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Ich hab mich geirrt

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23.12.2002
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Ich hab mich geirrt

ICH HABE MICH GEIRRT

Hallo, da bin ich.

Ich weiß, ich bin fast eine Stunde zu früh dran – aber ich wusste, Du würdest hier sein.

Diese altehrwürdigen Gebäude machen mir immer ein wenig Angst. Ich fühle mich so beklommen, so mickrig. Ach, Du weißt schon, was ich meine.

Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Es ist schwierig, in so einer Situation die richtigen Worte zu finden.
Siehst Du das auch so?

Ich frage mich, wie das alles hat passieren können. Und das uns!

Ja – sonst waren es immer die Anderen: Brigitte, Gaby, oder Volker.

Mir tat es immer leid... Sehr leid. Ich habe versucht zu trösten und zu helfen, aber irgendwo, ganz tief in mir, war ich immer froh, dass es nicht uns passiert war. Beschämend? Ja, das stimmt. Aber es ist wahr. Besser sie, als ich. Das war es, was ich dachte.

Du siehst blass aus, Christian... Aber ich auch – oder nicht?

Neunzehn war ich, als wir uns zum ersten mal begegneten, und Du warst einundzwanzig, stimmts? Das war 1984.Wir waren soooo jung.

Unsere erste Wohnung war natürlich eine Dachwohnung. Weißt Du noch? Wir hatten keine Betten, nur Matratzen, aber auf diesen Matratzen hatte ich den besten Sex meines Lebens.

Bis auf den Tisch, den Wolfgang uns zur Einweihung schenkte, war jedes einzelne Möbelstück gebraucht –
erinnerst Du Dich?

Später kam dann das Haus. Unsere Hochzeit. Und dann...Lea. Unsere Tochter. Ein Wunschkind.

Liebe – Liebe – Liebe !!

Und Sex! Guter Sex. W i r k l i c h guter Sex.

Gespräche! Lange Nächte voll tiefsinniger, alberner, tröstlich-törichter und interessanter Gespräche. Unterhaltungen, die süchtig machten. Dazu Rotwein, Kerzenlicht - es war wundervoll.

Du sagst nichts.

Ich weiß gar nicht mehr, wie das anfing, dass wir nicht mehr miteinander schliefen... Oder nur noch sehr selten.
Und wie kam es, dass unsere Gespräche so banal wurden?

Lea`s Schule, Lea`s Tanzkurs, Lea´s Karateverein. Lea! Lea! Lea!

Sie war das Bindeglied, dass uns noch zusammenhielt, oder nicht Chris?

Natürlich. So war`s.

Hier , ich habe Dir ein Foto mitgebracht. Unser letzter Urlaub auf Mallorca. Lea, Du und ich. Du kannst es behalten, als so `ne Art Abschiedsgeschenk.

Ich wollte nie, dass Lea ohne Vater aufwächst. So wie ich – ein Scheidungskind. Sie ist doch erst zehn. Wechselt jetzt die Schule.

Musste das sein, Christian?

Keine Antwort.

Na gut. Sie wird`s genauso packen müssen wie ich. Oder?

Schon seltsam, wie man sich gegenseitig nervt , was? Fast zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, Chris. Und einmal waren wir sehr, sehr verliebt.

Und glücklich.
Dann zufrieden.
Dann pflichtbewusst.

Wir haben das Unwichtige wichtig, und das Wichtige unwichtig werden lassen. So ist es doch, oder siehst Du das anders, hm?

Keine Komplimente mehr von Dir, Chris. Pflichtkuss Begrüssung, Pflichtkuss Abschied . Beim gelegentlichen Sex keine Küsse...

Sieben Minuten und dreißig Sekunden hat es beim letzten Mal gedauert, wusstest Du das? Für Dich – nicht für mich. Ich ging leer aus. Aber wenigstens habe ich in dieser Zeit das Menü für unsere Wochenendgäste zusammengestellt.

Wo ist das Glück und die Liebe geblieben, Christian?

Nur Dein Schweigen....

