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Hunger und Koch
Ein witziger Krimi mit einem überraschenden Ende!
Es wäre deutlich übertrieben gewesen, Benno Z. als Kriminellen zu bezeichnen.
Er war einfacher Hartz IV-Empfänger, wie soviele in der heutigen Zeit und in einem Alter, in dem man eher zum Probeliegen auf den Friedhof als zum Probearbeiten geschickt wurde.
Seine Kleidung hatte mit ihm eines gemeinsam: die besten Tage hinter sich.
Das sah man auch.
Nicht, dass es an diesem trüben, nasskalten Tag gelegen hätte, dass sich Benno Z. an bessere Zeiten erinnerte und in Gedanken der guten alten Zeit nach hing.
Da war er relativ emotionslos. Er hatte einfach nichts mehr zum Beißen und sein Geldbeutel war leer wie ein Aschenbecher in der rauchfreien Zone des Restaurants, in dem er zu Letzt gearbeitet hatte.
So beschloss er, noch ein paar Stunden zu warten, um dann dem Container eines Supermarktes seine Aufwartung zu machen und dort nach Essbarem zu suchen.
Das konnte es wohl doch nicht sein! 55 Jahre und er hockte hier in seinem Mini-Appartement, dessen Miete großzügiger Weise von der ARGE bezahlt wurde; immer mit dem Hinweis, er soll und müsse sich selbst mehr um einen Job bemühen.
Seit ihm die riesige Knetmaschine den Arm dauerhaft lädiert hatte, war das wohl nichts mehr mit einem Job. Er kam daher wie Georg Schramm als Oberst Sanftleben, nur nicht so aufrecht – ein Attribut an die Last der Bürde, die er nun schon einige Zeit als Arbeitslosengeldempfänger 2 mit sich herum schleppte.
Natürlich hatte er sich bemüht, einen Job zu bekommen. Er bemühte sich immer, aber der letzte Job hatte genau 48 Stunden gedauert und da wurde er noch sauber über den Tisch gezogen. Keinen Cent hatte er erhalten, als er aushilfsweise kochte, um die riesige Hochzeitsgesellschaft zufrieden zu stellen. Sein „Chef“ hatte ihm nur das Patschhändchen gedrückt und gesagt: „Die Leistung war nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Aber mit nur einem Arm? Ich hätte das wissen müssen. Alles Gute.“
Nur gut, dass er das geahnt hatte. Stunden später, in der Nacht gegen 4 Uhr, holte er aus der blauen Fetttonne dieses Restaurants 2 kg Rinderfilet raus. 2 kg für 48 Std. Arbeit. Vakuumverpackt. Das reichte einige Tage für ein brauchbares Essen. Aber diese Tage waren inzwischen längst vorbei und der Kühlschrank bot einen Anblick wie die Arktis. Alles weiß, soweit das Auge blickte.
Da lag nicht mal mehr ein Kohlrabi oder ein Salatblatt drin, geschweige denn Butter.
Benno überlegte ernsthaft, ob er in die Wärmestube gehen sollte. Hatte er auch schon hinter sich. Das Essen dort war gar nicht schlecht, auch die Bedienung war ok. Was er nicht ab konnte, waren die Fragen der anderen. „Du bist neu hier?“ Wo bist du gesessen? Wie lange?“ Und sein Geruchssinn war auch noch soweit in Ordnung, dass dieser leicht beleidigt reagierte, wenn sein Gegenüber aussah wie ein Dreijähriger nach einem Nachmittag im Sandkasten.
Er hoffte, dass bald wieder andere Zeiten kommen würden. Er legte sich auf seine Schlafcouch Marke Sozialkaufhaus und schaltete den Fernseher ein.
Dieses Appartementhaus stank von unten bis oben, vom Keller bis zum Dach, er hatte schon Besucher gesehen, die im Treppenhaus urinierten. Nicht nur bei ihm dröhnte der Fernseher; es gab einige, die in der gleichen Situation waren wie er.
Ihn widerte es an, aber er konnte, zumindest im Moment, nichts daran ändern.
Früher, als Koch, war er unterwegs, er war jung, man mochte ihn und einige Jahre verbrachte er auch auf Kreuzfahrtschiffen und im Ausland. Das Geld sprudelte und es hätte immer so weiter gehen können. Als junger Mensch hatte er nicht daran gedacht, dass es vermutlich nicht immer so weiter gehen würde.
Ihm war danach, einen Fresstempel zu errichten, der sich gewaschen hatte und in dem sich die Prominenz die Klinke in die Hand gab.
Das hätte auch beinahe geklappt. Mit 41 Jahren war es soweit. Zusammen mit einem Partner übernahm er in bester Innenstadtlage ein Restaurant, ließ es nach seinen Vorstellungen umbauen, legte selber Hand mit an und steckte Unmengen Geld in die Werbung. Der Laden florierte. Er heiratete und fühlte sich heimisch.
Irgendwann fiel ihm auf, dass seine Frau weg war; ihr waren 1 Tag in der Woche, den sie mit ihrem Gatten verbringen konnte, einfach zu wenig.
Blöd nur, dass auch sein Partner weg war. Und das gesamte Betriebsvermögen.
Nun war Benno Z, zwar ein hervorragender Koch, aber kein Kaufmann. Diesen Part hatte sein Partner übernommen. Kein Wunder also, dass alles den Bach runterging.
