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Ich geh online

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01.12.2004
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Ich geh online

Für Ally, die mein Gejammer wochenlang ertragen musste.

Mein Kaffee war heiß. Noch.
Ich bewegte mich auf dem Datenstandstreifen. Der Mauszeiger zuckelte im Zeitlupentempo über den Monitor und der PC-Lautsprecher strafte mein wildes Doppelgeklicke mit knacksenden Tönen. Mein Rechner war schnell – verdammt schnell. Jedoch hatte er ein lahmes Bein: das 56K-Modem.
Mit dem Aufbau einer Seite verhielt es sich so, wie mit dem Licht der Sterne, welches eine halbe Ewigkeit braucht, um unsere Netzhaut zu treffen. Ich reiste förmlich in der Zeit zurück.
Nachdem einige interessant aussehende Hieroglyphen den Monitor bevölkerten und die Statusanzeige des Browsers meinte, die Seite wäre nun geladen, klingelte mein Handy.

»Hallo?«
»Mensch, bei dir ist ja schon ewig besetzt. Mit wem quasselst du denn nur so lange?«
»Hallo Mutti. Ich bin im Internet.«
»Schön, aber mit wem telefonierst du denn? Ich versuch schon seit anderthalb Stunden durchzukommen – immer besetzt.«
»Ja, das ist nun mal so. Wenn ich im Netz bin, kann niemand telefonieren.«
»Gibt’s denn da nicht was? Geht das denn nicht moderner? Mit RTL oder so?«
»Hmpf. Ich ruf dich wieder an, sonst wird’s zu teuer.«

Es reichte. Nie wieder Schleichfahrt. Ich wollte endlich dazugehören. Ich wollte downloaden bis der Arzt kommt. Mein Rechner kam mir vor wie aus der Steinzeit – aus Holz, die Maus musste gefüttert werden, das Netz wurde von einer Spinne gewebt.
„Schnell“ auf die Seite des größten Netzbetreibers des Landes – dem mit Abstand kompetentesten und freundlichsten Monopolisten seit Gazprom. Bevor ich noch drei weitere Tage bräuchte, um die hiesigen Angebote zu durchforsten, notierte ich mir die Hotline und rief an - nachdem ich fünf Minuten benötigte, um mich abzumelden und die Verbindung schließlich beendet worden war.

