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I have a dream...

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23.06.2001
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I have a dream...

I have a dream...

"...und zudem muss die Sachlage erst gründlich geprüft und ausgewertet werden, bevor wir Ihnen Kredit gewähren können, Herr Wunschel."
Während meine rechte Hand kleine Bleistiftzeichnungen auf eine der Myriaden von Akten kritzelt, hält meine Linke den Telefonhörer fest, aus dem nun erneut Herrn Wunschels infantile Überredungsversuche auf mein Ohr prasseln. Bei Phrasen wie "aber ich schwöre Ihnen, ich werde den Kredit gewinnbringend verwenden" oder "ich brauche das Geld so dringend, es ist ein Notfall" schaltet mein Gehör mittlerweile automatisch auf Durchzug und ich widme meine ganze Aufmerksamkeit dem reichlich gefüllten Dekolleté meiner Kollegin am anderen Ende des Zimmers.

Da der Raum eher klein ist, kann ich alles erkennen, was ich will. Das ist aber auch der einzige Vorteil des kleinen Zimmers. Ansonsten lässt sich unser Zustand durchaus passend mit "zusammengepfercht" beschreiben. Eng aneinander stehen die einfachen Schreibtische aller Angestellten, auf denen je ein PC, ein Telefon sowie ein Stapel Ordner peinlich genau angeordnet sind. Und alles grau in grau. Individuelle Veränderungen schmückender Art sind unerwünscht. Nur mit Hilfe des mit "Maximilian Klughardt" beschrifteten Namensschildes bin ich in der Lage, jeden Morgen meinen eigenen Arbeitsplatz auszumachen. Jeden Morgen, wenn ich unausgeschlafen an meinen Platz stürme, nur um ja pünktlich zu sein. Es strengt an und ich kann es nicht leiden, aber alles muss reibungslos ablaufen, alles muss funktionieren. "Ein Rädchen muss ins andere greifen, um den Firmenmotor am laufen zu halten", wie unser Chef zu sagen pflegt.

„...und deshalb müssen Sie mir einfach den Kredit gewähren, Herr Klughardt.“
Das langersehnte Schweigen des Kunden lässt mich aus meiner lethargischen Döserei erwachen und bietet mir die Chance, ihn abzuwimmeln.
„So leid es mir tut, Herr Wunschel, aber eine sofortige Auszahlung des von Ihnen geforderten Kredits ist aufgrund der Höhe des Geldbetrags unmöglich. Aber ich gehe davon aus, dass unsere Schätzer Ihre mit Sicherheit vorhandene Kreditwürdigkeit in wenigen Tagen bestätigen werden und einer Auszahlung dann nichts mehr im Weg steht. Auf Wiedersehen, Herr Wunschel.“
Entnervt lege ich auf und sinke in meinen Bürostuhl. Ich versuche die wenigen Minuten Pause, die mir bis zum nächsten Anrufer vergönnt sind, zu genießen.
Der heutige Tag war ungemein erschöpfend. Meine Augen verlangen nach einer Ruhephase, mein Geist nach Regeneration. Langsam senkt sich mein Kopf und meine Augen lassen sich auch mit größter Anstrengung nicht mehr öffnen.