Wurde es begraben, unter der Schmutzwäsche, dreckigem Geschirr oder schmierigen Fenstern? Ist es beim Einkaufen verloren gegangen, in der Autowerkstatt oder ist es Dir beim Joggen aus der Tasche gefallen. Unbemerkt.

Weißt Du es, hmm?

Vielleicht ist es auch, weil ich älter werde. Nächstes Jahr werde ich vierzig. Oh Gott, vierzig!

Ja, ja ich weiß:

Ich sehe gut aus – für mein Alter.
Ich wirke jugendlich – für mein Alter.
Ich habe eine gute Figur – für mein Alter.

Für mein Alter....

Weiß Du was? Männer haben es da doch einfacher! Sie glauben, sie werden attraktiver und interessanter, wenn sie „reifer“ werden. Stimmst nicht, Chris? Männer altern nicht.
Deswegen können sie es sich beispielsweise leisten, gutaussehenden, leicht bekleideten jungen Frauen nachzu- starren. Selbst dann noch, wenn die eigene Ehefrau daneben sitzt.

Nicht wahr?

Du antwortest nicht.

Bloß, weißt Du: ich bin nicht so alt, dass ich blind oder senil wäre. Oh nein! Aber, dass ist jetzt eh egal.

Dafür werden Männer irgendwie... empfindlicher. Glaube ich jedenfalls.

Man kann kaum ein Wort sagen, ohne, dass sie eingeschnappt sind.

Ja – ja – ja! Ich weiß, ich weiß, Christian!

Du kannst es nicht mehr hören:

Klapp den Klodeckel runter...

Mach die Bartstoppeln aus dem Waschbecken weg...

Lass kein dreckiges Geschirr rumstehen....

Tu Deine Dreckwäsche in den Korb...

Du kannst es nicht mehr hören.

Ich kann es nicht ertragen...

Und dann unser letzter Streit. So banal!

„Häng das nasse Handtuch auf“ sagte ich, „ oder es....

Und Du?

Du bist mir ins Wort gefallen, hast gebrüllt: „Lass mich doch mit dem Scheiß endlich in Ruhe! Du nervst nur noch.!!“

Tür knallen, rein ins Auto – und weg warst Du.

Das war`s dann, was Christian?

Du bist so kalt.

Ohhh – ich werde mir wohl ein anderes Auto zulegen müssen. Naja, der andere Wagen war mir sowieso zu unübersichtlich, weißt Du?

Da! Die Anderen kommen. Ich kann sie hören.

Zeit, zu gehen.

Ich wollet Dir noch einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Das hier ist wohl unser letzter „gemeinsamer Auftritt“ - oder vielleicht doch nicht?

Ich halte es nicht aus, so neben Dir zu stehen.

Du bist so still.

Noch eines: ich wünschte, ich hätte Dich an einen Stuhl gefesselt, bis wir wieder ein gutes Gespräch miteinander geführt hätten. Ich wünschte, ich hätte Dich gezwungen, mit mir zu schlafen, bis es Dir wieder Spaß
gemacht hätte. Ich wünschte, ich hätte Dir nach unserem Streit die Wut einfach weggeküsst. Ich wünschte, ich hätte nicht zugelassen, dass der Alltag unser Glück verschlingt.

Ich dachte, wir sind unverwundbar - anders als die Anderen.

Ich habe mich geirrt...

Alles, was ich wollte, war, Dich zu lieben und mit Dir alt zu werden.

Wie konnte ich so dumm sein, das auch nur einen Augenblick zu vergessen? Ich habe mich geirrt, als ich sagte, dass ich Dich nicht mehr liebe. Geirrt...

Und ich will Deine Hand nicht loslassen – aber ich muss es tun.

Also; leb wohl.

Ich hoffe wirklich, dass wir uns wieder sehen.

Und keine Angst: ich werde gut auf Lea aufpassen.

Ich werde versuchen müssen, ihr Vater u n d Mutter zu sein – jetzt, wo Du tot bist...

 

Hallo Bine!

