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I coppani in alti!

cpo

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24.09.2001
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I coppani in alti!

I coppani in alti!
oder
die allherbstlichen Wandlungen des Luigi aus Capua


Luigi schaltete einen Gang runter und wechselte in den Wiegetritt; der Hinterbau des Mountainbikes ächzte als drücke der Anblick des verbleibenden Serpentinenanstiegs aufs Gemüt. Der Wein schmiegte sich, just von der Last seiner Früchte befreit, aufseufzend in die vulkanischen Hügel, und die hingewürfelten Kalkfelsen lagen in flimmerndem Glast. Nur noch ein paar Meter bis zu Kuppe, doch dieser Asphalt war viskos wie frisch ausgespiener Kaugummi. Er musste sich beeilen, denn Paola, seine Freundin, trug ihm auf das Wohnmobil zu beladen; außerdem wollten sie noch Alberto in Mondragone aufpicken. Als er oben ankam konnte er Vittorio, der ihm telefonierend und mit einem fast zahnlosen Lächeln entgegenfuhr, ein rostiges Ciao zurufen. Vittorios Blick nach zu urteilen, kam er gerade aus der Albergo San Martino, schlussfolgerte Luigi, in der Vittorio sich immer mit benzina, wie er es nannte, einem etwas sauren und kräftigen Sangiovese, für den staubigen Weg hinunter nach Santa Maria Capua Vetere stärken musste. Denn dort schmachtete Carla, seine Freundin, mit der er bereits seit drei Jahren ging und mit der er aller Wahrscheinlichkeit nach gerade telefonierte. Luigi drehte sich um und sah Vittorio nach, der seine Geschwindigkeit zu steigern suchte, indem er sein weißes Haupt schon fast auf die Lenkstange drückte, seine Beine nach vorn durchstreckte und jauchzend den Hang hinunterrollte. Wie schafft er es nur, jede Nacht wieder hier rauf zu strampeln?, dachte sich Luigi.
Mit Paola zusammen bestückte Luigi das Hymer Wohnmobil, wuchtete noch zwei Paletten Acqua minerale aus Friaul - man kann ja nie wissen - neben den Kühlschrank und packte die Kaffeebohnen (aus einer privaten Rösterei nahe Acerra ), auch hier kann man nie vorsichtig genug sein, in den Hängeschrank. Dann machten sie sich auf den Weg nach Mondragone und holten Alberto ab. An Pappelhainen entlang rollten sie endlich der Autostrada entgegen. Das Ziel der drei lag im Norden und wurde regelmäßig im Herbst besucht: Monaco di baviera, vulgo München. Der Grund: Oktoberfest.

Bei der Rast am Brenner bemerkte Alberto, der zum ersten Mal mitfuhr, die enorme Anzahl von Landsleuten mit Wohnmobilen auf dem Weg zu diesem Bierfest und es wurde getauscht, was man vergessen hatte - Wein gegen Acqua minerale, Zigaretten gegen Pasta , Dulce gegen diverse Alkoholika. Kurzum, Dinge, die man vor Verlassen eines Hochkulturlandes für längere Zeit außer Reichweite fürchten musste. Kurz vor München dankte Alberto Paula, dass sie ihn noch an die Pullover erinnert hatte, ohne die es keine Gemütlichkeit geben würde in Germania. Denn der Tau glitzerte nun schon bis zum Nachmittag, bevor er verdunstete und kaum war er weg, wurde es auch schon wieder klamm. Trotz höchster Stufe der Scheibenwischeranlage konnten sie kaum etwas anderes sehen als graue Schlieren, als die drei in die Stadtgrenze passierten und von der Autobahn auf die Rosenheimer Straße schlitterten. Sogar die Menschen waren hier grau, besonders im Gesicht. Auf dem Gehsteig sahen sie ein Abbild Vittorios, nur dass er weder lächelte, wahrscheinlich seinem Alter gemäß nicht mehr Rad fahren konnte und gewiss keine Liebhaberin hatte, aber er grantelte augenscheinlich über einen Falschparker. Korrekt, sagte sich Luigi, sind die Leute hier.

Sie suchten sich einen Stellplatz, doch dies war angesichts ihrer Landsleute gar nicht so einfach; je näher an der Theresienwiese, desto unerbittlicher wurde um jede Parzelle eines Pflastersteins gekämpft - allerdings auf italienisch; was die Einsicht beinhaltete, dass selbst die Summe aller Parklätze ein Menschenleben nicht aufwiegen kann. Dies mochten die Münchner bisweilen anders sehen, blieben aber beim Anzeigen der Falschparker. An den Gestaden der Seligen herrschte Sturmwarnung. Und das rund um die Uhr.

