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i n t e r m e z z o - ein traum
i n t e r m e z z o
Ich träumte. Eine rote Kappelle inmitten eines Waldes, dunkel das Laub, blendend hell das Dach aus Schnee. Ja, ich glaube, es war aus Schnee und Eiszapfen hingen von den kargen Bäumen, so dass wir aufpassen mussten, sie nicht zu berühren, um sie nicht abzubrechen. Vielleicht wären wir dann aufgewacht, und wir wollten nicht aufwachen, auch die Zwölf vor mir sollten nicht aufwachen.
Ich sehe es jetzt wieder sehr detailliert vor mir, der Wald, die Kapelle und eine Orgel, eine Orgel, die über unseren Köpfen schwebte.
Die Leute, die bei mir waren - ich kannte sie nicht. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen, es waren merkwürdige Menschen, verwirrten Blickes beobachteten sie mich, ihre Augen waren schwarz, keine Pupillen. Sie krochen auf dem Waldboden und rochen umher. Sie würden nach Erkenntnis suchen, nach ihren Masken, antworteten sie mir. Ihre Stimmen waren alle miteinander vereint, sprach einer von ihnen, sprachen alle, ein Chor, verzerrt, leise, und ich wusste nicht, ob ich die Stimmen eher als lieblich oder boshaft, hämisch einstufen sollte.
Ich konnte in dem Traum fliegen, ich flog über die Fremden hinweg, hinein in die rote Kapelle. Sie fiel im Inneren nach vorne weg, sodass der Altar in einer Vertiefung, einer Grube stand. Ich schwebte nun vorsichtig zu dem Altar hinüber, wollte ihn berühren, ein sehnlicher Kindheitswunsch, einmal einen Altar zu berühren, so tat ich es. Glatt, kalt, die Berührung schmerzte, ich verkrampfte, plötzlich zerfiel er, Schnee, der Altar bestand aus Schnee und ich wich zurück. Der Schnee schmolz innerhalb von Sekunden, eine kleine Pfütze blieb zurück, die vor meinen Augen zu verdunsteten begann und einen dichten Nebel erzeugte, der sich in der Kapelle ausbreitete, bis ich nichts mehr sehen konnte. Ich stand eine Weile reglos da, wartend, dass der Nebel sich auflöste, wartete, wartete, hatte Angst.
Angst, wovor?, wo die Angst? Nun, ich konnte doch nichts sehen, nichts erkennen und plötzlich war mir, als wäre ich nicht mehr allein in der Kapelle, als wären die merkwürdigen Menschen aus dem Wald hier, die Fremden, standen vielleicht schon hinter mir, berührten mich vorsichtig, fest, strichen über mich hinweg, wie Geister, die ich immer sah, außerhalb meiner Träume.
"... Mohamed, mein Freund, es ist Zeit der Welt die Wahrheit zu sagen ... -" Ein Fragment.
Jetzt, unmittelbar, ganz nah. Musik. Ich träumte, schnelle hektische Musik, Tanzmusik, dumpfe Bässe, eine weibliche Stimme sang, die hohe Stimme, Sopran, Intermezzo, kurze rhythmische Musikstöße, immer kürzer werdende Intervalle, mein Körper, vibrierend.
"... wir beide wissen, es war eine Frau, damals in Bethlehem ... -", wie eine Rückblende.
Der Nebel löste sich auf, grell buntes Licht an meinen empfindlichen Augen. Sie sprangen und zuckten, die Figuren bei mir, viele Menschen, Unbekannte, sie tanzten, schrieen, viele waren nicht bekleidetet, nackt, ich sah an mir herunter, nackt, schockierend, stellte aber auch fest, dass ich wieder jung war, um mindestens 370 Jahre jünger.
"... und an diesem tragischen Tag, als sie gekreuzigt wurde, trug sie Shiseido-Rot, und wir tranken Tee an ihrer Seite ... -" Einatmen, ausatmen, frostig, dünn, sauerstoffreich.
Verwirrt, geschockt, zitternd, frierend, mich in der Kapelle umblickend, die Decke, ich konnte sie nicht sehen, es gab kein Dach, ein klaffendes Loch an der Decke, ich befand mich jetzt in einer Art Turm, ein hoher Turm, und von oben rieselte Schnee hindurch, doch die einzelnen Flocken verglühten, bevor sie mich und die Tanzenden erreichten.
