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HUNDE°LEBEN oder: Wenn alles gut läuft...
Um den 7:33 Uhr Bus in Richtung Stadtmitte zu erreichen, muss ich um exakt 7:23 Uhr meine Wohnung verlassen. Wenn alles gut läuft, spuckt der Bus mich 20 Minuten später am Rathausplatz wieder aus. Von dort aus ist es genau eine Gehminute bis ich das Gebäude, in dem ich arbeite, erreiche. Callcenter-Agent ist meine Berufsbezeichnung. Wenn ich neue Leute kennenlerne und das Thema Beruf aufkommt, lasse ich aus Spaß gerne mal den vorderen Teil der Berufsbezeichnung einfach weg, in der Hoffnung, dass sich daraus ein lustiges Gespräch entwickelt. Aber die meisten kennen den Witz irgendwie schon und wenn sie mich nach Details zu meinem Job fragen, wechsle ich am liebsten das Thema. Effiziente Gesprächsführung ist schließlich mein tägliches Brot und wenn alles gut läuft, funktioniert diese Strategie. Oft kommen solche Situationen aber ohnehin nicht in meinem Leben vor, da ich kaum die Zeit finde, viel zu unternehmen.
Seit dreizehn Jahren mache ich nun diesen Job. Nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte und nicht so recht wusste, wohin mit mir, sollte es eigentlich nur eine temporäre Geschichte sein. Ich war schon immer sehr verantwortungsvoll und wollte der Gesellschaft nicht auf der Tasche liegen und selbst für meinen Lebensunterhalt sorgen. Irgendwie habe ich dann einfach immer weiter gearbeitet.
Ich arbeite exakt acht Stunden pro Tag, nur unterbrochen von einer Stunde Mittagspause. Jeden Tag zwischen 12:04 Uhr und 12:13 Uhr kaufe ich mir beim Nordseerestaurant um die Ecke zwei Fischbrötchen, esse diese im Gehen auf dem Weg zu dem kleinen Park, in dem ich zunächst drei Runden drehe. Die restliche Zeit sitze ich dann auf einer Parkbank, um die anderen Leute zu beobachten und meinen Gedanken nachzuhängen. Um genau 13:00 Uhr sitze ich dann wieder in meiner Box und schalte mich in die Hotline ein. Bis um 17:00 Uhr. Um 17:13Uhr nehme ich den Bus nach Hause. Wenn alles gut läuft, spuckt der Bus mich 20 Minuten später gegenüber der Haltestelle, an der ich exakt zehn Stunden vorher in den Bus Richtung Innenstadt stieg, wieder aus.
Jeden Dienstag und Freitag kaufe ich meine Lebensmittel bei dem auf dem Nachhauseweg gelegenen Edekamarkt. Brot, Mayonnaise, Pfeffersalami und Ochsenschwanzsuppe aus der Dose. Die Ochsenschwanzsuppe, welche man selbst mit 750 ml Wasser anrühren muss, ist ungenießbar. Getränke kaufe ich nie, ich trinke ausschließlich Leitungswasser. An den anderen Tag gehe ich direkt nach Hause. Bis um 19:00 Uhr bin ich dann meistens geduscht und umgezogen für die Nacht. Aber auf jeden Fall liege ich um exakt 19:30 Uhr auf meiner Couch und masturbiere. Wenn alles gut läuft, spuckt mein Penis 20 Minuten später weißen Schleim und ich verspüre ein körperlich sehr schönes Gefühl. Dann habe ich noch ausreichend Zeit mich zu säubern, bis um 20:00 Uhr die Nachrichten anfangen. Ich empfinde es als meine gesellschaftliche Verpflichtung, mich darüber zu informieren, was in der Welt geschieht. Viele zu viele Leute gehen ignorant durch das Leben, immer nur auf ihre eigenen Vorteile bedacht. Diesem Schlag Menschen möchte ich wirklich nicht zugehörig sein.