Natürlich hatte er keine Beiträge in die Rentenversicherung und schon gar nicht in die Arbeitslosenversicherung bezahlt. So schlug er sich fortan mit Gelegenheitsjobs durchs Leben und war im Prinzip zufrieden. Bis ihm dann die Knetmaschine eben den Arm in unnatürliche Form brachte. Wovon er sich nie mehr hundertprozentig erholte. Das Alter tat ein Übriges.
Eigentlich hätte er sich erschießen können, aber das konnte er aus zwei Gründen nicht: eine Knarre hätte richtig Geld gekostet. Geld, das er nicht hatte. Und bekanntermaßen stirbt die Hoffnung zuletzt.
So war es nicht weiter verwunderlich, dass Benno Z. mit knurrendem Magen und einer kalten Wut im Bauch den Bau verließ. Er kam sich vor wie ein Fuchs, oder auch ein Dachs. Irgendwo irgendwas zum Fressen finden.
Keine Fußgänger auf der Straße. Kein Wunder. Es war bald 3 Uhr morgens.
Das helle Licht des Vollmonds beleuchtete die Szenerie zur Unwirklichkeit.
Sein erster Weg führte ihn zur Filiale einer Schnellrestaurantkette. Die Banausen hatten ihre Container im abgesperrten Karree stehen. Die Türe war verschlossen.
Er erinnerte sich. Anfangs waren die Müllcontainer zugänglich gewesen, aber nachdem die total unterbezahlten Mitarbeiter den Dreh raus hatten und mit dem Abfall Frischware „entsorgten,“ die nach Feierabend oder von der Verwandtschaft abgeholt wurde, reagierte die Geschäftsleitung mit Absicherung der Container.
Er schlurfte weiter durch die Straßen. Irgendwann war er außerhalb der Stadt. Was den nicht zu unterschätzenden Vorteil bot, Kräuter sammeln zu können. Und damit kannte er sich aus. Er kam in ein Gebiet, in dem er sich schon lange nicht mehr aufgehalten hatte.
Paul K. erwachte. Er hatte mächtigen Hunger, verursacht durch einen Geruch, den er schon lange nicht mehr gerochen hatte. Er sah auf die Uhr. 4.30 Uhr. Gewohnheitsmäßig sah er zu seiner Gattin neben sich. Also, auf die Seite des Bettes, wo sie sich gewöhnlich des Nächtens aufhielt. Aber diese Seite war leer.
Paul K. schüttelte verwundert den Kopf. Er brauchte ein paar Minuten, um sich zu sammeln.
Der Geruch kam eindeutig aus der Küche seiner Kneipe. War seine Frau aufgestanden, um sich etwas zum Essen zu kochen? Er wunderte sich noch mehr.
Seine Frau war schon froh, wenn das Wasser zum Eierkochen nicht anbrannte. Spätestens eine von ihr abgebräunte Scheibe Leberkäse sah aus wie ein Stück Torf bei 35° im Schatten. Und jetzt sollte sie auf einmal so kochen können, dass es so gut roch? Paul K. war total verblüfft. Träumte er?
Normalerweise stand er in der Küche und versuchte, mit seinen Kreationen den Appetit der Arbeiter zu stillen, die meist am Mittag in seine Kneipe kamen. Aber so recht lief das Geschäft auch nicht. Eigentlich lief es miserabel.
Nun gut, er war kein gelernter Koch. Früher war er Stahlkocher, aber das wohl doch etwas anderes. Die Kollegen von damals, die alle geschworen hatten, ihn im Lokal zu besuchen, kamen längst nicht mehr. Und die, die mittags noch kamen, wollten möglichst schnell und billig den Magen füllen um dann wieder zurück in die Fabrik zu huschen. Dort gab es angeblich zwar eine Kantine, aber erstens musste man dort ziemlich lange anstehen und zweitens war die Qualität des Essens dort auch nicht besser als bei ihm.
So schlug sich Paul K. halt als Gastwirt durchs Leben, froh, dass er am Abend seine paar Bierchen und ab und zu ein Schnäpschen schlürfen konnte, um dann irgendwann müde ins Bett zu fallen, während seine Frau sich mühte, die letzten Gäste, die schon seit 2 Stunden oder länger vor einem kleinen Glas Bier saßen, los zu werden.
Was zum Teufel brachte seine Frau dazu, mitten in der Nacht auf zu stehen und sich etwas zum Essen zu bruzzeln? Noch dazu etwas, das so gut roch.
Er schob die Decke zur Seite, ächzte ein wenig, als er seine nicht mehr ganz jungen Knochen in eine symmetrische Ordnung zu bringen versuchte und setzte sich auf.
Aufs Klo musste er, das war vermutlich der Hauptgrund des Erwachens, aber dieser Geruch? Herrgott, das roch wirklich gut. Da konnte man schon Hunger bekommen.
Er wusste gar nicht, dass seine Schnecke so gut kochen konnte. Das gab´s doch gar nicht.
Er tapste im Halbdunkel zur Toilette und hörte leise, undefinierbare Geräusche von unten aus dem Lokal. „Die Frau ist irre,“ dachte er.
