Mitglied
- Beitritt
- 22.09.2001
- Beiträge
- 1
Ich hasse Supermärkte
Besonders die der Marke Real. Kennen Sie das auch: immer dann, wenn Sie meinen, sich in diesem Real-Labyrinth aus Regalen, Ständern und Gefriertruhen halbwegs gut auszu-kennen, kommt so ein abgezockter Filialleiter auf die infame Idee, den ganzen Krempel umzuräumen. Die Essiggurken stehen jetzt da, wo seit Menschengedenken der Weichspü-ler seine Heimat hatte, dafür steht der Weichspüler jetzt noch hinter den Hygieneartikeln, dort, wo jeder halbwegs intelligente Mensch das Hundefutter suchen würde. Die lila Pause liegt jetzt neben Kondomen namens Billy-Boy und die Fruchtzwerge leben Tür an Tür mit Johnny Walker. Und so weiter und so weiter, nur um den hilflos umherirrenden Konsu-menten zu Spontankäufen zu animieren.
Aus Frust darüber, dass er keine Nussnougatcreme findet, kauft er dann eben ent-nervt zwei Vorratspackungen Pampers, drei Kilo Chappi und eine Flasche Nagellackent-ferner, ohne sich in diesem Zustand der Verwirrung klar zu machen, dass er weder einen Hund, noch ein Kleinkind, noch eine Lebenspartnerin sein eigen nennt. Wenn Sie sich dann, der Verzweifelung nahe, hilfesuchend an eine Real-Bedienung wenden, geraten Sie todsicher erst mal an diesen Da-hinten-Typus: "Früher standen die Essischjurken immer in dem Rejal da vorne, aber wir haben letzte Woche umjebaut, da müssen Se ma da hinten nachkucken." Mit da hinten meint Sie dann das letzte Drittel des Realmarkts, also eine Fläche von gut 800 Quadratmetern. Nichts leichter als das, 800 Quadratmeter hab‘ ich doch in einer knappen Stunde durchforstet, hab‘ ja auch sonst keine anderen Hobbies.
Noch mehr gekniffen sind Sie, wenn Sie an eine Bedienungen vom Kommense-mal-eben-mit-mir-Typus geraten: "Die Essischjurken, die müssten eijentlisch, Moment ma, da vorne ham wer den Meister Propper, dann kommt der Domestos, der is heute im Anjebot, also die Essischjurken müssten eijentlisch in dem Rejal hinter dem Ketchup .... Kommen Se ma eben mit mir." Aha, diese Bedienung kennt sich in der real existierenden Realregalwelt noch weniger aus, möchte aber partout hilfsbereit sein - jetzt wird’s irreal. Diese Bedienung lässt es sich nämlich nicht nehmen, sich gemeinsam mit uns auf die Suche nach den Essiggurken zu machen. Das kann dauern. In solchen Situationen ahne ich, wie sich Scott auf der Suche nach dem Südpol gefühlt haben muss, immerhin hatte Scott aber den Vorteil, in seiner Mannschaft keine Realverkäuferin zu haben.
Der vorsichtige Hinweis: „Also wenn die Essiggurken hinter dem Ketchup - dann müssten wir jetzt aber eigentlich in die andere Richtung...“ wird standhaft ignoriert. Die Lust auf Essiggurken nimmt rapide ab. Aber alle Versuche, diese Bedienung von weiteren Recherchen abzuhalten, sind zum Scheitern verurteilt.
"Warten Se ma, isch hab die jleisch."
"Eigentlich vertrage ich gar keine Essiggurken, wegen der vielen Säure. Außer-dem, ach du je, hab‘ ich mein Geld vergessen." Mit dieser Notlüge verlasse ich fluchtartig den Supermarkt, wobei es mir schon etwas schwer fällt, auch die bereits gefundenen Güter des täglichen Bedarfs im Einkaufswagen zurückzulassen. Ein Goldentoast, zwei Hanuta, drei Flaschen Amselfelder und eine WC-Ente habe ich unter Aufbietung meines gesamten detektivischen Spürsinns nun vollkommen vergebens zusammengesucht.
Egal, Hauptsache ich bin erst mal draußen. Aber was wird jetzt mit diesem Ein-kaufswagen und seinem Inhalt passieren? Entweder er wird nach Geschäftsschluss von einer desorientierten Bedienung entsorgt, dann wundert sich am nächsten Tag eine ge-stresste Hausfrau, wieso der Amselfelder neben der WC-Ente steht - werden die Waren seit neuestem nach Geschmacksähnlichkeiten sortiert? Oder ein Kunde findet diesen her-renlosen Einkaufswagen und begreift diesen mit Goldentoast, Hanuta, Amselfelder und WC-Ente bestückten Wagen als Wink des Schicksals, als Fügung eines höheren Wesens: Du musst nicht mehr suchen, armer Kunde, der Weg war dein Ziel, nimm diesen Ein-kaufswagen und gehe hin in Frieden.
