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Ich, der Dichter

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03.05.2002
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Ich, der Dichter

Herbst, noch immer ist es Herbst. So richtig nass und kalt und neblig den ganzen Tag hindurch, viel zu schlechtes Wetter um großartig rauszugehen. So sitze ich in meinem Stuhl, vor mir steht ein Tisch, mit Papier und einem Tintenfass darauf, die Feder halt ich in der Hand. Doch statt zu schreiben, statt Sätze zu erdichten, die Menschen etwas geben sollen, schweifen meine Blicke durch das Zimmer und dann zum Fenster raus.
Ich sehe unsren Waldweg. Im Sommer ist er gut befahren, doch seit Tagen schon kam kein Mensch und Tier an meinem kleinen Haus vorbei. Nicht sehr breit ist er, der Weg, gerade genug für all die Kutschen mit den reichen Männern und den schönen und nicht minder reichen Frauen drin, oder für die halb kaputten Wagen der Bauern, wenn sie zum Markttag in die Städte fahren.
Mir gegenüber, auf der andren Seite, bilden Sträucher eine Grenze zum ungezähmten Wald dahinter, der beginnt mit Sumpf und niedrigen schwächlich wirkenden Bäumchen, dann gefolgt von dickeren Ästen, aus dem Boden ragend, schließlich, halb im Nebel verborgen, uralt und schon ewig dort verharrend, Bäume, mit Stämmen breit wie ein Dutzend Männer. Es sind dies Wesen, die Jahrhunderte haben vorüberziehen sehen.
Es ist ein Bild, wie ich es schon hundertmal gesehen habe, ich kenne es gar nicht anders. Aber... irgendwie... ein Lichtschein, eine Stimmung, ein Funkeln im Nebel... ist anders, macht mich unruhig, den Grund dafür, ich kenne ihn nicht.
Ich lege die Feder auf den Tisch. Sie will herunterrollen, ich halte sie an, lehne sie ans Tintenfass. Dann stehe ich auf, immer noch aus dem Fenster blickend. Ich versuche, hinter die Bäume zu schauen, an ihnen vorbei - und schließlich, ein neues Bild, eines, das ich noch nie gesehen habe, in all den Jahren meiner Einsamkeit an diesem alten Weg.
Ein rotes Leuchten, etwas Rosa und Orange ist auch dabei - das ist das Fremde, das alles so falsch aussehen lässt. Mir ist klar, es ist die Sonne, die heute wohl besonders tief am Himmel steht, und es sieht sehr hübsch aus, aber...
Schließlich bilde ich mir ein, meine Unruhe wäre verschwunden, da ich ja nun weiß, was da so ungewöhnlich war, und ich setze mich wieder auf den Stuhl. Ich ergreife auch den Stift, ich schreibe sogar fünf Worte aufs Papier.

Rote Sonne, fern und kalt

Steht da jetzt, ganz einfach, in meiner klaren, schnörkellosen Handschrift. Dann versuche ich, mir etwas auszudenken, über dieses Thema, doch kann ich mich nicht konzentrieren. Immer wieder wende ich den Kopf und lasse meine Augen nach dem Leuchten suchen, das sich fortbewegt, je später der Tag wird, je mehr er sich dem Ende zuneigt.
Aus der Unruhe wird Ungeduld - ich kann nicht übers Leuchten schreiben, wenn es denn verschwunden ist! Aber... Ruhig! Vielleicht, vielleicht ja denke ich zuviel darüber nach? So lehn ich mich entspannt zurück, lasse die Feder über das Blatt schweben, ohne darüber nachzudenken, was am Ende herauskommen mag oder nicht.
Es werden Verse voll von Wehmut, voll von Selbsthass und von Angst. Nach dem Absetzen der Feder und dem Trocknen meiner Tinte, blau-schwarz ins Papier gebrannt, hebe ich sacht das Blatt vom Tisch, halte es ins Licht, das noch viel intensiver geworden ist, in den letzten paar Minuten. Ich kneife meine Augen zu, ein wenig, ein Spalt lässt noch das Licht hinein, und das Papier erscheint mir so als Nebel, rosafarben, mit Worten darin schwebend, die ja gar nicht dazu passen.
Seufzend lege ich das Blatt wieder zurück. Ich streiche das Gedicht durch, mit zwei langen, dünnen Strichen.
Und seufzend frag ich mich und schreib:

Warum?

Warum nur diese Traurigkeit,
Warum empfinde ich bloß so?
Woher kommt dieses einsam Leid?
Warum bin ich nie froh?

In dieser Situation, in diesen Zweifeln an mir selbst, kommt mir das Lachen über diesen einfachen, so schön naiven Reim gerade recht. Warum empfinde ich bloß so - warum bin ich nie froh? Herrlich, einfach klasse!
Ironie spricht nun aus mir - Ironie, die mich schon oft aufgeheitert hat, ohne mich jemals wirklich glücklich zu machen. Und wieder schafft sie es - bringt mich dazu, das ganze am Ende doch nicht allzu ernst zu sehen und mich andren Dingen zuzuwenden.
Ich öffne eine Schublade, lege dort das Blatt hinein. Wer weiß, vielleicht kommt irgendwann der Tag, an dem es reif ist, weitergeschrieben zu werden.
Doch nicht jetzt, nicht an diesem Abend, der nun langsam angebrochen ist. Ich gehe zur Tür, ziehe mir meinen Mantel an und verlasse mein Häuschen, beginne meinem allabendlichen Waldspaziergang, der mich immer so schön schläfrig werden lässt. Wenn ich wiederkomme, nachher, dann gehe ich früh schlafen, vielleicht träume ich ja schön, und morgen - morgen werd ich wieder an meinem Tisch sitzen, von morgens früh bis abends spät, und wieder werd ich schreiben. Zum Beispiel:

Mit etwas Glück und etwas Arbeit
Lass ich morgen Zeilen werden,
Dass die hübschen jungen Mädchen
Mich als Dichterfürst begehren.

Und mein lautes, etwas wahnsinniges Lachen hallt durch die Dunkelheit.

 

Hallo Mario,

im Allgemeinen kann ich (leider) mit poetischen Texten nicht sooo furchtbar viel anfangen, deiner hat mir aber ausgesprochen gut gefallen. Er liest sich sehr schön und flüssig, und die Wortwahl war für mich ziemlich treffsicher.

Und die Ablenkung durch die Welt da draußen, hinter dem Fenster, kenne ich nur allzu gut - schon aus der Schulzeit; wenn ich eigentlich lernen sollte, dann...

Und jetzt steht mein PC so, dass ich nicht aus dem Fenster gucken kann ... ;)

Christian

 

Hallo Christian!

Danke für die netten Worte! Hmmm... Mich lenkt nicht mein Fenster vom Lernen ab sondern mein PC! Was kann man damit nicht alles machen... viel spannendere Dinge als irgendwelche Arbeiten zu schreiben! :-)

Gruß,
Mario

 

Spannender als Schreiben???

Gibt's das?

:confused: :(

Na ja, vielleicht manchmal ...

 

Ich meinte damit nicht Geschichten schreiben sondern Hausaufgaben und Texte für's Studium die u.U. durchaus mal extrem langweilig und nervend sein können! ;-)

Äh, und das Schreiben von Geschichten ist auch ständige Ablenkung von der lästigen Pflicht.

Mario

 

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