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I took the last train home
Es war nicht immer einfach, das muss ich zugeben. Trotzdem werde ich das Alles irgendwie vermissen.
Ein letztes mal drehe ich eine Runde durch meine kleine Wohnung. Die Räume sind leer und weiß. Das Licht von draußen macht die Staubkörner in der Luft deutlich sichtbar, wie sie seelenruhig auf und ab schweben. Ich streiche über die Plane, mit der ich die alte Kommode bedeckt habe. Sie war schon hier gewesen als ich hier eingezogen bin, also habe ich beschlossen sie auch hier zu lassen.
Ich drehe den Schlüssel im Schloss, atme tief durch, drehe mich um, nehme den Griff meines Koffers und wende mich den Stiegen zu. Der Lift ist außer Betrieb. Wieder einmal, aber für mich zum letzten Mal.
Der Wind, der mir entgegenbläst, als ich zur Tür hinausgehe ist kalt. Kein Wunder, immerhin ist es Mitte Dezember. In einem Anflug von Melancholie blicke ich nochmal die Fassade meines alten Hauses entlang. So unaufregend diese glatte Nachkriegsarchitektur auf die meisten wirken mag, ich habe hinter diesen Mauern meine Jugend verbracht, ich habe in diesen Räumen geliebt und getrauert. Letzteres vor allem, als mir meine Mutter genommen wurden.
In der U-Bahn ignoriere ich die lachenden, mit Punsch angefüllten Menschen und versinke in Gedanken. Ich falle in ein Loch, dass ich all die Jahre zuvor versucht hatte zu verschütten und beginne zurückzudenken.
Ich habe kaum noch Erinnerungen an meine Kindheit. Die Ärzte hier in Wien attestierten, dass das die Ursache eines Art Schock oder Trauma ist. Dennoch gibt es da einige Dinge, die mir in Erinnerung geblieben sind. Die Überfahrt zum Beispiel. Ich erinnere mich, wie wir in See stachen. An eine verängstigte aber hoffnungsvolle Mutter, die mich in ein dünnes Tuch gewickelt im Arm wiegte. Dann die Wellen, Rufe und Gebete, Weinen, Verzweiflungsschreie. Die Menschen, die sich auf dem Schlauchboot nicht halten konnten und die ich nie wiedersehen würde. Dann schließlich an ein großes Schiff. Ich verstand damals noch nicht viel von der Welt, noch nicht einmal meine eigene Muttersprache, nichtsdestotrotz hat sich die blaue Fahne mit den zwölf gelben Sternen in meinen Kopf eingebrannt. Als ein Zeichen der Hoffnung und der Rettung.
Dann ist da noch der Marsch. Meine Mutter hat mir immer erzählt, wir wären erst in einem Lager gewesen, seien dann aber weitergezogen, wegen der schlechten Zustände. Außer der Kälte und dem Hunger ist da noch etwas anderes. Ich sollte später erfahren, dass wir in Kroatien waren, als diese Sache passierte. Wir waren eine kleine Gruppe. Ein junger Erwachsener hatte sich an die Spitze unsere Gruppe gesetzt und wollte den Weg suchen.
Ich erinnere mich gut an seine braunen Augen und sein breites, freundliches Lächeln als er mir einmal direkt ins Gesicht schaute.
Wir anderen waren müde und fielen immer weiter zurück. Dann passierte es. Ein Knall der wie eine Faust gegen meine Trommelfelle donnerte. Die Luft vibrierte und die Zeit blieb stehen. Um mich herum fielen alle auf den Boden. Einige fingen an sich hysterisch am Boden zu wälzen. Ich soll zu dem Zeitpunkt starr wie eine Salzsäule gewesen sein. Mein Trauma, wie die Ärzte später sagten. Wir blieben an dem Fleck an dem wir waren, bis andere Menschen kamen und uns halfen. Nur sie kannten den Weg aus dem Minenfeld.
Danach klafft wieder ein großes Loch. Meine Mutter sagte immer, ich wäre für die nächsten Wochen Stumm gewesen und hätte mich nicht bewegt. Hilfe hat sie keine bekommen, also ist sie alleine dorthin gegangen, wo sie sich welche erwartete. Ihr deklariertes Ziel war Deutschland.