Plötzlich fällte es mir wie Schuppen von den Augen: ja, das ist die Lösung für mein Einkaufsproblem, beim nächsten Supermarktbesuch schnapp‘ ich mir einfach in einem unbeobachteten Moment einen schon gefüllten Einkaufswagen und dann ab zur Kasse. Dieses Einkaufssystem ist enorm zeitsparend und bringt durch unvorhergesehene Warenkombinationen eine neue Farbigkeit in den Alltag. Denn bei der Wahl des entwen-deten Einkaufswagens sollte man nicht zu wählerisch sein. Es würde einfach zu sehr auf-fallen, wenn man erst mal den Inhalt auspackt, anschaut und den Schrott aussortiert. Nein, Schnelligkeit und Entschlossenheit ist hier Trumpf, denn die meisten gefüllt herum-stehenden Einkaufswagen sind eben doch nicht vollkommen herrenlos.
Es gibt zwei Varianten der von mir so genannten Methode des Einkaufswagen-kidnapping. Variante eins: Orientierung an der Warenmenge, man schnappt sich einen Wagen mit ungefähr der Menge an Produkten, die man benötigt. Vorteil: man kauft nicht unnötig viel, Nachteil: man kann in der Regel nichts davon brauchen. Variante zwei: Orientierung an der obersten Warenschicht, man erbeutet den Wagen, bei dem einem zumindest die oben sichtbaren Produkte kompatibel mit dem eigenen Bedürfnisstand scheinen. Vorteil: wenigstens einige Produkte sind brauchbar, Nachteil: man kauft zuviel und 2/3 des Inhalts sind wiederum unbrauchbar.
Nach erfolgreicher Erbeutung eines fremden Einkaufswagens habe ich dann an der Kasse immer genügend Zeit, mir anzuschauen, was ich in den nächsten Tagen kon-sumieren werde. Nirgendwo hab ich soviel Zeit wie in der Kassenschlange, da herrscht nämlich Murphys Gesetz. Das besagt bekanntlich: was schief gehen kann, geht auch schief. Dieses Gesetz muss an Schlangen vor Supermarktkassen erfunden worden sein. Jeder kennt das: 20 Kassen, vor jeder Kasse eine Schlange mit mindestens zehn Ein-kaufswagen, Sie erspähen eine einzige Kasse mit nur sechs Wagen, sofort hin, koste es was es wolle. Unterwegs reißen Sie noch einen Stapel Moncheri und eine gehbehinderte Rentnerin um, aber egal, mit Ihnen sind noch drei weitere Wagenbesitzer gestartet und Sie sind erster. Geschafft!
Jetzt tritt unweigerlich Murphys Gesetz in Kraft. Während die Schlangen rechts und links von Ihnen zügig die Kassen passieren, tut sich bei Ihnen nichts, denn irgendein Idiot vor Ihnen hat vergessen, die Bananen abzuwiegen. Hat die Kassiererin endlich die Bananen wiegen lassen, platz auf dem Warenband eine Milchtüte, eine Kundin hat ihr Portemonnaie vergessen und mindestens drei Kunden wollen mit Scheckkarte bezahlen. Kurz und gut, nach einer guten halben Stunde sind Sie endlich dran.
Aber, wie gesagt, seit ich mich zum Einkaufswagenkidnapper entwickelt habe, nutzte ich die Zeit, um mich schon mal in aller Ruhe mit meinem erbeuteten Einkaufwa-geninhalt zu beschäftigen. Also z.B. gestern: ganz oben liegen zwei Flaschen Smirnoff, drei Flaschen Amselfelder und eine WC-Ente. Das ist gut so, deswegen hab ich ja auch gerade diesen Wagen entwendet. Dann aber die zweite Schicht, au weia. Drei Vorratspa-ckungen Always-Ultra! So, jetzt heißt es kreativ werden, wie kann ich die Always-Ultra zweckmäßig und gewinnbringenden verwerten? Erste Idee: meine Mutter hat übermorgen Geburtstag. Nee, ist vielleicht doch nicht so gut. Zweite Idee: bald ist Weihnachten und ich habe Karola versprochen, dass ich diesmal den Christbaumschmuck bastele. Nein, auch nicht gut. Dann aber die dritte Idee: wir brauchen dringend neue Katzenstreu. Die ersetze ich einfach mal durch Always-Ultra. Gibt unserer Katze ein nie gekanntes Gefühl von unbeschwerter Sicherheit und Frische auch in kritischen Situationen. Dann aber die dritte Schicht, ganz unten im Einkaufswagen, das ist meistens die absolute Härte: Welt der Frau, Welt und Frau, Frau im Bild und Bild der Frau plus zwei Flaschen Appelkorn - gut, da muss ich dann heute Abend eben durch. Dann wird mal nicht ferngesehen, wollte ja auch schon lange mal wieder was lesen und dazu in Ruhe einen guten Tropfen trinken.
