Ich kenne mein Leben!
Sehr geehrte Leserinnen und Leser!
Ich kenne mein Leben. Und mein Leben ist ein Trottel! Das kommt eines Tages, sagt "Ja Hallo, ich bin dein Leben. Ich begleit´ dich jetzt kurz!". Und schon bist´ geboren. Und dann ist das auch noch so ein arrogantes Leben, das dich überall hin begleitet und dich ständig sekkiert. Und dich ständig täuscht. Aber nicht mit mir!!!
Vielleicht denkt jetzt einer der Leserinnen und Leser dieses Briefes, der Schreiber habe eine kranke Psyche, aber ich sage Ihnen ich habe keine Psyche. Verstehen Sie mich richtig: Ich habe keine! Und Sie haben auch keine!
Doch zurück zu meinem Leben. Es wollte mich täuschen, genauso wie die anderen, doch im Gegensatz zu den anderen hab ich das nie geglaubt! Ich muss lachen, wenn ich an früher denke, als ich noch drei oder vier Jahre alt war. Mein Leben urinierte in mein Bett und als ich es dann meinen Eltern erzählte, schimpften sie mit mir. Und mein Leben saß beim Fenster und grinste. Und es erschreckte mich ständig, so dass es kein Wunder war, dass meine Eltern lange brauchten um mich an den Topf zu gewöhnen. Damals hab ich mich sehr geärgert, doch jetzt nicht mehr! Jetzt passiert es auch nicht mehr so häufig.
Mein Leben hält sich jetzt raus, ich denke es ahnt, was ihm bevorsteht und es ist ganz und gar nicht zufrieden damit. Diesmal werde ich grinsen!
Werde meinem Leben alles zurückzahlen! Alles. Meine Kindheit, meine Pubertät... Da war es überhaupt am schlimmsten, in meiner Pubertät. Das war jene Zeit, als ich mich das erste Mal mit meinem Leben unterhielt. Der Grund waren die vergangenen dreizehn Jahre, in denen es mich gequält hat. Der Auslöser, der ständig verhinderte, dass Mädchen sich mit mir verabredeten. Pickel, fettes Haar, nächtlicher Samenerguss: Tolle Scherze des Lebens. Und da gab es eine Zeit, als ich mein Leben an der Hand nahm und zu ihm sagte: "Du Leben..."
Das Leben sagte: "Ja".
Ich sagte: "Ich glaub ich bring dich um."
Das Leben sagte: "Das möchte ich erleben!"
Es war jener Tag, an welchem Abend ich im AKH lag und der Arzt mir die Handgelenke verband um die Blutung zu stillen. Als ich damals das Bewusstsein verlor, habe ich zwei Dinge gelernt. Erstens kann das Leben eine verdammte Angst haben. Und zweitens, dass Nichts wirklich ist!!!
Vielleicht hab ich Letzteres damals nicht wirklich begriffen. Es war das 14. Lebensjahr meiner Selbst. Die Leserinnen und Leser werden sich vielleicht an die Zeit erinnern, als sie selbst so alt waren. Da kann man solchen Mist wie "Nichts ist wirklich" nicht verstehen. Jetzt verstehe ich ihn und ich bin sehr froh.
Jedenfalls lernt man mit der Zeit Tricks, wie man seine Gegner überlisten kann. Dies ist immer so. David besiegte Goliath mit einem Trick. Odysseus die Trojaner mit dem Trojanischen Pferd, und x-tausend Leben tricksten die Deutschen mit einem saukalten russischen Winter. Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser, Leben sind nicht immer nur böse und ich unterstelle meinem Leben nicht, dass es böse sei. Das wäre wohl ein zu milder Ausdruck. Würde mir jetzt ein passender einfallen, so würde ich ihn eintippen, doch meine Gedankengänge sind momentan zu komplex, um mich mit kleinkarierter Wortsucherei aufzuhalten. Ich möchte, dass Sie, verehrte Leserinnen und Leser, mich verstehen und auch meine folgenden Schritte nachvollziehen können. Darum bitte ich Sie, eventuelle Rechtschreib-, Grammatik- oder Ausdruckfehler zu entschuldigen. Ich könnte wohl das Rechtschreibprogramm des Microsoft 2000 verwenden, doch das wäre zu zeitaufwändig und ich hab doch so wenig Zeit...
