Ich hasse mich
Ich war bis jetzt der festen Überzeugung, dass ich ein netter Mensch bin. Einer, bei dem sich die Leute freuen, wenn sie ihm begegnen. Doch das ist heute morgen ganz anders. Heute hasse ich mich – abgrundtief, bodenlos. Ich stehe im Badezimmer und starre in den Spiegel. Ich hasse das Augenpaar, dass mich daraus anstarrt – meine Augen sind weder blau noch grau noch sonst etwas, das einzige was sie sind ist leer. Als „hässlich“ hat sie mal jemand bezeichnet und das stimmt wahrscheinlich auch.
Ich verlasse das Badezimmer, schleppe mich in die Küche und schaue aus dem Fenster. „Zum kotzen, einfach nur zum kotzen,“ denke ich. Draussen ist es grau, es regnet und Leute mit Regenschirmen in der Hand hetzen durch die Strassen. Normalerweise mag ich es, einfach nur am Fenster zu stehen und die Leute zu beobachten. Heute nicht. Ich hasse diesen Tag, ich hasse diese Woche, ich hasse mein ganzes Leben. Gedankenverloren nehme ich den Kaffeekocher vom Herd und fülle meine Tasse. Heiss, schwarz und stark, genau das was ich jetzt brauche, um in die Gänge zu kommen. Aber auch der Kaffe kann mir heute nicht helfen.
Während ich auf dem Weg ins Wohnzimmer erneut in den Spiegel starre, wird mir übel. Mir wird übel weil ich mich darin sehe. Wie kann man so was wie mich nur aushalten? Kann man das überhaupt? Sind alle meine Freunde scheinheilige Schleimer? „Sie müssen scheinheilige Schleimer sein!“ denke ich während ich mich auf der Couch niederlasse. Auch meine Katze will heute nichts von mir wissen. Angewidert sieht sie mich an, springt vom Sofa und verschwindet so schnell sie kann unter dem Bücherregal. Eigentlich sollte ich ja bei der Arbeit sein, aber ich will heute nicht dorthin. Ich will hier sitzen und mich einfach nur hassen.
Wieso? Wieso fühle ich mich heute so schlecht? Der gestrige Tag ging doch eigentlich ganz glatt über die Bühne, keine Probleme, kein Ärger mit dem Chef. Vorsichtshalber gehe ich in Gedanken nochmals den ganzen Tag durch, aber ich kann mich an keine negativen Ereignisse erinnern. Der Abend verlief auch ruhig und geträumt habe ich auch nichts, jedenfalls nichts, woran ich mich erinnern könnte. Es muss doch was geschehen sein, irgendetwas das für meine miese Stimmung verantwortlich ist. Moment mal, jetzt fällt es mir wieder ein: Ich habe gestern Abend mein Anti-Depressiva vergessen.