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Ich liebe dich

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02.11.2001
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Ich liebe dich

Komm, steh auf.
Die Stimme ist flüsternd, fordernd, stirbt zuweilen zwischen den Worten. Schweigen dann. Stille.
Die Schwärze ist grenzenlos, ihre Schatten noch tiefer, noch endloser.
Ich liebe dich, sagt er, und wieder, komm,steh auf.
Ihr flacher Atem kann kaum mehr, berührt wie ein toter Wind seinen Handrücken, die Härchen darauf vibrieren. Das Tier in ihm. Das Blöken seines schmutzigen Teufels, der ihn bis dorthin getrieben hat. Das Glänzen auf der Klinge ist ganz weg. Der Mond hat sich verkrochen,lange bevor das hier begann. Er lauscht, hört das Schaben ihrer Fingernägel am Betonboden des Lagerraumes, den versiegenden Fluss ihrer letzten Tränen. Seine Zunge ist dick, pelzig, voll von ihrem Blut, ihren Säften. Ihre Stille hat ihn sanft werden lassen, ihre Hingabe, ihr Aufgeben. Alles war möglich in den letzten Stunden, in denen ihre Minuten zur irrealen Unendlichkeit wurden.

Sie liegt vor ihm, ausgeweidet fast schon, ein Opfer.
Ihre Schreie und deren grauenhaftes Echo in diesem Betonviereck waren sein Orchester, sein Bläsersatz, sein virtuoses Violinkonzert. Alles vom Feinsten zubereitet von ihr für ihn. Von ihm dirigiert.
Wo man singt und lacht, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen kennen keine Lieder.
Mutterworte. Sein Wiegenlied.
In dieser Nacht das ihre, letzte.
Tief eingeschnitten, immer wieder. Töne bis ins Mark gehend, bis in die Knochen.
Er hat ihre anfängliche Passivität, ihre Weigerung, ihr nicht mitmachen Wollen, mit dem Messer stimuliert, ihre Schreie geleitet, dorthin geführt, wo das Tier gewartet hat. Ihr Aftereingang ist vergrößert, aufgerissen, eine tiefe blutige Höhle, ein bloßgelegtes Universum, ihre Ursuppe. Seine Expedition hat Spuren hinterlassen. Sie liegt auf der Seite, nackt, lebt noch immer, wandert bereits auf ihrem ureigenen Kreuzgang. Ein langsames Wegstehlen.

Steh auf, sagt er, ich liebe dich.
Dann ganz leise, fragend.
Mutter?

Langsam dreht er den Stahl des Messers in den dampfenden Haufen ihrer Därme. Ein Teil ist aus der offenen Bauchdecke gerutscht. Er hat seinen Brutkasten geöffnet, neu erforscht. Der Geruch dabei ist für ihn wie eine Befreiung, wie der nasse Waldboden aus seiner Kindheit. Wanderungen durch modrige Buchenwälder waren das. Feuersalamander dazwischen. Dass Nass der Farne auf glatter Haut.
Wie ein Rasender hat er sich in den Farn ihres Schoßes vergraben, nach ihrem Salamander gesucht. Die Suche hat ihn dann weiter in ihren Dschungel getrieben, tiefer als je einen Mann zuvor. Gegraben hat er, umgestülpt, ausgehoben, sich hineingefräst in diese Lächerlichkeit unterhalb der Fettschwarte ihres Bauches.
Wie das jetzt aussieht dort. Wie ihr Salamander jetzt glitzert, pulsiert. Eine umgestülpte Qualle, grob nachgearbeitet. Handarbeit eben. Was der Lieblingssohn alles kann, das Wunschkind, der Erstgeborene.

Die Ähnlichkeit dieser Frau mit seiner Mutter hat ihn anfangs verblüfft, später überwältigt, letztendlich rasend gemacht. Die zwei, drei Drinks in dieser Bar, die Tristesse des Randbezirks, ihr hochgerutschtes Kleid. Augen, in denen er seine Kindheit sehen konnte, ein blaugrüner Film, begleitet von Schlägen und Nächten im eigenen Erbrochenen. Die Art wie sie gesprochen hat zu ihm. Na, mein Sohn, komm zu Mama. Ich hab was für dich.
Da kam der Blitz, fuhr durch seinen Schädel wie eine Offenbarung.
Er hatte dann auch etwas für sie. Einen Lagerraum und viel Zeit und die Bereitschaft, alles für sie zu tun. Er hat sie zum Ritt auf seiner Spielwiese eingeladen, mit Worten, wie nur ein Sohn zum Muttertier spricht.
Jetzt ist das vorbei. Sie atmet nicht mehr, ist angekommen.
Ratten bauen später ein Nest in der ausgenagten Bauchhöhle.

