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Ich möchte tanzen gehen

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24.08.2007
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Ich möchte tanzen gehen

Seit meiner Trennung fährt mein Mann einen goldenen Volvo und ich mit dem Stadtbus. Die Verteilung der Verkehrsmittel war vorher schon genauso; verloren habe ich nichts als die Illusion, Besitzerin eines goldenen Volvo zu sein, mitgenommen habe ich die Fähigkeit, mit ÖPNV jeden Ort auf dieser Erde zu erreichen, den ich möchte.

Jeden Ort? Fast jeden – wie das immer so ist, ein einziges gallisches Dorf... in diesem Fall ist es die Disco in der Nachbarstadt. Zu weit weg jetzt. Laut interaktiver Fahrplanauskunft keine Verbindung.

Und ich will tanzen, muss tanzen, kann nicht leben ohne tanzen, muss die Lautstärke im Zwerchfell spüren und die Menge um mich herum und das Licht, muss tanzen, tanzen, bis ich mich verliere, mich vollständig hingebe an die Musik, den Rhythmus, den Sound, mich führen lasse vom DJ, meine Umgebung nur noch fragmentarisch wahrnehme, wirbelnde Lichtreflexe, Gesichter im farbigen Nebel, ab und zu ein Lächeln, eine kurze Begegnung, und dann wieder bei mir, nur noch Körper, nur noch intuitive Bewegung, nur noch im Hier und Jetzt, Raum und Zeit vergessend.

Ein paar Monate hielt ich es durch, suchte und testete Alternativen, und mit einem Mal wurde das Verlangen übermächtig, und ich musste da hin, egal wie.

Also die Jeans an, das Gel in die Haare, die Glitzerohrringe rein und los, in der Tasche eine äußerst kreative selbst zusammengestellte Busverbindung für die Rückfahrt.

Oh what a night, der Abend war einfach genial.

Kurz vor Mitternacht musste ich natürlich schon wieder los, da sich sonst meine Kutsche in einen gelben Kürbis verwandelt hätte oder der letzte Nachtbus in ein teures Taxi, was ungefähr dasselbe ist. Zum Umsteigen hatte ich einen komfortablen Zeitpuffer von fünf Minuten, das musste reichen.

Der erste Bus kam dann schon mal mit fünfzehn Minuten Verspätung. Die Hoffnung stirbt zuletzt: „Kriege ich meinen Anschluss noch?“-„ Weiß nicht.“ war die schläfrige Antwort. Damit musste ich mich begnügen. Taxi ist verdammt teuer, wenn man so weit außerhalb wohnt.

Resigniert und ziemlich gefrustet, weil ich gerne noch geblieben wäre, hing ich im Sitz rum und realisierte erst nach der dritten Durchsage, dass der Busfahrer mir was sagen wollte. Mir! Sein Deutsch war schwer verständlich, der Lautsprecher machte es nicht besser. Ich also nach vorne, fragen was los ist. „Das war eben Ihr Bus. Sie haben nichts gehört, jetzt ist er weg.“ - Scheiße - Panik - „Kriegen wir den noch????“

Der eben noch müde Fahrer lief zu voller Form auf. Er raste dem Bus hinterher, sehr zur Erheiterung zweier kichernder Teenies auf den vorderen Plätzen. Die beiden mussten natürlich an der nächsten Haltestelle raus –der Fahrer hielt abrupt, murrend und sehr kurz- wodurch wir zwar kostbare Sekunden verloren, sie jedoch das Beste verpassten: einen vollkommen wachen, hoch engagierten Busfahrer, der sich begeistert in eine nächtliche Verfolgungsjagd stürzte, volle Kanne mit Lichthupe durch die dunkle menschenleere Stadt bretterte, meinem Anschlussbus hinterher, der ebenfalls einen flotten Reifen fuhr und erst eineinhalb Haltestellen später realisierte, was los war, mitten auf der Strecke bremste, warnblinkte und mir die Tür aufmachte. Wow, das nenne ich Kundenorientierung! Danke!!! - joggjogg - Danke!!!

Als ich drinsaß, konnte ich es einfach nicht glauben. Was für ein Erlebnis – fast noch schöner als tanzen.

 

verloren habe ich nichts als die Illusion

Ewig nix mehr von Dir gehört – wann war das noch gleich, ach ja: seit dem Fund der Sonnenscheibe von Nebra gefühlter Zeit,

liebe enigma,

aber schön, mal wieder ein Lebenszeichen zu sehn. Aber zugegeben, der Titel

Ich möchte tanzen gehen
ist – wenn man’s genau nimmt - irreführend.

Nicht so sehr wie bei einem, der sich entschuldigen möchte - der verdiente eins auf die Nase, denn er tut’s ja nicht, sondern ergeht sich in Phrasen -, aber Deine Icherzählerin findet doch den Weg zum Tanzvergnügen. Und warum sollte man Atemlosigkeit nicht durch eine neue Wortschöpfung darstellen können? Ob hechel-hechel, keuch-keuch oder

- joggjogg –

Mach Dir nix daraus! Jeder hat schon mal diese Anflüchte und Comics machen's ja ständig vor.