Nur mit Unterhose bekleidet ging er zuerst aufs Klo und stapfte danach breitbeinig die Treppe runter. Sein Schädel brummte. Was hatte er eigentlich zuletzt getrunken? War ja auch egal. „Zuviel,“ brummelte er vor sich hin, „zu viel.“
Benno Z. war auch jetzt noch nicht kriminell, als er das geöffnete Fenster der Kneipe quasi im Vorbeigehen entdeckte. Er wunderte sich zwar ein bisschen, dass in einem Lokal, in dem keinerlei Licht zu sehen war, ein Fenster soweit offen stand. Vielleicht waren da Einbrecher am Werk? Eigentlich sollte er sich umdrehen und abhauen, aber möglicherweise war da drin ja was Essbares? So recht bei Licht betrachtet, war er sich verdammt sicher, dass es dort drinnen Essbares gab. So sicher, dass er ein „He, Hallo!“ durchs Fenster schickte. Aber auch ein zweiter Versuch führte zu keinerlei Reaktion. Na ja, dachte sich Benno, wen würde es schon stören, wenn er sich da jetzt eben mal ein Schnitzel holte? Oder den restlichen Salat vom Abend…
Er zog sich mit seinem gesunden Arm geschickt hoch und stand schon im Vorraum zur Küche.
Mein Gott, dachte sich Benno, wo bin ich denn hier gelandet? Beinahe wäre er wieder aus dem Fenster gesprungen, ab nach Hause. Hier roch es schlimmer als in einer Frittenbude und als er sich mit einer Hand an den Fliesen abstützen wollte, hatte er das Gefühl, in hartgewordene Schmierseife zu greifen. Auch das Gehen war hier nicht so einfach, der Boden aalglatt. Die olfaktorische Nebelwand war mehr als eine Beleidigung für sein Riechorgan. So ein Laden konnte doch unmöglich in Betrieb sein? Von HACCP hatte der Besitzer sicher noch nie was gehört. Und wäre es nicht schon der dritte Tag ohne wirkliche Mahlzeit gewesen – er hätte sich umgedreht und wäre gegangen. Wie kam der Laden bloß durch die Kontrolle?
Nein, dachte Benno bei sich, kriminell ist das sicher nicht, was ich hier tue. Da ist der Zustand dieser Kneipe eher strafbar als mein Einstieg durchs Fenster. Es war ja nicht mal ein Einbruch, er beschädigte ja nichts. Im Grunde wäre es ja nur Mundraub, schlimmstenfalls einfacher Diebstahl. Er selbst hätte hier nur von Entsorgung gesprochen. Das hier war keine Kneipe, das war allerhöchstens eine Kaschemme.
Es hätte ihn nicht gewundert, wenn hier die Hamburger unter den Achseln des Kochs erwärmt würden.
Sein Arm schmerzte. Er konnte zwar die Hand noch gebrauchen, aber ohne Kraft.
Mehr als ein Feuerzeug zu greifen, um sich eine Zigarette an zu zünden, war nicht drin.
Und der Arm schmerzte. Bei jeder Bewegung.
Für die Deutsche Rentenversicherung war der kaputte Greifer lediglich 30 Punkte wert. 30 GdB - Grad der Behinderung. Darauf hätte er, wenn er es besser gewusst hätte, liebend gern verzichtet. So hatte ihn die Agentur für Arbeit einem Behinderten gleichgestellt und erklärt, dies sei von Vorteil. Kündigungsschutz und so weiter.
Blöd nur, dass er dadurch gar keine Arbeit mehr bekam. Sonst hatten diese 30 Punkte keinerlei Vorteile. Er konnte nicht billiger mit der Straßenbahn fahren, ins Schwimmbad ging er das ganze Jahr nicht und in der Kneipe an der Ecke, wo er ab und zu ein Bierchen trank, war seine Behinderung bezüglich des Bierpreises völlig egal.
Das alles waren aber nicht die Gedanken, die Benno durch den Kopf schossen, als er in diesem Vorhof zur Küchenhölle stand. Er lauschte angestrengt, ob ein Geräusch zu hören war. Immerhin hatte er mit seinem leichten Aufsprung einen zwar leisen, aber doch vernehmbaren Laut verursacht. Und er wollte sich gar nicht vorstellen, was wohl passieren würde, wenn eben dieser Laut nicht nur die Wirtsleute, sondern auch einen Hund geweckt haben sollte, der dann viel schneller hier sein wäre als Benno wieder weg. Aber nichts rührte sich.
Mann, wann war hier das Letzte mal das Frittenfett gewechselt? Da standen ein paar Eier auf einem Holztisch, rechts daneben ein 10 L Senfeimer, in dem Speisereste lagen. Langsam ahnte er, wieso das Fenster offen war. Das konnte nur pure Absicht sein, weil die Besitzer sonst morgens beim Betreten der Küche erstickt wären.
Wie kam dieser Laden durch die Lebensmittelkontrolle? Sollte ihm egal sein, er wollte sich nur ein paar Proteine in die Taschen stopfen und dann den Weg nach Hause antreten.
An seinem Schlüsselanhänger hing eine kleine LED-Lampe mit Drucktaster. Er beleuchtete die Szenerie mit bläulichem Licht. Da standen noch ein paar Teller herum. In einem großen Spülbecken mit Gastrobrause standen im Brackwasser ein paar Tassen und eine Schüssel. Hinten an der Wand entdeckte er einen großen Topf, an dem Rinnsale herab hingen wie Regenwasser an der Fensterscheibe.
