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Horst und Helga – Der wahre Tag des Bluts
Der wahre Tag des Bluts
2a
Es ist ein regnerischer Herbstabend zehn vor sieben. Horst Dorftrögl aus Bründel an der Mofel sitzt allein im Büro an seinem Schreibtisch, – alle anderen sind schon weg – wirft einen Blick auf die Armbanduhr und seufzt. Die Präsentation muss er fertig haben, vorher kann er nicht nachhause fahren. Er gähnt und verlässt das Büro in Richtung Küche gleich gegenüber, wo die Kaffeemaschine steht und wo er feststellt, dass es keine einzige saubere Tasse mehr gibt. Er lässt heißes Wasser in die Spüle, nimmt eine der Tassen, jedoch fahrig, sie rutscht weg, zerbricht am Rand des Spülbeckens und sie schneidet, als er den hastigen Versuch macht sie zu greifen, am Ansatz des Daumens tief in seine rechte Hand.
Das Blut pumpt sich in Stößen aus dem tiefen Schnitt. Horst drückt erst seine Linke gegen die Wunde und nachdem der Strom nicht nachlässt: ein Geschirrtuch. Es ist flugs rot durchtränkt, und er entdeckt, dass der Daumen halb durch ist. Er rennt in den Flur zum Erste Hilfe-Kasten, reißt ihn auf, ein Riesendurcheinander da, alles landet auf dem Boden, als er hastig drin wühlt; er kann keine Mullbinde entdecken für einen Druckverband.
Überall, wo er war, sieht der Boden aus, als hätte man ein Schwein geschlachtet (oder es zumindest schwer verletzt und dann mehrmals durch's Zimmer gejagt), und die blutigen Schlieren und Abdrücke an den Wänden zeigen an, wo er sich abgestützt hat. Er läuft zurück in sein Büro, ohne Mullbinde, er versucht es mit einem Pflaster aus der Schublade, das kurz auflacht und gleich aufgibt. Seine Hand: ein Springbrunnen. Er greift sein Smartphone glitschig mit der Linken, da sieht und hört er den ankommenden Anruf.
Es ist Helga, seine Frau.
Er wischt sie heran und hält sie ans Ohr, klemmt das Phone zwischen Kinn und Schulter, gleichzeitig wickelt er seine Hand mit den Zähnen in den Pullover, der über dem Stuhl hing.
Helga fragt ihn, warum er denn nicht angerufen habe und erinnert ihn daran, dass sie ihm am Frühstückstisch gesagt hatte, er würde sie abends um sieben anrufen wollen.
Er sagt, das habe er nicht vergessen.
Aha, sagt sie, dann habe er es zwar nicht vergessen, aber trotz dem er es nicht vergessen habe – nicht angerufen? Sie habe ja schon länger den Eindruck, es schlichen sich allmählich Lieblosigkeiten in die Beziehung ein, ob er das nicht auch sehe?
Er erzählt ihr, dass er sich geschnitten habe und soeben verblute.
Ob das etwa ein Grund sei, sie nicht anzurufen? nur weil er blute?, fragt sie.
Er erläutert, dass er nicht gesagt hätte, dass er blute, sondern dass er gesagt habe, dass er verblute und nicht wirklich viel Zeit habe zu telefonieren; weil er irgendetwas finden müsse, um die Wunde zu schließen.
Sie sagt, das sei ja nett, dass er sofort über seine Probleme im Büro spreche und sich nicht etwa erkundige oder dafür interessiere, wie ihr Tag gewesen sei.
Horst taumelt leicht und setzt sich. Er hält den rechten Arm hoch, so muss das Blut gegen die Schwerkraft kämpfen und hat es nicht so leicht, zur Wunde zu kommen und aus ihm herauszulaufen.
Er fragt Helga, wie ihr Tag gewesen sei.
Oh, eigentlich sei nichts Besonderes gewesen, sagt sie. Mittags, nach dem Job, habe sie sich noch bei Prange diese schwarzen Guccipumps holen wollen, die ihr so gefielen, und dort feststellen müssen, dass der Kaufpreis unverschämterweise, praktisch über Nacht, um vierzig freche Euro erhöht worden war; da sei sie natürlich zum Verkäufer, um sich berechtigt zu beschweren, vor allem, nachdem sie sich im Büro schon hatte über ihren Chef ärgern müssen, der wieder nur die Meier (die Schlampe, die ständig Helgas Locher wegnehme und nicht zurückbringe) für ihre Arbeit gelobt habe. Und sie selbst kaum beachtet. Auch der Verkäufer habe den Versuch unternommen, ihr nicht zuzuhören, er und der Chef also beide ähnlich wie früher ihr Vater. Warum nur machten alle Männer es immer wie ihr Vater?
Er unterbricht sie; er sagt, das sei wirklich schrecklich, wie ihr Chef und der Schuhverkäufer sie behandelten, und fordert sie auf, ihm einen Rettungswagen kommen zu lassen, denn er selbst könne wegen seiner vom Blut rutschigen Finger die Nummer nicht anwählen.
Sie fragt, ob er jetzt verrückt geworden sei und sie für seine Sklavin halte? Sie sei todmüde von den Strapazen ihres eigenen Tags und außerdem sei es ein Gebot der Männlichkeit, sich in jeder Situation als Herr der Lage zu definieren. Solle jetzt etwa die Prinzessin den Ritter vor dem bösen Drachen retten und nicht mehr umgekehrt?
Er sagt, er müsse dann auflegen und auf die Straße runter, um ein Taxi zu bekommen – so lange er noch laufen könne.
