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Hundeblick und Rehkitzaugen
Wenn nur dieses Gefühl nicht wäre. Kein Problem, dann täte ich es sofort. Aber es ist da. Und nicht mehr nur im Hintergrund, nicht mehr nur mehr im Dunkeln, nein: es ist an die Oberfläche, ans Tageslicht gerückt und lässt mich nicht mehr los.
„Was hast du, Schatz?“, höre ich meine Freundin fragen, und ihre großen Augen sehen mich so unschuldig an. Hundeblick und Rehkitzaugen. Diese Mischung sieht mich an, sieht in mich hinein. Ausflucht ist unmöglich, Widerspruch zwecklos. Dafür haben diese Augen eine zu große Magie. Es sind Zauberaugen, die mich verzaubern. Und dieser Augenaufschlag. Das Wimpernklimpern ist fast schon hörbar.
„Nichts, Schatz. Ich war nur gerade in mir versunken.“
Als hätte sie das nicht gemerkt. Doch anmerken lässt sie es sich selten. Nur, wenn man darauf achtet, bemerkt man, wie ihre Blicke dann und wann suchend, fast tastend, einen beobachten. Wie ein Jäger, der die Beute ins Visier nimmt. Der wartet, den richtigen Augenblick abwartet und dann mit Hundeblick und Rehkitzaugen treffsicher auftrumpft. In dieser Hinsicht ist sie meisterhaft. So sammelte sie schon viele Trophäen. Das Haus im Grünen, in Waldnähe. Natürlich fühlt sich ein Rehkitz dort am wohlsten. Diese Tiere sind scheu. Man braucht lange, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Viel Zeit und Herzblut. Und Hingabe, absolute Hingabe. Man darf nicht egoistisch sein, nein. Das merken diese sensiblen Tiere. Die haben einen Riecher dafür. Dann werden sie misstrauisch, fragen, ob man sie nicht mehr liebe. Und setzten ihren Blick ein. Also immer ihre Nähe suchen. Vertrautheit schaffen. Meinetwegen auch in einer Höhle im Grünen. Wer braucht schon das Geld? Kann ein Schein so schön lächeln?
„Schau Schatz. Da vorne. Gleich sind wir da.“
Sie hat Witterung aufgenommen. Der Wind steht günstig. In ihren Augen scheint sich das Schild zu spiegeln. „Welcome!“ steht dort in übergroßen Leuchtbuchstaben. Und darunter: „Treffen sie die Entscheidung ihres Lebens“. Man soll sich gleich wohl fühlen, denke ich. Und wichtig. Da ist wieder dieses Gefühl. Herrgott, ich verteufle es! Gäbe es nur diesen berühmten Schalter, den man nur umzulegen braucht und alles wird gut. Den gibt es leider nicht. Bei mir jedenfalls nicht. Mist!
Wir steigen aus dem Auto aus. Der Schritt des Rehkitzes hat sich in den eines Platzhirsches gewandelt. Selbstsicher. Siegesgewiss. Das Geweih hoch erhoben. Stolz. Gebieterisch. Dominant. Das ist der Schritt des nahenden Erfolges. Reviermarkierung durch Blicke links und rechts. Und in meine Augen. Da blitzt etwas auf in ihr. Ich kenne dieses Funkeln von Kleinkindern, die vor dem Weihnachtsbaum sitzen und warten. Schöne Bescherung, die uns hier erwartet. Auch bei ihr ist die Vorfreude deutlich zu sehen, fast schon greifbar.
„Komm Schatz, lass uns hinein gehen.“
Ich folge ihr im Bugwasser. Der große Dampfer und das Fischerboot. Immer gefährdet, von einer Welle überspült zu werden. Und in den ewigen Jagdgründen zu ersaufen. Zu verrecken. Ausgelöscht zu werden von ihrer Größe. Verdammtes Gefühl.
„Schatz, ich bin mir nicht sicher, ob…“
Alarm! Sie schnellt zurück. Feuer und Wasser in ihrem Gesicht. Der Supergau muss abgewendet werden. Kalter Stahl in ihren Augen. Frisch gewetzt. Messerscharf. Zum Kampf bereit. Chancenlos, wer kämpfen muss. Abwehrhaltung meinerseits.
„Das Thema hatten wir doch schon durch.“
Ja, gestern erst. Ich sehe mich noch dasitzen auf der Couch, als mir der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Urplötzlich. Unvorbereitet traf mich ihr Entschluss. „Ich will ein Baby!“, sagte sie butterweich, an meine Instinkte appellierend mit weiblichen Waffen. Skepsis lag in meinem Blick. Das war ein nonverbaler Angriff. Ihre Waffensysteme sprangen an. Erst Hundeblick aus Rehkitzaugen. Dann Kuschelstimmung. Ohrenknabbern. Feuchte Küsse. Die Hand an meinen Schritt. Der pure Jäger eben.
„Ein Baby?“, fragte ich. Alarmstufe eins im Oberstübchen. Kalkulation. Liebe. Vorausschau. Wärme. Das volle Programm.
„Ja, ein Baby.“
Babys müssen eine ganz spezielle Gabe haben, selbst in der Vorstellung all das auszulösen, was eine Mutter glücklich macht. Mutterinstinkt. Nestbau. All das eben. Kraftvolle, urgewaltige Gefühle!
