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Ian
Nein, das kann nicht war sein.
Zitternd glitten meine Finger über den eiskalten Oberkörper, mein Atem ging stoßweise und in meinem Kopf spürte ich ein schmerzliches Pochen.
Das blasse Gesicht war leicht zur Seite geneigt und seine starren Augen blickten ins Leere.
Mit einem tränenüberströmten Gesicht blickte ich auf den toten Körper vor mir,
den Körper meines Bruders.
Seine Uhr hatte aufgehört zu ticken.
Die Zeiger waren auf punkt 12 Uhr stehen geblieben,
ich schluckte.
Es war absurd.
Warum hatte er es getan ... einfach sein Leben weggeschmissen.
Schluchzend fiel ich neben dem Bett zusammen.
Warum Ian, warum nur?
Tränen kullerten über mein Gesicht und ich versuchte sie hastig wegzuwischen,
doch meine Finger zitterten wie Espenlaub.
Ich biss mir auf die Lippe und schaute schnell auf den Boden.
Da erkannte ich neben mir einen kleinen Schatten.
Vorsichtig blickte ich auf.
Neben meinem Kopf baumelte ein Armband von Ians Arm.
Erschrocken sprang ich auf, da erkannte ich es.
"Siehst du es Annie, ist es nicht wunderschön?", lachend hält Ian es gegen die Sonne, trotzig blicke ich ihn an.
"Ich will auch so eins!", er schaute lächelnd zu mir herunter und flüstert leise:" Du kannst es haben,dann, wenn ich es nicht mehr brauche ..."
Verwirrt schaue ich ihn an.
An dem Lederbändchen hing ein silberner, mir Rosenranken verzierter Anhänger.
Langsam beugte ich mich runter und hob seinen Arm hoch.
Das Armband löste sich und ich geschickt fing es auf.
Ein kurzer Windstoß fegte durch das Fenster und durchwuschelte seine schwarzen Haare.
"Ian...", flüsterte ich," Wie konntest du nur?..."
Langsam hob ich die Hand und strich über seinen Kopf, dann legt ich sie auf seine Brust und lehnte mich vor.
Kurz über seinem Kopf hielt ich eine Sekunde inne, doch dann gab ich ihm einen kurzen Kuss auf die Stirn und stand auf.
An der Tür pochte es.
Tränen kam mir hoch.
Ich versuchte mich zu wehren, gegen die Flut aus Tränen zu kämpfen, die in mir hochkam.
"Annie? Kommst du?"
Ich stockte.
Die Tür wurde aufgestoßen und eine hagere, blonde Frau kam reingestürzt.
"Annie..."
Sie wollte sich mir schluchzend ind die Arme werfen, doch ich stieß sie zurück.
"Du bist Schuld, du und ihr alle!", ich warf ihr einen zornigen Blick zu.
Verdattert schaute sie mich an,
meine Stimmte hatte ein Flüstern angenommen, " ja Mom, ihr... mit eurem Unwissen, ... eurer Interessenlosigkeit...
Ihr habt ihn und seine Krankheit nie ernst genommen.
Sonst wäre all dies nie passiert."
Ich stürmte aus dem Zimmer, kurz hinter der Tür hielt ich inne und blickte mich um.
"Ohne euch hätte er nie diese Qualen leiden müssen, genauso wie ich jetzt.
Warum mussten wir euch auch als Eltern haben.
Andere Leute hätten es akzeptiert und ihn operieren lassen ..."
Ich drehe mich um und renne durch den kahlen, ekelhaft reinen Flur
Bilder fliegen mir entgegen.
Ian schluchzend an der Tür vor meinem Zimmer,
er streckt seine fein gegliederte Hand nach mir aus.
Ich schubse ihn zurück, will ihn nicht sehen.
Es war eine Lüge...
"Hilf mir Annie, bitte ich kann das nicht..."
Ich starre ihn an, er ist abnormal, warum habe ich zu ihm gehalten...
Wimmernd sieht er zu mir.
Mein ganzes Leben...
"Ich will das nicht..."
Ich ignoriere ihn, will ihn nicht hören.
Es war nie Moms Schuld gewesen...
Ich drehe mich um und sehe ihm in die Augen,
dann schreie ich ihn an:"Du hast es verdient so ein Leben zu führen
und weißt du was, das geht mir am A**** vorbei und ich will dich nie wieder sehen, für mich bist du gestorben. Ich will endlich mein eigenes Leben führen, immer musste ich für dich da sein, immer! Ich habs satt!!!."
Er schaut mir in die Augen und erst dann merke ich die Veränderung in seinem Gesicht.
Wie der Lebensmut verschwindet, der sich Tag für Tag zusammengezogen hatte,
wie die Grünchen an seinem Mund verblassen.
Ich will seine Hand nehmen, ihn umarmen.
Warum...
...tuhe ich nichts.
Es ist nicht Mom Schuld,
nein.
Es ist meine...
Mit tränengefüllten Augen bleibe ich an einer Bank stehen.
Niemand ist hier.
Vorsichtig greife ich in meine Hosentasche und hole das Armband heraus.
In den warmen Sonnenstrahlen leuchtet der silberne Anhänger auf und ein kleiner Spalt wird sichtbar.
Hastig schiebe ich die Spitzen meiner Daumen dazwischen, aus lauter Angst, er könnte verschwinden.
Mit wenig Kraft stemme ich den Anhänger auf.
Drinnen liegt eine kleine, hölzerne Taube.