Hunde
Hunde
Sie waren nicht die einzigen, die unsere Mutter berührten, aber sie waren die ersten. Ihre Händen wurden fleißig geschüttelt, sie ließ sich in Umarmung mit Fans ablichten, wurden von neuen Freunden wangengeküsst, man klopfte ihr bestätigend auf die Schultern und führte sie mit sanften Armen verzweigte Gänge entlang. In Talkshows, Samstag-Abend-TV-Knüllern und Knallern, Quizsendungen und Gastrollen in Spielfilmen. Während großer Galen, alles überschattenden Sportereignissen, prunkvollen Empfängen und Zirkusvorstellungen. Draußen in der Welt berührten sie andere. Dann berührten auch wir sie. Wir strichen über ihr glänzendes Haar, hielten ihre flauschige Hand, zogen ihr an den Ohren und taten dies alles furchtbar gern. Wir berührten sie, andere berührten sie und im Grunde waren wir alle gleich.
Unsere Mutter war ein Star, denn sie besaß alles, was ein Star brauchte, der weder singen, schauspielern noch gute Bücher schreiben konnte: Hundeohren, Hundepfoten, eine Hundezunge und eine Hundenase. Und mit diesen sang sie, schauspielerte und schrieb sie gute Bücher und die Menschen liebten sie und machten sie zu eine der reichsten Frauen der Welt.
Über Nacht war sie zu einem Halbhund mutiert, über Nacht hatte sie die Welt erobert - und über Nacht stürzte sie wieder ab.
Die Zeitungen waren an jenem Morgen voll davon: An einem Dorf am Meer sei einer Frau ein riesiger Dinosaurierkopf gewachsen, genauer, ein Tyrannosaurus - Rex Schädel erschreckenden Ausmaßes.
Die Welt staunte und vergaß Mutter. Die Berührungen nahmen ein drastisches Ende, Einladungen wurden seltener und hörten schließlich ganz auf und ihre Schallplatten verkamen zu verstaubten Ladenhütern. Jetzt war alles Dino! Und auf einmal meinten wir Veränderungen an Mutter festzustellen. Wir entdeckten Filzläuse auf ihren Tatzen, kahle Stellen an den Ohren, brüchige Krallen und einen alles überdeckenden Mundgeruch. Nun scheuten wir uns, sie zu berühren und nahmen Abstand, aus Angst sie könne krank sein und uns anstecken. Als wir schließlich Haare auf unserer Kleidung und den Möbeln fanden, wussten wir uns nicht mehr anders zu helfen.
„Sie hatte das alles schon vorher“, meinte meine Schwester vorwurfsvoll, als sie ihre Mutter abholte, „und das wisst ihr genau.“
Wir versuchten ihr zu widersprechen, aber uns war klar, dass wir weder sie noch uns täuschen konnte.