Dem Geruch konnte er nicht entnehmen, was sich darin befand. Im bläulichen Licht seiner Lampe erkannte er nur eine Pampe, die farblich der Farbe Braun am ähnlichsten kam. Sein Hunger war massiv gedämpft und längst hätte er den Rückzug eingeleitet, wenn nicht seine Neugierde auf den Createur des schlechten Geschmacks zur Triebfeder geworden wäre.
Wer konnte so miserabel kochen?
Wo gab es in diesem Tohuwabohu einen Schrank mit Frischware? Herrgott nochmal, ein bisschen was zum Essen, ohne dass er dazu dieses Rattenparadies splitten musste. Er zog den Edelstahlschuber auf.
Um Fingerabdrücke musste er sich keine Sorgen machen. Auf Fett hält kein Graphitpuder und hier waren die Vorratsschränke so verklebt und mit Abdrücken übersät, dass seine garantiert unsichtbar blieben. Langsam gewann die Einsicht, dass der Besitzer hier nie und nimmer die Polizei holen würde, die Oberhand. Eierspätzle, vakuumiert, Supermarkt, konstatierte er.
Schweinsbratwürste aus dem Supermarkt. Schweineschnitzel. Unter Schutzatmosphäre verpackt. Er wusste, was das bedeutete. Stickstoff in der Verpackung sorgte dafür, dass dieses Pressfleisch, das dem Kunden als Schnitzel verkauft wurde, nicht so schnell zu riechen anfing und sich keine Flecken bildeten, wie dies bei Frischware der Fall gewesen wäre. Das hatte den Vorteil, dass das Schnitzel auch nach Tagen noch frisch aussah, obwohl es längst die Salmonellen in der Mache hatten. Nach Pizzeria oder Dönerbude sah das hier nicht aus.
Und sein Appetit auf Schnitzel, der sich vorhin kurzzeitig geregt hatte, schien ebenso schlagartig erloschen wie sein Lämpchen, als er Schritte hörte.
Mit offenem Mund atmen, ermahnte er sich, ruhig, keine Bewegung, keine Geräusche. Seine Instinkte, die in frühen Jahren bei der Bundeswehr in Einzelkämpferlehrgängen trainiert wurden, funktionierten noch. Zumindest teilweise.
Hatte er sich getäuscht? Er hörte nichts mehr. Oder? Er hörte nur noch das Schlagen seines Herzens.
Langsam, unendlich langsam, trat er einen Schritt zurück, um hinter einen Mauervorsprung zu kommen.
Das Licht flammte auf! Nein, es war nicht das große Licht, das Licht über dem Herd, der Arbeitsplatte und der Spüle. Nein, es war das kleine Licht vorne beim Eingang, wo das Brett mit den Drahtstiften hing, an denen normalerweise die Bestellungen abgeheftet wurden.
Also doch! Es war jemand hier, er war entdeckt. Was sollte er tun? Abhauen? So schnell konnte er ja in seinem Alter auch nicht mehr, vielleicht würde er bei einem Sprung aus dem Fenster stürzen und sein Behinderungsgrad würde sich deutlich erhöhen. Er entschied sich gegen diese dem Grunde nach erfreuliche Gelegenheit und ergab sich fast mit stoischer Gelassenheit seinem Schicksal, nicht ohne die leise Hoffnung, doch unentdeckt zu bleiben.
So laut bin ich doch gar nicht gewesen, dachte er, hoffentlich haben die keinen Hund hier, sonst gehör´ ich der Katz und dann bin ich sauber verratzt…
Da schlürfte ein noch halbwegs ehemals hübsches Frauenzimmer mit Haaren wie aus der Roßhaarmatratze Richtung des Schrankes, in dem er die überlagerten Eierspätzle und andere kulinarische Entgleisungen entdeckt hatte. Wenn sie sich jetzt umdrehte, dann musste sie ihn sehen. Sie schloß die Tür und drehte sich um.
Ich… ich… ich… ich… ich… stammelte Benno. Zur Antwort erhielt er ein:
Ja… ja… ja… Du… Was ist das denn für ne Platte? Gesine K. schüttelte ihr Haupt, ließ damit die leicht verpackten Brüste ein bisschen wackeln und fuhr fort: Sag mir nicht, du hast bei uns was Vernünftiges zum Essen gefunden!
Äh… äh… äh…
Krieg dich wieder ein und lass dir was einfallen; wenn mein Mann runter kommt könnte das ne Menge Ärger geben. Dabei schnürte sie sich automatisch die Bluse oben am Hals etwas enger, was den Fleischbeschau von Benno abrupt beendete und ihm Gelegenheit zur Erwiderung gab.
Kurz hatte er sich überlegt, ob er einen auf blöd machen sollte, in der Art, dass er gar nicht wusste, wie er hier her gekommen war. Oder den starken Max markieren und eine Verwechslung vortäuschen. Wo ist Hilde? Was, ich bin gar nicht im Grünen Baum? Aber er verwarf alle diese Möglichkeiten.
Wenn er sich jetzt in die Hosen gemacht hatte, er war sich nicht sicher ob, konnte der Geruch hier zumindest nicht separiert werden.
