Hallo kaBam,
Herzlich Willkommen im Forum!
Ich glaube, solche extrem kurzen Geschichten haben einen höheren Schwierigkeitsgrad als längere Kurzgeschichten. Man muss als Autor sehr präzise arbeiten, um in wenigen Sätzen rüberzubringen, was man ausdrücken möchte. Und für die Leser sind die Schwächen auffälliger, weil sie sich nicht hinter viel Text verstecken können.
Dir ist es hier ziemlich gut gelungen, mit der Geschichte eine bestimmte Idee herauszuarbeiten und dem Leser ein Gefühl des Unbehagens zu vermitteln. Ich bin zwar eigentlich ein Fan von langen Geschichten, aber in diesem Fall würde ich sagen, die Geschichte wirkt rund und du erreichst, was du damit vorhattest. Ich hab sie gern gelesen und würde mich auch freuen, wenn du mal etwas längeres präsentierst.
Trotzdem habe ich auch ein paar Diskussionspunkte und Kritik.
Erst mal ein paar Dinge zum Inhaltlichen: Das Thema ist wirklich spannend. Ich persönlich finde diese "Transhumanismus"-Vorstellungen ziemlich gruselig und der Text hat es auch geschafft, bei mir so einen leichten Grusel zu erzeugen. Aber eine richtig tiefgehende Auseinandersetzung ist in so wenigen Zeilen eben doch nicht möglich. Der Text hat durchaus das Potenzial, zum Nachdenken anzuregen, aber nachdem ich das getan habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Geschichte nicht die eigentliche Ursache für das Unbehagen erfasst hat, dafür bleibt sie zu sehr an der Oberfläche.
Die Geschichte reitet vor allem darauf herum, dass ein künstlicher Körper nicht mehr die selbe Empfindungsfähigkeit hat wie ein biologischer, dass der Protagonist die Welt nicht mehr so erlebt wie in seinen "Naturzustand". Es steckt ein wenig Technikfeindlichkeit drin, zumindest nach meinem Gefühl.
Ich bin nämlich gar nicht der Ansicht, künstliche Körperteile wären grundsätzlich abzulehnen. Prothesen gibt es ja schon sehr lange, und für Menschen mit Behinderungen wäre es ein Segen, wenn die noch besser würden, also wenn z.B. künstliche Augen und Ohren das leisten könnten, was ihre biologischen Vorbilder können.
Ich teile also die Meinung des Erzählers nicht, dass "den Schall der Umgebung vermitteln" etwas anderes ist als "Töne hören". Sinneseindrücke, die durch künstliche Organe erzeugt werden, sind doch nicht grundsätzlich weniger wertvoll, nur weil die Organe nicht aus Nerven und Blut und Gallert bestehen. Es liegt an uns selbst, den Dingen die wir wahrnehmen Bedeutung zu verleihen, nicht an den Instrumenten, mit denen wir das tun.
Aber diese Idee, dass man mit viel Technologie Alter und Tod ein Schnippchen schlagen kann, die sorgt bei mir für ein schlechtes Bauchgefühl. Dem Verfall des eigenen Körpers zuzusehen, immer gebrechlicher und hilfsbedürftiger zu werden, und schließlich der Tatsache ins Auge zu sehen, dass nach siebzig, achtzig Jahren (wenn man Glück hat) irgendwann Schluss ist, das ist zweifellos alles furchtbar. Aber deshalb zu sagen: Dann sorge ich halt um jeden Preis dafür, dass es nicht dazu kommt, das halte ich für einen Irrweg. Das hat so etwas fundamental Egoistisches. Zum einen ist es eine Weigerung, Platz für neue Generationen zu machen. Und dann wäre solche Technologie ja nicht für alle verfügbar, das würde definitiv ein Privileg der Reichen bleiben. Also während anderswo Leute eine Lebenserwartung von 50 haben, es immer noch massive Kindersterblichkeit gibt, Hungersnöte und keine anständige Behandlung für eigentlich ganz einfach zu heilende Krankheiten, da soll man einen Haufen technische Upgrades kaufen, um die eigene Existenz zu verlängern bis zum Gehtnichtmehr? Da stimmt doch etwas nicht.
Also gesellschaftlich gesehen ist das schon mal eine schlimme Vorstellung. Die Geschichte beschäftigt sich nur mit der individuellen Ebene. Aber auch da gibt es natürlich Gründe, das Ganze zu hinterfragen. Ewiges Leben und ewige Jugend sind ja ein ganz alter Menschheitstraum. Aber in den Geschichten, wo Leute das Ziel tatsächlich erreichen, schwingt eigentlich immer der Gedanke mit, dass das vielleicht gar nicht so toll ist, wie man es sich vorstellt.