Angekommen ist sie dann im deutschsprachigen Österreich. Kurz bevor der Grenzzaun gebaut worden war und die Quote eingeführt wurde. Wir wurden gut versorgt, bekamen eine Plane über unsere Köpfe, für die wir mehr als dankbar waren. Schließlich, als die Ärzte auf mich aufmerksam wurden, konnten wir nach Wien in ein Krankenhaus. Ich war damals drei Jahre alt.
Genau betrachtet gab es keinen Grund, warum ich kein Österreicher hätte sein sollen. In den folgenden Jahren als ich aufwuchs, in die Volksschule ging und schließlich ein Gymnasium besuchen konnte, lernte ich fließendes und perfektes Wienerisch. Ich war Muslim, ging aber nur beten, weil ich mich in der Gemeinschaft wohl fühlte und mir die friedlichen, religiösen Lehren Halt gaben. Freunde hatte ich viele. Als ich schließlich meine Matura ablegte und auf die Uni ging, schien alles perfekt. Meine Mutter hatte schon seit meiner Volksschulzeit eine Anstellung in einem türkischen Supermarkt gehabt. Deutsch zu lernen bereitete ihr große Probleme, aber sie bemühte sich und verbesserte sich stetig. Ich wurde zwanzig und hatte gerade meine Zeit beim Bundesheer vollendet, als sich das Schicksal entschloss, mir nochmal so richtig einzuschenken.
Wir hatte es uns zum Ritual gemacht, den Nationalfeiertag mit einem Festessen zu begehen. Wir sahen es als ein kleines Dankeschön für das Land, das uns so gut aufgenommen hatte. Meine Mutter holte das Fleisch erst am Abend. Die Polizei konnte, oder wollte, mir den Vorgang nicht genau schildern. Fest stand: eine Gruppe Jugendlicher, wahrscheinlich Mitglieder einer chauvinistischen Burschenschaft, wie die Behörde mir gegenüber betonte, sahen das Kopftuch und zogen ihre Schlüsse daraus. Den restlichen Nationalfeiertag verbrachte ich im Krankenhaus, um am nächsten Morgen zu erfahren, dass sie ihren Verletzungen erlegen war.
Ein Student als Waise in Wien. Ich begann mich zusehends zurückzuziehen. Meine Freundin verließ ich. Ich war am Boden zerstört. Meine Mutter hatte mir einen Brief geschrieben.
In dem stand, was ich schon wusste, etwa dass mein Vater „zuhause“ in Syrien geblieben war. Es war ein Luftangriff der mich heimat- und vaterlos machte.
Aber sie schrieb auch wovon ich noch nicht wusste. Immer schon, so las ich, hätte sie zurück gewollt um wieder aufzubauen, was aufzubauen ist. Mir hatte sie es nie gesagt, weil sie nicht davon ausgegangen sei, dass ich mitgekommen wäre. Ich sei ja schließlich ein Österreicher, speziell Wiener, wie er im Buche stehe.
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Zwei Jahre nach diesem Vorfall ließ ich eine Teeschale zu bruch gehen, als ich die Nachrichten hörte. Der Krieg ist aus! Es ist vorbei!
Was mich dann schlussendlich dazu gedrängt hat, hier alles hinter mir zu lassen, weiß ich noch nicht so recht. Meine Heimat ist Wien. Ich liebe die närrischen Zänkereien zwischen den Bezirken und die Lust am Stänkern. Religion ist für mich Nebensache und wenn, dann rufe ich Gott und nicht Gott mich.
Die Vorstellung in eine fremde Heimat zu fahren, kommt mir komisch vor und ein ungutes Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Meine Zukunft ist ein weißes, unbeschriebenes Blatt.
Es muss ja nicht für immer sein,
denke ich mir und packe meinen Koffer.
Ich trete aus dem Zug und auf den Bahnsteig. Durch den Bahnhof, zum Airport-Shuttle.
Nach zwei Stunden sitze ich in einem Flugzeug, in ein fernes Land. Ich lasse alles hinter mir, um Leuten zu helfen, die mir in jeder Hinsicht fremd sind.
Aber Moment,
schießt es mir durch den Kopf,
das ist ja genau das, was die Österreicher denken mussten als ich kam.