How wonderful life is
„How wonderful life is!“
Mir ist so kalt. Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon liege. Und doch dringt die Kälte nicht bis in mein Bewusstsein. Ich schmecke den Geschmack süßen Blutes auf der Zunge, das Saure des Erbrochenen ist schon lange verschwunden. Meine Muskeln verkrampfen, doch ich spüre sie schon nicht mehr. Wie ein warmer Umhang legt sich die Betäubung durch den eisigen Wind um mich, wie ein Wiegenlied, das schaukelt, schaukelt, ich taumle, falle, liege in dem wunderschönen weichen Himmelbett, um mich herum gibt es nur noch Wärme, Wärme, die Stimme meiner Mutter, die mir noch ein leises "Gut´ Nacht" hereinruft, ganz leise, um mich nicht zu wecken, ich lächle noch einmal, dann schlafe ich ein.
Und wie aus langem Traum sehe ich wieder die Lichter der Welt, eines nach dem anderen, ich fühle einen Stich im Arm, ich friere wieder, meine Muskeln zittern. Ein Licht. Ich kann mich nicht bewegen. Krankenwagen. Ein besorgtes Gesicht einer hübschen Frau beugt sich über mich, mit einer Lampe leuchtet sie mir in die Augen. Ich kann nicht reagieren. Pupillenreflexe. Ich schmecke wieder Blut. Mir ist kalt aber ich möchte wieder schlafen, zurück in die Wärme. Noch ein Stich in meinen Arm. Sterbe ich jetzt einfach, wenn ich mich fallen lasse? Ich kann doch eh nichts dagegen tun, langsam schließe ich die Augen, ich höre die laute Stimme des schönen Gesichts, sie kennt meinen Namen, sie ruft mich, ruft mich, ruft – mich.
Ich weiß nicht, wie sie mich gefunden haben, wer mich gerettet hat, wie lange es gedauert hat. Kann so etwas nicht häufiger passieren? Man genießt den Geburtstag einer Freundin, trinkt zuviel, man geht kotzen, man trinkt wieder, dann geht man kurz raus wegen der frischen Luft und dann ist man so müde. Ich hatte wohl angeblich eine Art Schock und eine Lungenentzündung von der Kälte. Ein bisschen Antibiotika, zwei lange Wochen in dem großen stillen Krankenhaus, ich erinnere mich nicht mehr an den Besuch, den ich hatte, Leute waren da und haben Blumen gebracht, meine Mutter hat geweint.
Gibt einem so etwas mehr Ruhe? Weiß ich jetzt, worauf es ankommt? Ich sehe oft sehr lange aus meinem Fenster, an der Horizontlinie, wo alles schon blau wird, meine ich mich zu sehen - dabei ist es nur eine Spiegelung meines Gesichtes. Fast überall gibt es Blumenmuster die ich vorher nie gesehen habe. Anfangs habe ich mich vor dem kleinen Park in meiner Nähe gefürchtet, die Figuren aus dem weißen Stein haben mich immer angesehen. Doch jetzt sehe ich zurück und grüße freundlich. Ich gehe nicht mehr in die Schule, ich laufe nur noch herum, und ja, ich bin ruhig geworden. Wenn ich mit meinen Freunden rede und mit dem Mädchen, dass ich doch einmal geliebt habe, denke ich mir, dass sie gar nicht richtig bei der Sache sind, sie hören mir nicht richtig zu, und manchmal erschrecken sie auch einfach und drehen sich weg. Ich sehe aber nicht schlecht aus. Auch wenn ich mich gar nicht mehr um mein Aussehen kümmere. Die Haare bilden eine Art Seitenscheitel, ich habe nicht mehr die roten Flecken im Gesicht, die Überreste von Akne, dafür ein paar Sommersprossen. Ich sehe mich gerne im Spiegel an. So blass, wie der kalte weiße Stein. Meine Augen strahlen eine richtige Güte aus. Wie konnte ich nur vorher Zeit damit verbringen, Dinge zu tun, die ich nicht mochte, von denen ich das Gefühl hatte, sie tun zu müssen? Weil jeder sie tut? Jetzt mache ich sie einfach nicht mehr. Keine Schule, keine Arbeit, kein Essen. Meine beiden Goldfische machen auch nie etwas, sie schwimmen einfach immer nebeneinander her, fressen manchmal ein bisschen was und schwimmen weiter. Früher haben sie immer nach meinem Finger geschnappt, doch dazu haben sie jetzt auch keine Lust mehr. Dass andere Leute sich immer Sorgen machen müssen. Ich sehe das Messer in der Hand meiner Mutter, wie sie es an ihren Arm führt. Ich berühre sie nur kurz. Warum sollte sie sich umbringen wollen? Ich bin doch kein schlechtes Kind, oder doch?
Bei jemand anderem bin ich zu spät gekommen. Ich habe manchmal von ihr geträumt. Wir haben uns immer irgendwie verpasst. Sie ist so schön, wie sie daliegt. Warum hat sie das denn bloß gemacht? War sie traurig? Hat sie jemanden vermisst? Warum sehe ich sie so? Sie kniet da und sieht mich an, heiße Tränen laufen ihre Backen hinunter. Ich nehme ihre Hände dann in meine. Warum haben wir uns früher nie so getroffen? Ich wische Ihr den Mund ab. Eine leere Pillendose fällt aus ihren Händen.
Meine Sommersprossen sind jetzt wieder weg. Ich bin glücklich. Seltsam, wir haben einfach keine Kleidung an. War das schon die ganze Zeit so? Wir heulen beide vor Glück.
Matthäus
[Beitrag editiert von: Matthäus am 13.03.2002 um 23:07]