Äh… ja… ja… äh… hüstelte er beinahe. Ausgerechnet jetzt hatte er den starken Drang, aufs Klo zu müssen.
Wo hamse dich denn raus gelassen?, fragte die Schwarzhaarige, während sie an den Herd schlurfte und Benno ein paar Beine zeigte, die zwar stämmig, aber wohlgeformt waren.
Die Frau hatte den Kennerblick. Benno hatte noch kein Wort gesprochen und sie sagte: Du hast Hunger, richtig? Na dann!
Die Pfanne, die sie vom Haken holte, hatte so viele Dellen, dass Benno den Verdacht hegte, damit könnten wohl schon mehr Einbrecher erschlagen worden sein.
Hier, bring mal aus der Friteuse nen Batzen Fett, ich mache uns ein paar Eierspätzle.
Benno fing die Kelle mit seiner gesunden Hand und hob den Deckel der Friteuse.
Gott! Das konnte doch nicht sein, das war mal Fett vor vielen Monden.
Ne, nee, nee, so geht das nicht!, sagte er und schüttelte den Kopf.
Sieh an, der Herr kann sprechen. Was geht denn nicht? Miss Rabenschwarz sah ihn neugierig an. Benno bemerkte, dass ihre Augen beinahe ebenso dunkel waren wie ihre Haare. Oder lag das nur an der schummrigen Beleuchtung?
Sie hatte den Gasherd mit dem Piezo angezündet.
Wo bleibt das Fett, fragte sie relativ leise und Benno hoffte, sie würde hoffen, dadurch ihren Gatten nicht auf zu wecken. Wenn der nämlich jetzt auch noch kam, würde er sich wahrscheinlich einen mittelprächtigen Herzinfarkt einfangen. Na ja, wenigstens wäre dann die Verpflegung für die nächsten Tage gesichert gewesen. Wenn er überlebt hätte.
Sie sah ihn an. Wo ist das Fett?
Benno wurde schlagartig und schwer in seiner Berufsehre gekränkt.
Das ist kein Fett, das sind Kohlerückstände wie nach 12 Stunden Lagerfeuer. Das ist Altöl!
Ich bin Koch, ich weigere mich schlicht, diese kontaminierten Rückstände auch nur noch ein weiteres Mal zu verwenden. Hier schaut´s ja aus, als ob beinahe alles nur als Gefahrgut entsorgt werden kann.
Hol mal die Kippen, aber sei leise. Die liegen vorne, gleich links draußen. Sie deutete mit der Hand Richtung Gastraum.
Er holte die Zigaretten, gab sie ihr und sagte: In der Küche ist das Rauchen verboten.
Sie verschluckte sich beinahe, gluckste ein- zwei Mal und schaute ihn an.
Du kannst nicht normal sein. Kommt hier einbrechen, glaubt allen Ernstes, hier was Vernünftiges zwischen die Kiemen zu bekommen und hält Vorträge, was erlaubt ist.
Mann, wir sind hier nicht in einer ISO 9000-Bude, die Vorschriften gibt’s im Mäc.
Benno war fertig. Ihm fiel wehmütig das Bild eines opulenten Frühstücksbüffets ein, das er auf einem Kreuzfahrtschiff jeden Tag kreiert hatte. Und dann das hier.
Das war mehr als der erniedrigende Gang zur ARGE. Das war der Niedergang der Kultur. Hier konnte doch gar nicht gekocht werden. Hier konnte man vielleicht vergiften, aber kochen? Er hätte heulen können.
Koch – sagtest du, du bist Koch?
Er sah sie an wie aus weiter Ferne und nickte langsam. Als ob das hier eine Rolle spielen würde.
Horch zu, sagte Gesine, horch genau zu! Wenn Du Koch bist, dann bin ich die Schwester von Lieselotte Pulver. Koch!
Bedienungen und Wirtsleute haben meist den Vorteil, hervorragende Psychologen zu sein. Sie erkennen den Gemütszustand ihres Gegenübers und schaffen es, sie zum Trinken zu animieren. Immer wieder. Sie können sich Lebensbeichten anhören und Interesse heucheln, sie hören Sprüche und nicken dazu, ohne rot zu werden. Gute Bedienungen sind in der Lage, einem potentiellen Selbstmörder ewigen Durst zu suggerieren, zumindest solange er die Zeche zahlen kann. Danach ist ihnen seine Motivation und das kausale Prinzip von Ursache und Wirkung ziemlich egal.
Gesine war da mindestens genauso geschickt, vielleicht sogar noch geschickter, denn Benno war dermaßen erschüttert, dass er an den Herd eilte. Oder war er wütend? Er wusste es nicht. Er verspürte nur den dringenden Wunsch, in diesem Chaos wenigstens ein Zeichen seiner Kunst und Fertigkeit zu hinterlassen, damit alle sehen konnten, was möglich war, wenn ein Künstler die Sache in die Hand nahm.
Im Handumdrehen zauberte er aus den vorhandenen Zutaten und seinen vorher gepflückten Kräutern eine Mahlzeit, die sich SIE schrieb. Zwiebel, ein bisschen Wurst, Majoran, Paprika. Die Wirtsfrau stand verwundert da und nun lag es an ihm, zu sagen: Besteck, zwei Teller, Servietten.
