Hubba Baba
New Orleans, die Perle des amerikanischen Südens. Oder eine Davon. Auf jeden Fall eine Touristenfalle, und Touristenfallen sind wichtig für mich. Ich hatte mich am Jakson Square eingerichtet. Tagsüber liefen hier ne Menge Touristen rum und ich machte ein paar Dollar. Um den Jakson Square gab es viele Straßenkünstler. Jongleure und Musiker mit teilweise wirklich guten Shows und natürlich Maler und Karikaturisten wie mich. Aber die absoluten Kings of Comedy waren die Wahrsager. Die meisten lasen den Leuten aus Tarotkarten die Zukunft und verdienten nicht schlecht dabei, auf jeden Fall besser als ich oder die anderen. Vielleicht machte ab und zu einer der Artistengruppen nach einer wirklich guten Show etwas mehr Geld, aber die traten meist nur am Wochenende auf und mussten das Geld, das Sie von den Touristen einsammelten, untereinander Teilen. Nein, die wahren Geldverdiener waren die Wahrsager. Ihre Ausrüstung bestand aus drei Klappstühlen, einem Klapptisch und einem Sonnenschirm. Über den Klapptisch kam ein buntes Tuch aus glänzendem Stoff und darauf die Tarotkarten und ein bisschen Klimbim wie große Glaskugeln, Muscheln und Würfel. Sie begannen ihr Tagwerk nicht vor 11 Uhr morgens. Ich übrigens auch nicht. Der überwiegende Teil der Wahrsager waren Frauen. Meist aus einer Zigeunersippe. Die fuhren mit ihrem alten Cadillac vor, die Männer bauten die Tische und Stühle auf und verschwanden nachher wieder. Die Frauen saßen dann da, in bunten Fähnchen und mit viel Lamee behangen und warteten auf Kundschaft. Die besten Kunden waren Frauen, noch besser Frauen mit einem Mann im Schlepptau. Junge Ehepaare und frisch verliebte sind die idealen Kunden für den Blick in die Zukunft. Es gab auch zwei-drei männliche Wahrsager und einer davon war Hubba Baba. Meine erste Begegnung mit ihm begann damit, das ich mich an meinem Platz eingerichtet hatte, als ein alter Neger mit einem Sackkarren neben mir auftauchte. In aller Ruhe baute der alte Mann das übliche Zubehör für Wahrsager auf. Als er damit fertig war setzte er sich auf die Mauer, die den Park einschloss, der zu Ehren von General Jakson inklusive Reiterstandbild den Mittelpunkt des Jakson Square bildete. Ich blickte etwas irritiert zu dem alten Mann und dann wieder zu dem Tisch und den Klappstühlen. Die Sackkarre diente als Stütze für den Sonnenschirm. Doch schien der Farbige nicht der Wahrsager zu sein, sondern lediglich ein Helfer. Nach etwa einer Stunde erschien dann ein wahrer Koloss von Mann. Hubba Baba war etwa 180 cm groß und unwahrscheinlich Fett. Ich schätzte ihn auf gute 190 bis 200 kilo. Er war so fett, das er sich nur mit Hilfe einer Krücke fortbewegte. Ächzend lies er sich in den Klappstuhl sinken, der das erstaunlicher weise aushielt. Aus einer mitgebrachten Tasche holte er einen pinkfarbenen Poncho mit goldenen Fransen und stülpte ihn sich über den Kopf. Der Poncho verdeckte den größten Teil des schmutzigen Hemdes und der speckigen Hose und als Krönung kramte er aus der Tasche eine Art Turban, auch in Pink und mit einem großen grünen Strassstein verziert. Derart ausstaffiert nahm er seine Tarotkarten zur Hand und begann Sie zu legen. Wenn Touristen vorbeiliefen, die nach Kundschaft aussahen, lockte er sie mit so einer art Happy-Hour-Spruch und hatte nicht wenig Erfolg damit. Seine ganze Erscheinung war jetzt bei flüchtigem Hinsehen fast schon imponierend. Ein pinkfarbener Berg auf einem kleinen Klappstuhl.