„Heute Nacht machen wir also ein Baby?“
„Nein, du Dummerchen. Morgen, bei Futurechild.“ Wissendes Lächeln ihrerseits. Rückerinnerung an Werbespots auf dem Großbildschirm meinerseits.
„Kreieren sie sich ihre Zukunft!“ heißt es da. Oder: „Werden sie wunschlos glücklich!“
Egal, ob blond oder braun, ob Spitzensportler oder Musikgenie. Alles kann man haben. Von so was las ich in meiner Jugend schon. In Science- Fiction Romanen. Jetzt ist es Realität. Kinder beim Discounter. Legebatterien für die zukünftige Generation. Einer Elite genetisch optimierter Spitzenleute. Marx fällt mir ein. Klassenlose Gesellschaft. So hat er sie sich bestimmt nicht vorgestellt. Ich denke an uns; an mich und meine Freundin. Wo werden wir in 20 Jahren leben. Doch wohl nicht in einem Altersheim. Welches Genie würde sich für Pflegedienste die Finger schmutzig machen?
Wir betreten das Gebäude. Von außen ein majestätischer Anblick. Modern, schlank, kräftig und verspiegelt ragt es in den Himmel, als entblöße es vor Gott sein Genital!
Hier drinnen setzt sich der Eindruck fort. Überall ragen Säulen aus weißem Marmor in der Halle. Ein kleiner Mann nähert sich. Sofort denke ich an einen Terrier. Klein und bissig. Carve Canem- hüte dich vor dem Hund! Er lächelt uns an. Bleckt seine Zähne. Wittert Beute. Jagdinstinkt. Er reicht uns die Hand. Pfote, denke ich.
„Professor Nielig mein Name. Leiter der Abteilung für moderne Genetik. Herzlich willkommen!“
Meine Freundin lächelt ihn an, ich halte mich bewusst zurück. Er wendet sich ihr zu. Das Rehkitz und der Terrier. Na toll.
Wir gehen durch die Halle zu einem Korridor. Zweite Tür rechts. Sein Büro. Überall hängen strahlende Babybilder an der Wand. Große Kulleraugen. Fliehendes Kinn. Zahnlückenlächeln. Meine Freundin strahlt vor Freude. Der Professor vor Geldgier. Zwei Arten von Lächeln, dem ich meine Skepsis beimische. Soll er ruhig merken, dass ich nicht überzeugt bin. Soll er die Verachtung in meinem Gesicht ruhig offen lesen und sich hinter die Ohren schreiben. Ja, ich verachte dich! Dich und dein Vorhaben. Dich und deine Schar von schmierigen Halbgöttern. Teufel seid ihr. Verachtenswert!
„Herr Bischof?“, fragt mich die Fratze mit der Brille auf der Nase.
„Bitte, was?“
„Manfred, du träumst ja schon wieder.“ Höre ich meine Freundin vorwurfsvoll sagen.
„Entschuldigen Sie, was bitte?“
„Haben sie sich schon entschieden?“
Jetzt will er wissen, wie ich mir mein vollendetes Ebenbild vorstelle. Meine Perfektion. Genaues Gegenteil von ihnen liegt mir auf der Zunge. Einen moralischen, anständigen, gottesfürchtigen Sohn, ja: einen Sohn wie Jesus einer war. Der Wunder vollbringt und die Menschen heilt von ihren abtrünnigen Verhalten. Von ihrer Anmaßung, Gott zu spielen. Der Menschen wie ihnen die Leviten ließt! Ja, schaffe mir einen solchen Sohn.
Ich schaue nach rechts. Hundeblick und Rehkitzaugen warten wartend auf eine Antwort. Verflixt. Ich werde in die Enge getrieben. Vor mir der Terrier. Neben mir die Jägerin. Meine Prinzipien wieder mal Beute. Verdammt! Mir fällt nichts ein.
„Ähm, Schatz: was meinst du denn?“
„Das habe ich vor zwei Minuten schon gesagt, Manfred! Hörst du mir überhaupt nicht zu?“
Hatte sie gesprochen?
„Doch, schon… aber, aber gerade nicht.“
Feuer und Wasser!
In mir wieder dieses dunkle Gefühl.
„Herr Bischof: wir warten! Nur auf sie! Sie sind es, der uns warten lässt! Beeilen sie sich. Treffen sie ihre Entscheidung. Seien Sie ein Mann! Na los! Wird’s bald? Schneller, schneller! Es geht um ihre Zukunft!“ Des Professors Gesicht ist eine Palette roter Farbtöne.
„Schatz, was ist? Bist du ein Mann? Oder wie ein Kleinkind unentschlossen?“ spottet meine Freundin.
Alle Augen richten sich auf mich, die Wände: sie werden enger. Der Raum kleiner. Kindergesichter rasen auf mich zu… Aaaahhh!
„Hey, hey Schatz? Aufwachen, hörst du. Wach auf.“
„Wie wo was? Der Doktor.. aber, aber… das Kind und die Klinik…“
„Du hast schlecht geträumt. Du solltest abends auch nicht mehr so viel essen. Der Wildbraten muss dir schwer im Magen gelegen haben.“
„Ja... ja: der Wildbraten.“