Ruckzuck war der kleine Tisch am Eingang gedeckt.
Beide saßen sich gegenüber. Guten Appetit sagte er zu Gesine und hob die Gabel.
Gesine schaute nur ungläubig, zog noch einmal die Luft prüfend durch die Nase, atmete hörbar und genüsslich aus und beugte sich über ihren Teller.
Paul K. ächzte wieder, als er sich von der Schüssel erhob. Irgendwann würde er sich mal Tabletten vom Arzt holen gegen das frühe Pinkeln. Da kam man ja gar nicht mehr zum Schlafen. Kaum lag er eine Stunde im Bett, musste er schon wieder raus.
Und das zweimal in der Nacht.
Er kratze sich an verschiedenen Stellen seines massiv aus der Form geratenen Körpers und verließ die Toilette. Wieder stieg ihm der Geruch von ausnahmsweise gutem Essen in die Nase. Hm… ins Bett oder in die Küche?
„Gesine“ rief er runter und hörte die Antwort. Was ist? Kein nettes Wort, keine persönliche Ansprache. Egal. „Kochst du?“ Riecht man das? „Riecht gut, was ist das?“ Westernpfanne mit Eierspätzle!
„Für mich auch?“ Schlaf weiter, ich komme auch gleich wieder rauf.
Er hörte Geschirr klappern. Wie er diese Höhle da unten hasste.
Aber es war sein Lokal, man konnte, wenn auch nur spärlich, damit überleben.
Für Renovierungen war kein Geld da, es gab auch nichts, wofür es sich gelohnt hätte, der Bude einen neuen Anstrich zu verpassen. Den Gästen dürfte es verdammt egal sein.
Irgendwann würde er mal wieder ein bisschen netter zu seiner Frau sein müssen.
Kein liebes Wort mehr, man ging nur noch ins Bett und schlief ein paar Stunden.
Wenigstens arbeitsmäßig waren die Fronten klar. Während Gesine für den Service zuständig war, stand er schwitzend in der Küche und sorgte für den nötigen Output.
Möglicherweise war heute ein guter Tag, ein bisschen netter zu seiner Frau zu sein.
Er schob seinen Knödelfriedhof vor sich her und kam leise stöhnend die Treppe herunter.
Die seltsame Figur, deren Umrisse er gegen das schummrige Licht wahrnahm, konnte nicht seiner Frau gehören. Noch zwei Schritte, dann riss er die Türe ganz auf und schaltete das Hauptlicht ein. Jetzt wäre der günstigste Zeitpunkt gewesen, ihm eine Pfanne über den Schädel zu ziehen und zu verduften, dache Benno, aber Benno war nicht nur Koch, sondern auch Pazifist, was sich manchmal als nachteilig herausstellte.
Paul K. stand nicht nur in der Unterhose, sondern auch in der Küche und sah ziemlich belämmert aus.
„Ich kapier gar nichts“, sagte er. „Was ist das denn?“
Das ist ein Koch, sagte Gesine, und er kocht besser, als du saufen kannst. Und das will was heißen. Hier probier mal.
Sie schob ihm ihren Teller hin. Paul drehte sich mit der Eleganz eines Nilpferdes im Sumpf ein bisschen nach links, der herunter geklappte Unterkiefer wurde gottseidank von zwei Muskelbändern gehalten. Die rechte Hand schob sich wie von selbst zu seiner Brust, wie um dort die Blöße zu verdecken und fing automatisch an, langsam zu kratzen.
Mit der linken nahm Paul den Teller. Er ließ Benno nicht aus den Augen.
Seine grauen Zellen waren um die Uhrzeit noch voll in Blockadestimmung.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er heißer krächzte: „Koch?“ Seit wann haben wir einen Koch?“
Gesine sah hoch. Seit ungefähr 30 Minuten!
Benno war sprachlos. Er wollte nur ein Häppchen essen. Irgendwo. Irgendwas.
Auf einen neuen Job war er nicht eingestellt.
Und auch Paul war seiner Frau so schnell nicht zugetan.
„Du spinnst! Hier koche ich“, protestierte er.
Kochen? Seine Frau stellte die Frage ätzend und verzog das Gesicht, als hätte sie Fischleim getrunken.
Kochen? Es ist unglaublich, dass du dieses Wort überhaupt kennst!
Sie räumte ab, während Benno sich durch alle Schränke wühlte, um irgendwas Passendes für den Nachtisch zu finden.
Ob er es wagen konnte, mit den Eiern, die da ohne Kühlung auf dem Tisch standen, ein Parfait zu machen? Gab´s hier irgendwo Sahne? Und wenn, war sie noch brauchbar?
Irgendwie hatte er das Gefühl, er sollte das Reden und die Erklärungen Gesine überlassen. Die hatte ihren Gatten besser im Griff und wusste, wie man ihn angehen musste.
Paul war immer noch so verdattert, dass er ganz automatisch den Teller seiner Frau nahm und zu essen anfing.
Und? Schmeckts? Gesine schaute ihn an.
Fünf Uhr morgens, ein unbekannter, schmächtiger, halbverhungerter Typ in seiner Küche und seine Frau fragte, ob´s schmeckt. Das musste einem erst mal passieren.