Wenn der Wetterbericht anfängt, schalte ich den Ton lauter, damit ich den Fernseher auch höre, während ich in die Küche gehe und mein Abendbrot zubereite. Bis etwa 20:35 Uhr habe ich dann gegessen und das Geschirr bereits wieder abgespült. Dann vertrödele ich die Zeit mit entspanntem Nichts-Tun bis exakt 20:57 Uhr. Dabei lasse ich gedanklich die Ereignisse des Tages Revue passieren. Dann gehe ich ins Bett. Es hat sich herausgestellt, dass neun Stunden Schlaf für mich die optimale Zeitspanne ist, um zu regenerieren. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen einmal weniger Schlaf bekomme, fällt es mir sehr schwer den Anforderungen des folgenden Tages gerecht zu werden und ich fühle mich wie völlig aus dem Takt gekommen. Aber wenn alles gut läuft, schlafe ich sofort ein, kaum dass mein Kopf das Kissen berührt. Der Körper holt sich einfach was er braucht, dessen bin ich mir sicher.
An Wochenenden, Feiertagen oder an einem meiner 26 Urlaubstage, fehlt mir diese Routine. Ich nutze diese Tage aber dann doch ganz gerne, um mich richtig gehen zu lassen. Ich genieße es, den ganzen Druck und die Last des Alltags einmal hinter mir zu lassen und einfach nichts zu tun. Dann kommt es schon vor, dass ich mich noch nicht einmal anziehe oder die Zähne putze. Früher verspürte ich dabei oft ein schlechtes Gewissen der Gesellschaft gegenüber. Ich machte mir besorgte Gedanken darüber, was wohl mit der Welt geschehen würde, wenn alle Leistungsträger sich derart der Faulenzerei hingeben würden. Doch das legte sich dann, als ich feststellte, dass ich meinen Beitrag eben nur leisten kann, wenn ich überhaupt leistungsfähig bin. Hierfür sind regelmäßige Erholungspausen unabdingbar. Wenn alles gut läuft, sprühe ich an einem Montagmorgen förmlich über vor Energie.
Manchmal mache ich auch lange Spaziergänge, auf welchen ich über mein Leben sinniere. Wenn alles gut läuft, enden diese Tage mit einem Erkenntnisgewinn. Meistens empfinde ich Zufriedenheit. Ich halte es für sehr wichtig, sich immer mal wieder zu hinterfragen. Wer bin ich? Was tue ich? Macht mein Leben einen Sinn? Mir wurde nach und nach bewusst, dass in mir eine gewisse Unruhe ist, die ich aber nicht so recht einem konkreten Problem zuordnen konnte. Mir geht es doch gut! Wenn alles gut läuft, kann ich mich in keiner Weise beklagen.
Ich habe mir dennoch überlegt, wie es wohl wäre einen Partner zu haben, der mich auf diesen Spaziergängen begleiten würde. Ich dachte daran, mir einen Hund anzuschaffen. Aber dann fiel mir ein, dass das leider nicht möglich ist. Immerhin bin ich an meinen Arbeitstagen mehr als zehn Stunden außer Haus, wer sollte das Hundchen dann versorgen? Abgesehen davon würde es meinen gesamten Alltag durcheinander bringen. Ich müsste viel früher aufstehen und käme weit aus später ins Bett, weil ich mit dem Hund raus gehen müsste. Ich käme nicht mehr auf meine neun Stunden Schlaf, es sei denn, ich würde mich völlig umorganisieren. Wenn alles gut laufen würde, könnte ich das hinbekommen, aber ist es mir das wert? Irgendetwas würde dabei doch sicher auf der Strecke bleiben. Es könnte Auswirkungen auf meine Leistungsfähigkeit haben, ob ich das wirklich riskieren wollte? Und ein Hundchen sollte es doch schön haben und nicht im wahrsten Sinne des Wortes ein Hundeleben führen.
Vor kurzem las ich in unserem Regionalblättchen, dass das Tierheim in unserer Stadt immer wieder sogenannte Gassigeher suchen würde. Das wäre vielleicht etwas für mich. Ich würde einem herrenlosen Vierbeiner eine Perspektive bieten und dabei gleichzeitig etwas Gutes tun. Ich müsste keine Gesamtverantwortung für einen Hund übernehmen, mir entstünden keine Kosten, aber ich hätte trotzdem die Möglichkeit nach meinem Bedarf, Zeit mit einem Hund zu verbringen. Ich stelle es mir sehr schön vor, wie wir beiden die Spazierwege unsicher machen. Wenn alles gut läuft, könnte das eine wunderbare neue Freizeitbeschäftigung für meine arbeitsfreien Tage sein. Viele Menschen leben ja einfach so ohne Sinn und Zweck vor sich hin. Ich könnte das nicht, so ein Hundeleben führen.