Dingdingdingding DING Knack
Keine Wartezeit. Herrlich.
»Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag. Sie sind verbunden mit dem größten, kompetentesten und freundlichsten Netzbetreiber. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Gebäck und Tee wären prima.
»Hi. Ich möchte mir gerne DSL äh, kaufen.«
»Natürlich, gern. Dafür benötige ich Ihre Telefonnummer, damit wir prüfen können, ob DSL bei Ihnen möglich ist.«
Gut, dass ich meine Nummer auswendig kann.
»Ich bitte um einen Moment Geduld, das System prüft soe… ah, da haben wir es ja. Leider ist die Qualität der Leitungen nicht für DSL ausreichend.«
Nicht ausreichend? Also ne Fünf in Leitungsgüte.
»Ach. Wieso?«
»Aber ich darf Sie beglückwünschen. Sie wohnen in einem zukunftssicheren Gebiet.«
Na endlich, Steinzeit ade.
»Bei Ihnen sind Glasfaserkabel verlegt worden. Diese sind für DSL ungeeignet.«
»Ungeeignet?«
»Nun, lassen Sie es mich so formulieren: Für Privatkunden und unsere Geschäftspolitik ungeeignet.«
»Und jetzt?«
»Wenn Sie aus dem Fenster schauen wollen?«
Ich begab mich zum Fenster und sah einige Arbeiter, die einen langen Schacht ausgehoben hatten und daumendicke Kabel verlegten.
»Wir sind soeben dabei, die unmodernen, aber für DSL benötigten Kupferkabel zu verlegen, damit Sie alsbald, schnell wie der Wind – wenn Sie mir diese Formulierung gestatten, durchs Internet sausen können.«
Die Arbeiter schütteten bereits den Graben zu und einer blickte zu mir herauf, grinste breit und streckte den Daumen in die Höhe.
»Äh…«
»Sie interessieren sich sicherlich für ein Komplettpaket.«
»Äh…«
»Ich schlage Ihnen vor, dass wir Ihnen erst einmal den günstigsten Tarif einstellen werden. Sie können später problemlos wechseln. Aber schauen Sie erst einmal, wie Ihnen dieser Tarif gefällt. Sie benötigen ein Modem, welches Sie von uns zur Verfügung gestellt bekommen und eine Netzwerkkarte. Haben Sie bereits eine Netzwerkkarte?«
»Äh…«
»Kein Problem, wir liefern einfach eine zusätzlich. Kann ja nicht schaden. Dürfte ich Ihnen noch einige Fragen stellen?«
»Nun…«
»Wo befindet sich Ihr Computer?«
»Im Büro…«
»Entschuldigen Sie vielmals, ich habe mich undeutlich ausgedrückt. Wie weit ist Ihr PC von der Telefonsteckdose entfernt?«
»Puh…« Ich rechnete den Abstand Meter für Meter zusammen. »So zirka dreißig Meter. Ungefähr aber nur.«
»Sie haben es sicher sehr geräumig.«
Ich schaute mich in meinem WG-Zimmer um.
»Wir legen ein ausreichend langes Netzwerkkabel bei. Können Sie den Anschluss selbst installieren?«
»Ich weiß nicht. Ich kenn mich da nicht so aus.«
»Wir schicken einen Techniker vorbei. Der kümmert sich um die Installation und richtet Ihren Computer für Sie ein. Selbstverständlich kostenfrei.«
»Oh, das ist ja ein Servi…«
»Wenn Sie sich jetzt bitte zur Wohnungstür begeben würden.«
Noch bevor ich die Türklinke berührt hatte, klingelte es. Ein freundlich lächelnder Postbote überreichte mir ein Päckchen und einen Brief. Ich war schon im Begriff die Tür zu schließen, da sagte mir der Mensch von der Hotline, ich solle die Tür für den Techniker, der bereits im Hausflur stand und ebenfalls freundlich griente, offen lassen.
»Guten Tag, mein Name ist Hinrichs. Ich soll hier einen DSL-Anschluss realisieren.«
Ich bat den Mann herein und er machte sich sofort ans Werk.
»Ich hoffe, Herr Hinrichs hat sich die Schuhe ausgezogen?« fragte der Hotlinemann. Ich sah auf graue Socken und bestätigte die Frage mit einem kurzen Ja.
»Ich erkläre Ihnen kurz, welche Rechte Sie bei diesem Vertrag haben.«
»Natürlich.«
»Der Vertrag ist für einen Monat verpflichtend, Sie können ihn ohne jegliche Fristen und Nennung von Gründen kündigen.«
»Toll.« Der Techniker machte sich nun an meinem Rechner zu schaffen. Schraubte ihn auf, baute eine Karte ein, schraubte ihn wieder zusammen. Klickte sich durch diverse, mir völlig unbekannte Tiefen des Betriebssystems, erwähnte kurz, dass er einen Virenscanner installiere, die Festplatte defragmentiere, unnötige Dateien lösche und einige Einstellungen vornahm, um alles noch adäquater zu machen. Wow, adäquater. Ich war begeistert.
»So, Herr Hinrichs dürfte nun fertig sein und Sie müssten bereits im Internet surfen können.«
Herr Hinrichs verabschiedete sich herzallerliebst, so dass ich ihm noch schöne Grüße für seine Frau mit auf den Weg gab und verschwand.
»Ich hoffe, wir haben den Auftrag zu Ihrer vollen Zufriedenheit ausgeführt und bei weiteren Fragen stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung. Ich übermittle Ihnen noch meine Durchwahl per E-Mail und wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Tag.«
Aus den Computerboxen ertönte ein sanftes Bing. Ich sah einen kleinen Briefumschlag blinken. Post! Ich hatte Post!
Ich war online. Und alles ging so schnell, mir wurde beinahe schwindlig.
Mein Kaffee war noch heiß.

 

Hallo flasbak,

nette Satire, die allerdings, das merkte hier schon mal wer an, nur dann funktioniert, wenn man als Leser entweder zur leidgeplagten Klientel der Internetuser gehört oder einem dieser bedauernswerten Geschöpfe nahe steht. ;)
Mir hats gefallen, sicherlich kannste dir denken wieso. :D

Und es sieht ganz so aus als käme ich zeitlich betrachtet grad zur rechten Zeit, denn der Schluss gefällt mir.Du hast ihn vermutlich grad vor ein paar Tagen geändert, nicht wahr? Er rundet die Geschichte ab, ohne affektiert zu sein. Da ich die anderen Versionen nicht kenne, kann ich nun auch keinen Vergleich anstellen. Aber es wird dir sicherlich auch genügen, wenn ich sage: mir hat deine Geschichte gut gefallen.

