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Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen
Ich bin verliebt, aber weiß nicht, wie man liebt. Ich weiß, wie man trinkt, das hat mir meine Mutter beigebracht. Also trinke ich.
Scheiß Hausparty. Die Musik ist scheiße und viel zu laut, ich verstehe kein Wort von dem, was Jenny mir erzählt. Ich kann nicht stillsitzen, Benjamins Blicke schwirren mir vom anderen Ende des Raumes entgegen und jucken wie Mückenstiche. Wodka ist ein wunderbares Mittel gegen Juckreiz, hat meine Mutter immer gesagt, aber Zigaretten sind auch nicht schlecht, schon deshalb, weil man hier drinnen nicht rauchen darf und ich dafür vor die Tür muss. Glücklicherweise raucht Benjamin nämlich nicht, und soweit ich weiß, kann er auch nicht durch Wände gucken.
"Gleich wieder da", sage ich zu Jenny, könnte aber genauso gut "Ich fahr in' Puff nach Barcelona" sagen, weil man in diesem Scheißloch eh nichts versteht.
Ich überlege heimzugehen. Da bin ich wenigstens sicher. Da hab ich meine Bücher und meine Musik und vor allem kann ich schlafen, schlafen, immer wieder schlafen, wenn es zu viel wird, das Leben. Ich glaube, ich schlafe mehr, als dass ich wach bin, vor allem, seit die Sache mit Benjamin begonnen hat, die Sache mit der Liebe.
Ich versteh das nicht. Warum passiert mir so was? Ich will mich nicht verlieben. Ich komme kaum mit dem Wocheneinkauf klar, ich male mir in der Schlange aus, dass das Bargeld nicht reicht und ich mit der Karte zahlen muss und vor Aufregung die PIN vergesse und ohnmächtig werde und … Nein, ich will mich nicht verlieben, ich will …
"Hey."
"Scheiße."
"Was?"
Scheiße. Benjamin steht neben mir, mit seinem Benjaminblick, und guckt mich an. Ziemlich ungläubig, wenn ich das richtig deute.
"Hast du gerade Scheiße gesagt?"
Scheiße. Hab ich das laut gesagt? Scheiße scheiße scheiße!
"Was? Nein, ich … Was … Zigarette?"
Oh Gott. Ich will heim. Wahrscheinlich werd ich gleich ohnmächtig.
"Nee, danke, ich rauch nicht. Wollt nur mal bisschen Luft schnappen … Ich bin übrigens Benni."
Cut.
Ernsthaft? Mein Gott, was eine Scheiße! Lass mich raten. Ihr kommt ins Gespräch, findet schnell Gemeinsamkeiten, "Benni" ist charmant und lockt das Mauerblümchen aus der Reserve, ein See tut sich auf, ihr steigt in ein Schwanen-Tretboot, schippert aufs Wasser hinaus, dem Mond entgegen, "Benni" legt den Arm um die holde Maid, Sterne funkeln, der erste Kuss, vielleicht ein bisschen Petting, und wenn sie nicht gestorben sind, dann ficken sie noch heute, bla bla bla. Schäm dich, Sina, so einen Müll zusammenzuschreiben. Bleib bei der Wahrheit. Es ist Freitagabend und du sitzt zuhause, wie eigentlich jeden Freitagabend und eigentlich auch jeden Samstagabend und eigentlich überhaupt jeden Abend in der Woche.
Idee.
Rewind.
Also: Hausparty, Zigarettenflucht, Auftritt Prinz Benjamin.
"Hast du gerade Scheiße gesagt?"
"Was? Nein, ich … Was … Zigarette?"
Benjamin antwortet nicht, er guckt einfach nur, eigentlich ist es mehr Starren als Gucken, und dann ist da dieses Piepen, piep, piep, piep, und erst jetzt entdecke ich die Antenne zwischen seinen buschigen Haaren. Ha! Ein Roboter-Ninja, ich wusste es! Ich reiße mir mein Party-Outfit vom Leib, zum Vorschein kommt mein Kampfdress, hiii-jaaah, ein gezielter Handkantenschlag und das Mistvieh ist out of order. Nicht mit mir, ihr verdammten Roboter-Ninjas, nicht mit mir!