Just in diesem Moment wird die Tür zum Nebenzimmer wuchtig aufgestoßen. Der Knall lässt mich unsanft aufschrecken und ich sehe den Chef durch die halbgeöffneten Augen geradewegs auf mich zu marschieren. Noch schlaftrunken sehe ich zwar wie er seine Lippen bewegt und wild gestikuliert, doch ich verstehe kein Wort. Was kann er von mir wollen? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich kann es mir nicht vorstellen.
„Klughardt, sie dilettantischer Taugenichts. Aufwachen!!“ Jetzt habe ich ihn nur zu deutlich verstanden. „Was glauben Sie eigentlich, wozu Sie hier sind?!“ – glücklicherweise macht die Rhetorik hier eine Antwort unnötig. „Sie sollen arbeiten, nicht faulenzen!“ Ich bin zu keiner Antwort oder Erklärung fähig. Mir bleibt jedes Wort im Halse stecken. Wieso ist er bloß so außer sich?
„Dass Sie mit Ihrer Unprofessionalität und Inkompetenz auch Ihren Mitarbeitern schaden, daran verschwenden Sie keinen Gedanken, oder?“ Wie auf`s Stichwort schnellen alle anderen Angestellten synchron hoch. Roboterartig und mit ausdruckslosen Gesichtern schlagen sie im Chor vor: „Nicht reden, Chef. Bestrafen.“ Wie bitte? Bestrafen? Sind hier alle leicht fehlgesteuert? Mein Güte. „Sie haben wahrscheinlich Recht. Hören Sie, Herr Klughardt? Solch weise Ratschläge hat man von Ihnen noch nicht zu hören bekommen.“
Wie in Zeitlupe beobachte ich, wie der Kerl nun unter sein Sacko greift und dort etwas hervorzieht - eine Pistole. Die Gedanken in meinem Kopf überschlagen sich. Ich kann nichts mehr machen, niemand scheint mir in diesem Moment helfen zu können. Ist dies das Ende?
Ein kreischendes Geräusch zerreißt die Luft als der Kerl abdrückt. Zuerst merke ich nichts, doch dann spüre ich ein Brennen in meiner Brust, welches sich schnell in meinem ganzen Körper auszubreiten droht, um mir alle Sinne zu rauben. In diesen letzten Sekunden meines Lebens, die wie Stunden auf mich wirken, sehe ich nur noch die tristen Gesichter meiner Kollegen. Verdammt. Sollte in einem Moment wie diesem nicht mein gesamtes Leben an mir vorbei ziehen?
„Klughardt! Zurück an die Arbeit, wie es sich gehört!“
Was soll das? Sollte ich jetzt nicht eigentlich tot sein? Verwundert blicke ich an mir hinunter, dort wo mich ein Einschuß soeben tödlich verletzt hat. Blut quillt aus der Wunde hervor. Blut - und ein Kabel. Ein Kabel? Ja, ein Kabel. Diese Situation ist zu verwirrend, um mich wirklich beunruhigen zu können. Da stehe ich nun, der ich eigentlich sterben sollte und betrachte eine Wunde in meiner Brust, aus der das Ende eines Kabels hervortritt. Die Leute um mich herum kümmern sich bereits wieder um ihre Aufgaben, aber das ist mir im Moment egal. Ich ergreife den Draht und ziehe dann, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, mit zwei Fingern die Ränder meiner Wunde auseinander. Die Haut lässt sich ganz leicht lösen. Eine metallische Oberfläche kommt zum Vorschein. Dort, wo die Kugel das Metall durchschlagen hat, sind einige Schaltkreise zu erkennen und ein Gewirr aus künstlichen Adern, durch die Blut gepumpt wird. Immer weiter ziehe ich die Haut von meinem Oberkörper ab; sie fühlt sich zäh und gummiartig an.
In diesem Moment trifft es mich wie ein Blitz. Ich bin nicht der, für den mich alle halten. Ich bin nicht einmal der, für den ich mich bisher selbst gehalten habe. Genau genommen bin ich etwas ganz anderes. In großen Fetzen ziehe ich mir die Reste meiner Haut von meinem Leib bis ich ganz "nackt" dastehe. Eine silbrig glänzende Maschine mit der Gestalt eines Menschen.
Verdammt. Ich bin ein Android.
War denn alles nur Einbildung? Die Eltern, die mich großgezogen haben? Die Kindheit? Alles nie erlebt? Alles nur Programmroutinen, von einem kranken Gehirn erdacht und mir dann als Vergangenheit einprogrammiert? Programmiert zum Arbeiten? Wie lange existiere ich schon? Einen Tag? Ein Jahr? Eine Ewigkeit? Resignation macht sich in mir breit.

„Hey, Max. Der Chef kommt.“
Mit diesen Worten weckt mich einer meiner Kollegen. Hastig blicke ich mich um. Ich taste meinen Körper ab; alles in Ordnung. Bloß ist meine Kleidung von Schweiß durchnässt. Ich schnaufe tief durch. Was für ein seltsamer Traum. Erschreckende Vorstellung, nur ein Roboter zu sein, nur für die Arbeit geschaffen. Mittlerweise hat sich der Chef vor meinem Platz postiert.
„Klughardt, hier sind noch einige Akten, die sie heute noch überprüfen müssen. Eventuell bedeutet dies Überstunden für sie, aber zum Arbeiten sind wir ja hier, nicht wahr?“
Es läuft mir kalt den Rücken runter. Die Worte strömen wie von selbst aus meinem Mund: „Tut mir leid, Sir. Ich kündige.“

[ 27.05.2002, 16:09: Beitrag editiert von: Storyteller X ]

 

Tolle Geschichte Storyteller, hat mir echt gefallen.
Es ist schon was whres dran, oft verhalten wir uns nicht anderes als stupide Maschinen, und merken es nichteinmal.
Mir selbst graut es vor dem Tag an dem ich feststellen muss, dass ich völlig den Blick für das Leben verlorn habe und nur noch für stupides Nichts existiere. Ich will denken und mir Gedanken machen können, denn dafür leben wir doch und nicht für sinnlose Arbeit.

eine Sche hat mir allerdings nicht so gefallen:
Warum muss der Chef im Traum auf ihn schießen? ich finde das etwas übertrieben und nimmt ddem Text ihrgentwie die Glaubwürdigkeit und Brisanz.
Kann er nicht auf andere Weise enddecken das er eine Maschine ist?

Nun gut aber drotzdem eine tolle Geschichte. :)

 

Tach auch.

Vielen Dank für eure Kritiken. Besonders freut mich natürlich, dass die Geschichte halbwegs gefallen konnte.

