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Ich habe dich immer geliebt

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09.11.2003
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Ich habe dich immer geliebt

Ich habe dich immer geliebt

Im Licht des Fensters inszenierte der aufgewirbelte Staub mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages ein betäubendes Schattenspiel und ließ die in den Ecken gestapelten Kartons, die sich durch den feuchten Untergrund zu einem schlammigen Brei verformt hatten, unmissverständlich als perfekte Brutstätte von Schimmelpilzen erscheinen. Abgestandenes Wasser und verwesende Exkremente hatten ein Klima geschaffen, das Ratten und Ungeziefer im täglichen Kampf mit todbringenden Krankheitserregern dahinraffte und sich dadurch zum natürlichen Feind der Evolution erklärt hatte.
„Liebst du mich?“.
Langsam zerschnitt die Klinge das warme und bebende Fleisch, bis sich ein Schwall aus Blut und Urin über den nackten Körper ergoss, in kleinen Rinnsalen über den zerfurchten Tisch lief und zu Boden plätscherte. Der Raum schien den Schmerz aufzusaugen und als stilles Geheimnis in seinen Gemäuern zu begraben, während sich die Klinge erneut ihre Wege bahnte und eine einzigartige Komposition des Hasses schuf.
„Liebst du mich?“.

Jakobs Kopf schlug dumpf gegen den Nachttisch und hinterlies ein leichtes Dröhnen, dass sich in den nächsten Stunden zu unangenehmen Kopfschmerzen wandeln würde. Mit der linken Hand strich er gezielt über seine Stirn und wischte sich den kalten Schweiß ab. Diese verdammten Träume, seine verdammte Mutter...
Vorsichtig hielt er sich am Rand des Bettes fest, zog sich mit dröhnendem Kopf hoch und machte sich, durch die Dunkelheit stolpernd, auf den Weg in Richtung Badezimmer. Sein Gehirn hatte sich mittlerweile dazu entschlossen, wild pochend jeden seiner Gedankenstränge zu durchtrennen und ihm unmissverständlich klar zu machen, dass er heute Nacht wohl auf jeglichen Schlaf verzichten müsste. Er knipste das Licht an und stellte sich mit zusammengekniffenen Augen vor den Spiegel um seine blutende und deutlich angeschwollene Schläfe betrachten zu können. Behutsam drehte Jakob den Kopf des Wasserhahns und sah dabei zu, wie sich das Becken in aller Ruhe mit kaltem Wasser füllte. Ja, seine Mutter war eine Schlampe gewesen. Nicht eine dieser Schlampen, die täglich in Talk-Shows von ihren Männergeschichten erzählten und damit prahlten, dass man auch ohne Verstand gut durchs Leben kommen würde, eine Theorie, die sich bei 90% dieser Schlampen tatsächlich zu bestätigen schien, schließlich achtete kein Mann auf das geistige Niveau einer Frau, wenn er stattdessen ihre feuchte Vagina haben konnte. Sie dagegen hatte meist Schwierigkeiten einen Mann zu finden der nicht jeden Tag besoffen und pöbelnd nach Hause kam um ihr kurz danach die Scheiße aus dem Leib zu prügeln. Als Kind hatte Jakob manchmal vermutet, sie würde tatsächlich Freude empfinden, wenn sie blutüberströmt neben dem Heizungskörper lag und leise vor sich hin lachte.
„Liebst du mich?“.
Jakob schauderte und blickte auf. Um die Wunde hatte sich bereits eine leichte Kruste gebildet, die er vorsichtig mit kaltem Wasser abzutupfen begann. Auch das Pochen seines Kopfes hatte erneut merklich zugenommen und schien sich nun von den Augenhöhlen bis in den Nackenbereich zu erstrecken. Wie in Trance griff er mit der rechten Hand nach dem Wasserhahn und drehte ihn zu, während seine Augen fasziniert sein eigenes Spiegelbild fixierten. „Hurensohn, du könntest jetzt wirklich einen Kaffee vertragen“. Schwankend verließ er das Badezimmer und ließ die Tür, aus schlechter Angewohnheit, einen kleinen Spalt weit geöffnet. Um das Waschbecken würde er sich morgen kümmern, heute nicht, nicht jetzt.
Die Küche war erst vor kurzem neu gestrichen worden. Sie erstrahlte in reinstem Weiß und erinnerte ihn an die Kälte, die gewöhnlich nur von Krankenhauszimmern ausging, einer Form von Sterilität, die einen bereits beim bloßen Anblick desinfizierte. Hier hatte alles schon seit Jahren seinen festen Platz und wurde nur selten bewegt, ein gewisser Vorteil, den man als Sohn einer Schlampe schon mit in die Wiege gelegt bekam. Statt etwas zu Essen hatte er von ihr regelmäßig Schläge bekommen, wobei ihr Selbstgekochtes wahrscheinlich die schlimmere Strafe gewesen wäre, an die Schläge konnte er sich im Laufe der Zeit gewöhnen. Träge ließ er sich auf einen Hocker neben dem Herd fallen und griff nach der Zigarettenschachtel, die seit Wochen auf der schmalen Ablage der Einbauküche gelegen hatte. Eingehüllt in den Rauch des ersten Zuges kam ihm dieser eine Freitagabend in den Sinn, es war ein ziemlich verregneter und trüber Tag gewesen, an dem er begriffen hatte, welchen Wahnsinn diese Schlampe durchlebte. Ihr damaliger Lebensgefährte hatte sich zur täglichen Kneipentour verabschiedet. Sie stand lächelnd vor ihm und ihre kalten und leeren Augen bohrten sich tief in seine Seele, schnürten ihm die Luft ab. „Weißt du, Kleiner“, sie zog tief an ihrer Zigarette, „ich habe mir immer einen Sohn gewünscht der mich liebt. Liebst du mich?“. Sie hatte seinen Arm gepackt und ihre gelben Zähne bleckten ihn an als sie die Glut auf seinem Handrücken ausdrückte.
„Liebst du mich?“.
„Scheiß auf den Kaffee“. Jakob stand auf und öffnete die Kellertür. Knarrend gaben die morschen Holzbretter seinem Gewicht nach als er Stufe für Stufe hinter sich ließ und vorsichtig seinen Weg in die Dunkelheit ertastete. Er wünschte sich, der Typ, der auf die bescheuerte Idee gekommen war, den Lichtschalter ans untere Ende der Treppe zu montieren, wäre jetzt hier gewesen. Die Treppe endete in einen kurzen Gang, an dessen Schlussteil der spärliche Schein einer Lampe den Umriss einer schweren Holztüre andeutete. Immer noch leicht benommen lief Jakob auf die Türe zu und öffnete sie mit einem lauten Ruck. Der Geruch von abgestandenem Rauch und Verwesung wehte ihm entgegen. Der Raum war nur schwach beleuchtet und früher wahrscheinlich kaum genutzt worden, als Lagerplatz war er gänzlich ungeeignet und schien eher das Zuhause von Ratten und Ungeziefer zu sein. Jakob lief auf einen breiten Tisch in der Mitte des Raumes zu und versuchte, seine verdammten Kopfschmerzen zu ignorieren. Hier unten hatte er damals sein zweites Zuhause, doch nach dem Tod seiner Mutter hatte er den Raum nur noch selten betreten. Sein Blick fiel auf ein verrostetes Fleischermesser am Ende des Tisches, das er fest mit der rechten Hand umschloss. Ja, seine Mutter war wirklich eine Schlampe gewesen. Hier unten hatte er viele Tage und Nächte verbracht. Die Einsamkeit hatte ihn viel gelehrt. Er trat noch einen Schritt näher an den Tisch und senkte bedächtig den Kopf. Hier hatte alles begonnen und hier würde es irgendwann enden, denn früher oder später würde Gott alle Sünden bestrafen und Jakob war darauf vorbereitet. Er würde seiner Mutter ins Gesicht lächeln und ihr noch eine schöne Zeit in der Hölle wünschen. Er warf seine Zigarette auf den Boden und hörte das leise Zischen der ertrinkenden Glut. Seine Knöchel verfärbten sich weiß, als er den Griff des Fleischermessers fester umschloss. Ja, das würde er, denn auch Gott wusste, dass sie eine verdammte Schlampe war. Lächelnd trieb er die Klinge in den Körper ihrer verwesenden Leiche.
„Liebst du mich?“.