"... Moses, ich weiß, du sahst die Pyramiden, aber du hast sie nie gesehen, denn es waren nur Visionen ... -", mir war schwindelnd, als kehrte ich zurück in längst vergangene Zeiten, und ich spürte, mein Körper löst sich auf, wie Rauch, wie Gas, süßlich duftend sich unter die Tanzenden mischend, den Schneeflocken ausweichend. Als ich den Unfall hatte, schneite es auch, ich war einige Jahrhunderte in Judäa gewesen, machte mich dann auf nach Indien, in Nirwana suchte ich nach Antworten, die sich bei meinen Gesprächen mit Siddartha ergeben hatten, gelangte nach Mekka, ging über Gehhenna, als ich dann in Bethlehem den Unfall hatte. Unschicklich.
Es schneite auch damals, es waren dickere Flocken als jetzt. Niemand hat mir geholfen, sie standen um mich herum, gedrängt und gaffend, viele mich bewachend, bis ich erfror, bis ich dann erfror.
"... Ushery, Ushery, Ushery, und wenn ich meine Kräcker verliere, werft mich in die hohe Welle ... -"
Ich träumte, die hohe Stimme, Sopran, Intermezzo? Der große Park, ein Garten, dunkler Rasen, kühler Regen, viele Blumen, knorrige Bäume, ich durchquere ihn. Menschen sprachen mit mir, in ihren Augen die Hinterlistigkeit einer Schlange, wollten mit mir tanzen, wollten mich berühren, mich verführen, mich beeindrucken. Sie prahlten damit, was sie haben, was sie besitzen, was sie sahen. Sie sagten, sie hätten das Feuer gesehen, das große Feuer, brennend, heiß, stürmisch, drängelnd, ich sagte, sie hätten zwar Feuer gesehen, jedoch nicht das Feuer, denn ich sah Vulkane spucken, lebte in Pompeji, Zerstörung und Untergang, Atlantis existierte nie. Ich kann mich nicht erinnern, was dann geschah, mein Zimmer, Moskitosummen, ich wachte auf, vergaß meine Träume. Es war dunkel, ein großes Flügelfenster hatte ich geöffnet, bevor ich zu Bett ging, denn ich wollte die Kühle der Sommernacht nutzen, denn wenn die Sonne des Tages wieder hoch stand, würde ich schwitzen müssen, wenn ich bei der Arbeit am Schreibtisch saß. Ich schlug die Bettdecke zurück, die Kühle drang an meine verschwitzte Haut, ich tastend nach dem Lichtschalter, diffuses Licht, schwindelnd, Schritt für Schritt, heiß der Boden, weich und feucht, ich öffnete das Fenster, klar die Nacht, die Wiesen dunkelblau und ausgetrocknet, als ich in der Ferne die Schemen einer Gestalt sah, die schwarz und unbeweglich verharrend nur einige hundert Fuß von meinem Fenster stand. Ich spürte den Boden unter meinen Füßen nicht mehr, sah hinab, ich schwebte, blickte zurück in den Raum, doch er war leer, mein Bett, der Schrank, die Stühle, die Bilder an den Wänden waren verschwunden. Ich stürzte in Richtung Tür, doch je näher ich auf die Tür zuging, desto kleiner wurde sie, bis sie schließlich auf die Größe einer Zündholzschachtel geschrumpft war und dann mit der Wand verschmolz. Nun bot mir lediglich das Fenster die Möglichkeit zur Flucht. Als ich darauf zutrat, stand die Gestalt, die ich in der Ferne sah, direkt vor mir, den Kopf gesenkt, mit einer Kapuze verhüllt, und so riss ich ... -
Nein, ich träumte. Ich träumte vor langer Zeit, ein Hügel, Menschenmassen, Fackeln in der Dunkelheit, in der Ferne eine Festung, weiter rechts die Dächer und Türme einer Stadt, eine mächtige Stadtmauer schützte sie, ich lag am Boden, Soldaten über mir gebeugt ... -
Die Stimme, weiblich, ich hörte die geliebte Stimme, Sopran, Intermezzo. Glasklar und gefestigt zischten die hoch gesungenen Wortmusikfetzen um mich herum, überschlugen sich über mir und zerbrachen in der Nacht, die Stimme so zerbrechlich, doch sicher, erfahren. Im Inneren der Kapelle: Ich sah jetzt die feinen Verzierungen des Innendaches, mit schweren Farben gemalte Motive von Engeln, Heiligen, altertümlich und befremdend.