Er hat viel zu tun in den nächsten Tagen, wird den Rasen mähen, sie zum Einkaufsmarkt begleiten, ihre ältlichen Freundinnen charmant unterhalten. Er ist ein Herzeigesohn, ihr ganzer Stolz, ihre Erfindung.

Ich liebe dich, Mutter, sagt er zu ihr, wenn er ihr mit seinen wunderbar zärtlichen Händen übers Haar streicht.

 

Hey Aqualung,

fliessend zu lesen ist deine Story ja.
Bei den unappetitlichen und ich meine auch vermeidbaren Schilderungen im Mittelteil überlegte ich schon, ob ich nicht einfach nicht weiterlese.
Ich denke die Geschichte wäre weitaus einprägsamer geworden, wenn du das in Absatz 2 und 4 Mitgeteilte nur angedeutet hättest.
Das Ende erklärt dann einiges.
Doch wäre es vielleicht angebrachter, die Entwicklung und Gründe für den extremen Hass etwas konkreter herauszuarbeiten und dem Leser mehr von der Gefühlswelt des Protagonisten zu vermitteln.
Wirkt etwas pathetisch,

Gruß Joy

[ 18.07.2002, 21:09: Beitrag editiert von: joy ]

 

Danke für deine Kritik, Joy.
Ich wollte die Unappetitlichkeit ausloten, ein bißchen an die Grenze gehen. Schön, dass du weitergelesen hast. Die Gründe für diesen Hass, der in dieser einen Nacht an dieser Frau ausbricht, habe ich bewusst nicht weiter kommentiert. Ich hab mir gedacht, dass gerade da dem Leser ein paar Nischen ganz gut tun.
Grüße - Aqualung

 

Stimmt, Aqualung, die Nischen tun gut. Sie sind eine Ausweichmöglichkeit, die der Leser braucht, um sich von Absätzen 2+4 zu erholen. Gut gefällt mir der Spannungsbogen, den Du aufziehst. Weniger Details wären besser, da bin ich mit Joy einer Meinung. Grüße. Ernst

 

Das mit den Details ist so eine Sache,Ernst.Ich wollte den Grad dieser Schändung ganz einfach klarstellen.Andererseits hast du recht, weniger ist manchmal mehr.
Grüße - Aqualung

 

Hallo Aqualung,
mir schauderte, als ich deine Worte las und ich mußte an Benn denken. Hast du den gelesen?
Losgelöst von der Story ist der Stil Klasse, du würzt so schön mit Vergleichen, die mich den Waldboden riechen lassen und die feuchte Haut des Salamanders schimmert zwischen den Zeilen.
Bis bald mal**********Merlinwolf*************

 

Hi Merlinwolf,

schön, dass du mal in eine meiner Geschichten reingeschaut hast. Danke dafür. Es gibt aber auch romantischeres zu lesen, zB.,Bei den Landungsbrücken'.

Liebe Grüße - Aqualung

 

Hallo Aqua, ich erspare mir eine Bewertung zum Inhalt.
Nur so viel: Der Stil, tja, der gefällt mir gerade sehr, sehr, ein Wunder?

Ich hab sie schon vor ein paar Tagen gelesen, dachte jetzt kommt was wie "Isa"

Na, haha, das war wohl nichts!
Aber dan verstand ich plötzlich wie du zur Kreativität von "Die Jungs von der Strasse" kamst. Du warst ja schon recht geübt.
Hey, du hast da einen tollen Satz drin. Weiss nicht wie andere es sehen, aber in Verbindung mir vorangegangenem hörst sich

"In dieser Nacht, das Ihre, Letzte" total super an.

Tja, ne glatte 1 für dich.

bis dann stefan

 

Arche, einmal...

einmal will ich eine glatte Fünf von dir. Den absoluten Fusstritt, den Rausschmiss. Kannst du das arrangieren? Es muss möglich sein. Wir haben für alles Möglichkeiten, wir haben Räume ohne Licht, oder?
Ein Versuch, Arche, nur ein einziger Versuch?
Wie soll das weitergehen?
Danke.

Hallo, palladon!

Was schreibe ich dir darauf? Es ist ein unglaubliches Gefühl für mich, wenn ich Kritiken wie deine zu den Geschichten bekomme. Sollte ich wirklich erreichen können, dass einem Leser durch mein Geschriebenes die Welt um die Ohren fliegt? Ich möchte mich bedanken dafür, dass du so offen darüber sprichst.
Das Graben in die Tiefe ist wichtig und das Wort ist eine Waffe im positiven Sinn. Die Sprache lässt Schwingungen entstehen, wir sollten sie zulassen, ja.