Hubba Baba erzählte seiner Kundschaft natürlich den gleichen Mist wie die anderen, aber er verpackte seine Storys mit, na sagen wir mal mehr Stil. Er verfuhr nach der Methode „Zuckerbrot und Peitsche“ und wickelte damit sogar die von den Frauen mitgeschleppten Männer ein. Da mein „Geschäft“ lange nicht so gut ging, hatte ich genügend Zeit, die Wahrsagungen von Hubba Baba mit zu hören. Im Grunde konnte es jeder und die Tarotkarten machte die Sache noch leichter. Da jeder Karte eine bestimmte Symbolik zugeordnet war, musste man nur die Geschichten und Bedeutungen der einzelnen Karten kennen und ein bisschen Menschenkenntnis haben. Der Rest war Verpackung. Hubba Baba war, wie ich feststellen konnte, ein guter Menschenkenner. Ich fragte mich, wie er auf diesen Namen kam, den er oder sein Helfer auf ein großes Pappschild gemalt hatt und das nun als Reklame an einer Seite des Klapptisches festgemacht war.
Hubba Baba, ausgesprochen Habba baba, ich denke, man muss eine verdammt lange Zeit auf irgendeinem Bett in irgendeinem Zimmer in irgendeiner schwülheißen Stadt gelegen haben, um auf so einen Namen zu kommen. Ich hatte keine Ahnung , wie dieser pinkfarbene Prophet wirklich hieß, aber es war auch egal. Hubba Baba beendete seine Sitzung nach etwa 4 Stunden. Schnaubend wand er sich aus dem Klappstuhl, verstaute sein Kostüm in der Tasche, gab dem Neger noch ein paar Anweisungen und 5 Dollar und zog dann, auf seiner Krücke das ungeheure Gewicht ausbalancierend, davon. Der Alte klemmte die Utensilien wieder auf der Sackkarre fest und verschwand in Richtung French Market. Auch ich machte nichtmehr allzu lange, es war, glaube ich, ein Dienstag und damit eh nicht viel los. Ich investierte etwa 6 Dollar in die zutaten für ein Riesensandwich. Damit und mit meiner Ausrüstung zog ich zum Missisipi-ufer, das nur durch eine Strasse und eine Bahnlinie vom Jakson Square entfernt war. Hier lagen die Schaufelraddampfer für die Touristen. Einer von den Kähnen hatte eine Dampforgel auf seinem Oberdeck und immer bevor er ablegte, wurden auf der Orgel ein paar typische Südstaatenvolksmelodien gespielt. Wenn man das ein-zwei-oder dreimal hört, ist das ja okay, doch ich hörte immer das selbe ungefähr 8-9 mal jeden verdammten Tag, denn diese Orgel war weit bis ins French Quarter zu hören.
Der Missisisipi ist schon ein mächtiger Fluss. Breit und Träge zieht er hier in New Orleans in Richtung Mexikanischen Golf. Ich sitze auf einer Bank, mache mir mein Sandwich zurecht und schaue den Containerschiffen zu, die vom Meer kommend den Fluss hochfahren, um ihre Ladung hier los zu werden. Nach dem Sandwich mache ich mich auf den weg zu meinem Schlafplatz, nicht ohne meine Utensilien vorher zu verstecken. Mein Bett ist im Moment ein trockener, Moskitofreier Platz unter einer Highway-Brücke in South-West, nicht weit vom neuen Convention-Center. Es ist ein bischen Laut, aber man gewöhnt sich dran.
Am nächsten Tag bummelte ich den ganzen Vormittag durchs French Quarter. In der Bourbon-Street waren die Jungs von der Stadtreinigung voll damit beschäftigt den Müll der gestrigen Party weg zu räumen. Irgendwann wurde es so etwa 13 Uhr und ich holte mein Zeug aus dem Versteck, trabte damit zu meinem Platz und lies mich nieder, auf gute Geschäfte.
Ich zeichnete gerade eine fette Amerikanerin, als neben mir Hubba Baba und sein Faktotum auftauchten. Der alte Neger baute wieder auf und Baba zwängte sich in den Klappstuhl. Nachdem ich mit meiner Kundin fertig war, hatte weder Baba noch ich was zu tun und wir kamen ins Gespräch. Ich fragte Baba, ob er an das Zeug glaube, das er da verzapfe. Baba sah mich einen Moment lang an. Seine kleinen Augen inmitten der Fettwülste strahlten Ruhe und Gleichgültigkeit aus. Die dicken Finger seiner Hände spielten mit den Tarotkarten. „Weist du“, fragte er mich“ was Glaube ist ?“ und ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr er fort“ es ist nicht mal so wichtig, an irgend etwas zu glauben, auf jeden Fall nicht für mich. Auch die meisten der Leute, die zu mir kommen, glauben nicht daran. Es ist einfach nur die Neugier, ob da einer etwas wissen könnte, was ich nicht weiß“. Da ist was dran, denk ich mir. Neugierde ist ein Wesenszug, dem der Mensch ne menge zu verdanken hat, aber genau so viel Ärger bringt es ein, zu neugierig zu sein. Nun, ich glaube nicht, das Hubba Baba je irgendeinem geschadet hat mit dem was er so an Zukunftsprognosen mitzuteilen hatte und die paar Dollar dafür waren und sind der Spaß allemal wert. Inzwischen hatte Baba meine Hand gepackt und betrachtete nachdenklich die Linien meiner linken Innenhand. Dann begann er mir zu erzählen . er klärte mich über mein Wesen auf und riet mir zum Schluss, schnellstmöglich reich zu Heiraten, da künstlerischer Ruhm lange auf sich warten lassen könne. Wobei ich nichts gegen Reichtum habe, nur das Heiraten störte und stört mich noch immer. Ich dankte Baba für seinen Rat, der natürlich kostenlos war unter Kollegen
und widmete mich meiner neuen Kundschaft, einem dänischen Touristen. Baba blieb noch etwa 1 Stunde, dann zog er wieder von dannen.
