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Neufassung in 1 Version, 10.24, bgu?
Horst und Helga 2 – Herr der Lage
Es ist ein regnerischer Herbstabend zehn nach sechs. Horst Dorftrögl aus Bründel an der Mofel sitzt allein im Büro an seinem Schreibtisch – alle anderen sind schon weg –, wirft einen Blick auf die Armbanduhr und seufzt. Er gähnt und verlässt das Büro in Richtung Küche gleich gegenüber, wo die Kaffeemaschine steht und wo er feststellt, dass es keine einzige saubere Tasse mehr gibt. Er lässt heißes Wasser in die Spüle laufen, nimmt eine der Tassen, jedoch fahrig, sie rutscht weg, zerbricht am Rand des Spülbeckens und schneidet, als er den hastigen Versuch macht sie zu greifen, am Ansatz des Daumens in seine rechte Hand. Er läuft zum Verbandskasten im Flur, reißt ihn auf, da hört er sein Handy auf dem Schreibtisch klingeln, er läuft schnell hin.
Es ist Helga, seine Frau.
Er wischt sie heran und hält sie ans Ohr.
Helga fragt ihn, warum er denn nicht angerufen habe und erinnert ihn daran, dass sie ihm am Frühstückstisch gesagt hatte, er würde sie abends um sieben anrufen wollen.
Er sagt, das habe er nicht vergessen.
Aha, sagt sie, dann habe er es zwar nicht vergessen, aber trotz dem er es nicht vergessen habe – nicht angerufen? Sie habe ja schon länger den Eindruck, es schlichen sich allmählich Lieblosigkeiten in die Beziehung ein, ob er das nicht auch sehe?
Er erzählt ihr, dass er sich geschnitten habe und soeben verblute.
Ob das etwa ein Grund sei, sie nicht anzurufen? nur weil er blute?, fragt sie.
Er erläutert, dass er nicht gesagt hätte, dass er blute, sondern dass er gesagt habe, dass er verblute, und er habe nicht wirklich viel Zeit zu telefonieren; er blute wie verrückt und habe gesehen, dass der Daumen halb durch sei. Er habe keine Mullbinde gefunden für einen Druckverband und alles andre habe keinen Zweck. Er sagt, überall sehe der Boden aus, als hätte man ein Schwein geschlachtet. Es tue ihm ja leid, aber er müsse jetzt dringend etwas finden, womit er die Wunde verschließen könne.
Sie sagt, das sei ja nett, dass er sofort über seine Probleme im Büro spreche und sich nicht etwa dafür interessiere, wie ihr Tag gewesen sei.
Horst setzt sich.
Er fragt Helga, wie ihr Tag gewesen sei.
Oh, eigentlich sei nichts Besonderes gewesen, sagt sie. Mittags, nach dem Job, habe sie sich noch bei Prange diese schwarzen Guccipumps holen wollen, die ihr so gefielen – falls er sich erinnere –, und dort feststellen müssen, dass der Kaufpreis unverschämterweise, praktisch über Nacht, um vier freche Euro erhöht worden war; da sei sie natürlich zum Verkäufer, um sich berechtigt zu beschweren, vor allem, nachdem sie sich im Büro schon über ihren Chef hatte ärgern müssen, der wieder nur die Meier für ihre Arbeit gelobt habe (das sei die Schlampe, die ständig Helgas Locher wegnehme und nicht zurückbringe – falls er sich erinnere. Und sie selbst beachte ihr Chef unberechtigterweise kaum. Auch der Verkäufer habe versucht, ihr nicht zuzuhören.
Er unterbricht sie; er sagt, es sei erschreckend, wie ihr Chef und der Schuhverkäufer sie behandelten, und bittet sie, ihm einen Rettungswagen kommen zu lassen, denn er selbst könne wegen seiner vom Blut rutschigen Finger die Nummer nicht anwählen.