 

Vorerst zur Orthografie: lies --> ließ / hinterlies --> hinterließ

selbstgekochtes --> Selbstgekochtes

Kaffe --> Kaffee

Komposition des Hasses schuf. „Liebst du mich?“.

1.Absatz: Das „betäubende Schattenspiel“ hat mich irritiert, weiß nicht, was ich mir darunter vorstellen soll.

Außerdem hättest du den letzten Teil des ersten Satzes besser anders formulieren soll. Wie ich es verstanden habe, zeigt sich durch den Lichteinfall die „perfekte Brutstätte von Schimmelpilzen“. Wenn du schreibst, das Licht „ließ“ sie so „erscheinen“, klingt das missverständlich.

Den Halbsatz, „und sich dadurch zum natürlichen Feind der Evolution erklärt hatte.“, kannst du streichen. Er besagt, dass das verseuchte Klima gegen die Evolution gerichtet ist, jedoch bedingen Krankheiten die natürliche Auslese. (Nur die Stärksten überleben.) Außerdem brauchst du diesen Zusatz nicht, das Klima ist schon plastisch genug beschrieben.

„Der Raum schien den Schmerz aufzusaugen und als stilles Geheimnis in seinen Gemäuern zu begraben.“ Gefällt mir sehr, obwohl schon oft gelesen.

"Komposition des Hasses" schöne Metapher

2. Absatz: Wie kann sich das Dröhnen zu Kopfschmerzen wandeln? Doch wohl eher die Nachwirkungen des Dröhnens bzw. des Aufschlagens des Kopfes.

