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Human Behaviour
Die Nacht hatte gerade ihre erste Hälfte überschritten, da sahen wir die Festung vor uns aus der Dunkelheit aufragen, fremd und bedrohlich.
„Ab hier jetzt mit äußerster Vorsicht! Macht die Lampen aus!“ zischte der Kommandant, und der Forscher und ich duckten uns noch tiefer auf den zerschundenen Boden, als wir schon waren. Mir schauerderte beim Gedanken, auf was wir ab hier herumrobben würden; nicht nur auf dem Schutt und der Asche der verbrannten Wohnhäuser, sondern auch auf den bestialisch zugerichteten Überresten ihrer Bewohner. Auf Leuten, die ich vielleicht einmal gekannt hatte, vor der Invasion.
Hier, wurde mir plötzlich wieder schmerzlich bewusst, stand einst meine Geburtsstadt.
„Langsam jetzt, ganz langsam! Diese Biester haben auch Nachtsichtgeräte! Und passt auf Scheinwerfer auf!“
Viereinhalb Tage zu Fuß, durch ausgebrannte Landschaften, kaum Proviant, und mit der immerwährenden Angst, von einem ihrer Gleiter entdeckt zu werden. Und im Grunde hatten wir gar keine Chance.
Da! Ein Lichtkegel! Wir warfen uns an eine schützende Mauerruine; der Scheinwerfer wanderte weiter, man hatte uns nicht bemerkt. Eine unheilvolle Neugier drängte mich, den Kopf zu heben. Als ich dem fahlen Lichtschein nachblickte, sah ich, wie er nach und nach ein Stück der entsetzlichen Verwüstung offenbarte, die ich erst jetzt mit eigenen Augen zu sehen bekam; für einen Moment erstrahlte in der Ferne etwas, das wie die Skelette der Hochhäuser meiner Heimat aussah.
Mit einem Mal rissen sich in mir wieder die Wut und die Verzweiflung los, ich war machtlos an sie ausgeliefert! Hier lebten einmal tausende von Leuten, Familien, Kinder, meine früheren Spielkameraden! Alle tot! Verbrannt, verstümmelt, zerfetzt von Waffen, genauso verheerend wie fremdartig! Ganze Städte, ganze Metropolen, ganze Nationen waren ausgetilgt worden!
Der Kommandant bemerkte meine aufkeimende Raserei, wir hielten einen Augenblick lang inne, er redete eindringlich auf mich ein, bis ich mich wieder fassen konnte.
Als der Lichtkegel auf die andere Seite der Festung huschte, schlichen wir weiter. Sonst war alles totenstill. Jetzt schnell über eine verschüttete Hauptstraße. Ich kannte diese Straße. Vor einem Jahr pulsierte hier noch der Verkehr, in den Häusern herrschte Wohlstand, bequeme Langeweile, bedeutungsloser Zeitvertreib. Der letzte Krieg, die letzte Hungersnot waren lange her. In diesem Teil der Welt hielt man sich für sicher, zivilisiert und für die Krone der Schöpfung...
Doch dann kam mit einen mal der Tag, an dem alle aus ihrem Wachkoma aufgeschreckt wurden: Astronomen berichteten von einer merkwürdigen Formation aus beweglichen Objekten, die direkt auf unseren Planeten zusteuerten. Man rätselte erst: Ist es natürlich oder künstlich? Dann, als die Raumschiffe näher kamen: Sind sie friedlich oder feindlich?
Die Welt teilte sich schnell in Panik und in religiösen Heilstaumel, dazwischen standen die, die es krampfhaft ignorierten und störrisch ihren Alltag weitertrieben; man stritt, was man jetzt tun solle, auch noch, als die Flotte schon wie ein geometrisch perfektes Sternbild am Nachthimmel auszumachen war, doch was hätte man denn tun sollen?!
Die erste Angriffswelle brandete wie eine Sturmflut. Egal, was man war und zu wem man gehörte; als die ersten Geschosse aus dem Himmel auf unsere Hauptstädte stürzten, die ersten Kampfgleiter der Fremden ihre tödliche Strahlung ausstießen und alle Soldaten gleichzeitig in den Krieg zogen, ohne dass die meisten je wieder gesehen worden wären, dann war es endlich soweit, dann waren alle von uns gleich. Kein Reicher, kein Berühmter, der einen gnädigeren Tod erlitt als die namenlosen Millionen. Die Robe der Zivilisation wurde über Nacht heruntergerissen, und wir wurden nicht nur wie niederes Vieh ausgerottet, sondern wir verhielten uns bald auch selbst wie solches. Es gab keine flüchtigen Freundschaften mehr; es gab entweder nur engste Angehörige oder erbitterte Rivalen im Kampf um Schutz und Fressen.
Kultur war nur noch ein lächerlicher Traum aus fernen Tagen, und unsere ach so mächtige Technologie wirkte wie ein billiger Witz, bevor sie von einer weit überlegeneren einfach weggewischt wurde.
Jetzt bestand die Welt nur noch aus Kontinenten, die wie gigantische Friedhöfe auf dem Globus lagen, und auf denen die letzten Überlebenden herumirrten, während die Fremden schon damit begannen, eigene Siedlungen zu errichten.
Nach einer halben Ewigkeit hatten wir uns an die Festung herangepirscht. Wir standen vor der steilen, glatten Wand. Das Scheinwerferlicht zog seine Kreise weit um uns herum, und die Stille war ungebrochen; anscheinend kannten die Fremden auch so etwas wie Nachtruhe... gut für uns!
Wir hielten unsere Gewehre im Anschlag und suchten die Wand nach einer Öffnung ab. Hoffentlich hatte sich der Forscher nicht geirrt! Dann wäre die ganze Tortur umsonst gewesen...