Zwischenzeitlich hat sich die Kassenschlange auch schon ganz gut abgebaut, da passiert das Unfassbare. Ich entdecke versteckt unter einer der Zeitungen eine Flasche Rhabarbersaft naturtrüb. Ich hasse Rhabarbersaft! Doch die Situation wendet sich schnell zu meinen Gunsten. Vor mir platzt einer älteren stark sehbehinderten Dame ihre Milch-tüte, ich gehe ihr zur Hand und schiebe ihr unbemerkt den Rhabarbersaft unter. In dem Moment, als ich ihr auch noch den Appelkorn und die Surrogate der Regenbogenpresse zustecken will, kollabiert die alte Dame. Offenbar hat sie der Vorfall mit der Milchtüte arg mitgenommen. Panik macht sich in mir breit, mein Plan scheint zu scheitern. Würde ich mir also doch abends vier Yellowpress-Machwerke und zwei Flaschen Appelkorn reinzie-hen müssen?
In meiner Not stürze ich mich in der Pose des Erste-Hilfe-Profis auf die alte Da-me und decke sie erst mal mit den Frauenzeitschriften zu. Mein Tun wird von der sich stetig vergrößernden Menschenansammlung mit zustimmendem Nicken begleitet: Gut dass da einer was tut man ist bei so was ja immer so schrecklich hilflos weil man nichts falsch machen möchte mein Erste-Hilfe-Kurs war ja schon vor 20 Jahren schrecklich die ganzen Gaffer ja will denn niemand diesem netten jungen Mann helfen ... Na ja, gelernt ist gelernt und Zivilcourage war schon immer meine Stärke. Aber wohin jetzt mit dem Ap-pelkorn? Nur wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt – ohne lange nachzudenken öffne ich eine Flasche und flöße sie der alten Dame ein. Anerkennendes Kopfnicken der männlichen Zuschauer. Ich lächele zurück – Kunststück, 13 Jahre Berufserfahrung als Sachbearbeiter im Katasteramt haben mir das nötige Selbstvertrauen gegeben, auch scheinbar aussichtslose Situationen entschlossen anzupacken und Mut zu unkonventio-nellen Lösungen zu entwickeln.
Die Anerkennung des Umfeldes ermutigt mich, der alten Dame auch noch die zweite Flasche zu verabreichen. Ich muss gestehen, dass ich in dieser Stress-Situation ganz verdrängt hatte, dass ein Appelkorn zu viel am nächsten Tag einen ganz gemeinen Brummschädel verursachen kann.
Dann überschlagen sich die Ereignisse. Ganz unerwartet kommt die alte Dame plötzlich noch mal kurz zu Bewusstsein, erblickt aus Richtung ihrer Brust das gütige Konterfei von Queen-Mum in doppelter Ausfertigung (Bild der Frau und Frau im Bild), lächelt selig, erbricht kurz aber heftig und segnet das Zeitliche. Schnell sind sich einige Neunmalkluge unter den Zuschauern einig, dass ich es natürlich verabsäumt hatte, die alte Dame in die sogenannte stabile Seitenlage zu bringen. Ich versuche noch zu argumentie-ren, dass ich aus eigener Erfahrung genau weiß, dass nach zwei Flaschen Appelkorn eine wie auch immer geartete stabile Lage nicht mehr möglich ist, merke aber, dass man hier offenbar für rationale Argumente nicht mehr offen ist. Ein Frührentner (Typ pensionierter Bundesbahnoberrat) versteigt sich zu der Aussage das mit dem Appelkorn sei eine frevel-hafte Verschwendung knapper Ressourcen und meine Beziehung zum gedruckten Wort sei ja wohl auch gestört, denn alle Zeitschriften seien jetzt total versaut.
Eine für mich ausgesprochen peinliche Situation. Nur der Gedanke, dass die alte Dame, solide sediert mit Appelkorn, wenigstens nicht lange leiden musste und ich ihr sozusagen als letztes Betthupferl noch eine unerwartete Begegnung mit Queen-Mum im Doppelpack verschaffen konnte, gibt mir einen kleinen inneren Halt.
Um nicht ganz untätig rumzustehen und auch die Situation etwas zu entspannen, habe ich das Erbrochene dann mit den Always-Ultra sauber abgedeckt. Der penetrante Appelkorngeruch wurde dadurch ganz gut abgebunden und ich hatte den Eindruck, dass der bald darauf eintreffende Notarzt immerhin das nicht ganz unprofessionell fand.