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Ich habe dich immer geliebt
Ich habe dich immer geliebt
Im Licht des Fensters inszenierte der aufgewirbelte Staub mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages ein betäubendes Schattenspiel und ließ die in den Ecken gestapelten Kartons, die sich durch den feuchten Untergrund zu einem schlammigen Brei verformt hatten, unmissverständlich als perfekte Brutstätte von Schimmelpilzen erscheinen. Abgestandenes Wasser und verwesende Exkremente hatten ein Klima geschaffen, das Ratten und Ungeziefer im täglichen Kampf mit todbringenden Krankheitserregern dahinraffte und sich dadurch zum natürlichen Feind der Evolution erklärt hatte.
„Liebst du mich?“.
Langsam zerschnitt die Klinge das warme und bebende Fleisch, bis sich ein Schwall aus Blut und Urin über den nackten Körper ergoss, in kleinen Rinnsalen über den zerfurchten Tisch lief und zu Boden plätscherte. Der Raum schien den Schmerz aufzusaugen und als stilles Geheimnis in seinen Gemäuern zu begraben, während sich die Klinge erneut ihre Wege bahnte und eine einzigartige Komposition des Hasses schuf.
„Liebst du mich?“.
Jakobs Kopf schlug dumpf gegen den Nachttisch und hinterlies ein leichtes Dröhnen, dass sich in den nächsten Stunden zu unangenehmen Kopfschmerzen wandeln würde. Mit der linken Hand strich er gezielt über seine Stirn und wischte sich den kalten Schweiß ab. Diese verdammten Träume, seine verdammte Mutter...
Vorsichtig hielt er sich am Rand des Bettes fest, zog sich mit dröhnendem Kopf hoch und machte sich, durch die Dunkelheit stolpernd, auf den Weg in Richtung Badezimmer. Sein Gehirn hatte sich mittlerweile dazu entschlossen, wild pochend jeden seiner Gedankenstränge zu durchtrennen und ihm unmissverständlich klar zu machen, dass er heute Nacht wohl auf jeglichen Schlaf verzichten müsste. Er knipste das Licht an und stellte sich mit zusammengekniffenen Augen vor den Spiegel um seine blutende und deutlich angeschwollene Schläfe betrachten zu können. Behutsam drehte Jakob den Kopf des Wasserhahns und sah dabei zu, wie sich das Becken in aller Ruhe mit kaltem Wasser füllte. Ja, seine Mutter war eine Schlampe gewesen. Nicht eine dieser Schlampen, die täglich in Talk-Shows von ihren Männergeschichten erzählten und damit prahlten, dass man auch ohne Verstand gut durchs Leben kommen würde, eine Theorie, die sich bei 90% dieser Schlampen tatsächlich zu bestätigen schien, schließlich achtete kein Mann auf das geistige Niveau einer Frau, wenn er stattdessen ihre feuchte Vagina haben konnte. Sie dagegen hatte meist Schwierigkeiten einen Mann zu finden der nicht jeden Tag besoffen und pöbelnd nach Hause kam um ihr kurz danach die Scheiße aus dem Leib zu prügeln. Als Kind hatte Jakob manchmal vermutet, sie würde tatsächlich Freude empfinden, wenn sie blutüberströmt neben dem Heizungskörper lag und leise vor sich hin lachte.
„Liebst du mich?“.
Jakob schauderte und blickte auf. Um die Wunde hatte sich bereits eine leichte Kruste gebildet, die er vorsichtig mit kaltem Wasser abzutupfen begann. Auch das Pochen seines Kopfes hatte erneut merklich zugenommen und schien sich nun von den Augenhöhlen bis in den Nackenbereich zu erstrecken. Wie in Trance griff er mit der rechten Hand nach dem Wasserhahn und drehte ihn zu, während seine Augen fasziniert sein eigenes Spiegelbild fixierten. „Hurensohn, du könntest jetzt wirklich einen Kaffee vertragen“. Schwankend verließ er das Badezimmer und ließ die Tür, aus schlechter Angewohnheit, einen kleinen Spalt weit geöffnet. Um das Waschbecken würde er sich morgen kümmern, heute nicht, nicht jetzt.