In dem Chaos hier ist ja gar nix zu finden, sagte Benno.
„Hat dir auch keiner angeschafft, dass du hier reinkommst“, sagte Paul.
„Wie bist du überhaupt hier reingekommen?“
Durchs Fenster, wenn´s recht ist, sagte Benno, der unerklärlicherweise wieder soviel Boden unter den Füßen gefunden hatte, dass er sich ungeniert unterhalten konnte.
„Aha, das Fenster“, lautete der logisch schlaue Kommentar von Paul.
Wie kann man hier überhaupt Essbares produzieren?
In dem man eine unempfindliche Nase hat und alles in den Topf schmeißt, was irgendwie mit Essen zu tun hat. Gesine schüttelte den Kopf und nahm den Teller vom Tisch, den ihr Mann zwischenzeitlich leer gefuttert hatte.
Hat´s geschmeckt?
Langsam kehrten die Lebensgeister in Pauls massigen Körper zurück.
„Heute ist Ruhetag, da wird sauber gemacht und dann wird hier gekocht wie woanders auch“.
Glaube ich sofort, antwortete Benno. Sieht auch genau so aus.
Hört ihr die Grillen zirpen? Die zirpen den Hochzeitsmarsch für die Kakerlaken.
Der etwas proletarische Umgangston führte unglaublich schnell zu einem besseren Verständnis der drei in der Küche. Und obwohl Benno schon in feinen Häusern seine Künste zum Besten gegeben hatte, fühlte er sich hier in diesen Kreisen heimisch. Nur die Hygiene hätte durchaus einen höheren Level haben dürfen.
Dennoch war es für ihn an der Zeit, die gastliche Stätte zu verlassen, was sich aber als etwas kompliziert erwies.
Sagte doch Gesine zu ihm, als er sich für das Essen bedankte:
Solche Danke habe ich einen ganzen Keller voll. Damit kann ich nichts anfangen.
Du kannst deine Mahlzeit abarbeiten. Und wenn du wieder was ißt oder trinkst, darfst du gerne Überstunden machen.
Für Benno hörte sich das an, als hätte er soeben einen Arbeitsvertrag bekommen.
Er griff sich an den Kopf. Das konnte doch wohl nicht sein.
Vor drei Stunden machte er sich noch ernstlich Sorgen um seine erzwungene Magersucht und jetzt hatte er sowas wie einen Job. Kam nur noch darauf an, was Paul dazu sagte.
Paul kratzte sich mit beiden Händen seine mächtige Brust, blickte dann auf seine alte Armbanduhr, die unterhalb einer misslungenen Tätowierung sein mächtiges Handgelenk umspannte und meinte dann bedächtig: „Ich hab keine Ahnung.“
Benno erging es ebenso, aber gegen die Entschlossenheit von Gesine war kein Mittel in Sicht.
Gebongt, sagte sie. Du kannst oben in der Wohnung schlafen, wir haben ein Gästezimmer. Auf geht´s, wir gehen ins Bett.
Benno stieg hinter Gesine die Treppe hinauf und wäre er nicht so verwundert
gewesen, wäre ihm das, was er vor sich zu sehen bekam, wohlwollend ins Auge gestochen.
Paul schleppte sich hinter Benno die Treppe hoch und ließ immer wieder nur
„unglaublich – unglaublich“ hören. Genau so empfand das Benno auch, aber wenn jemand ein halbes Jahrhundert auf der Welt ist und davon die meiste Zeit in der Gastronomie verbracht hat, hat man das Gemüt eines Grizzly-Bären. Es gibt fast nichts, was einen da noch ernsthaft erschüttern könnte. Also folgte er den Anweisungen und war ganz froh, als er dort im fremden Bett lag. Paul und Gesine K. hatten sich zurückgezogen, nicht ohne vorher „Gute Nacht“ zu wünschen und ließen ihn einfach so liegen. Sollte er jemals Enkel haben – diese Geschichte würden sie ihm nie glauben.
Die Sonne kitzelte ihn an der Nase und Benno erwachte. Das war aber nicht sein Bett! Er hatte einen komischen Traum gehabt. Benno sah sich um und ihn beschlich die beinahe furchtbare Gewissheit, dass dies kein Traum war.
Er sah sich im Zimmer um. Ein Zimmer wie tausend andere auch. Nichts Wertvolles, nicht zu schmutzig, nicht perfekt sauber. Eine kleine Vitrine, eine Truhe, ein Fernseher, ein Tisch, ein Bügelbrett, ein bisschen Wäsche. Vermutlich wurde das Zimmer universal genutzt.
Er lauschte. Wie hießen die beiden? Ach ja, Paul und Gesine. Ob die beiden wohl schon wach waren?
Paul unterbrach sein Schnarchen abrupt, als seine Gattin ihn an der Schulter rüttelte.
Glaubst du, er ist schon wach?
„Ach komm, lass mich in Ruhe, ich hab jetzt wirklich keine Lust für…“
Sein Gehirn funktionierte um die Uhrzeit noch rein mechanisch. Man konnte es beinahe hören, wie der Groschen fiel.
„Ach so, das meinst du. Schau mal nach, ob er dir die Bude schon ausgeräumt hat oder ob er noch da ist.“
Er dreht sich auf die andere Seite, aber, und das wusste er aus Erfahrung, das war eine wirkungslose Methode, seine bessere Hälfte abzuschütteln.