„Hier!“, flüsterte der Wissenschaftler, „Seht ihr? Das ist einer dieser Schächte! Dieser hier ist sogar in Bodennähe! Aber er ist bestimmt von einem Kraftfeld geschützt!“ „Also dann-“ sagte der Kommandant und stockte für einen Augenblick- „Stellen wir das Gerät auf! Und betet!“
Wir hielten unseren Atem an, als der Wissenschaftler den Apparat vor dem rechteckigen Loch in der Wand in Position brachte.
Vor längerer Zeit war unser Flüchtlingstreck auf einen abgestürzten Invasoren-Gleiter gestoßen. Er war wohl eher durch einen Pilotenfehler havariert als durch feindliche Artillerie. Wir hatten unwahrscheinliches Glück, einen der klügsten Köpfe der Welt unter uns zu haben, nämlich unseren Wissenschaftler, und dieses Genie schaffte es tatsächlich, die Steuerungssysteme zu enträtseln und sogar teilweise die Schrift der Eindringlinge zu entschlüsseln. Aus dem Bordcomputer erfuhren wir, dass die Stützpunkte in entvölkerten Gegenden nicht so stark gesichert wurden, und durch Augenzeugenberichte wussten wir von den Schächten ins Innere.
So fassten wir den kühnen Entschluss, in einen Stützpunkt einzudringen und taktische Daten anzuzapfen. Wir sprachen schon von unserer letzten Chance im Kampf gegen die Fremden, doch insgeheim wussten alle, dass wir damit unseren Untergang höchsten hinauszögern, aber keinesfalls verhindern könnten...
Der Forscher aktivierte den Strahlenemitter an dem Gerät. Ein unhörbares Surren, das sich in ein lauterwerdendes Brummen verwandelte- plötzlich ein schwacher Lichtblitz vor der Öffnung, dann wieder Stille.
„Bleibt zurück- ich versuch’ es mal!“ flüsterte unser Anführer. Er zögerte kurz, dann schob er ganz langsam seinen Gewehrlauf durch die Öffnung... kein Kraftfeld!
„Hoffen wir, dass das einzige Hindernis war...!“
Jetzt geschah alles ganz mechanisch. Ohne Rücksicht auf unsere erdrückende Furcht kletterten wir der Reihe nach in den engen Tunnel. Wir hatten eine äußere Barriere angekratzt, wir spielten mit einer hochfortschrittlichen, unbekannten Technologie; die Wahrscheinlichkeit, dass das gut ginge, war utopisch gering, jeden Moment würden wir mit Sicherheit in eine Falle geraten, dann war alles aus.
Wie in Trance erreichten wir nach einer quälend langen Zeit das Ende des Tunnels, wir sahen einen Durchgang. Es gab keine Hindernisse, keine Alarmsysteme, nichts. Ein unwirkliches Hochgefühl stieg in mir auf, beinahe schon eine makabere Euphorie- sie wurde aber augenblicklich wieder durch die Ungewissheit abgewürgt, was uns wohl hinter dem Durchgang erwartete. Ein schwacher Schimmer ließ eine Ausdehnung erahnen.
Wie in Zeitlupe krochen wir einer nach dem anderen hindurch; wir fanden uns in einem Raum wieder, getaucht in Dämmerlicht und gespickt mit bizarren Konsolen und Bildschirmen.
Schlagartig fuhren wir herum- Ein Geräusch, ein Schatten- hinter einem Pult erhob sich ein großes Wesen, hässlich, auf zwei Stelzen stehend, mit einer langen Gliedmaße an jeder Seite- auf dem Rumpf saß ein ballonartiger Kopf, zwei stechende Augen starrten daraus hervor- am Kopf öffnete sich eine Art Maul, ein Ton schwoll an, keiner bekannten Stimme vergleichbar, dumpf und rau- da- paff! – unser Kommandant hatte geistesgegenwärtig mit seinem schallgedämpften Gewehr einen Schuss abgefeuert. Der Ton erstickte, das Wesen taumelte, dann brach es in sich zusammen. Mit einem polternden Schlag ging es zu Boden.
Es war das erste Mal, dass ich eines aus der Nähe sah.
„Mistviecher!“ hörte ich mich sagen.
„Um Himmels Willen! G-gleich kommen bestimmt noch mehr!“ stammelte der Forscher.
„Beruhig dich! Wir bewahren jetzt Ruhe, verstanden?!“ Knurrte der Kommandant. „Los, wo sind die Datenbanken?“
Hastig machte sich der Forscher an einer der merkwürdigen Konsolen zu schaffen.
Im Raum war nichts zu hören außer unserem Atmen und dem Geräusch des Tippens.
Ein Bildschirm hellte sich auf. Die Displays leuchteten.
Ich zitterte innerlich.
„Ich hab’ was!“ sagte der Wissenschaftler.
„Was? strategische Daten?!“
„Nein... nein, ich fürchte nicht...“ „Verdammt!“
„Aber hier steht etwas über ihre Herkunft! Hier steht, sie haben ihre Heimatwelt selbst zu Grunde gerichtet... Als sie die Fähigkeit entwickelten, zu den Sternen zu fliegen, haben sie eine neue gesucht...“ „...und unsere gefunden!“ wisperte der Kommandant verächtlich.
„Ah, und hier steht auch, woher sie kommen- sie sind von einem Planeten, den sie Erde nennen.“
„Mistviecher!“ quoll es wieder aus mir hervor; die Wut packte mich erneut, ich richtete meine drei Vorderaugen hasserfüllt auf das tote Monstrum, umfasste mit meinen Tentakeln den Auslöser des Gewehrs und schoss noch einmal auf das Ding.