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Hotelzimmer Blues
Ich sitze auf einem Bett und schreibe.
Das habe ich schon immer so gemacht.
Nur ich, ein Stift, ein paar Blätter und eine Flasche Jägermeister.
Klar, bin ich betrunken.
Es hilft mir meine Gedanken zu ordnen und beruhigt das Zittern meiner Hände.
Die Luft ist verdammt schwer. Ich habe fast das Gefühl Flüssigkeit zu atmen.
Der Rauch einer längst verglühten Zigarette schwebt bedächtig durch die Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die nikotinvergilbten Gardinen bahnen.
Ich befinde mich in einem Hotel, das den trügerischen Namen „Hotel Royal“ trägt.
Eigentlich ist es ein Drecksloch.
Es ist so abgewrackt, dass sogar die Ratten schon ausgezogen sind.
Aber es passt irgendwie zu mir...und zu meinen finanziellen Möglichkeiten.
An den Wänden sind große giftgrüne Schimmelflecken, bei denen ich den Eindruck nicht loswerde, dass sie stetig größer werden. Eines Morgens werde ich wohl aufwachen und von einer zweiten Haut aus weichem und pelzigen Schimmelpilz überzogen sein.
Aber ich schweife ab...
Eigentlich wollte ich über den Tod schreiben.
Früher, als Kind, bin ich oft mit dem Zug nach Italien gefahren.
Meine Großeltern wohnten dort in einem riesigen Bauernhaus in der nähe von Livorno. Ich erinnere mich an die vielen Kinder, den würzigen Geruch in der Küche meiner Oma und an die langen warmen Nachmittage am Meer. Die Zugfahrten waren echte Abenteuer für mich. Wir waren beinahe ein und halb Tage unterwegs und mussten vier mal umsteigen. Die Reiseroute hatte ich mir vorher in einem Schulatlas rausgesucht und alle großen Städte die wir durchquerten, in die richtige Reihenfolge auf einem Blatt Papier notiert. Jedes mal wenn wir dann an einer dieser Bahnhöfe vorbeikamen, machte ich einen Haken dahinter. So wusste ich, dass wir in Bern ungefähr die Hälfte der Strecke hinter uns hatten.
Ähnlich ist es auch mit dem Leben.
Ich bin jetzt Mitte Sechzig und ziemlich sicher, dass ich die Hälfte meines Lebens schon längst hinter mir habe. Eigentlich ist es nicht der Tod, vor dem ich mich fürchte. Viel schlimmer find ich es zu beobachten wie mein Körper und mein Geist langsam verdörren.
Wo einst Muskeln waren, ist jetzt nur noch hängendes Fleisch.
Wo einst Kreativität waltete, ist jetzt nur noch Verbitterung.
Ich zünde mir die nächste Zigarette an.
Die Glut fasziniert mich.
Bedächtig brennt sie sich ihren Weg zum Filter hinunter, bis nur noch ein Häufchen Asche übrig bleibt. Wie passend.
Das erste Mal mit dem Tod konfrontiert, wurde ich, als ich acht Jahre alt war.
Ich fand die Leiche unseres Hundes, Hacke, in einem Waldstück hinter unserem Haus. Ein Jäger hatte ihm fälschlicherweise für ein Reh oder eine Wildsau gehalten und über den Haufen geschossen. Die Zunge hing leblos aus seinem Maul und in seiner rechten Flanke war ein Loch, groß wie ein Fußball, aus dem Blut und Gedärme quollen. Er lag auf einem braunen Blätterteppich und erste Fliegen machte sich über die seine Innereien her.
Seine Augen waren weit aufgerissen und ich dachte zuerst, er hätte sich nur weh getan. Ich stieß ihn vorsichtig mit dem Fuß an, aber er rührte sich nicht. Ich lief zurück zum Haus und erzählte meinem Vater, was ich gesehen hatte.
Ich flehte ihn mit bebender Stimme an, Hacke wieder ganz zu machen, so wie er es mit meinem Spielzeug tat, wenn es zerbrach. Er hob mich auf seinen Schoß und erklärte mir in einem sanften Ton, den ich so gar nicht von ihm kannte, dass Hacke jetzt im Hundeparadies sei, wo er mit ganz vielen anderen Hunden spielen könnte und es ihm bestimmt noch viel besser ginge als bei uns. Als ich ihn fragte ob Hacke uns denn manchmal besuchen käme, schüttelte er nur langsam den Kopf. An diesem Tag lernte ich, dass der Tod nicht zu den Dingen gehört, die sich einfach reparieren lassen.
Ich bin kein besonders gläubiger Mensch. Ich glaube weder an Gott, noch an einem Leben nach dem Tod. Wenn jemand den du nicht kennst, dir etwas erzählt was er nicht kennt, dann bist du in einer Kirche. Meiner Meinung nach, basieren Religionen auf einen Haufen irrsinniger Lügen und die Fähigkeit bestimmter Personen oder Institutionen aus den Ängsten und dem Unwissen anderer Leute, Profit zu schlagen. Oder einfacher formuliert: Unwissen ist der Boden, auf dem die Religion gedeiht. Das Leben ist ein Geschenk - von wem auch immer-; aber ist es dann nicht unhöfflich, es sich einfach wieder zurück zu holen ?
Aber ich möchte mich nicht beklagen.
Ich habe gelebt.
Mehr vielleicht als manch anderer.
Wer, wie ich, schon so oft am Boden lag und es immer wieder schaffte aufzustehen, hat viele Geschichten zu erzählen und viele Blätter zu füllen.
Wie damals als ich...und schon wieder gehen meine Gedanken wandern.
Es fällt mir schwer mich zu konzentrieren.
Draußen ist es schon dunkel geworden.
Ich glaube ich werde jetzt schlafen.
Morgen ist auch noch ein Tag.
Bestimmt.
[ 03.06.2002, 16:43: Beitrag editiert von: Querschläger ]