Er grummelte und gab sich Mühe, heute besonders mürrisch zu wirken. Dieses Bemühen wurde von seiner Frau mit einem Lächeln, das er schon lange nicht mehr gesehen hatte, quittiert.
Dann lass uns aufstehen und frühstücken. Also, Benno soll das Frühstück machen. Einverstanden?
Wenn´s ums Essen ging, war Paul leicht zu begeistern und die Aussicht, nicht selber etwas fabrizieren zu müssen, sondern wahrscheinlich etwas Schmackhaftes serviert zu bekommen, beflügelte nicht nur seinen Geist, sondern auch seinen Körper. So sehr, dass er noch vor seiner Gattin das Bett verließ und im Badezimmer verschwand.
Im Badezimmer stand er vor dem Spiegel, schaute sich mal etwas genauer an und fragte sich ernsthaft, wieso er nicht eifersüchtig war. Da kam dieser Möchtegern-Einbrecher, kochte und aß mit seiner Frau, und ihm schien das alles irgendwie am Arsch vorbei zu gehen. In der Kneipe hatte er schon so manchen, der seiner Frau auf den Hintern klopfte, hochkant an die frische Luft befördert. Vielleicht ein geschäftsschädigendes Verhalten, aber er konnte nicht anders, vor allem, wenn er ein Schlückchen getrunken hatte. Was oft dann vorkam, wenn er mit seinen Gästen Chicago spielte.
Irgendwas, dache er, irgendwas muss sich jetzt schlagartig ändern. Sonst ist der Ofen aus und das war´s dann mit dem Gasthaus Schloßpark; ein Name, der an längst vergangene Zeiten und glanzvolle Tage erinnerte. Aber seit es hier Industriegebiet gab, war alles vorbei.
Es klopfte an die Badetüre. Er ist noch da, war schon im Bad und versucht, aus deinen Sekundär-Rohstoffen irgendwas Brauchbares zum Frühstück zu zimmern.
Beeil dich, bitte.
Nie wieder Alkohol, schwor sich Paul soeben, nie wieder!
Novalgin, Ibuprofen und Diclofenac. Was die Hausapotheke hergab, war grade recht.
Immer diese Schädelschmerzen. Er müsste mal zum Arzt gehen, dachte er sich.
Oder das Saufen aufhören…
Endlich hatte er sich soweit kultiviert, dass er sich aus dem Badezimmer traute.
Mit etwas Mühe ging er wieder die 12 Stufen hinab, um sofort eine Brise Backstube
In der Nase zu haben. Das roch gut! Ja, er hatte Hunger, und er musste sich eingestehen, dass es mit seinen Kochkünsten wirklich nicht weit her war. Aber warum auch.
Für die Jungs aus der Fabrik genügte es, wenn der Leberkäse braun war, vielleicht ein Spiegelei drauf, ab und zu ein paar Spätzle dazu und als Komplettmenü mit Kartoffelsalat. Bis jetzt hatte sich nur einer beschwert, weil der Kartoffelsalat kalt war und seine Herkunft aus dem Eimer nicht verleugnen konnte.
Aber als er dem erzählt hatte, dass er für seine paar Kröten kein drei Gänge Menü erwarten könne, war das Problem erledigt und dieser aufsässige Gast ward nie mehr gesehen.
Das Frühstück war, so musste sich Paul neidlos eingestehen, in einer Klasse angesiedelt, die er nur aus dem Fernsehen kannte. Er wusste gar nicht, dass er so edle Zutaten hatte. Und er wusste nicht, dass man damit so zaubern konnte.
Nach dem Essen, das allen dreien hervorragend mundete, sagte Gesine:
Jetzt hast du einiges abzuarbeiten, Benno.
Paul setzte dem ein „seh ich genauso“ hinzu.
Benno tat, als ob er überlegte und nickte. Ok, aber ein paar Bedingungen habe ich.
„Fang an,“ erwiderte Paul.
Ich schlafe zu Hause, das ist nicht weit weg.
Ich bin der Chef in der Küche.
Die Küche wird generalgereinigt und das ist euer Job. Ich hab fast nur einen Arm.
Über Geld reden wir, wenn der Laden läuft.
„Alles?“ Paul nickte seiner Frau zu. Da war schon wieder dieses Lächeln, das ihn an den Charme der frühen Jahre erinnerte. Sie nickte zurück.
„Ok,“ sagte Paul, dann hol´ ich mal den Dampfstrahler.
…
Es dauerte drei Monate, bis Benno zu Paul sagte:
Wir müssen unbedingt auch die Parkplätze renovieren.
…Und Paul sich über seinen gepflegten Bart strich, den Ärmel seines Jacketts hoch schob, auf die Uhr blickte und die Tür weit aufhielt:
Ich heiße sie herzlich willkommen und freue mich, sie als unsere Gäste begrüßen zu dürfen. Fühlen sie sich wohl bei uns und genießen sie den Aufenthalt. Unsere exquisite Küche wird sie verwöhnen, wie sie es noch nie erlebt haben.
Als der Pulk von Gästen die Türen passiert hatte, zwinkerte er Benno zu und flüsterte: „Du hast recht! Du hast verdammt recht!“