Die Küche war erst vor kurzem neu gestrichen worden. Sie erstrahlte in reinstem Weiß und erinnerte ihn an die Kälte, die gewöhnlich nur von Krankenhauszimmern ausging, einer Form von Sterilität, die einen bereits beim bloßen Anblick desinfizierte. Hier hatte alles schon seit Jahren seinen festen Platz und wurde nur selten bewegt, ein gewisser Vorteil, den man als Sohn einer Schlampe schon mit in die Wiege gelegt bekam. Statt etwas zu Essen hatte er von ihr regelmäßig Schläge bekommen, wobei ihr Selbstgekochtes wahrscheinlich die schlimmere Strafe gewesen wäre, an die Schläge konnte er sich im Laufe der Zeit gewöhnen. Träge ließ er sich auf einen Hocker neben dem Herd fallen und griff nach der Zigarettenschachtel, die seit Wochen auf der schmalen Ablage der Einbauküche gelegen hatte. Eingehüllt in den Rauch des ersten Zuges kam ihm dieser eine Freitagabend in den Sinn, es war ein ziemlich verregneter und trüber Tag gewesen, an dem er begriffen hatte, welchen Wahnsinn diese Schlampe durchlebte. Ihr damaliger Lebensgefährte hatte sich zur täglichen Kneipentour verabschiedet. Sie stand lächelnd vor ihm und ihre kalten und leeren Augen bohrten sich tief in seine Seele, schnürten ihm die Luft ab. „Weißt du, Kleiner“, sie zog tief an ihrer Zigarette, „ich habe mir immer einen Sohn gewünscht der mich liebt. Liebst du mich?“. Sie hatte seinen Arm gepackt und ihre gelben Zähne bleckten ihn an als sie die Glut auf seinem Handrücken ausdrückte.
„Liebst du mich?“.
„Scheiß auf den Kaffee“. Jakob stand auf und öffnete die Kellertür. Knarrend gaben die morschen Holzbretter seinem Gewicht nach als er Stufe für Stufe hinter sich ließ und vorsichtig seinen Weg in die Dunkelheit ertastete. Er wünschte sich, der Typ, der auf die bescheuerte Idee gekommen war, den Lichtschalter ans untere Ende der Treppe zu montieren, wäre jetzt hier gewesen. Die Treppe endete in einen kurzen Gang, an dessen Schlussteil der spärliche Schein einer Lampe den Umriss einer schweren Holztüre andeutete. Immer noch leicht benommen lief Jakob auf die Türe zu und öffnete sie mit einem lauten Ruck. Der Geruch von abgestandenem Rauch und Verwesung wehte ihm entgegen. Der Raum war nur schwach beleuchtet und früher wahrscheinlich kaum genutzt worden, als Lagerplatz war er gänzlich ungeeignet und schien eher das Zuhause von Ratten und Ungeziefer zu sein. Jakob lief auf einen breiten Tisch in der Mitte des Raumes zu und versuchte, seine verdammten Kopfschmerzen zu ignorieren. Hier unten hatte er damals sein zweites Zuhause, doch nach dem Tod seiner Mutter hatte er den Raum nur noch selten betreten. Sein Blick fiel auf ein verrostetes Fleischermesser am Ende des Tisches, das er fest mit der rechten Hand umschloss. Ja, seine Mutter war wirklich eine Schlampe gewesen. Hier unten hatte er viele Tage und Nächte verbracht. Die Einsamkeit hatte ihn viel gelehrt. Er trat noch einen Schritt näher an den Tisch und senkte bedächtig den Kopf. Hier hatte alles begonnen und hier würde es irgendwann enden, denn früher oder später würde Gott alle Sünden bestrafen und Jakob war darauf vorbereitet. Er würde seiner Mutter ins Gesicht lächeln und ihr noch eine schöne Zeit in der Hölle wünschen. Er warf seine Zigarette auf den Boden und hörte das leise Zischen der ertrinkenden Glut. Seine Knöchel verfärbten sich weiß, als er den Griff des Fleischermessers fester umschloss. Ja, das würde er, denn auch Gott wusste, dass sie eine verdammte Schlampe war. Lächelnd trieb er die Klinge in den Körper ihrer verwesenden Leiche.
„Liebst du mich?“.