Was fängt man mit all den zusätzlichen Jahren an? Für einen Wissenschaftler, der sein Leben einer bestimmten Fragestellung gewidmet hat, oder einen Künster, der das ultimative Werk schaffen will, wäre es vielleicht wirklich eine gute Sache. Aber für jemanden mit einem ganz normalen Bürojob? Will der den hundert, zweihundert Jahre lang machen? Wenn man sich nicht wirklich vorher Gedanken macht, was man mit diesem langen Leben anfangen würde, dann bezweifle ich, dass das Leben dadurch besser oder glücklicher wird. Na ja, und wieviele Menschen würden sich da wirklich intensiv Gedanken machen, anstatt sofort auf das Angebot von ewiger Jugend anzuspringen? Und wenn alles, was man erreicht hat, ein längeres Unglücklichsein ist, dann war es vielleicht keine so gute Idee.
Diese Idee, dass das Leben nicht mehr "echt" und "authentisch" wäre, ich glaube das ist eher eine Sache der persönlichen Einstellung - siehe oben. Ich würde jemandem mit einer Beinprothese auch nicht absprechen, dass er "authentisch" laufen kann. Aber so ein Leben wäre definitiv etwas anderes, und womöglich eben nicht das, was man gewollt hat.
In diesem Sinne verstehe ich die Geschichte. Ich habe es so gelesen, dass der Erzähler vor dem Spiegel steht und sich selbst betrachtet. Er ist so von sich selbst entfremdet, dass er von sich in der dritten Person spricht, als wäre sein Spiegelbild jemand anderes. Und dann wird ihm bewusst, dass er die Welt nie wieder so erleben wird, wie in der Zeit, als er jung war und noch einen biologischen Körper hatte, und dass er mit seinem jetzigen Zustand nicht glücklich ist.
Ich habe am Schluss durchaus Mitgefühl gehabt mit dem Erzähler, aber wenn ich dem begegnen würde, dann würde ich ihm sagen: Deine künstlichen Augen und Ohren und dein Festplattengedächtnis sind nicht dein Problem. Dein Problem ist, dass in deinem Leben einiges falsch gelaufen ist, und die Entscheidung, dich zum Cyborg umzubauen, war vielleicht gar nicht das Schlimmste davon. Die Frage ist nicht, ob er ein Mensch ist, sondern ob er ein menschenwürdiges Leben führt.
Versteh mich nicht falsch, ich will damit nicht sagen: Deine Geschichte ist schlecht, weil die nicht alle Gedanken enthält, die ich zu diesem Thema habe. Mit so einem kurzen Text überhaupt ans Ziel zu kommen, eine Stimmung zu erzeugen und eine Aussage zu transportieren, das ist schon eine Leistung, und solche Geschichten haben auch ihre Existenzberechtigung. Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung, etwas auf so kleinem Raum zu erzählen.
Aber na ja ... längere Texte können eben doch mehr. Die Geschichte hier ist wie ein netter Snack. Ganz okay, gut verdaulich, sogar ein bisschen gesund . Aber eine vollwertige Mahlzeit ersetzt das nicht.
Gut, soweit zum Inhaltlichen, jetzt habe ich noch ein bisschen Textkram.
Er berührt seine Wange. Ich glaube, er will sich streicheln - Aber so sehr er es auch versucht, er spürt nichts mehr.
nach einem Gedankenstrich geht es klein weiter
Die lichtempfindlichen Instrumente in seinem Auge übertragen ihm die Welt, aber ein Bild hat er schon lange nicht mehr genossen.
Hmm, "ein Bild genießen" ist eine etwas schräge Formulierung. Ich würde bei "gesehen" bleiben. Es wird ja aus dem Kontext deutlich, dass er damit mehr meint als nur den reinen physischen Vorgang, optische Informationen über die Umgebung aufzunehmen.
Selbst seine Erinnerungen, gespeichert auf einer interen Festplatte
inter
nen
Plötzlich fängt seine Lunge an zu rasen, seine Haut beginnt zu zittern, sein Kopf scheint wie zu beben.
Normalerweise spricht man davon, dass das Herz rast. Wenn es um die Lunge geht, würde man eher sagen, der Atem geht schneller. Es hört sich komisch an, von einer rasenden Lunge zu sprechen.
Das "wie" im zweiten fetten Teil muss weg. Das "scheint" sagt ja schon aus, dass es so wirkt, aber nicht unbedingt so ist, "scheint wie" ist also doppelt gemoppelt.
Er öffnet den Mund, er versucht zu schreien und flüstert, er flüstert als würde hinter leblosen Vokalen noch etwas schlummern: "Ich bin ein Mensch."
Hmm, das ist wirklich ein bisschen dick aufgetragen, und "leblose Vokale" ist auch eine etwas merkwürdige Umschreibung dafür dass er spricht. Ich denke, du findest noch eine bessere Formulierung für die Aussage, dass da noch "mehr" ist als nur ein maschineller Vorgang, also dass er noch etwas empfindet.
Dann fällt das Bild zu Boden und zerspringt.
Also ich weiß ja nicht, wie Fotos in Zukunft entwickelt werden, aber bei denen, die wir kennen, kann das Bild nicht zerspringen, höchstens der Rahmen und das Glas davor ...
Grüße von Perdita