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Hund mein Bruder

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14.10.2001
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Hund mein Bruder

Hund sein Bruder

Hund sein Bruder

Hund war immer schon bei ihm gewesen – so schien es ihm zumindest. Inzwischen war es wohl über zwanzig Jahre her, dass sie zusammengefunden hatten. Und er glaubte fest daran: Auch heute, auch jetzt würde Hund ihn nicht im Stich lassen.
Hund saß immer neben seinem Bett, wenn er morgens aufwachte. Er lag ihm zu Füßen, während er frühstückte. Danach machten sie gemeinsam ihren Morgenspaziergang. Inzwischen konnte er Hund sogar mit zur Arbeit nehmen, und auch dort wich er ihm nicht von der Seite. Bei der langen Runde durch den Wald, die sie immer vor dem Abendbrot machten, ging Hund im Gegensatz zu früher immer brav bei Fuß. Und wenn er nachts aus tiefem Schlaf hochschrak, sah er Hunds Augen in rötlich-gelbem Feuer neben seinem Bett glühen und konnte ruhig weiterschlafen.
Hund verstand alles, was er ihm erzählte, und er wusste immer genau, wie er sich gerade fühlte. War er ruhig und entspannt, saß Hund zufrieden neben ihm. War er zornig, tänzelte Hund nervös um ihn herum. Und wenn er sich wieder einmal so traurig fühlte, ohne Aussicht, ohne Hoffnung, dann stupste Hund ihn aufmunternd mit seiner Schnauze an und leckte ihm die Hand.
Nur weil Hund ständig um ihn herum war, fühlte er sich sicher. Hund spürte immer, wenn es gefährlich wurde. Dann knurrte er leise grollend und fletschte seine großen weißen Zähne. Niemand wagte deswegen, ihnen zu nahe zu kommen. Niemand wagte, ihn anzusprechen oder gar in sein Haus einzudringen.
Hund erahnte jede Bedrohung und bellte kurz auf, um ihn zu warnen. Wie oft hatte er ihn zum Beispiel schon davor bewahrt, überfahren zu werden, wenn er wieder einmal gedankenverloren die Straße überqueren wollte!
Als er nun so still dastand, dachte er zurück an alles, was er mit Hund erlebt hatte. Hund war wie ein Bruder für ihn. Nein, eigentlich mehr. Viel mehr. Hund war nämlich dafür verantwortlich, dass er überhaupt noch lebte.
Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte Hund sein Bruder ihm zum Beispiel sogar das Leben gerettet. Vielleicht war er ja wirklich leichtsinnig gewesen. Oder hatte am Ende Hund auch Schuld? Jedenfalls war das Ruderboot wirklich ein bisschen zu klein für ihn und seinen riesigen Hund.
Es war ein herrlicher Tag, warm und sonnig, aber in ihm war es wieder mal trübe, so trübe. Mitten auf den endlosen See waren sie hinausgerudert. Kaum konnte man das Ufer noch erkennen. Ganz allein waren sie dort. Nur ein paar Wasservögel kreisten über ihren Köpfen.
Hund schaute den Vögeln nach, und dabei geriet das Boot ins Schwanken. Plötzlich kippte es um, und sie fielen beide ins Wasser.
Die flüssige Eiseskälte, in die er plötzlich eintauchte, benahm ihm fast den Atem. Das Wasser schlug über seinem Kopf zusammen. Er sank. Eigentlich wollte er sich fallen lassen, hatte sich doch schon lange aufgegeben, aber seine Arme ruderten wie von selbst. Keuchend kam er an die Wasseroberfläche und begann fast gegen seinen Willen zu schwimmen. Er war ein ungeübter Schwimmer, und das Ufer schien weit. Bald würden ihn seine Kräfte verlassen. Aber Hund hatte ihm geholfen. Hund hatte ihn gezogen, geschoben, gestützt, Hund hatte ihn gehalten und ihm Mut gemacht, und so war es ihm tatsächlich gelungen, das Ufer zu erreichen.
Er seufzte und blickte nach unten. Gedankenverloren tätschelte er Hunds mächtigen Schädel.
An den Abend vor drei Tagen, als sie gemeinsam durch den herbstlichen Wald streiften, musste er jetzt denken. Dämmerung sickerte schon durch die Zweige, und obwohl Hund sein Bruder einen sehr massigen Körper hatte, verwischte sich sein graues struppiges Fell gegen das verschwimmende Licht.
Am anderen Ende des Weges tauchte plötzlich ein schwarzer Punkt auf, der rasch größer wurde. Es war ein Mensch. Hund knurrte kurz und lief ein wenig schneller. Hund lief und lief, schneller und schneller, und er versuchte nachzukommen. Ein feuchter Film überzog seinen Körper. Er wusste nicht, ob es Schweiß war oder die feuchte Kühle des Herbstwaldes. Sein heißer Atem blähte sich vor ihm auf.
Hund knurrte wieder, dieses Mal anhaltend und böse. Eine große, kräftige Frau war jetzt nur noch wenige Meter von ihnen entfernt. Hund zeigte ihr sein Gebiss. Sein Atem ging hechelnd.
Die Frau hob ihren Arm wie zum Gruß. In ihrer Hand aber blitzte etwas auf. War es ein Ring? Nein! Es war ein Messer! Sie hatte ein langes Messer auf ihn gerichtet! Sie wollte sie umbringen! Ihn und Hund!
„Fass!", rief er Hund zu. Im selben Augenblick stürzte sich Hund auf die Mörderin. Sie schrie und wollte fliehen. Hund packte sie und sie versuchte, sich zu wehren, aber Hund schüttelte sie wie eine Stoffpuppe, seine Zähne gruben sich in ihr Fleisch, und dann half er Hund und nahm das Messer, und dann war das Blut der Frau plötzlich überall.
Erst als sie so vor ihnen lag, erkannte er, dass es eine Nachbarin war. Die Nachbarin von gegenüber, die immer so über Hund und über das Schild an seiner Haustür gelacht hatte, das Warnschild mit der Aufschrift: „Vorsicht! Bissiger Hund!"
Eingehüllt in die Dunkelheit eilte er mit Hund nach Hause. Es war Zeit fürs Abendbrot. Und Hund sollte zur Belohnung etwas ganz Besonderes bekommen!
Er seufzte wieder und machte er einen kleinen Schritt nach vorn. Verwundert schüttelte er den Kopf. Wer hätte heute morgen gedacht, dass dieser Tag so enden würde! Er hatte begonnen wie immer mit Hund seinem Bruder an seiner Seite.
Und dann waren sie auf dem Weg zur Arbeit wieder dieser Frau begegnet. Er hatte gleich geahnt, dass das nicht gut gehen würde, hatte nur grüßen und rasch vorbeigehen wollen, aber die Frau war stehen geblieben und hatte ihre Hand ausgestreckt. So hatte er keine Wahl und musste ihr die Hand geben. „Sitz!", sagte er zu Hund und Hund gehorchte wie immer. Er knurrte die Frau nur kurz an.
„Ich hätte da einen Welpen für Sie", sagte die Frau. „Ein ganz gesundes, munteres Tier. Es ist genau dieselbe Rasse wie Ihr alter Hund!"
„Ich will aber keinen Welpen!", antwortete er ungehalten. „Und Hund will das auch nicht! Nicht wahr, Hund?", wandte er sich an seinen Bruder und tätschelte ihn.
„So hören Sie doch endlich damit auf!" rief die Frau beschwörend. „Sie wissen doch genau: Ihr Hund ist tot! Sie mussten ihn einschläfern lassen! Vor mindestens fünf Jahren schon!"
„Hund ist nicht tot!", rief er erregt. „Ja, sehen Sie denn nicht? Hier sitzt er doch! Direkt neben mir!"
Hund knurrte immer lauter. In seinen Augen glomm ein böses Licht. Er riss seinen blutroten Rachen auf und bleckte seine gefährlichen Zähne.
„Komm!" zischte er Hund zu, ehe noch Schlimmeres geschah, und ließ die Frau stehen.
Danach war er nicht zur Arbeit gegangen. Er konnte nicht. Heute nicht. Nie mehr.
Unverwandt blickte er vom Dach des Hochhauses in die Tiefe. Unten war nichts als leerer Asphalt. Ein ganz kleiner Schritt trennte ihn nur noch vom Abgrund. Er musste ihn jetzt tun. Einfach einen Schritt tun. Aber es war schwer, sehr schwer! Schwerer als er gedacht hatte.
Da spürte er eine Bewegung neben sich. Hund sein Bruder rieb den Kopf an seinem Oberschenkel. Dann rammte er ihm plötzlich seine Schnauze in die Kniekehlen. Seine Beine knickten ein und er fiel.