Auch dieses zum ersten Büttenredner: Wer erzählte nun nicht, was er selbst erlebt hätte – sei’s nun real oder in Fantasie oder Traum. Deine Geschichte nun ist zwar nahedran am Schulaufsatz, aber warum sollte sie darum schlechter sein als der Durchschnitt aller anderen Geschichten hier vor Ort? Zudem find ich bis auf drei Punkte, die einmal sogar buchstäblich zu nehmen sind, nix, was voll daneben geht – selbst beim ersten Satz. So (s)bricht es halt manchmal aus einem hervor.

Seit meiner Trennung fährt mein Mann einen goldenen Volvo und ich mit dem Stadtbus.
Da kommt schon der verkappte Besitzanspruch zum Vorschein, den man in Beziehungen unterstellt, mein Haus, meine Kutsche, mein Gatte, mein Kind. Für Pleiten sorgen immer andere. Ich sag z. B. analog zu Gerburg Jahnke (Mitbegründerin der besten reinweiblichen Kabaretttruppe teutscher Zunge, den Missfitts), dass ich mit der Frau, mit der ich lebe, in einer Wohnung hause.
Ich hause, sie wohnt.

Aber im Ernst: Ist das nicht auch die Trennung ihres Mannes? Es ist doch auch „seine“ Trennung, gelt? Sozusagen, wenn ich übertreiben will, die kleinstmögliche Allmende. Zur Trennung gehören immer wenigstens zwo. Also vielleicht besser

Seit [unserer] Trennung fährt mein Mann einen goldenen Volvo und ich mit dem Stadtbus.
oder noch besser ohne Possessivpronomen
Seit [der] Trennung fährt mein Mann einen goldenen Volvo und ich mit dem Stadtbus.
Mit dem güldenen Attribut lass ich mal, kenn ich doch durch einen längeren Aufenthalt im Emsland wie miserabel die Infrastruktur (OPNV, Deutsche oder Regionalbahn) unserer schönen neuen Welt ist, als würden die Verkehrsministerien von Bund und Land Werbung für die Autoindustrie machen wollen.

Ja – und da sind wir halt bei den Auslassungspunkten, die ohne Leerzeichen zwischen Punkt und letztem Buchstaben der vorhergehenden Wortes üblicherweise anzeigen, dass wenigstens ein Buchstabe an dem Wort fehlt. Was aber hier nicht der Fall ist.

… – wie das immer so ist, ein einziges gallisches Dorf... in diesem …
Hier wollen sie aber anzeigen, dass der eingeschobene, hier zitierte Gedanke durch einen weiteren, präzisierenden Gedanken ergänzt wird. Das täte auch ein Komma, das auf jeden Fall gesetzt werden sollte (bloße Aufzählung!)Also besser
– wie das immer so ist, ein einziges gallisches Dorf[…]...[,] in diesem Fall …
Oder direkt hinterm Dorf nur das Komma

Hier wäre dann noch der innere Dialog durch ein bisschen Komma aufzurüsten:

… Anschluss noch?“[…]-[…]„ Weiß nicht[…]“[,] war die schläfrige Antwort.

Und warum drei Fragezeichen – Symbole dieses Geschehens?
„Kriegen wir den noch????“
Achja, der Anfluch ... Bisschen kindisch – gelt? Oder doch Übermut, was der Schlusssatz nahelegt
Was für ein Erlebnis – fast noch schöner als tanzen.

Ach so –
ich bin überzegter Tanzmuffel, aber auch da kein Missionar

Friedel

 

Hallo enigma,

muss tanzen, tanzen, bis ich mich verliere, mich vollständig hingebe an die Musik, den Rhythmus, den Sound, mich führen lasse vom DJ, meine Umgebung nur noch fragmentarisch wahrnehme, wirbelnde Lichtreflexe, Gesichter im farbigen Nebel, ab und zu ein Lächeln, eine kurze Begegnung, und dann wieder bei mir, nur noch Körper, nur noch intuitive Bewegung, nur noch im Hier und Jetzt, Raum und Zeit vergessend.
Genauer gesagt, bis der Körper den Scheidungschmerz vergessen hat, weil er vom Getöse und Geschüttle absorbiert ist. Das ist das angeschlagene Thema.
Wie wird es ausgeführt?
Leider wechselst du das Thema: Die Selbstlosigkeit eines Busfahrers. Diesen sollte das Ich heiraten, dann wäre Thema eins gelöst.
Eine tiefe Geschichte, denn sie zeigt, wie Menschen versuchen, Mentales durch Herstellung von körperlichen Extremsituationen abzutöten. Von den Selbstkasteiungen mittelaltalterlicher Mönch bis zu den Magersüchtigen.
Eine reizvolle Geschichte.
Fröhliche Grüße
Wilhelm Berliner

 

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