Sonnenstrahlen kitzelten das Trio am nächsten Tag wach und es sah alles schon ein bischen freundlicher aus. Nachdem sie den Tag in der Innenstadt verbrachten, schlenderten sie nachmittags rüber zum Oktoberfest, wurden von hastig überholenden Passanten angerempelt. Che Cazzo, maulte Alberto. Das waren Amerikaner, keine Tedesci, klärte ihn Luigi auf. Sie erreichten den Festplatz. Noch konnte man mit dem Finger auf jeden einzelnen Schwerstbetrunken im Gras deuten. Bis der Abend vorüber ist, sagte sich Luigi, werde ich sie alle gezählt haben. Obgleich öffentliches Urinieren verboten war, stach Ammoniakgeruch in die Nase, insbesondere aus den Zwischenräumen der Zelte. Alberto fand Zypressennadeln in der Tasche seines Anoraks. Er zermatschte sie heimlich zwischen seinen Fingerkuppen und roch dankbar daran. Hier nicht, meinte Paola zu Alberto, der in Richtung Löwenbräuzelt einschwenkte. Nur Angelsachsen und der Boden voller Bier und Urin. Alberto drehte ab und fuhr sich mit den Fingern unter die Nase.

Schließlich fanden sie Platz im Schottenhamel . Die Qualität der Luft ließ Alberto wieder nach Zypressennadeln fingern. Gegenüber saß Alois, Loisl, wie ihn sein Kumpel neben an nannte. Loisl trug Krachlederne, hatte schon rotgefleckte Haut, war CSU Mitglied und fragte Luigi, mit leicht klebender Zunge, woher er so gut deutsch sprechen könne.

„Aha!“, resümierte Loisl, nachdem Luigi ihm erklärte, dass er einige Jahre in Hannover studiert hat.

„Prost!“, vervollständigte Alois’ Nachbar und stierte mit alkoholgetriebenem Blick in Paolas Ausschnitt.

„I coppani in alti!“, erwiderte Alberto, was so viel heißt wie: die Krüge hoch.

Die Blaskapelle schmetterte Lieder mit Texten, die Alberto und Paola nicht verstanden, doch suhlten sie sich in dieser geronnenen Gemütlichkeit. Bis die nächsten Gäste kamen, die sich an den Tisch setzten. Es waren Ferdinand und Claudia aus Freising. Ferdinand trug die Süddeutsche Zeitung unterm Arm; für Loisl eine unzumutbare Heimsuchung, die in einem flammenden Monolog brandete. Dem konnte aber Luigi trotz seiner Deutschkenntnisse, wegen Loisls starken Dialekt, in den er jetzt gefühlsbedingt immer mehr verfiel, nicht mehr folgen. Paola und Alberto ahnten, dass es sich um Grundsätzliches handeln musste, und damit ist bekanntlich nicht zu spaßen. Es loderte jedenfalls ein Disput, den Loisl ein Ende zu setzten versuchte, indem er seinen Krug mit bajuwarischer Kraft, zielgenau an jene Stelle der Stirn Ferdinands platzierte, hinter der er ein, zwei sozialistische Gedanken vermutete. Alberto fischte ungelenk nach seinen Zypressennadeln und Paola zog beide schnell aus dem Zelt. Nicht einer von Ferdinands sozialistischen Gedanken war später auffindbar, auch nicht nach einer Obduktion des Schädels.

Alberto hatte keine Lust mehr. Im Wohnmobil tranken sie noch eine Flasche Rosso di Montalcino, bis auf Paola, sie mochte die Farbe nicht sehen. Sie beschlossen, besonders auf Albertos Drängen, am nächsten Tag abzureisen.

Alberto war froh, als sie nach Capua zurückkamen. Er hatte keine Zypressennadeln mehr. Paola und Luigi betonten, dass sie im nächsten Jahr den Ausflug wiederholen wollten. Sie fuhren die Serpentinenstraße hoch und sahen Vittorio in Rennhaltung entgegenkommen. Er grüßte nur kurz, denn Leidenschaft macht eilig.
Nebenbei bemerkt, er ist Sozialist.

 

Jo, ist doch ganz nett, aber beim letzten Satz bin ich irgendwie nicht mitgekommen...? :confused:
Auch sonst; recht trocken erzählt. Aber nicht schlecht.

Griasle
stephy

 

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