Wo war ich stehen geblieben... genau: Tricks! Ich habe schließlich einen Trick gefunden, der mir geholfen hat, mein Leben zu überlisten: Alkohol. Das war toll! Man sitzt in einer Runde von Menschen zusammen, die alle ihr Leben vergessen wollen und viel Alkohol trinken. Und sehen Sie: Es hilft. Das Leben entfernt sich und mit der Zeit sieht man es nicht mehr. Im Alkoholrausch ist sein Leben nicht nur einfach weg, man bekommt sogar ein neues! Ein viel besseres. Das erste Mal hab ich mich noch gewundert (das war etwa vor drei Jahren), doch nun kenne ich dieses neue Leben. Ich nenne es Bob. Bob und ich haben viele nette Abenteuer zusammen erlebt und die meisten haben mit anderen Bobs zu tun. Mädels aufreißen: gar kein Problem mit Bob! (Liebe Leserinnen und Leser, hätte sich mein Leben nicht so entwickelt, wäre ich wohl ein guter Werbetexter geworden: Kaufen sie einen Bob und Sie erhalten diesen Gratiskugelschreiber umsonst dazu!!!) Bei vielen Mädchen hat dies natürlich auch gar nicht funktioniert, Emanzen, die prinzipiell nicht auf Männer stehen. Doch mit Hilfe von Bob war das kein Problem, gab es doch plötzlich so viele Mädchen, die Bob mögen. Und wenn gar nichts hilft, so fährt man eben mit Bob nach Hause. Das ist auch egal.
Doch Bob ist nicht der Einzige. Es gibt noch einen, der viel mächtiger ist, als Bob. Dieser Jemand ist gefährlich für dein Leben, aber sehr, sehr gut für dich. Er lässt dich die Wahrheit erkennen. Ich bin an diesen gelangt, als ich bei einer Party meine Zigarette mit dem Joint eines Freundes verwechselt habe. Daraufhin habe ich noch ca. 15 andere geraucht und da ist er mir das erste Mal begegnet: Mr. X. Ich nenne ihn so, da sein echter Name unaussprechlich ist. An jenem Tag, es war vor drei Wochen, war ich das zweite Mal im AKH und wieder hab ich zwei Dinge gelernt: Erstens, dass Bob gestorben war und zweitens, dass Nichts echt ist. Doch diesmal habe ich zweites nicht nur gelernt, sondern auch verstanden.
Denn Nichts ist echt, wirklich oder real. Es ist alles eine Täuschung, die Täuschung des Lebens, meines Lebens. Vielleicht denken die Leserinnen und Leser wieder, dass der Schreiber eine kranke Psyche habe, doch abermals möchte ich Ihnen versichern: genauso wenig wie Sie habe ich eine Psyche!
Denn alles ist eine Täuschung. Vielleicht muss ich es philosophisch erörtern. Die Philosophen schlagen sich schon seit Jahren mit dem Problem der Wirklichkeit auseinander. Descartes sagte, die Welt bestehe aus zwei Größen: quantitative Eigenschaften, wie Längenmaße und mathematische Gesetze, die wir mit unserer Vernunft verstehen können. Und qualitative Eigenschaften, wie Sinneswahrnehmungen, wie Geschmack oder Farben die doch jeder anders wahrnimmt (und glauben Sie mir, als Farbenblindem). Oder auch Humes Ansatz von Eindruck und Vorstellung, doch das ist alles Mist! Ich habe damals die Wirklichkeit erfahren.
Vielleicht werden die intellektuellen Leserinnen und Leser unter ihnen sagen: Mathematik ist real, wirklich, und die Wahrheit! 1+1=2, daran gibt es Nichts zu rütteln! Doch leider irren sie. 1+1 ist genauso 4/2 oder 468/234 oder auch einfach 1+1=1+1. Sehen Sie? Sogar das hier ist nicht einfach zu bestimmen.
Und darum sage ich Ihnen, Nichts ist wirklich und es gibt keine Wahrheit. Damals im Koma, als ich im AKH war, sprach ich mit Mr. X., er erzählte mir das Geheimnis: Die Wirklichkeit, die wir als Wirklichkeit annehmen, ist in Wirklichkeit die Nicht-Wirklichkeit! Das klingt wohl viel besser, wenn man selbst dort war und es miterlebt hat, vielleicht haben ja schon einige unter den Leserinnen und Lesern mit Mr. X gesprochen? Sie werden mir wohl zustimmen: Wir leben in der Nicht-Wirklichkeit!
Wahrscheinlich schütteln manche Leserinnen und Leser unter Ihnen nun den Kopf und sagen, das sei zu idiotisch. Doch dann frage ich sie: Ist es idiotischer, an die Wirklichkeit zu glauben, die wir verstehen, oder an die Nicht-Wirklichkeit, die wir nicht verstehen?