Warum muss der Chef im Traum auf ihn schießen? ich finde das etwas übertrieben und nimmt ddem Text ihrgentwie die Glaubwürdigkeit und Brisanz.
Kann er nicht auf andere Weise enddecken das er eine Maschine ist?
Ich habe gar nicht über alternative Ereignisse nachgedacht. Ich bin von dem Traum ausgegangen und habe darauf aufbauend die Geschichte verfasst. Und durch den Traum lässt sich die Frage des Realismus umgehen. ;)
Aber sicher wäre eine dezentere Verletzung o.ä. auch gut gewesen (wenn nicht sogar eleganter).
Satzzeichen schließen sich direkt an das letzte Wort eines Satzes an, da kommt kein Leerzeichen vorher!
Hast du ja schon im Chat erwähnt... :rolleyes:
ein klassischer Amifilmspruch.
1) Wieso sollte es ihm leid tun?
2) Wieso "Sir"? Der Protagonist heißt "Klughardt" - das klingt nicht so, als wäre er Engländer, Amerikaner, Australier oder was auch immer.
Stimme ich dir vollends zu; in beiden Punkten. Das änder ich auch mal schnell und niemand wird es merken..
Ansonsten sind noch ein paar kleine stilistische Sachen zu bemäkeln
die ich nur zu gerne erfahren würde. :(
Der Titel passt meiner Meinung nach nicht. Er spielt zu eindeutig auf Kings berühmte Rede an - und im Text wird darauf kein Bezug genommen.
Klughardt befreit sich aus der Unterdrückung und Ausbeutung seines Vorgesetzten/des Jobs. Hier könnte man eine parallele zu King ziehen. Allerdings liegt mein Hauptaugenmerk eher nicht auf dem Titel einer Geschichte. Sollte es das ?

MfG,
maxl.

 

Hi Maxl!

Die Idee dieser Geschichte und auch Deinen Ausdruck finde ich wirklich gut. Unter dem Titel hätte ich mir etwas anderes vorgestellt, weshalb ich ihn für nicht besonders geglückt halte.

Ein paar kleine Korrekturen, bevor ich Dich mit meinen frei flottierenden sonstigen Gedanken zu Deiner Geschichte überwälze:

„um den Firmenmotor am Laufen zu halten“

„des von Ihnen geforderten Kredites“

„sehe ich zwar, wie“

So, die inhaltliche Kritik, die Du hoffentlich nicht persönlich nimmst, Zitat: „dass unsere Schätzer Ihre mit Sicherheit vorhandene Kreditwürdigkeit in wenigen Tagen bestätigen werden“
- auf einer Bank wird nicht geschätzt (außer es bietet jemand Sachwerte als Sicherheit), sondern vielmehr muß man durch eine Gehaltsbestätigung seine Kreditwürdigkeit nachweisen. Die Bank selbst prüft dann noch, ob man eventuell wegen nicht bezahlter Schulden verklagt ist.

Zitat: „Roboterartig und mit ausdruckslosen Gesichtern schlagen sie im Chor vor:“
- den Satz mußte ich mehrmals lesen. Da Du schreibst, sie schlagen mit den Gesichtern vor, dachte ich nicht, daß hier gesprochen wird, allerdings kann man mit ausdruckslosen Gesichtern nicht Besagtes mitteilen, das würde doch einiger Mimik bedürfen... Also kam ich zu dem Schluß, daß sie es nicht mit den Gesichtern gesagt haben, sondern doch mit Worten, was aber nicht so da steht... So wie es da steht, sagten sie es mit ausdruckslosen Gesichtern und das noch im Chor.. :lol: ).

Außerdem finde ich es höchst seltsam, wie ein Mensch, der in einer Bank arbeitet, also sehr bewußt mir Geld umgehen können sollte, so schnell sein finanzielles Standbein wegwerfen kann. Noch dazu verdienen ja gerade die Bankangestellten nicht unbedingt schlecht, was ihm, besonders wenn er Kredite bearbeitet, sehr bewußt sein muß.
Bankbeamte haben auch nicht wirklich einen Grund, sich ausgebeutet und unterdrückt zu fühlen, das trifft schon länger eher nur mehr auf großteils ungelernte Arbeiter zu.

Besser wäre vielleicht gewesen, wenn Du den Traum in das Leben eines Elektriker-Helfers eingebaut hättest, dann würde alles rundum viel mehr passen und gerade die Szene mit dem Kabel würde dann sehr psychologisch wirken...

Dann könnte er ihn am Schluß auch zum Beispiel „Sklaventreiber“ oder ähnliches nennen, statt „Sir“....

Ich gebe zu, das sind sehr umfangreiche Änderungsvorschläge, deshalb bin ich auch nicht böse, wenn Du sie nicht umsetzt.... aber freuen tät´s mich schon. ;)

Alles liebe
Susi

 

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