Ich habe Hunger
Ich habe Hunger!
(T.M.M. 2013)
‘Wer hungert, der schläft nicht…’
Etwa drei Wochen nach dem Ausbruch:
‘Ich habe Hunger!’
Es ist das erste Mal seit diesem Tag! Das erste Mal, dass ich wirklich so etwas wie Hunger verspüre und ich wundere mich.
‘Dieser Tag!’
Ich schüttele immer noch mit dem Kopf, wenn ich an diesen Tag denke. Langsam stoße ich die Kellertür auf, hinter der ich mich seit gestern Nachmittag versteckt halte. Nun ist es Morgen. Kalter Wind und dieser widerliche Geruch streckt mir entgegen. Eigentlich sollte mir dieser Geruch meinen Appetit verderben oder zumindest zügeln, aber ich bin schon zu lange ohne Nahrung und der Durst brennt in meiner Kehle.
‘Wie lange eigentlich? Wie lange ist es jetzt her, seitdem ich richtig gegessen und getrunken habe. Und meinen Körper mit all dem versorgt habe, was er braucht? Drei Tage? Vier Tage? Eine Woche? Ich weiß es nicht!’
Ich blinzele mit den Augenlidern, weil die Sonne, die sich zwischen dem sonst bedeckten Himmel hindurch schummelt, ihre Futonen in meine Augen schleudert. Bei dem Gedanken daran, dass ich gleich auf die Straße treten muss, beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Noch vor wenigen Wochen bestand die Gefahr, auf den Straßen höchstens darin überfahren zu werden oder am Abend in einer dunklen Ecke ausgeraubt zu werden, aber heute…
‘Was ist das für ein Heute?’
Ein Heute, an dem tote Menschen durch die Gegend wandern um die die noch gesund sind zu jagen. Warum tun sie das? Und warum lässt der Herrgott so etwas zu? Oder war es vielleicht seine Idee? Die letzten Meldungen der Medien berichteten von Gottesmänner der Christen, aber auch des Islams, welche predigten, dass diese Hölle Gottes Wille ist. Wegen den homosexuellen Ehen und so. Doch ich kann das nicht glauben! Ich glaube eher daran, dass der Mensch wieder mal Gott gespielt hat und irgendwelche Viren und Bakterien gezüchtet oder gekreuzt hat und es dieses Mal schiefgegangen ist.
‘Wieder einmal schief gegangen! Es ist sicher nicht das erste Mal, dass es schief gegangen ist.’
Nur dieses Mal ist es für die Völker der Welt nicht zu übersehen. Ärger überkommt mich. Blanke Wut!
‘Ob es überall so ist?’
In den Romero Filmen ist das ja immer so. Die ganze Welt wird von Zombies überrannt und mit der Menschheit geht es zu Ende. Und jedes Mal ist es ein Prozentsatz von höchstens drei, welcher dann in dieser Welt bestehen muss. Ich kenne gewiss jeden Zombiefilm, der jemals gedreht wurde und manchmal habe ich bei diesen Filmen so mitgefiebert, dass ich mir heimlich gewünscht habe so etwas mal zu erleben. Und nun? Mann muss schon aufpassen, auf das, was man sich wünscht…
‘Sind das überhaupt Zombies? Wie definiert man einen Zombie?’
Mein knurrender Magen erinnert mich daran, aus welchem Grund ich mein Versteck verlassen will. Langsam strecke ich den Kopf hinaus, doch die Kellertreppen versperren mir die Sicht. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als es zu wagen. Ich zwänge mich durch den Türspalt, weil ich es nicht wage, die Tür weiter zu öffnen. Sie könnte quietschen und mich verraten. Ich fröstle!
‘Sicherlich unter fünf Grad Celsius.’
