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- 28.12.2001
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Ich liebe eine Selbsthilfegruppe
Ich liebe eine Selbsthilfegruppe
„Was wäre mein Leben ohne Leute, die sich bei mir ausheulen? Die mir von ihrem schweren Leben erzählen, ihrer Kindheit, aber auch von Katastrophen, Todesfällen, etc.? Ich wurde nie zum Psychologen oder Seelsorger ausgebildet und ich hasse Telefone. Also war meine einzige Chance, in eine Selbsthilfegruppe zu gehen.
Das Thema ist mir egal. Ich berate die Leute, helfe ihnen, über alles hinwegzukommen.
Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Machte nie Probleme, aber war nie zu schüchtern. In der Pubertät war ich so ausgeflippt wie alle anderen, war kein Spätzünder und kein Frühreifer. Ich hatte bald eine eigene Wohnung und ein Auto, dann die erste so richtig feste Beziehung, wir heirateten, bekamen Kinder, was folgte, war eine ganz normale Scheidung, ich lebte wieder allein, mit der Ausnahme, dass alle zwei Wochen meine Kinder zu mir kamen. Jetzt sind sie groß und noch immer lieb zu ihrem Papi, ich habe wieder eine Frau.
Alles in allem kann ich mich nicht beklagen. Tu ich auch nicht. Spätestens bei dem Satz: ´Gehen Sie doch aus sich heraus, erzählen sie uns von ihrem Vater!`, bin ich fort. Dann gehe ich zu der nächsten Gruppe mit dem Thema ´Mutter und Sohn`.
Mein ganzes Leben schon bin ich so. Ich ging als Kind immer Sternsingen. Ich sah, dass ich damit den Straßenkindern in Indien half, aber der Hauptgrund, warum ich da mitmachte war, in andere Häuser schauen zu dürfen. Ich bin mit 16 das letzte Mal beim Sternsingen gewesen, danach hat mir kein Gewand mehr gepasst.
Als ich einmal mit einem Schulpsychologen darüber redete, meinte er zu mir, einem 9-jährigen Schulknaben mit roten Bäckchen: ´... und würdest du auch mal anderen Leuten beim Kindermachen zusehen?` Ich sah ihn an und ging. Das dürfte mein einziges Kindheitstrauma gewesen sein, falls es überhaupt eines gegeben hatte. Ich sah einfach nur gerne in andere Häuser, war neugierig, wollte immer alles wissen, suchte in den Sachen meiner Schwester herum. Und meine Schulkameraden fanden es auch seltsam, dass sie ihre Schultaschen immer umgedreht fanden.
Raten Sie mal, was der Grund war, warum meine Frau und ich uns scheiden ließen? Ja, ich habe in ihren Taschen gekramt. Aber ich wollte wirklich nur mein Handy herausholen. Aber da sie von Erzählungen meiner Mutter erfuhr, wie ich als Kind so gewesen war, schmiss sie mich raus. Es war damals trotzdem kein großer Verlust, weil ich schon anderwärtig verliebt war. Aber nur verliebt! Ich hatte nichts mit dieser Frau! Ich meine, ich hätte ja gewollt... aber sie eben nicht. Damit muss man auch leben. War auch kein großer Schock. Ich habe eigentlich nichts in einer Selbsthilfegruppe zu suchen, aber es ist ein Spaß! Und wieso sollte ich nicht machen, was ich gerne tue?“
Sie sehen mich alle an. Ein Kreis aus fragenden Gesichtern mit den kleinen Körpern untendran. Wie in einer Karikatur.
„Äh, die Gruppe: ´Ich bin ein Voyeur` ist eigentlich ein Zimmer weiter!“