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Ich glaub' ich spinne
So wie an vielen Abenden im Jahr nahm Sammy an seinem Tisch auf der Bühne Platz. Er genoss den Beifall zu seiner Begrüßung. Er präsentierte seine Geschichten, las und erzählte von sich und „seinen Erlebnissen“. Jeder Geschichte, jedem Gag folgte ein Lacher oder auch Beifall unmittelbar. Sofort und an der richtigen Stelle reagierte das Publikum. Es hing förmlich an den Lippen des Künstlers und saugte seine Geschichten auf.
Plötzlich ein leises Raunen im Saal, eher vorn als hinten – nur so! Noch merkte Sammy nichts. Aber beim nächsten Gag blieb es fast ruhig, das Publikum lachte leise an der falschen Stelle. Er war irritiert. Vorne Ruhe hinten verhaltener Beifall – etwas stimmte nicht. Sammy setzte sein Programm fort als habe er nichts bemerkt.
„Die Zuhörer in den vorderen Reihen haben keinen Blickkontakt mehr zu mir, sie starren auf meine Beine oder wohin? Sie reagieren nicht auf mich!, dachte Sammy. „Was ist los, ist was an mir nicht in Ordnung?“. Selten war ihm das Publikum so entglitten. Eigentlich konnte er sich überhaupt daran erinnern. Diese Gedanken schossen ihm blitzschnell durch den Kopf.
Im grellen Licht der Scheinwerfer zog eine Künstlerin, genau vor ihm ihre eigene Show ab. Sie benutze den Tisch, an dem Sammy saß. An einem „Seil“ glitt sie auf und nieder, frei schwebend in der Luft ohne Netz darunter, in Ruhe posierend, vor allem im Licht bleibend. Sie war für eine kleine Ewigkeit der Star, bekam zwar keinen Beifall, aber immer mehr Aufmerksamkeit. Aus den ersten Reihen richteten sich kaum noch Blicke auf Sammy. Sie schwebte in der Luft, erreichte fast die Tischkante, glitt wieder hinab, faszinierte allein durch ihre Anwesenheit im Scheinwerferlicht, aber vor allem durch ihre Darbietungen, das Publikum.
Sammy hatte keine Chance die Konkurrentin auf „seiner Bühne“ zu vertreiben, denn konnte sie nicht sehen, die Spinne, die sich von der Kante des Tisches, an dem saß und las an ihrem Faden auf und ab und hoch und nieder bewegte. Mehrmals wiederholte sich das Schauspiel, das die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog. Genau im Licht eines Scheinwerfers seilte sie sich ab, kam noch mal hoch, um dann doch hinunterzugleiten und vollends unsichtbar zu werden im Dunkeln unter dem Tisch auf den Boden der Bühne.
Sie war weg. Natürlich blieb auch das dem Künstler verborgen. Er war nur beruhigt als er merkte: „Jetzt achten alle wieder auf mich: „Kein Raunen an der falschen Stelle, keine Stille nach einem guten Gag“. Er hatte sein Publikum wieder im Griff und er war froh.
Erst nach der Vorstellung und in der Autogrammstunde erzählte Sammy ein Fan von, was sich von ihm unbemerkt auf der Bühne abgespielt hatte und warum ihm das Publikum für wenige Minuten entglitten war. Er nahm es scheinbar gelassen zur Kenntnis, nur ein Blitzen in seinen Augen verriet, dass dies vielleicht auch eine neue Geschichte werden könnte, die er als eine „seiner“ Geschichten präsentiert.