Liebe Grüße an euch beide - Aqualung

 

Hey Aqualung,
dein Stil ist hervorragend. Die kurzen, aneinandergereihten, immer wieder von unvollständigen Sätzen und einzelnen Wörtern durchbrochenen Sätze sind brilliant. Einige Sätze sind zwar etwas schwer zu verstehen, fügen sich aber in das Gesamtbild gut ein.
Der kurzatmige Erzählstil von Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, führt mich als Leser immer wieder in eine neue Überaschung. Du bauest, besonders mit deinen Sätzen, eine Situation auf und durchbrichst sie im nächsten Augenblick wieder mit einem kurzen Satz, einem krassen Vergleich oder ähnlichem.
Deine Vergleiche selber zeichen den Wahnsinn des Protagonisten gut nach.

Die ganze Geschichte erinnert mich irgendwie an expressionistische Gedichte und Texte, von Trackel und co. Mir fällt da spontan ein Gedicht ein, das da heißt "Fiberstation" oder so ähnlich, von wem es ist weiß ich nicht mehr.
Hat einen ähnlichen Beigeschmak.

Absolut beeindruckende Geschichte.
Liebe Grüße
Roman

 

Hi Prodi,

scheint heute mein Tag zu sein. Eine positive Kritik nach der anderen... Ich möchte mich auch bei dir bedanken. Erstens fürs Lesen und zweitens dafür, dass ich dich mit dieser Geschichte beeindrucken konnte. Die Geschichte erinnert dich an Trackel?!
Ich hab ganz rote Ohren, auf einmal. Freude!!!

Liebe Grüße - Aqualung

 

Ist Trakl ein Vorbild von dir?
Von Verschlüsslung deiner Geschichte kommte es "De profundis" schon ziemlich nahe ;). An dem Gedicht habe ich Tage lang gesessen, bis ich es richtig verstanden habe. Ich hoffe bei deiner Geschichte geht es etwas schneller. Weil ich aber noch nicht ganz hinter ales gestigen bin, habe ich mich bezüglich des Inhalts extra noch etwas zurück gehalten.
Gruß Roman

 

@ Aqua

Puh, harter Stoff. Die Mischung aus poetischen und beinharten (ich kann es jetzt nicht besser ausdrücken, du weißt hoff ich, was ich meine) Worten ist dir wirklich gelungen - eine mitreissende Story, die Ekel und Mitleid gleichzeitig erweckt. Das Opfer bleibt namenlos und ausgelöscht zurück, als Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger.
Der Täter wird seinem Tagwerk nachgehen, wie eh und je.

Menschliche Abgründe, sehr beeindruckend und beängstigend in Worte gefasst. :thumbsup:

Liebe Grüße
Liz

 

hallo Aqua.

das ist ja eine Geschichte so ganz nach meinem Geschmack. so eine wo man sich denkt, vielleicht lieber nicht weiterlesen, und es dann natürlich doch tut. wie einen schlimmen Film anschauen und dabei ein Kissen vor die Augen halten. aber nur vor eins.
hat mich wirklich gepackt.
besonders entzückend fand ich die Vergleiche mit einem Orchester, und dem Salamander.
auch der Blutgeruch wie modriger Waldboden- spitze. und der ureigene Kreuzgang.
so. genug geschwärmt.
jetzt zum Gemecker.

-

mit Worten, wie nur ein Sohn zum Muttertier spricht.
klingt komisch. vielleicht `mit Worten, die` ?
- Herzeigesohn. ich bin nicht sicher, aber ich glaube `herzeigen` wird außerhalb von Bayern eigentlich nicht gebraucht. ein Vorzeigesohn vielleicht?
-
später überwältigt
also entweder du bist überwältigt oder nicht. kann mir nicht vorstellen daß einen die Ähnlichkeit einer Person mit einer anderen erst `später´ überwältigt. in dem Zusammenhang vielleicht `dann`?
- auch das Wort `ausweiden` nimmt ein bißchen was vorweg und ist irgendwie so ausgelutscht.

fertig. klingt wohl blöd nach all dem Genörgel, aber mir hat die Geschichte wirklich gut gefallen.
liebe Grüße, alex.

 

Jetzt hab ichs wieder faustdick abbekommen.
Danke. Es ist manchmal nur ein Danke, das alles beantworten kann. Ich versuch nun einen Text zu zitieren, einverstanden?
Es ist der Wald, Alex. Den hatten wir noch nicht.

Let me bring you all things refind
Galliards and lute songs served in chilling ale.
Greetings , well - met fellow, hail!
I am the wind to fill your sail.
I am the cross to take your nail:
A singer of these ageless time
With kitchen prose and gutter rhymes.

Die Augusttage.

Es gibt Verbesserungen, danke dafür.

Liebe Grüße - Aqua

 

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