 

Hi Jakobe,

zu Deiner Geschichte habe ich gemische Gefühle. Eigentlich finde ich sie gar nicht schlecht, aber es gibt da doch ein paar Sachen, die mich gestört haben. Zum Einen finde ich es blöd, daß der Hund nur "Hund" heißt. Da fehlt das Persönliche, der Name. Dann fand ich die Sache mit der Nachbarin, und wie die Beiden sie im Wald ermorden, nicht besonders gut. Irgendwie komisch. Tritt als Wendung in die Story und macht das Bisherige kaputt. Ich hätte das ganz weggelassen.
Daß der Hund schon seit Jahren tot ist und das Herrchen ihn einfach sieht, als wäre er noch am Leben, finde ich ziemlich gut. Hab mal eine X-Faktor-Folge gesehen, bei der das genauso war... Gruselig! :eek: Ich würde an Deiner Stelle darauf den Schwerpunkt legen und die Sache mit der Nachbarin weglassen. Ich glaube, das kommt besser.

Gruß,
stephy

 

Ich versteh nur das Ende nicht...warum bringt ihn jetzt sein eigener Hund, der ja sowieso nicht mehr existiert um - Und anscheinend wusste er ja bereits, dass die Frau behauptet, sein Hund sein tot, warum bringt er sich genau nach dieser weiteren Aussage um?
Ich finde es jedoch gut, den Hund einfach als "Hund" zu bezeichnen. Hat irgendwie was niedliches, und abstraktes zugleich - und immerhin heisst ja die Rubrik ja hier "Seltsam", nicht? ;)

 

Ich wollte in der Geschichte zum Ausdruck bringen, dass der Mann verrückt ist. Er hat die Nachbarin umgebracht, weil sie über "Hund" gelacht hat (weil der ja nicht mehr existiert), aber diesen Mord so erlebt, als ob "Hund" die Frau getötet hätte. Am Ende bringt er sich selbst um, was er schon einmal auf dem See versucht hatte. Aber er erlebt alles so, als ob "Hund" dafür verantwortlich wäre. "Hund" ist die Personifizierung seines Wahnsinns.

 

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