lässig an die Stallwand hinter mir. Vor mir sehe ich eine Reihe mit Rohren vergitterter Boxen. Die Gitter sollten mich beruhigen, doch die Geräusche, die dort herausdringen, sind mir gar nicht geheuer. Schemenhaft erkenne ich die großen Umrisse der dort eingesperrten Tiere. Ich kann mir den schadenfrohen Gedanken nicht verkneifen, dass sie bestimmt nicht ohne Grund dort drin festgehalten werden. Das Rascheln des Strohs und das gelegentliche Schnauben machen mich nervös. Meine Hände sind feucht. Unauffällig wische ich sie an meiner Jeans ab. Wo ist nur Sara hin?
Plötzlich öffnet sich die Boxentür vor mir. Hätte ich nicht schon an der Wand gelehnt, wäre ich vor Schreck nach hinten umgefallen. Ich sehe schon, wie ein großer schwarzer Hengst herausschnellt, auf mich zukommt, sich auf die Hinterbeine stellt und mit seinen Vorderhufen meinen verängstigten Körper niedertrampelt. (Fury konnte ich schon als Kind nicht ausstehen!)
Wieso sind meine Augen zu? Ich darf mir doch nichts anmerken lassen! Es passiert bestimmt nichts. Alles nur Einbildung. Nur ruhig bleiben. Sie darf dir nichts anmerken. Vorsichtig öffne ich meine Augen und sehe, wie ein kleines Mädchen mit einem Pferd an der Leine aus der Box herauskommt.
„Hallo“, ruft sie mir entgegen. „Bist du neu hier?“
„Hallo“, kommt es krächzend aus meinem Mund. Mist, bloß nicht verängstigt klingen! Mich unauffällig räuspernd antworte ich: „Ich begleite Sara. Hast du sie vielleicht gesehen?“
„Ja, die holt Nero von der Weide.“
Die Weide also? So, so. Na, da muss ich dann wohl warten. Ganz auf mich allein gestellt. Der Gedanke behagt mir nicht! Das Mädchen bindet ihr Pferd nun nicht weit von mir vor der Boxentür an. Unauffällig gehe ich einen Schritt zurück. Panik steigt in mir auf. Das Pferd ist festgebunden, rede ich mir ein. Das Mädchen weiß bestimmt was sie tut. Locker grinsend rufe ich ihr aus meiner Ecke zu: „Ein schönes Pferd hast du da. Ziemlich groß, oder?“
Lächelnd sieht sie mich über den Rücken des Pferdes hinweg an.
„Aber nein, das ist ein Pony. Ein Haflinger um genau zu sein.“
„Ach so“, murmle ich. Pony hin, Pony her. Dieses Tier ist groß und wie es mich immer ansieht! Sind Pferde in der Lage Angst beim Menschen zu riechen? Besser ich gehe noch ein wenig zurück. Aber halt, ich habe keine Angst. Ich sorge mich nur um meine Gesundheit. So große Tiere sind mir nun mal suspekt. Was, wenn bei denen eine Sicherung durchbrennt?
Das Mädchen holt mich aus meinen Gedankengängen wieder zurück.
„Kannst du mal eben auf ihn aufpassen? Ich muss das Putzzeug holen.“ Und weg war sie.
Verlass mich nicht, schießt es mir durch den Kopf.
Ich bin allein. Wieso sieht er mich so komisch an? Er hat so viele Haare. Sie verdecken fast vollständig seine großen braunen Augen und reichen den ganzen Hals entlang. Unbewusst fahre ich durch mein lichter werdendes Haar. Ich mag ihn nicht! Zu viele Haare...
Er ist unruhig. Hat er gemerkt, dass ich ihn nicht mag? Er dreht sich mit seinem Hinterteil mir entgegen. Das ist gefährlich, oder? Was hat Sara nur immer gesagt? Mir gefällt diese Situation nun gar nicht mehr. Ich spüre Schweißperlen auf meiner Stirn. Wo bleibt nur das Mädchen? Wieso scharrt er jetzt auch noch mit den Hufen? Plötzlich schlägt er mit seinem Vorderhuf gegen die Boxentür. Der Knall lässt mich zusammenzucken. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Nicht wegrennen, nur nicht wegrennen, schießt es mir durch den Kopf. Da höre ich Getrappel von draußen. Endlich! Das ist bestimmt Sara.
Ein großer schwarzer Kopf ist das Erste, was ich sehe. Das, was folgt, scheint zu groß um durch die Tür zu passen. In meiner Panik wäre ich beinahe gegen den kleinen Haflinger gerannt. Doch ich schaffe es gerade noch rechtzeitig mich zusammenzureißen. Und da folgt auch schon Sara. Sie führt das Ungetüm an einer - für mich viel zu dünnen - Leine an mir vorbei und bindet ihn neben dem Pony fest. Unter seinem Hals hindurch ruft sie mir zu:
„So, bin wieder da. Und das ist mein Kaltblut Nero.“ Sie tätschelt dabei seinen mächtigen Hals. „Ich muss ihn nur noch ein wenig fertig machen und dann darfst du ihn reiten.“
Wie erstarrt und von dem Schock noch völlig benommen, sehe ich sie an. Erstens ist Nero doppelt so groß, wie der Haflinger, zweitens werde ich niemals auf ein Pferd steigen und drittens bin ich spät dran.
„Ich muss weg“, rufe ich ihr zu, drehe mich um und haste davon. Dabei rede ich mir ein mannhaft gehandelt zu haben.
Wieso konnte mich Gott heute morgen nicht sterben lassen?