Es gibt doch so viele Indizien. Glauben Sie wirklich, dass die Sonne millionenfach größer ist, als die Erde, auf der wir wohnen, die doch schon alleine so unbegreiflich groß ist? Glauben Sie wirklich, dass das Weltall unendlichgroß ist? Glauben Sie an eine Zeit vor Ihrer Zeit? Oder näher: Glauben Sie, das Leben ist so schön wie es tut? Glauben Sie, Sie seien das Leben?
Ich gebe zu, es ist etwas ironisch, dass ich diesen Text über das Internet verschicke, das es ja genauso wenig gibt wie alles andere um mich herum. Oder dachten Sie, es gäbe etwas, das die ganze Welt verbindet und das in wenigen Minuten? Und das bei diesem kleinen Kabel, das von Ihrem Computer in die Wand führt. Was sagt Ihnen denn, dass das Kabel nicht lose in der Wand hängt und irgendeine Macht Sie mit der Welt verbindet? Wahrscheinlich antworten Sie jetzt: "die Erfahrung" oder "das Leben". Wenn Sie dies als Antwort geben, möchte ich Ihnen gratulieren, denn Sie sind hiermit auf die Ursache aller Lügen drauf gekommen: Das Leben.
Ich sage Ihnen, dass das Leben nicht wirklich ist und wir in der Nicht-Wirklichkeit leben. Nun können wir aber sagen, dass alles, was in der Nicht-Wirklichkeit nicht wirklich ist, wirklich ist. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht. Multiplizieren wir zwei negative Zahlen, so ist das Ergebnis positiv, denn Minus und Minus ergibt Plus.
Oder anders: Lügen sie einmal! Lügen Sie nun: "Das Leben ist real". Da sie gelogen haben, ergibt sich allerdings die Aussage, dass das Leben nicht real ist.
Dies müsste als Erklärung reichen. Auf uns übertragen, bedeutet das, dass alles was in der Nicht-Wirklichkeit wahr ist, nicht wahr ist. Die Erde dreht sich um die Sonne? Vergessen Sie´s!
Ich werde nun in die reale Welt, in die Wirklichkeit gehen. Sie ist sehr viel schöner als das hier. Ich hoffe, Sie, werte Leserinnen und Leser, haben mich verstanden. Glauben Sie mir, es wird Ihnen leichter fallen.
Ich hab mich jetzt auf die Reise in die Wirklichkeit vorbereitet. Ich habe schön zusammengeräumt und mir meinen Smoking angezogen. Eigentlich wäre er ja für den Maturaball, aber ich brauche ihn nicht. Mr. X ist bei mir, er leert gerade den vollen Aschenbecher aus. Alles ist bereit.
Mein Leben ist etwas beleidigt. Es hat Angst. Todesangst wie ich meine! Es sitzt in der Ecke, zusammengekauert, und weint. Es schluchzt ein wenig, aber das geht vorbei. Es sieht mich nicht an. Das hat es schon seit drei Wochen nicht mehr getan, aber ich nehm´ es ihm auch nicht mehr übel. Ich bin im Reinen mit meinem Leben, obwohl es so ein Idiot war, doch ich werde alles in wenigen Minuten ausgleichen.
Ich hab mir schon kleine Scherze überlegt, die ich meinen Leben präsentieren werde, wie "Jetzt mach ich endlich etwas aus meinem Leben!" oder "Ich bin ja so lebensfroh!", doch das unterlasse ich, es ist eh schon so betroffen.
Mr. X öffnet bereits das Fenster. Es ist jetzt so weit. Ich habe erkannt.
Abschließend möchte ich Ihnen liebe Leserinnen und Leser nochmals für ihre Zeit, die Sie mir geopfert haben, danken. Ich hoffe, Sie verstehen mich, ich liege wirklich nicht falsch und ich hoffe, Sie werden meinem Beispiel folgen! Es ist super.
Erzählen Sie Ihren Bekannten von meinem Brief auf dieser Internet-Seite. Ich werde es Ihnen danken.
Mr. X ruft mich bereits, ich muss gehen.
Danke für Ihr Vertrauen,
Ihr Peter H.
Ps.: Wenn Sie glauben, diese Geschichte sei nicht wirklich passiert, dann haben Sie recht!
Pps.: Sie ist in der Nicht-Wirklichkeit passiert!
(Korrigierte und verbesserte Originalfassung, danke Häferl!!!)
[Beitrag editiert von: Peter Hrubi am 07.03.2002 um 15:37]