Herzlich Willkommen! :)

Ná, Du hast mich ja ganz schön hinters Licht geführt mit Deinem Text!
Die Gedanken, wie sie kommen, Erinnerungen, Trauer, kaum ein leichter Vorwurf... ich finde du hast das sehr gut geschildert. Und der Schluss kommt überraschend, das finde ich auch gelungen, keine exposion zwar, aber gelungen. Man merkt wohl oft erst, wie sehr man etwas vgermisst, wenn man es nicht mehr hat, wie sehr amn etwas wünscht, wie sehr man die Fäden selbst in der Hand hatte.

schöne Grüße, Anne :)

 

Hallo Bine,

eine gut geschriebene beeindruckende Abrechnung eines Ehelebens. Das Ende hat mich überrascht, denn sein Schweigen hab ich so gedeutet gehabt, wie du es auch wohl gemeint hast, er hat sich aus der Beziehung gestohlen, erst bewußt durch Schweigen, dann eben, da kommt die Überraschung mit hinein, durch seinen Tod, der ihn dann wohl eher unfreiwillig erwischt hat.
Vielleicht hätte ich die Protagonisten dazu noch ein paar bittere Bemerkungen machenlassen. So in der Art, dass sein Schweigen nun ja fortgesetzt wird, wenn auch vielleicht unfreiwillig, aber doch in seinem Sinne, denn nun ist kein vorwerfbares Schweigen mehr.

Manche Stellen fand ich ein wenig platt oder besser gesagt, etwas unausgegoren. Z.B.
"Weiß Du was? Männer haben es da doch einfacher! Sie glauben, sie werden attraktiver und interessanter, wenn sie „reifer“ werden. Stimmst nicht, Chris? Männer altern nicht.
Deswegen können sie es sich beispielsweise leisten, gutaussehenden, leicht bekleideten jungen Frauen nachzu- starren. Selbst dann noch, wenn die eigene Ehefrau daneben sitzt."
Das klingt etwas klischeehaft, nichts Neues also. Diese Protagonistin wirkt am Anfang sehr souverän, so als verfalle sie nicht in die ewig gleichlautenden Anklagen, aber dieser Absatz macht sie wieder gleich mit dem Durchschnitt. Sie könnte da feiner dosiert, feiner pointiert drüber klagen oder vielleicht sogar gar nicht klagen?

Mit diesem Absatz komme ich inhaltlich gar nicht klar:
"Noch eines: ich wünschte, ich hätte Dich an einen Stuhl gefesselt, bis wir wieder ein gutes Gespräch miteinander geführt hätten. Ich wünschte, ich hätte Dich gezwungen, mit mir zu schlafen, bis es Dir wieder Spaß
gemacht hätte. Ich wünschte, ich hätte Dir nach unserem Streit die Wut einfach weggeküsst. Ich wünschte, ich hätte nicht zugelassen, dass der Alltag unser Glück verschlingt."

Zwar, das bescheinige ich dir gerne, ungewöhnliche Idee, aber alle doch komplett untauglich, und keineswegs von der Kenntnis getragen, dass dann alles anders und damit besser geworden wäre. Ich war an dieser Stelle von der Protagonistin herbe enttäuscht, weil sie mit dieser Aussage eigentlich nur provoziert, aber nichts in die richtige Richtung bewegt. Schade....

Aber ansonsten, dies soll hier keineswegs untergehen in all meiner Kritik, die du mir hoffentlich nicht übel nimmst: prima Text.Gut gemacht!!! :)


Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Bine,

deine Geschichte hat mich dazu gebracht, sie bis zum Ende zu lesen.
Sie hat mich auch in die Irre geführt. Da habe ich mich also geirrt.

Und die Protagonistin hat sich geirrt. Aber nicht nur da, wo sie es selbst behauptet, sondern - und das ist für mich der interessante Aspekt - in den Vorstellungen, die sie sich von ihrer Beziehung macht.
Insofern hat sich der Titel dreimal bewahrheitet. Gut!