Lieben Gruß
lakita

 

Ja, ohne den Nachrichtensprecher gefällt mir das Ende jetzt auch! :thumbsup: :)

 

Hallo lakita!

Danke fürs Lesen und Kritteln! Und herzliches Beileid. :D

Du magst Recht haben, wenn die Geschichte nur bei Betroffenen zündet. Die Frage ist nur, wie die Gestaltung des Textes sein soll, damit jeder den inhaltlichen Kontext versteht, ohne dass die Geschichte länger wird. In der Kürze und Oberflächlichkeit liegt der Reiz - glaube ich jedenfalls.

Es freut mich, wenn dir die Geschichte gefallen hat, echt!

So, jetzt noch mal zu dir Häferl...

Danke! :kuss:

 

Hallo Flashback,
Mir hat die Geschichte gut gefallen.
Was ich ändern würde

Jedoch hatte er ein lahmes Bein: das 56K-Modem.
Jedoch hatte er ein langweilige Partnerin: Elsa, das Analog-Modem.
Mensch, bei dir ist ja schon ewig besetzt. Mit wem quasselst du denn nur so lange?«
Ich finde hier kann man noch mehr überzeichnen und auch kürzen.

Mensch, bei dir ist ja schon ewig besetzt. Hast du immer noch kein DSL. Vati und ich haben es doch auch schon so lange.

Hier rundest du die Sache super ab. :)

»Ich erkläre Ihnen kurz, welche Rechte Sie bei diesem Vertrag haben.«
»Natürlich.«
»Der Vertrag ist für einen Monat verpflichtend, Sie können ihn ohne jegliche Fristen und Nennung von Gründen kündigen.«
Voll aus dem Leben gegriffen *hehe*

Gerne gelesen
Lieben Gruß
Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame!

Danke fürs Lesen und Kritteln! Freut mich, wenn es Dir gefallen hat!

Deine Verbesserungsvorschläge werde ich mir mal genauer überlegen. Das mit dem Modem ist schon mal 'ne gute Idee. Danke dafür!


LG
flash

 

Hallo Monty!

'tschuldige die späte Reaktion aber Danke fürs Lesen und Kritteln!

aber am Schluß vermißte ich dann schmerzlich die Pointe.
Nu ja, die Geschichte muss ja nicht unbedingt 'ne Schlusspointe haben. Die Situation und die Umstände sollten lediglich persifliert werden. Deinen Vorschlag (das Ende) werde ich nicht aufgreifen. Ich hatte so etwas ähnliches schon mal an die Geschichte drangepappt - und so wirkte es dann auch. Trotzdem Danke für die Mühe.

LG
flash

 

Hallo flash

Mir gefiels. Gute Gags, stimmige Metaphern, prima Dialoge, gute Länge.
Es funzt total, der Text hat Fahrt und man staunt und wundert sich mit dem Prot.
Das i-Tüpfelchen setzt du eindeutig mit dem noch warmen Kaffee und setzst dem speed noch einen drauf.
(Absolut mein Favorit. War der schon von Anfang an drin?)

Obwohl ich die ersten Versionen nicht gelesen habe, kann ich nur sagen:
Gute Überarbeitung, Kollege.
Ist eine runde Sache und gibt nix zu Meckern. Bravo!
:thumbsup:

Lieben Gruss
./

 

Hallo dotslash!

Danke fürs Lesen!
Mensch, das nenn ich ja mal Lob. Dankeschön!

(Absolut mein Favorit. War der schon von Anfang an drin?)
Das kann ich Dir gar nicht sagen. Ich hab dauernd den Schluss verändert. *schulterzuck*


LG
flash

 

Hallo
Ich hatte gedacht, dass das Ganze in einer zerstörerischen Big Brother-Situation endet, hast ja schön draufhin gearbeitet. So richtig in den Klauen der Datenmafia oder so.
CU

 

Moin Plasticbrain!

Danke fürs Lesen!

Äh, Dir hat's also gefallen ...? ;)

Dieser Internetanbieter schafft keine BigBrother-Verhältnisse. In diesem Laden weiß doch eine Hand nicht, was die andere tut.


LG
flash

 

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