Die nächsten Tage tauchte Baba nicht auf, was bei Straßenkünstlern nichts Besonderes ist, da wir nicht an Ladenöffnungszeiten gebunden sind.
Eigentlich bin ich ein ziemlicher Ignorant, was das pflegen von Bekanntschaften anbelangt. Ich gehöre nicht zu der Sorte Mensch, die seiner Bekanntschaft durch ständige Besuche auf die Nerven fällt.
Eher nebenher fragte ich so nach einer Woche die anderen am Square, ob Sie was von Baba gehört hätten. Alle verneinten und ich ließ es erst mal gut sein.
Noch eine Woche später lief mir der alte Neger über den Weg, der Baba`s Sachen aufbaute.
Ich fragte ihn nach Baba und der alte Mann erzählte mir in seinem breiten Südstaatendialekt, der in etwa dem bayrischen im deutschen entspricht, was von einer Erkrankung.
Ich lockte ihm noch die Adresse raus und lies ihn dann ziehen. Baba`s Bude lag im Norden, direkt hinter dem Friedhof. Das Haus war einer der neueren amerikanischen Rigips-Bauten mit drei Stockwerken und war schon recht heruntergekommen. Die alten Häuser aus der französischen Kolonialzeit sahen schöner aus und hielten ungefähr zweihundert Jahre länger als die Schnellbauweise der Amis.
Baba`s Wohnung befand sich im zweiten Stock. Ich klopfte an die Tür, deren Nummer ich von dem Farbigen wusste, und hörte nach ein paar Sekunden das Knarren und Quietschen eines Bettgestells. Baba rief herein und ich öffnete die Tür. Die Wohnung bestand aus einem großen Raum mit angeschlossener Küchenzeile sowie einem Badezimmer mit Toilette.
An der Wand gegenüber der Küche lag Baba auf einem großen alten Bett mit schmiedeeisernem Kopf- u. Fußteil. Auf dem einzigen Tisch, auf den zwei Stühlen und auf allem anderen lagen Zeitschriften, leere Bierdosen, Verpackungen und was sich sonst so ansammelt, wenn man den „großen“ Mülleimer benutzt.
Ich lavierte durch diverse Ansammlungen von Zivilisationsresten zu dem Berg, der sich unter der zerschlissenen Bettdecke abzeichnete.
Baba blinzelte aus seinem Kissen zu mir herauf. Seine Augen waren entzündet und Er kam mir etwas abgemagert vor, obwohl das nicht wirklich feststellbar war.
„Was ist los, Hubba. Hab gehört, du bist krank? “
„Yeah, muss was mit`m Magen sein oder so.“
„ Kann ich was für dich tun? “
„ Hast du Geld? “
„ Nein “
„ Dann vergiss es “
Das war so ziemlich unsere gesamte Konversation und ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt wusste, wer ich war. Ich verzog mich auch bald wieder und setzte mich für eine Weile auf eine Bank an der Anlegestelle der Dampfer.
Baba hatte weder Geld für`n Arzt noch für Medikamente, geschweige denn eine Krankenversicherung. Das Sozialamt zahlte zwar in Notfällen eine Behandlung, aber meist kam man in die Finger von einem sehr frischen Assistenzarzt und war dann so eine Art Versuchskaninchen.
Ist schon hart, manchmal – so ein Künstlerleben.
Hubba Baba tauchte eine Woche später wieder auf. Er sah zwar noch etwas angeschlagen aus, aber er hatte seine Sprüche nicht verlernt.
Alles Glückssache.