"... Mohamed, mein Freund, es ist Zeit, der Welt die Wahrheit zu sagen ... -"
Vor mir sprangen und zuckten Menschen umher, viele Menschen, Unbekannte, sie tanzten, schrieen, die Kapelle, jetzt ein brodelndes Gemisch aus Menschen und Musik und ich sah, sie waren alle mit Blut beschmiert. Es hatte aufgehört zu schneien, die Kapelle wurde ausgeblendet, ich hing jetzt in eisiger Höhe auf dem kleinen Hügel vor der Stadt, konnte mich nicht bewegen, unwissend, wie ich dort oben hingekommen war. Die Soldaten standen unten, zu meinen Füßen Wache, und so beobachtete ich, wie immer mehr Menschen den Hügel hinaufrannten, dabei tanzten, Mütter mit Kindern an den Händen, die ärmlich gekleidet vor mir stehen blieben, in völlige Starrheit verfielen, eingefroren, wie Statuetten. Zwei der Statuetten hatten Teetassen in den Händen, aus denen noch der Dampf entstieg. Plötzlich lösten sich all diese Bilder auf, alles ging in Schwarz. Schwarz, eine klare Farbe, nichts Unwesentliches, kühl und distanziert, und fast hätte ich Angst bekommen, trotz der Gewissheit zu träumen, Angst vor der Dunkelheit, vor der Nacht, kleine Kinder haben auch Angst, wenn sie zu Bette gehen sollen, die kleine Laterne in ihrem Zimmer gelöscht und die Tür geschlossen wird. Fast hätte auch ich Angst bekommen, Angst im eigenen Traum, ein Traum, den ich doch immer schon beeinflussen konnte, müsste mir nur vorstellen, es würde heller, schon wäre alles gut, die Angst verwiesen, doch ich bekam keine Angst, spürte nicht einmal die Kälte wie sonst, hörte aber eine Stimme, die Stimme einer jungen Dame, die offenbar mit jemanden sprach. Ich versank in die Dunkelheit, lauschte der Stimme.
"Mohamed, mein Freund, es ist Zeit, der Welt die Wahrheit zu sagen, wir beide wissen, es war eine Frau, damals in Bethlehem. Und an diesem tragischen Tag, als sie gekreuzigt wurde, trug sie Shiseido-Rot, und wir tranken Tee an ihrer Seite".
Ich wollte wissen, wer da sprach, wollte es verstehen und stellte mir vor, es würde hell, was geschah. Ich war in einem Theater, ein kleiner Theatersaal, die roten Sitze abgewetzt, der Vorhang mottenzerfressen, die Empore war brüchig und nach einer Seite weggebrochen, in den Logen sah ich Bauschutt und Schmutz, die Scheibe des Regieraums war zerbrochen, in dem kleinen Lüster in der Mitte des Saals brannten wenige Kerzen. Stille, Kälte, Feuchtigkeit und wieder diese Stimme, die mich schon die ganze Zeit begleitete, Sopran, Intermezzo.
Die Bühne vor mir im Dunkeln, leicht schimmernd. Ich stieg hinauf, konnte kaum etwas sehen. Ich stellte mir vor, es würde heller. Langsam erkannte ich dann, was sich auf der Bühne aus der Dunkelheit aufbaute, im Licht, das zaudernd heller wurde. Es war mein Schlafzimmer, welches auf der Bühne aufgebaut war. Mein Bett, der Schreibtisch, die Fenster.
Ich ging auf das Fenster, wollte Nachtluft haschen, nicht daran denkend, dass es doch nur eine Kulisse war. Das Fenster, dahinter klar die Nacht, die Wiesen dunkelblau, ausgetrocknet, als ich in der Ferne die Schemen einer Gestalt sah, die sich näherte und dann vor dem Fenster stehen blieb. Die Gestalt trug eine Kapuze, so dass ich nicht das Gesicht sehen konnte, aber als die Gestalt sprach, erkannte ich meine eigene Stimme.
"Es wird stürmisch, schließ die Fenster, denk nicht über Mohamed nach. Er will nicht, dass ich jemandem davon erzähle".
Als ich den Vorhang vor die Fenster gezogen hatte, verwirrt, müde, legte ich mich in das Bett, mein Bett. Die Nachtischlampe ließ ich brennen, denn dann träume ich intensiver. Ich kann nicht im Dunkeln träumen, die Dunkelheit behindert meine Phantasie. Auch liebe ich es, wenn der Raum nach Opium oder nach Nelken duftet, es beflügelt mich, schneller, komplexer, überwältigender meine Träume dann sind. Die kleinen Moskitos im Raum warfen winzige Schatten an die Wand, ich beobachtete sie, als ich einschlief. Ich träumte in dieser Nacht von einer kleinen Kapelle inmitten eines Waldes, von einer hohen Stimme, einer Opernsängerin.
Ich träumte, ich wäre wieder jung, ich wäre um 370 Jahre jünger gewesen. Ich träumte von Leuten, die sagten, sie hätten das Feuer gesehen, das große Feuer, brennend, heiß, stürmisch, drängelnd, doch ich sah Vulkane spucken, lebte in Pompeji, Zerstörung und Untergang. Jetzt lebe ich in Afrika, schon seit vielen Jahrhunderten, und ich höre Opern.