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Ich hasse dich
Ich hasse dich
Auch heute ist sie wieder da. Genau wie gestern und vorgestern. Eigentlich war sie schon immer da. Immer dann wenn ich sie nicht sehen wollte, tauchte sie auf.
Sie steht einfach reglos vor mir und starrt mir mit ausdruckslosen Augen ins Gesicht. Die Haare stehen ihr wirr vom Kopf ab und überhaupt sieht sie ziemlich fertig aus. Ich sehe, dass ihre Arme bluten, dass die roten Tropfen mit dem Weiß des Teppichs verschmelzen, aber diesen Anblick bin ich inzwischen gewohnt. Ich weiß, dass sie sich schneidet, sie hat das schon immer gemacht, seit ich sie kenne.
Manchmal haben andere gesagt, sie sei hübsch, doch ich finde das nicht. Genaugenommen finde ich sie sogar ziemlich hässlich. Es gibt an diesem Wesen meiner Meinung nach einfach nichts, was man als hübsch bezeichnen könnte. Haben die denn alle keine Augen im Kopf? Ich verstehe die Menschen nicht. Wenn sie sie so hübsch finden, warum wollen sie sie mir dann nicht endlich abnehmen? Wahrscheinlich weil sie sie nicht wirklich kennen, weil sie nicht wissen, wer sie wirklich ist. Was da für ein Monster zum Vorschein kommt, wenn sie abends ihre Maske ablegt.
Sie starrt immer noch. Ich fühle, wie mal wieder die Wut in mir hochkommt. Bisher konnte ich mich immer beherrschen. Es bringt ja doch nichts, habe ich zu mir gesagt. Lass sie einfach. Doch lange werde ich bestimmt nicht mehr so ruhig bleiben können.
Hör auf mich so anzusehen, flüstere ich. Hör auf mich so anzusehen, flüstert sie. Hör endlich auf! Ich spüre, wie sich meine Tonlage verschärft. Hör endlich auf! Nun wird auch sie lauter. Ich kann die plötzliche Aufregung in ihrer Stimme hören, doch ihr Gesicht bleibt regungslos.
Tränen steigen mir in die Augen. Ich fühle mich plötzlich so schwach, als hätte ich wochenlang nicht geschlafen. Alles um mich herum dreht sich. Und sie starrt immer noch.
Plötzlich packt mich ein Gefühl von überwältigender Wut. Jegliche Kraft, die ich eben verloren zu haben schien, kehrte auf einmal und noch viel stärker zurück. Ich hasse dich, schreie ich so laut ich kann. Dann schlage ich zu und augenblicklich wird alles Schwarz.
Als sie einen Tag später tot in ihrem Zimmer aufgefunden wurde, lag sie in einer Blutlache und um sie herum waren die Scherben ihres zerbrochenen Spiegels.