Hugo ist da!
Ich war nackt, als ich folgende Nachricht bekam: „Hugo ist da!“
Ich stand im Badezimmer und wollte duschen. Ich hatte den Duschvorhang zur Seite geschoben und wollte gerade schwungvoll die Wanne betreten, da stoppte mich ein maschinengewehrartiges Klopfen an der Badezimmertür. Mitten in der Bewegung fror ich ein. Meinen erhobenen Fuß stellte ich wieder auf der Badezimmermatte ab und öffnete die Tür. Im Flur stand meine Frau, strahlte mich an und sagte: „Hugo ist da!“
Ich blickte an mir herunter. Hat er jetzt einen Namen?
„Nein, du Blödmann!“, wetterte sie, als sie meinen Blick bemerkte. „Hugo ist da!“
Ich schaute zur Haustür. Sie war verschlossen. Um physischen Besuch bei uns im Haus konnte es sich also nicht handeln.
„Ach, du warst einkaufen…“, fing ich an zu raten und dachte dabei an das Trend-Getränk aus Sekt, Minze und Gedöns, das Frauen sich immer bei Hochzeiten hinter die Binde kippten. Ich erinnerte mich, dass ich es auch mal in fertig gemischter Variante im Supermarktregal hatte stehen sehen.
„Herrgott nochmal!“, rief meine Frau und verdrehte die Augen. Ihr strahlendes Lächeln war einem Gesichtsausdruck gewichen, den Indianer früher gerne bei Kriegserklärungen verwendet haben. „Hugo! Rebecca!“ Sie deutete mit dem rechten Zeigefinger auf ihr linkes Ohr. Erst jetzt merkte ich, dass sie das Telefon am Ohr hatte.
Ding Dong!
Es klingelte. In meinem Kopf. Der Groschen war gefallen. Er war so groß wie ein Käserad und tat höllisch weh, als er mir von innen gegen die Schädelwand bollerte.
Hugo, na klar, der Sohn von Rebecca und Martin. War offensichtlich geboren worden. Heute. Oder gestern. Egal. Ich hatte verstanden und lächelte erleichtert.
Auch meine Frau schien froh zu sein, dass ich endlich verstanden hatte, was sie von mir wollte. Sie nahm das Telefon vom Ohr und drückte eine Taste.
„So, jetzt können wir dich beide hören. Stefan ist auch da.“ Offenbar hatte sie die Freisprechfunktion aktiviert.
„Hallo Rebecca!“, rief ich. „Herzlichen Glückwunsch! Mann, das ich ja wirklich ne tolle Nachr…“
„Rebecca? Nein, ich bin’s. Deine Mutter!“, quäkte es aus dem Hörer.
Jetzt verstand ich wieder nur Bahnhof. Verdutzt blickte ich zu meiner Frau. Ein bisschen schämte ich mich auch, weil ich nackt mit meiner Mutter redete.
„Da ist doch nicht Rebecca dran!“, sagte meine Frau entrüstet und verdrehte erneut die Augen, als wäre ich in meinem Adamskostüm mal eben auf dem Marktplatz spazieren gewesen. „Rebecca ist doch noch im Krankenhaus, Mensch, so kurz nach der Geburt. Deine Mutter hat mir das nur gerade erzählt. Sie hat das von Sabine gehört. Die beiden treffen sich öfter. Weißte doch!“
Jaja, wusste ich.
„Aber du hast doch gesagt… Rebecca…“, erwiderte ich und ahmte ihre Bewegung mit dem Zeigefinger zum Ohr nach.
„Ja, mein Gott, so habe ich das doch nicht gemeint! Zieh dir erst mal was an!“
Meine Frau ging ins Wohnzimmer, um das Telefonat auf dem Sofa fortzusetzen.
Ich drehte mich wieder um und schlüpfte in meine Badelatschen, die neben der Duschwanne standen und die ich als Hausschuhe benutzte. Dann eilte ich ins Schlafzimmer und bedeckte meine Blöße. Jogginghose und T-Shirt. Mehr brauchte ich nicht. Schließlich wollte ich von meiner Mutter nur kurz die neuesten Infos über den kleinen Hugo abgreifen und dann die Mädels wieder ihrem Gespräch überlassen, während ich meine geplante Dusche zu Ende bringen konnte.
Als ich im Wohnzimmer auf dem Sofa Platz nahm, hatte meine Frau die Freisprechfunktion des Telefons ausgeschaltet und den Hörer wieder am Ohr.
„So, wie geht’s denn nun dem kleinen Hugo?“, fragte ich und ergänzte: „Und seinen Eltern natürlich.“
Erneutes Augenverdrehen bei meiner Frau.
„Warte mal kurz“, sagte sie in den Hörer. Dann zu mir: „Kann ich dir das später erzählen? Wir sind hier schon beim nächsten Thema.“
Mir fiel auf die Schnelle keine schnippische Antwort ein. Musste mir auch nicht. Meine Frau war bereits wieder bis zu den Hüften im Gespräch mit meiner Mutter versunken. Ich seufzte demonstrativ, erhob mich und schlurfte zurück ins Bad. Ich freute mich, dass sich meine Mutter und meine Frau so gut verstanden. Aber dieses ganze hin und her musste ich nicht immer haben. Die Frau an sich sollte in ihrer Artikulationseinheit generell mal nachjustiert werden. Das ist mir schon öfter aufgefallen. Doch darum wollte ich mich später kümmern.
Nach meiner Dusche rubbelte ich mir gerade die Haare trocken, als mein Handy klingelte.
„Nääää, Alter!“, hörte ich meinen Kumpel Martin kreischen. „Kommste rüber? Hugo ist da! Gibt Bier!“
„Ja sicher, Altäää!“, krähte ich zurück und legte auf.
Ich suchte mir schnell etwas zum Anziehen und schaute nochmal kurz bei meiner Frau im Wohnzimmer vorbei. Sie telefonierte immer noch.
„Bier!“, rief ich grinsend, während ich mit dem rechten Zeigefinger auf mein linkes Ohr deutete. Dann war ich weg.