Ich bin nicht alt.
Ich bin nicht alt, jedenfalls nicht im weitesten Sinne. Dennoch kommt es auf Grund meiner langsam grau werdenden Haarpracht, immer öfter vor, dass schockierte Teenager auf der Straße aufschreien, da sie mich für einen faltenlosen Greis halten und mir den Einkauf tragen wollen. Was auch darauf zurückzuführen ist, dass mir genau unterm rechten Nasenloch, für alle gut sichtbar, im sagen wir mal, langsam nicht mehr nach Schamhaarflaum aussehendem Bart, ein ausladendes Büschel, grauer Haare wächst. Dieses Büschel und dass kann ich aus Sichtungen bestätigen, die ich selbst getätigt habe, sieht stets danach aus, als hätte eine Taube im Anflug großer Panik, spontan ein solch fürchterliches Reizdarmsyndrom entwickelt, dass sich ihr kompletter Darmtrakt entleerte und sie mir unter fulminanter Wucht mein Gesicht dekorierte. Meist jedoch, wirkt es auch einfach nur so, als hinge mir dort eine Kombination aus gärender Milch und einer Substanz, welche man umgangssprachlich Schnodder nennt im Bart fest.
Nicht selten kommt es auch zu Verkehrsunfällen, welche sich darauf zurückführen lassen, dass sich Autofahrende wie Motten verhalten und geradewegs auf das durch Scheinwerfer strahlende, popelbremsende Ungetüm oberhalb meiner Lippenpartie zubewegen. Scheinbar besitzt dieses, durch menschliche Degeneration, hervorgerufene Monster eines Haarknäuels, solch animalische Anziehungskräfte, dass sich niemand von ihm losreißen kann. Vielleicht und das ist nicht auszuschließen, kommt dieses wuchernde Etwas auch von meiner Vitiligo, welche die seltsame Eigenschaft besitzt, mich im Sommer wie eine trächtige Milchkuh erscheinen zu lassen. Da mein Körper an den betroffenen Stellen, nicht in mitteleuropäischer Bräune erstrahlt, sondern immer so blass aussieht, als würde ich das Gewölbe meines Kellers nur bei Nacht verlassen und tagsüber einen sonnenlichtleeren Sarg, als Stätte der Ruhe nutzen. Was gegen diese These spricht, liegt nicht zuletzt daran, dass ich und das schon seit mein Gehirn in der Lage ist sich zu erinnern, konsequent auf den Verzehr von menschlichem Blut verzichte und ich des Weiteren zwar mit einem Pflock, meiner Lebenskraft beraubt werden könnte, aber dies nicht die einzige Methode ist, mich um die Ecke zu bringen.
Nichtsdestotrotz, merke ich auch an anderen Stellen, dass mein Körper langsam ein Alter erreicht, in dem man mehr und mehr von Wehwehchen heimgesucht wird. Das beste Beispiel dafür ist ein Bandscheibenvorfall, welcher sich vor ein paar Jahren klammheimlich in mein Leben schlich und dann so Einzug hielt, dass es mich buchstäblich aus den Socken klatschte. Es war ein lauer Septembertag, an dem sich meine Bewegungsabläufe so stark zurückentwickelten, dass ich schlussendlich nicht mehr im Stande gewesen bin, mir selbstständig eine Unterhose anzuziehen oder mich in Eigenleistung aufzurichten. Nun lag ich da, auf meinem Bett, nackt und auf der Seite, in einer jammernden Art kommunizierend und unter dem Gekicher meiner Mutter, bei dem Versuch mich anzukleiden. Wobei ich jenes Gekicher, im Nachgang gut verstehe, denn mein schierer Anblick war gleichzusetzen, mit dem eines Walrosses, welches sich in völliger Bewegungsunfähigkeit nur noch auf die Hüfte schlagen konnte. Leider wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieses Gefeixe, auch noch den restlichen Abend zu hören sein würde. Zum Beispiel im Krankenhaus, als ich am Kaffeeautomaten der Notaufnahme Platz nehmen wollte, nicht auf den Stuhl kam und mich in einer Art hinhockte, die man eigentlich nur aus öffentlichen Toiletten Indiens kennt. In diesem Moment wurde meine Mutter, von einem Schwall aus Endorphinen übermannt, der dazu führte, dass ihr fiepsendes, leicht spöttisches Gelächter durch alle Flure der Klinik hallte und sich ein Kanon entwickelte, der mir bewusst machen sollte, „ich fühle zwar mit dir, aber alter, sieht das dämlich aus“.
Generell muss ich sagen, hatte ich das Gefühl, dass mein Umstand an diesem Abend für eine heitere, gar ausgelassene Stimmung sorgte. Denn auch an der Apotheke, an welcher ich die mir verschriebenen Tabletten ordern wollte, stieg niemand der Mitfahrenden aus. Nein, man belustigte sich noch daran, wie ich mich mit schmerzverzerrtem Gesicht aus dem Wagen zog und dabei fast die Beifahrertür abriss. Um mich dann unter Qualen, hinkend, schon fast über den Boden kriechend, zur Arzneimittelausgabe zu schleppen. Letztendlich sah ich mich gezwungen Ortoton zu nehmen. Ein Medikament, welches ich stets verschmähte. Man sollte auch dazusagen, dass ich allgemein kein besonders großer Fan der heutigen Medikationsmethoden bin, doch als das Ortoton seine Wirkung entfaltete und mich in einem Alptraum aus Nebenwirkungen, so heftig zittern ließ, dass meine Zähne sich anhörten, als wollte ich einen Specht imitieren, der sich noch das letzte bisschen Verstand aus dem Schädel hämmerte, wurde mir auch wieder bewusst, weshalb ich sonst keine Medikamente nehme.
Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass wir hier von einem wirklich gelungenem Abend sprechen, der für viel Amüsement aller Personen sorgte, die dabei gewesen sind. Wobei ich zugeben muss, dass selbst mir ein leichtes Schmunzeln über die Lippen kam, als ich mich im Glas meiner Wohnzimmervitrine dabei beobachtete, wie ich mich auf den Boden legte, um eine Treppe aus meinem Körper zu formen, welche mir den Druck aus dem Rücken nehmen sollte.
Wie gesagt, ich bin nicht alt, jedenfalls nicht im weitesten Sinne. Doch wenn ich eines Tages alt bin, dann werde ich diese Geschichte erzählen. All den Menschen die dann Ende 20 sind und das nur um ihnen zu zeigen, wie alt man da schon sein kann.
Danke