Wir haben Spätherbst und bald wird es den ersten Schnee geben. Es wird vielleicht der letzte Schnee sein, den ich sehen und spüren werde. Vielleicht der letzte Winter, an dem ich diese Eiskristalle, die langsam zur Erde fallen, bewundern darf. Und mir bewusst mache, dass sicherlich schon eine unglaubliche und unschreibare Zahl an Eiskristallen vom Himmel gefallen war. Und doch ist jedes Einzelne ein Unikat, wie der Fingerabdruck eines Menschen. Ich lächle, weil ich mich auf den Schnee freue. Zumindest habe ich das in der Vergangenheit immer getan. Es ist wohl nur die Erinnerung an Winter, welches mir dieses Lächeln in mein Gesicht zaubert. Und sofort verfliegt es auch wieder! Ein Windstoß lässt mich jetzt richtig erstarren, denn er verrät mir, dass mindestens eines dieser Dinger in der Nähe ist. Der Gestank ist kaum auszuhalten. Ich ducke mich und warte bis das Ding an mir vorüber wandert. Ich presse mein Körper gegen die Hauswand, atme durch die Nase ein und spitze meinen Mund zu einem O aus dem ich ausatme, weil ich Angst habe, dass jeder andere Atemrythmus zu laut ist und mich verraten würde. Sie sind lauter! Machen so sonderbare Geräusche.
‘Ob sie wohl auch noch atmen?’
Das Geräusch, welches sie von sich geben, klingt oft wie ein Röcheln, jedoch meistens eher wie ein leiser Klagegesang.
‘Ja! Ich glaube sie atmen! Aber dann sind sie noch nicht tot! Egal! Sie sind gefährlich!’
Sie machen sich keine Gedanken über mich. Aber sie wollen mich! Und nachdem sie mich gekriegt haben, läuft die Hälfte von mir dann genauso planlos durch die Gegend und geht auf die Suche nach Menschenfleisch. Ekelhaft! Doch wieder knurrt mein Magen.
‘Ich habe Hunger! Solchen Hunger!’
Wie lange ich jetzt schon lausche weiß ich nicht, doch ich denke es ist weg. Ich horche ein letztes Mal und richte mich auf. Langsam gehe ich die Stufen zur Straße hinauf. Als ich sie endlich überblicken kann, ist sie leer. Ich merke, dass ich mich darüber wundere.
‘Aber was habe ich erwartet? Menschen beim Einkaufen? Idiot!’
Auf den letzten Stufen bleibe ich noch mal stehen um mich zu orientieren. Ich weiß nicht genau wo ich bin. Es war ja gestern ziemlich hektisch, als sie mich bis hierher trieben. Zum Glück hatte ich diesen Keller gefunden und zum Glück war diese Kellertür offen und zum Glück steckte der Schlüssel innen im Schlüsselloch.
‘Glück! Glück! Glück! Ja Glück! Man kann es nicht abstreiten! Mann braucht heutzutage eine Menge Glück!’
Wieder knurrt mein Magen.
‘Ich habe Hunger! Verdammt ich habe Hunger!’
Über die letzte Stufe wäre ich beinahe gestolpert, weil mein Blick hin und her schweift. Überall hin nur nicht auf meine Füße. Etwa drei Meter vor mir steht ein Auto und ich laufe geduckt dort hin. Ich versuche die Beifahrertür zu öffnen, doch sie ist verschlossen.
‘Das Ende meiner Glückssträhne?’
Ich blicke über die Motorhaube und merke, dass ich Zeit habe. Keine Menschenseele! Ich stelle fest, dass ich in einer Seitenstraße bin. Etwa hundert Meter vor mir ist eine Hauptstraße.
‘Muss ich wirklich dort hin?’
Ich weiß noch nicht, was ich tun soll und setze mich neben den Wagen. Ich schaue über die Kellertreppe zur Kellertür. Sie bewegt sich.
‘Spinn ich?’
Doch sie bewegt sich tatsächlich. Mein Herz beginnt zu rasen.
‘Ich war doch alleine da unten?!’
Hektisch schaue ich noch mal über den Wagen und wieder ist keine Menschenseele zu sehen. Dann heftet mein Blick wie ein riesen Magnet an der Kellertür. Nichts tut sich. Ich wollte schon wegsehen, als sie sich wieder bewegte. Und dieses Mal wurde die Bewegung von Geräuschen begleitet.
‘Was soll ich nur tun?’