…
Ach du scheiße. Jetzt bin ich vollkommen durchgeknallt. Wo kam das denn her? Roboter-Ninjas? Meine Mutter hatte also doch recht, das Alleinsein macht mich langsam verrückt. Aber was soll ich tun? Mich aufdrängen? Soll ich alleine ins Kino gehen und warten, bis sich irgendwer neben mich setzt, hey, ich bin Sina, lass uns Freunde sein, ich brauch dringend Gesellschaft, sonst werde ich wahrscheinlich bald wahnsinnig, vielleicht bin ich's auch schon, so genau weiß ich das nicht, aber du kannst es ja jetzt nach und nach herausfinden. Ach, und vergiss bitte nicht, mir rechtzeitig Bescheid zu geben, nicht, dass du irgendwann mit einem Messer im Hals aufwachst. Klingt doch nach einem tollen Plan, oder?
Nein. So wird das nichts. Ich werde einfach weiter lesen und Musik hören und schlafen, schlafen und immer wieder schlafen, mir in meinen Träumen ein normales Leben zusammenträumen und hin und wieder darüber schreiben. Und vor allem weiter darauf hoffen, dass sich irgendwas ganz Grundlegendes ändert, bevor mir die Lust vergeht.
Moment.
Vielleicht ist die ganze Prinzensache gar nicht so schlecht.
Also:
Ein riesiger Saal. Die Decken so hoch, dass … ja, dass man meinen könnte, hier wohnen Riesen, wenn nicht gerade pompöse Bälle wie dieser hier veranstaltet werden. Pompös, pompös, alles hier ist pompös, die Wandtäfeleien sind pompös und die unzähligen Kronleuchter, die so hoch hängen, dass selbst der Riesenelektroniker auf eine Leiter steigen müsste, um die Glühbirnen auszutauschen. Moment Mal … Gibt's hier schon Glühbirnen? Ist ja auch egal. Jedenfalls bin ich natürlich die pompöseste von allen, Prinzessin Sina. Wobei, noch bin ich gar keine Prinzessin, mehr so wie … Aschenputtel, die sich nur für diesen Abend aus ihrem Verlies gewagt hat und mit ihrer jungfräulichen Ausstrahlung allen den Kopf verdreht. Und heiß ist es hier, das glaubt man gar nicht, den ganzen aufgebrezelten Tanten zerläuft die viel zu dick aufgetragene, weiße Märchenschminke in der Fresse, pardon, im Gesicht, und entblößt die Kraterlandschaften, die darunter liegen. Nur ich strahle weiter mit den Kronleuchtern um die Wette. Besonders stilvoll, mit meinem französisch anmutenden Fächer und meinem aufgeblasenen Märchenkleid, das mir einen Nicki-Minaj-Mörderarsch verpasst. Nicki-Minaj-Mörderarsch … Geil.
Ich bin also die einzige Perle in diesem Meer aus vergammelten Algen und natürlich bemerkt das auch der Prinz, der schon den ganzen Abend gelangweilt auf seinem Thron sitzt, er wirft mir Blicke zu, ich mache ein bisschen auf unantastbar, halte die Nase viel zu hoch und unterhalte mich mit irgendeinem hohen Tier, keine Ahnung, vielleicht mit dem Papst, der sich die Sause natürlich nicht entgehen lassen will und extra aus dem Vatikan angereist ist, ganz papstlike natürlich, auf einem fliegenden Teppich. Er erzählt irgendwas von Kondomen und wie schlecht sie sind und ich denk mir so bla bla bla und ich möchte diesen Teppich nicht kaufen und linse immer mal wieder zum Prinzen rüber und merke schon, wie es da unten zu kitzeln beginnt, als wäre meine Muschi eine Prinzenfickwünschelrute oder so.
Und der Papst quatscht weiter von der Homo-Ehe und reicht mir den heiligen Gral, mit irgendeiner Plörre drin, die schmeckt wie der Tetrapak-Wein von Rewe, und ich komme erst in einem goldenen Himmelbett langsam wieder zu mir, der Papst neben mir, splitterfasernackt, nur seinen bekloppten Papsthut hat er aufbehalten, und er raucht 'ne Kippe und ich höre ihn gerade noch durch den Nebel der KO-Tropfen, die er mir eingeflößt hat "Und, wie war's, Baby?" fragen, als das Piepen wieder anfängt, piep, piep, piep, und plötzlich kommen sie durch die Fenster und aus den Schränken und unter dem Bett hervor, die verdammten Roboter-Ninjas, und ich verteile wieder Handkantenschläge, Rücken an Rücken mit dem Papst, doch es sind zu viele, wir haben keine Chance, piep, piep, piep, piep, piep, piep …
Der Wecker, natürlich. Kein Prinz, kein Papst, keine Roboter-Ninjas, nur ein neuer Scheißtag in einer Scheißwoche in einem Scheißmonat in einem Scheißjahr in einem Scheißleben. Fuck. My. Life.