Mitglied
- Beitritt
- 16.03.2013
- Beiträge
- 92
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Hund gegen Ochse
Muff verzieht die Mundwinkel zu einem süffisanten Lächeln und steht mit verschränkten Armen da. Er nickt mit dem Kopf, als würd irgendein Superhit aus den Achtzigern laufen. Hat schon was weibliches an sich, der alte Muff, aber nur in seinen Bewegungen. Ansonsten leidet mein Sandkastenkumpel an einer Testosteronüberdosis, mit seiner abgewetzten Lederjacke und dem Rumgerülpse.
Der andere mustert Muff. Alles was sich bewegt ist sein Kiefer, als wäre er ein widerkauernder Ochse, kurz vorm explodieren. Einmal ausgeholt und ich kann die Überreste Muffs von der Mauer kratzen.
Es liegt Spannung in der Luft. Das ist so ein Moment, den du mit dem bescheuerten Kasten aus dem Physikunterricht messen könntest, wie hieß der nochmal? Geigerzähler glaub ich. Der wär jetzt sicherlich im roten Bereich. Da kannste ne Stricknadel fallen hören.
Es hatte ganz harmlos begonnen. Muff war schon ne ganze Weile im Halbdunkel der Kneipe gestanden und hatte das Spiel des Ochsen beobachtet. Er war merkwürdig still und in sich gekehrt an diesem Abend.
„Wie heißt eigentlich dein Hund?“, fragte er auf einmal.
„Welcher Hund, ich hab kein Hund“, erwiderte Ochse ohne aufzuschauen.
Darauf Muff: „Oh, das tut mir jetzt aber wirklich leid! So blind und kein Hund.“
Ochse blies sich zu seiner vollen Größe auf. „Chalt dein Klappe oder ich chelf dir dabei!“
„Schon mal‘ n Liter Blut aus der Nase gespendet?“
Ups, bei dem bis dato eher gemütlichen Abend schien sich eine jähe Wendung abzuzeichnen. Was um Himmels Willen war in Muff gefahren?
„Kommst du mit an frische Luft?“, brummte Ochse.
„Gute Idee, du verschönerst jeden Raum beim hinausgehen!“
Jetzt stehen wir hier in der Kälte. So kenn ich Muff gar nicht.
Ach ja, die Geschichte mit Birgitt. Das hatte ihm wohl keine Ruhe gelassen. Als Tiefenpsychologe hab ich schon immer getaugt. Jedenfalls war Birgitt heute gestorben, wie er mir am Telefon so ganz nebenbei und nach zwanzig Minuten mitgeteilt hatte. Birgitt war die Schäferhundmischlingsdame – wie nennt man das, Rüdin? – also die Schäferhundmischlingsrüdin seiner Ex. Die hieß übrigens Fabienne. Muff war nur so zwei Monate mit Fabienne zusammen gewesen, ist aber noch hinterher mit Birgitt Gassi gegangen. War wohl so ne Art Seelenverwandtschaft.
Muff hieß ja nicht immer Muff, muss man da wissen. Eigentlich heißt er Konstatin. Aber damals, als wir so achtjährige Rotzlöffel waren, da hatten seine Eltern so nen beknackten Mops. Immer wenn es an der Tür schellte, machte der „Muff!“. Naja, wir hatten unseren Spaß damit. Und wenn einer zu Konstatin gehen wollte, da sagte der dann bloß: „Kommt, lasst uns zu Muff gehen“. Den Rest kann man sich ja denken. Auf alle Fälle war Birgitt schwer zuckerkrank, weil Muff ihr immer heimlich Schokolade gab. Und daran ist sie dann auch höchstwahrscheinlich verreckt. Arme Birgitt.
Irgendwo musste sich Muffs angestaute Aggression und Trauer nun entladen. Und ich wollte ihm da beistehen, denn ich hab gelesen, dass man als Trauernder unbedingt Wut zulassen muss. Das wär ganz normal. Muff brauchte ein Ventil. Aber musste es unbedingt Ochse sein?
Muff nickt immer noch so bescheuert. „Wären deine Eltern die fünf Minuten lieber spazieren gegangen“, sagt er zum Ochsen. Einfach zu gut, um von Muff zu stammen. Er holt sich alle seine Sprüche aus‘ m Netz. Eigentlich gar nicht so verkehrt. Die besten Sprüche hat man doch immer irgendwo und bei irgendeiner Gelegenheit aufgeschnappt. Warum alles dem Zufall überlassen? Ich glaub, das versteht Muff unter Vorsorge.
„He Alter, Muff hat recht und wenn dir‘ s nicht passt, dann renn doch nach Hause!“, sag ich.
Gut, das war weder originell noch geistreich. Keine Reaktion bei den beiden. Warum fällt mir auch nichts Besseres ein? Bei solchen Situationen wollen die Synapsen nicht so recht bei mir. Hab dann so ne Art Hirnkrampf. Scheiße, ich will doch nur helfen!
„Chast du keine Angst? Du bist so dünn, du kannst neues Maskottchen für Welthungerhilfe werden!“, protzt Ochse.
„Schaff erstmal die dritte Klasse, bevor du mit mir redest!“, meint Muff und nickt.
„Geh doch auf Autobahn, kannst du bisschen spielen.“
"Ah, du sprichst aus Erfahrung, aber wie hast du eigentlich vor dem Unfall ausgesehen?"
"Wahrscheinlich besser!", sag ich. Mist, das war jetzt wirklich schlecht. Dafür werden sich meine Enkel noch schämen.
Oh, Ochse hat aufgehört widerzukauen. „Du bist es niacht wert, du Schwuchtel!“, grunzt er aus zusammengepressten Gebiss. Dann rotzt er Muff vor die Füße, dreht sich in Zeitlupe um und geht.
„Siehst du!“, triumphiere ich, als er aus Hörweite ist, „ich hab ihm Schiss gemacht. Ochse geht wirklich nach Hause!“
Mann, fühl ich mich gut! Hat wohl doch einiges an Eindruck hinterlassen, mein platter Spruch. Wahrscheinlich habe ich die fehlende Tiefe durch Persönlichkeit wett gemacht. Oder er war auf Bewährung.
„Da hat er nochmal Glück gehabt“, murmelt Muff, immer noch nickend. Er sollte definitiv damit aufhören.