Abhauen sagt mein Herz, doch mein Verstand zögert noch. Wenn dort unten eines dieser Dinger wäre, dann hätte ich es auf jeden Fall gerochen und es hätte mich in den Nacht sicherlich nicht in Ruhe gelassen.
“Hallo!” Dieses Wort war eher gehaucht als geflüstert.
“Hallo!” Dieses Mal gekrächzt. Ich schleiche geduckt zum Treppenabsatz und schaue mit rasendem Herzen hinunter. Wenn dort doch noch ein Überlebender wäre! Dann wäre ich endlich nicht mehr allein.
‘Vielleicht hatte er in einem Nebenraum gesessen und hatte Angst vor mir.’
Langsam steige ich die Treppe wieder hinab.
’Das kann nur ein Überlebender sein.’
Ich hätte eines dieser Dinger mit Sicherheit gehört, gerochen oder sonst irgendwie als solches identifiziert. Plötzlich erinnert mich mein knurrender Magen wieder daran, weshalb ich aus meinem Versteck gekrochen war.
‘Verdammt habe ich einen Hunger!’
Ich bleibe auf halber Treppe stehen und blicke in den Türspalt. Die Tür stand etwa zehn Zentimeter offen. Ich schaue auf einen etwa zwei Meter großen und eben zehn Zentimeter breiten Strich inmitten dieser Hölle.
‘Was verbirgt er dahinter?’
Ich nehme eine Bewegung aus dem inneren dieses Striches wahr. Mein Herz rast nun und mein Atem stockt. Ich erkenne einen Unterarm, der etwa eine Hand breit über dem Türgriff die Tür langsam aufstößt. Licht fällt in den Keller und gibt die Sicht auf eines dieser Dinger frei.
‘Wo kommt der denn her? Scheiße!’
Instinktiv drehe ich mich herum und will so rennen, wie vor mir noch niemand gerannt ist. Doch ich komme gerade einen Meter weit, weil hinter mir noch einer steht. Ich will ihn wegstoßen, jedoch hat er seine Zähne schon in meine Schulter gebohrt. Ich schlage und trete um mich, komme irgendwie frei und laufe. Ich laufe und laufe und laufe bis ich über den Asphalt kotze. Ich stütze meine Hände in die Oberschenkel und würge weiter. Es kommt nichts mehr, weil nicht mehr viel in meinem Magen ist. Was mich wieder daran erinnert, aus welchem Grund ich mein Versteck verlassen habe.
‘Ich hatte doch nur Hunger! Verdammt! Und nun?’
Ich richte mich auf und schaue mich um. Nichts und niemand zu sehen. Mir wird schwindelig.
‘Muss daran liegen, weil ich nichts in meinem verdammten Magen habe. Und was nun? Verfluchter Magen!’
Irgendein sonderbares Gefühl macht mich erneut auf meinen Magen aufmerksam. Es ist wie kribbeln und es wird immer intensiver. Aus dem Kribbeln wird ein stechender Schmerz und ich muss wieder würgen.
‘Verflucht! Ich habe nichts mehr in meinem Magen.’
Ich krümme mich vor Schmerzen, und ich spüre, dass dieser Schmerz, den ich jetzt in meinem Unterleib spüre, nichts mehr mit Kotzen zu tun hat. Mein Atem stockt und ich werde panisch. Imaginäre Zangen pressen mir die Kehle zu.
‘Ich ersticke! Ich ersticke! Oh bitte lieber Gott, lass mich nicht ersticken.’
Ich falle auf die Knie, und schicke Stoßgebete zum Himmel! Ich merke, wie mir die Worte abhanden kommen.
‘Vater unser der… gen… Nein! Gegrüßet seiest du Maria voll…???’
Ich fiebere… Mir ist so heiß! Oh Gott, ich verbrenne. Alles tut so…
‘Warum bin ich nur aus meinem Versteck gekommen? Ich hatte Hunger. …Hunger! Solchen Hunger!’
Mein Körper fliegt von einer Seite zur anderen. Mein Kopf fliegt gegen Steine, Wände, Kopfsteinpflaster, aber nichts tut mir mehr weh. Nichts! Und atmen brauche ich auch nicht mehr. Aber…
‘ICH HABE HUNGER!SOLCHEN HUNGER!’