Sie fragt, ob er jetzt verrückt geworden sei und sie für seine Sklavin halte? Sie sei todmüde von den Strapazen ihres eigenen Tages und außerdem sei es ein Gebot der Männlichkeit, sich in jeder Situation als Herr der Lage zu definieren. Solle jetzt etwa die Prinzessin den Ritter vor dem bösen Drachen retten und nicht mehr umgekehrt?
Er sagt, er müsse dann auflegen und auf die Straße runter, um ein Taxi zu bekommen – solange er noch laufen könne.
Sie sagt, wie bitte? Er wisse doch genau, wie sie das hasse, wenn er mittendrin und feige ein Gespräch abbreche – falls er sich erinnere; tue er das etwa, um dem Thema auszuweichen, das sie angesprochen habe? Ob er nicht merke, dass sie, Helga, ihn liebe, sogar mehr liebe, als er es verdiene, dass das jedoch nicht so einfach sei, wenn er unaufmerksam die gemeinsamen Telefontermine nicht einhalte; dabei solle er dankbar sein, dass eine Frau wie sie mit ihm reden wolle und überhaupt, es mit ihm aushalte. Sei es da zu viel von ihm erwartet, mal auf die Idee zu kommen, sie nach ihren Bedürfnissen zu fragen?
Horst fragt, ob es jetzt für sie in Ordnung sei, wenn er auflege.
Sie sagt, ja okay, da er sie gefragt und ja auch eine Begründung genannt habe, dürfe er jetzt auflegen, schließlich habe sie Empathie, im Unterschied zu manch anderen Personen, da nenne sie aber jetzt keine Namen.
Horst bedankt sich und legt auf.
Zwei Stunden später.
Horst steigt aus dem Taxi, wirft einen Blick auf sein Handy und steckt es lächelnd ein; er geht zur Wohnungstür und klingelt. Seine Hand ist einbandagiert.
Helga öffnet und steht in der Tür.
Sie sagt, sie hätte sich schon fast Sorgen machen müssen und frage ihn nun, warum es so lange gedauert habe?
Er sagt, er habe das Bewusstsein verloren und die Putzfrau habe ihn erst um Viertel nach sieben gefunden.
Helga wirft einen Blick auf seine Hand und sagt ihm, dass er ihr armer Liebling sei und Gott sei Dank belüge er sie nicht, was seine Verspätung betreffe, sie habe da auch schon ihre Zweifel gehabt; andererseits bemerke sie aber schon auch, dass er ihr erneut keine Blumen mitbringe. Dabei habe sie ihm doch erst vorgestern gesagt, dass es langsam Zeit werde, sie endlich mal wieder spontan und aus eigenem Antrieb mit einem Strauß rote Rosen zu überraschen.
Er schleicht an ihr vorbei ins Wohnzimmer und lässt sich auf das Sofa fallen.
Sie redet weiter: Da Rücksicht die Basis jeder glücklichen Ehe sei, habe sie rücksichtsvoll beschlossen, dass er heute wegen seiner verletzten Hand nicht den Abwasch zu erledigen habe.
Und was gebe es zu essen?, fragt er.
Spanisch, sagt sie. Sie kuckt auf die Wanduhr, dann erhebt sie sich, geht zur Garderobe, wo sie sich den Mantel greift und zur Wohnungstür stolziert.
Wohin sie jetzt wolle?, fragt er.
Habe sie doch gesagt, zum Spanier, sie gehe essen, antwortet sie. Mit Frank, ihrem Salsa-Tanzpartner. Es gebe auch noch Männer, die sich nicht ständig im Büro verstümmelten. Sie wirft ihm eine Kusshand zu. Dann ist sie aus der Tür.
Horst nimmt das Handy, liest noch einmal die SMS mit dem Herzchen-Smiley, Kontakt «Bernhard Weber, Arbeitskollege».
Er macht den lästigen Verband ab – nur das Pflaster lässt er auf dem Kratzer – und steckt ihn in die Tasche seines Sakkos.
Er lächelt; er denkt an – Dinge.
Danach wählt er die Nummer.
Für ein zweites Mal.