Hypomnesie
"Wie jeden Abend, ging ich auch an diesem einen frischen, dämmerigen Frühlingsabend joggen. Ich hatte mich warm angezogen, da ich nicht vor hatte früh zurückzukommen und es noch sehr viel kälter werden würde. Die Einsamkeit und Ruhe, die ich zu dieser späten Zeit im Wald verspürte, war der Reiz, der mich zum Joggen zwang und dem ich jeden Abend aufs Neue verfiel. Dieses Mal joggte ich jedoch auch aus Verzweiflung. Man hatte mich gefeuert. Gefeuert aus dem Job, dem ich seit einer Ewigkeit nachging, und ich war gleichermaßen ein Teil des Gasthauses gewesen, wie das teure Mobiliar. Doch da war noch etwas anderes.
Ich schaltete die Taschenlampe an, da es mittlerweile zu schwer wurde den dunklen Waldweg zu erkennen. Dunkelheit konnte mich nicht aufhalten. Irgend etwas zwang mich unaufhörlich weiterzurennen, ohne auch nur einmal zu pausieren. Längst hatte ich vergessen was es war.
Noch immer hatte ich das widerliche Gesicht meines Chefs vor Augen, wie er mir sagte, dass ich meine Arbeit nicht mehr zu seiner Zufriedenheit erledigen würde und dass seine einzige Möglichkeit meine Entlassung war. Aber ich wusste ganz genau, wieso er es getan hatte. Es lag nicht an mir, sondern an seinem trotteligen Cousin, der einen Job brauchte und ihn nun wohl bekommen würde.
Wutentbrannt rannte ich noch schneller, immer weiter in den tiefen Wald. Wenn ich doch nur gewusst hätte, was ich geplant hatte. Dann wäre ich wahrscheinlich umgekehrt und wäre niemals in diese missliche Lage geraten, in der ich mich letztendlich befinde.
Ich wusste noch genau, dass ich nach dem Vortrag meines Chefs einkaufen gegangen war. Es war etwas teures – daran konnte ich mich erinnern. Doch was hatte ich gekauft?
Zielstrebig und ein wenig verwirrt grub ich mir einen Weg durch die unendliche Dunkelheit vor mir. Doch so unendlich, wie sie schien, war sie nicht. Durch die Bäume vor mir war ein kleines Licht zu sehen. Ein Fenster. Dort musste ein Haus gewesen sein."
"Und was geschah dann?"
"Ich kann mich nicht mehr erinnern. Erzählen sie's mir doch!"
"Okay, das werde ich tun. Ich werde ihnen ganz genau, in allen Einzelheiten erläutern, was sie als nächstes taten.
Sie schlichen sich an das Haus heran. Und nun streiten sie es nicht ab. Sie wussten wer dort wohnte, und sie wussten was sie vorhatten. Gezielt gingen sie auf eines der unteren Fenster zu und brachen es auf. Es führte sie ins dunkle Wohnzimmer, wo sie auf die Katze aufmerksam wurden. Wissen sie WO und WIE wir die Katze fanden? Sie müssen nicht antworten. Sie können sich ja angeblich an sowieso nichts erinnern. Wir fanden die Katze in der Mikrowelle. Irgend jemand hatte sie dort hineingesteckt und das Gerät aktiviert. Sie war geplatzt und ausgelaufen, wie eine überreife Melone. Gott weis welche Qualen sie erleiden musste. Aber das ist noch nicht alles. Nachdem sie die Mikrowelle angeschaltet hatten, nahmen sie sich ein großes Küchenmesser und gingen leise die Treppe hinauf. Es war zwar dunkel, doch sie erkannten die Tür, die mit Kinderbasteleien, kleinen Schmetterlingen und Blumen, aus Papier, geschmückt waren. So ahnten sie was sich hinter dieser Tür befand. Sie schafften es, ohne dass eines der beiden Kinder erwachte, bis an ihr Bett vorzudringen. Irgendwie haben sie sie zum Schweigen gebracht. Wahrscheinlich geknebelt.
Nun stellen sie sich bitte einmal vor, sie kommen spät Nachts von der Arbeit nach Hause und wollen nach ihren Kindern, einem Jungen und einem Mädchen sehen. Sie gehen an ihr Bett und wundern sich, dass die Beiden ihr Bett getauscht haben. Da sie bemerken, dass etwas nicht stimmt, ziehen sie die Bettdecken ein klein wenig herunter. Und jetzt sagen sie mir was der Vater gefühlt haben muss, als er bemerkte, dass die Köpfe seiner Kinder abgetrennt und ausgetauscht worden waren.
Nein, Moment, sagen sie nichts. Es geht noch weiter. Der Vater, der natürlich völlig am Ende mit seinen Nerven war, will nach seiner Frau sehen. Er hatte, bei seiner Ankunft, Licht in ihrem Zimmer bemerkt und ging davon aus sie las, wie jeden Abend vorm Einschlafen, in einem ihrer Liebesromane. Niemals hätte er damit gerechnet zu sehen, wie sie sich mit seiner nackten Liebe vergnügten, sie reiteten, wie ein lahmes Maulpferd. Im Kopf der unschuldigen Frau: Ein klaffendes Einschussloch, aus dem ein fontänenartiger Blutstrom floss, der auf dem weißen Teppich des Schlafzimmers eine dickflüssige, rote Pfütze schuf. Alles was sie in diesem Moment für ihn zu bieten hatten, war ein dämonisches Grinsen. Ihr eigentliches Ziel war ihnen direkt in den Schoß gelaufen. Ihr ehemaliger Chef konnte sich gerade noch umdrehen, um wegzurennen, da hoben sie ihre Pistole, die übrigens ihr teurer Einkauf war, von dem sie erzählten, und schossen ihm in den Hinterkopf. Er muss zu Boden gefallen sein, wie ein leerer Sack.
Somit hatten sie erreicht, was sie die ganze Zeit geplant haben. Ihr Chef sollte leiden, büßen für ihre Kündigung. Er sollte nicht einfach nur sterben. Erst wollten sie ihn wissen lassen, dass die wichtigsten Dinge in seinem Leben passé waren.
hätten. Solle ich ihnen sagen wie die Beweislage aussieht? Wir haben ihre Fingerabdrücke, ihre Fußspuren und Spermaspuren. Außerdem kann der Waffenladenbesitzer bestätigen, dass sie der Käufer der Pistole sind.Was sagen sie zu dieser Geschichte, bevor wir das Urteil verkünden?"
"Ich kann mich an nichts erinnern." Auf seinen Lippen: Ein breites Grinsen.