4. Absatz: „Hier hatte alles schon seit Jahren seinen festen Platz und wurde nur selten bewegt, ein gewisser Vorteil, den man als Sohn einer Schlampe schon mit in die Wiege gelegt bekam.“ --> Beziehst du dich damit auf die Zustände (Prügel, schlechtes Essen), die sich nie verändern. Von einem konventionellen Leben schreibst du ja bestimmt nicht.

„Seine Knöchel verfärbten sich“ --> zu welcher Farbe?

„ein Paradies für Ratten und Ungeziefer“ --> zuvor wurden sie noch dahingerafft

Fazit: Eine Rachegeschichte mit schön ekelhaften Beschreibungen. Besonders das pervertierte Motiv der Frage „Liebst du mich?“ finde ich gut eingesetzt.
Nur gibt es solche Stories schon zuhauf, weswegen „Ich habe dich immer geliebt“ dem Leser nur allzu vertraut vorkommt. Vor allem die dominante Mutter, seit Psycho beliebt, finde ich persönlich in der Horrorliteratur längst überstrapaziert.
Wegen der Struktur aber:

Jakob träumt von einer Ermordung, jene seiner Mutter --> geht in den Keller --> treibt ein Messer in ihre verwesende Leiche

musste ich die Geschichte ein zweites Mal lesen. Vor allem die Stelle „Er würde seiner Mutter ins Gesicht lächeln und ihr noch eine schöne Zeit in der Hölle wünschen.“ hat mich verwirrt, weil ich nicht sofort den Bezug zum Jüngsten Gericht herstellen konnte.

 

Hallo,

Danke für deine harsche, aber ausführliche und hilfreiche Kritik, die mich im ersten Moment etwas an mir Selbst zweifeln ließ. Doch da es sich hier um meine erste Kurzgeschichte handelt und ich ehrlichgesagt ziemlich gespannt auf die erste Reaktion gewartet habe, bin ich lernbegierig und für jeden Ratschlag offen ;)
Über meine miserable Rechtschreibung läßt sich wohl nicht streiten, doch einige deiner Kritikpunkte bedürfen wohl näherer Erklärungen meinersteits.
1. Absatz
"betäubendes Schattenspiel": damit wollte ich das Spiel des aufgewierbelten Staubs veranschaulichen, welches bei mir den Eindruck vorbeifliegender Schatten hervorruft und zumindest auf mich eine hypnotisierende Wirkung hat.
Dass der Einfall des Lichtes die perfekte Brutstätte von Schimmelpilzen zeigt, liegt wohl eher im Auge des Betrachters, zumindest läßt sie das Licht als solche erscheinen. Hier wollte ich etwas Spielraum für eigene Interpretationen lassen um die Wirkung zu verstärken.
"natürlichen Feind der Evolution": mir ist durchaus bewusst, dass die Evolutionstheorie die "Nur die Stärksten überleben"-Klausel enthält. Die in meinen Augen daraus entstehende Schlussfolgerung, dass es sich hier nicht um einen Darwinschen-Spielplatz handelt und die Tiere wahllos dahingerafft werden, sollte einen lebensunwürdigen Nachgeschmack hinterlassen.
Danke für die Blumen ;)

2. Absatz
Ich dachte, ich hätte den Wandel vom anfänglichen Dröhnen, über wildes Pochen bis hin zu ganzheitlichem Schmerz, der sich von den Augenhöhlen bis in den Nacken erstreckt, ausführlich genug beschrieben. Hier bleibt wohl Raum für Verbesserung.

4. Absatz
Es bezieht sich eher auf die Reinlichkeit des Haushaltes, die ihm schon "mit in die Wiege gelegt wurde".
"Seine Knöchel verfärbten sich": diese Stelle habe ich ergänzt. Ich habe langsam den Eindruck, dass Passagen, an denen der Leser von mir alleine gelassen und zum Denken angeregt wird, etwas überfordernd wirken ;)

Zum Fazit:
Die Geschichte der bösen Mutter, die ihrem geliebten Sohn das Leben zur Hölle macht, ist wirklich ausgelutscht und schon zu oft dargestellt worden. Eigentlich ging es mir in erster Linie darum, als erste Herausforderung einen psychischen Zustand zu beschreiben, der im ersten Moment einen verwirrenden Eindruck hinterlässt. Scheinbar ist mir das auch ansatzweise gelungen.
Eine Frage brennt mir allerdings weiterhin auf der Zunge: wie hat dir die Geschichte unter sprachlichen und strukturellen Gesichtspunkten gefallen?
Ich würde mich freuen, wenn ich nochmal von dir hören (lesen) würde ;)

 

Wie gesagt habe ich erst nach der zweiten Lektüre den Aufbau, damit meine ich die Chronologie, erkannt. Ablehnung von Konvention finde ich fast immer positiv, auch in deinem Fall.

Vom sprachlichen Standpunkt aus gesehen ist der Text flüssig lesbar, nur bin ich gleich über den ersten Satz gestolpert, nicht weil es sich um ein längeres Satzgefüge handelt, sondern wegen dem Gebrauch von "erscheint".

 

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