Gestolpert bin ich über die Phrase "Keine Antwort", weil ich damit sofort einen außenstehenden Erzähler assoziierte, den es nicht gibt.

Grüße
Zauberlehrling

 

Hallo bine,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen, erst die Andeutungen, dann kristallisiert sich langsam der Lebenslauf mit verbindenden Elementen und trennenden Aspekten heraus. Dann die brutale Wahrheit, ein Geschehen im Angesicht des Todes nicht mehr rückgängig machen zu können.
Es bleibt nur noch ein ungehörtes Versprechen und das Wagnis Zukunft...

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Leute,

vielen Dank, daß Einige von Euch meine Geschichte beachtet haben und sogar ihren Komentar abgegeben haben. Ich habe mich sehr gefreut! Ich bin neu hier, und weiß nicht genau, wie ich mich jetzt verhalten soll? Gehe ich jetzt auf die einzelnen Kritiken ein -oder was? In jedem Fall freue ich mich sehr, daß diese Erzählung gelesen wurde.
Ich weiß, sie ist klischeehaft - aber wir leben das Klischee: jeden Tag.
Danke noch einmal, für Eure ehrliche Meinung

Grüße von Bine

 

Hallo Bine,
es gibt keine festen Regeln, was du nun tun sollst.
Es steht dir frei, auf die Kritiken im einzelnen oder gesamt einzugehen oder zu schweigen.
Es kommt stets darauf an, was du erreichen möchtest.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo bine,

du hast erst einen Streit vorgetäuscht, um dann aber mit dem Tod zu überraschen, das fand ich sehr gelungen!
Mach weiter so!

Mad Hatter

 

hi bine,
also - irgendwie war mir beim ersten "schweigen" klar (besonders aber, als sie ihm das bild daliess), dass der mann tot ist. keine ahnung, aber es hätte gepasst.
das andere ist - so, wie du die anklagen geschrieben hast .. na ja, schreckliche frau! eine nervtötende göre *hehe*. sie hat überhaupt keine hemmungen, ihre erwartungshaltung zu demonstrieren - und zu zeigen, wie bitterlich enttäuscht sie ist - anklagen ohne ernsthafte problemuntersuchung.
also - klartext - diese geschichte, monolog - ist dir absolut gelungen. als eigentliche geschichte ist es aber nicht so toll. nicht wirklich eine herausforderung. zu einfach gestrickt!
dass es klischeehaft ist - sehe ich, so wie du es siehst! es darf ruhig klischeehaft sein - klischee ist das leben! es ist nur immer die frage, ob durch das verwendete klische der leser das gefühl bekommt, etwas altbekanntes zu lesen, wodurch er dann seine lese-motivation verliert. ich denke aber, das ist in deiner geschichte nicht gegeben, denn ich, einer deiner leser, habe deine geschichte zügig und gebannt durchgelesen.

ein stilfehler:

Keine Antwort.

ersetze den punkt mit einem fragezeichen.

darüber musste ich herzhaft lachen:

Für Dich – nicht für mich. Ich ging leer aus. Aber wenigstens habe ich in dieser Zeit das Menü für unsere Wochenendgäste zusammengestellt.

fazit: einfache aber sehr lebendige geschichte.

deine Geschichte hat mich dazu gebracht, sie bis zum Ende zu lesen.

au backe zauberlehrling *hehe*

bis dann
barde

p.s.

Ich wünschte, ich hätte Dich gezwungen, mit mir zu schlafen, bis es Dir wieder Spaß gemacht hätte.

:whip: :rotfl:

 

Hallo Bine.
Ein teilweise gelungenes Szenario einer Ehe, die erst scheiterte, an ihren nicht erfüllbaren Wünschen, und dann "natürlich" geschieden wurde.
Der Plot ist gut und unerwartet.
Aaaber...wenn Du die vielen leerstellen mit IHREN Handlungen und Reaktionen auf sein Schweigen noch ausfüllen würdest und das ganze damit rein optisch auch noch straffen könntest, wäre die Story perfekt.

habs aber gerne gelesen.

Lord;) :D

 

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