Ich liebe dich
Komm, steh auf.
Die Stimme ist flüsternd, fordernd, stirbt zuweilen zwischen den Worten. Schweigen dann. Stille.
Die Schwärze ist grenzenlos, ihre Schatten noch tiefer, noch endloser.
Ich liebe dich, sagt er, und wieder, komm,steh auf.
Ihr flacher Atem kann kaum mehr, berührt wie ein toter Wind seinen Handrücken, die Härchen darauf vibrieren. Das Tier in ihm. Das Blöken seines schmutzigen Teufels, der ihn bis dorthin getrieben hat. Das Glänzen auf der Klinge ist ganz weg. Der Mond hat sich verkrochen,lange bevor das hier begann. Er lauscht, hört das Schaben ihrer Fingernägel am Betonboden des Lagerraumes, den versiegenden Fluss ihrer letzten Tränen. Seine Zunge ist dick, pelzig, voll von ihrem Blut, ihren Säften. Ihre Stille hat ihn sanft werden lassen, ihre Hingabe, ihr Aufgeben. Alles war möglich in den letzten Stunden, in denen ihre Minuten zur irrealen Unendlichkeit wurden.
Sie liegt vor ihm, ausgeweidet fast schon, ein Opfer.
Ihre Schreie und deren grauenhaftes Echo in diesem Betonviereck waren sein Orchester, sein Bläsersatz, sein virtuoses Violinkonzert. Alles vom Feinsten zubereitet von ihr für ihn. Von ihm dirigiert.
Wo man singt und lacht, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen kennen keine Lieder.
Mutterworte. Sein Wiegenlied.
In dieser Nacht das ihre, letzte.
Tief eingeschnitten, immer wieder. Töne bis ins Mark gehend, bis in die Knochen.
Er hat ihre anfängliche Passivität, ihre Weigerung, ihr nicht mitmachen Wollen, mit dem Messer stimuliert, ihre Schreie geleitet, dorthin geführt, wo das Tier gewartet hat. Ihr Aftereingang ist vergrößert, aufgerissen, eine tiefe blutige Höhle, ein bloßgelegtes Universum, ihre Ursuppe. Seine Expedition hat Spuren hinterlassen. Sie liegt auf der Seite, nackt, lebt noch immer, wandert bereits auf ihrem ureigenen Kreuzgang. Ein langsames Wegstehlen.
Steh auf, sagt er, ich liebe dich.
Dann ganz leise, fragend.
Mutter?
Langsam dreht er den Stahl des Messers in den dampfenden Haufen ihrer Därme. Ein Teil ist aus der offenen Bauchdecke gerutscht. Er hat seinen Brutkasten geöffnet, neu erforscht. Der Geruch dabei ist für ihn wie eine Befreiung, wie der nasse Waldboden aus seiner Kindheit. Wanderungen durch modrige Buchenwälder waren das. Feuersalamander dazwischen. Dass Nass der Farne auf glatter Haut.
Wie ein Rasender hat er sich in den Farn ihres Schoßes vergraben, nach ihrem Salamander gesucht. Die Suche hat ihn dann weiter in ihren Dschungel getrieben, tiefer als je einen Mann zuvor. Gegraben hat er, umgestülpt, ausgehoben, sich hineingefräst in diese Lächerlichkeit unterhalb der Fettschwarte ihres Bauches.
Wie das jetzt aussieht dort. Wie ihr Salamander jetzt glitzert, pulsiert. Eine umgestülpte Qualle, grob nachgearbeitet. Handarbeit eben. Was der Lieblingssohn alles kann, das Wunschkind, der Erstgeborene.
Die Ähnlichkeit dieser Frau mit seiner Mutter hat ihn anfangs verblüfft, später überwältigt, letztendlich rasend gemacht. Die zwei, drei Drinks in dieser Bar, die Tristesse des Randbezirks, ihr hochgerutschtes Kleid. Augen, in denen er seine Kindheit sehen konnte, ein blaugrüner Film, begleitet von Schlägen und Nächten im eigenen Erbrochenen. Die Art wie sie gesprochen hat zu ihm. Na, mein Sohn, komm zu Mama. Ich hab was für dich.
Da kam der Blitz, fuhr durch seinen Schädel wie eine Offenbarung.
Er hatte dann auch etwas für sie. Einen Lagerraum und viel Zeit und die Bereitschaft, alles für sie zu tun. Er hat sie zum Ritt auf seiner Spielwiese eingeladen, mit Worten, wie nur ein Sohn zum Muttertier spricht.
Jetzt ist das vorbei. Sie atmet nicht mehr, ist angekommen.
Ratten bauen später ein Nest in der ausgenagten Bauchhöhle.
Er hat viel zu tun in den nächsten Tagen, wird den Rasen mähen, sie zum Einkaufsmarkt begleiten, ihre ältlichen Freundinnen charmant unterhalten. Er ist ein Herzeigesohn, ihr ganzer Stolz, ihre Erfindung.
Ich liebe dich, Mutter, sagt er zu ihr, wenn er ihr mit seinen wunderbar zärtlichen Händen übers Haar streicht.