Sie sagt, wie bitte? Er wisse doch genau, wie sie das hasse, wenn er mittendrin und feige ein Gespräch unterbreche – tue er das etwa, um dem Thema auszuweichen, das sie angesprochen habe? In dem Fall könne er gleich zu seiner Ex zurück, der dummen Schlampe, die sich alles gefallen ließe, solange sie nur eine Gurke in ihrem Salat brauche.
Ob er nicht merke, dass sie, Helga, ihn mehr liebe als er es verdiene, dass das jedoch nicht so einfach sei, wenn er unaufmerksam die gemeinsamen Telefontermine nicht einhalte; dabei solle er dankbar sein, dass eine Frau wie sie mit ihm reden wolle und überhaupt, es mit ihm aushalte. Sei es da zu viel von ihm erwartet, mal auf die Idee zu kommen, sie nach ihren Bedürfnissen zu fragen?
Horst fragt, ob es jetzt für sie in Ordnung sei, wenn er auflege.
Sie sagt, ja okay, da er sie vorher gefragt und auch eine Begründung habe, dürfe er jetzt auflegen, schließlich habe sie Empathie im Unterschied zu manch anderen, da nenne sie aber jetzt keine Namen.
Horst bedankt sich, legt auf, dann kippt er vom Stuhl.
Drei Stunden später.
Horst steigt aus dem Taxi, wirft einen Blick auf sein Handy und steckt es lächelnd ein; er geht zur Wohnungstür und klingelt. Seine Hand ist einbandagiert.
Helga öffnet und steht in der Tür.
Sie sagt, sie habe sich schon fast Sorgen machen müssen und frage ihn nun, warum es so lange gedauert habe?
Er sagt, die Putzfrau habe ihn erst um zehn nach acht gefunden.
Helga wirft einen Blick auf seine Hand und sagt ihm, dass er ihr armer Liebling sei und oh, das mit der Hand ja stimme, wie schlimm, Gottseidank belüge er sie nicht, was seine Verspätung betreffe, sie habe da auch schon ihre Zweifel gehabt, andererseits bemerke sie aber schon auch, dass er ihr erneut keine Blumen mitbringe. Dabei habe sie ihm doch erst vorgestern gesagt, dass es langsam Zeit werde, sie mal wieder aus eigenem Antrieb spontan mit einem Strauß rote Rosen zu überraschen.
Er schleicht an ihr vorbei ins Wohnzimmer und lässt sich auf das Sofa fallen, was ihr einen Schrei des Entsetzens entreißt; er solle sich erstmal umziehen und nicht so eine Sauerei hier machen! Rücksicht sei die Basis einer jeden glücklichen Ehe – auch sie habe rücksichtsvoll beschlossen, dass er heute wegen seiner verletzten Hand nicht den Abwasch zu erledigen habe.
Und was gebe es zu essen?, fragt er.
Nichts, sagt sie. Das müsse er doch wissen, kein Abwasch – kein Essen.
Dann erhebt sie sich, geht zur Garderobe, wo sie sich den Mantel greift und zur Wohnungstür geht.
Wohin sie jetzt noch gehe, fragt er.
Natürlich essen, sagt sie. Mit Frank vom Salsa-Tanzen. Es gebe auch noch Männer, die sich nicht im Büro verstümmelt hätten. Sie wirft ihm eine Kusshand zu. Dann ist sie aus der Tür.
Horst nimmt das Handy, liest noch einmal die sms mit dem Herzchen-Smiley, Kontakt «Bernhard Weber, Arbeitskollege».
Er lächelt; er denkt an – Dinge.
Danach wählt er die Nummer.
Der Tag des falschen Bluts
2b
Es ist ein regnerischer Herbstabend zehn vor sieben. Horst Dorftrögl aus Bründel an der Mofel sitzt allein im Büro an seinem Schreibtisch, – alle anderen sind schon weg – wirft einen Blick auf die Armbanduhr und seufzt. Er gähnt und verlässt das Büro in Richtung Küche gleich gegenüber, wo die Kaffeemaschine steht und wo er feststellt, dass es keine einzige saubere Tasse mehr gibt. Er lässt heißes Wasser in die Spüle, nimmt eine der Tassen, jedoch fahrig, sie rutscht weg, zerbricht am Rand des Spülbeckens und sie schneidet, als er den hastigen Versuch macht sie zu greifen, am Ansatz des Daumens in seine rechte Hand. Er läuft zum Verbandskasten im Flur, reißt ihn auf, da hört er sein Handy auf dem Schreibtisch klingeln, er läuft schnell hin.
Es ist Helga, seine Frau.
Er wischt sie heran und hält sie ans Ohr.
Helga fragt ihn, warum er denn nicht angerufen habe und erinnert ihn daran, dass sie ihm am Frühstückstisch gesagt hatte, er würde sie abends um sieben anrufen wollen.
Er sagt, das habe er nicht vergessen.
Aha, sagt sie, dann habe er es zwar nicht vergessen, aber trotz dem er es nicht vergessen habe – nicht angerufen? Sie habe ja schon länger den Eindruck, es schlichen sich allmählich Lieblosigkeiten in die Beziehung ein, ob er das nicht auch sehe?
Er erzählt ihr, dass er sich geschnitten habe und soeben verblute.
Ob das etwa ein Grund sei, sie nicht anzurufen? nur weil er blute?, fragt sie.
Er erläutert, dass er nicht gesagt hätte, dass er blute, sondern dass er gesagt habe, dass er verblute, und er habe nicht wirklich viel Zeit zu telefonieren; er blute wie ein Schwein und habe gesehen, dass der Daumen halb durch sei. Er habe keine Mullbinde gefunden für einen Druckverband und alles andre habe keinen Zweck bei dem vielen Blut, wie es in Strömen heraus sich pumpe. Er sagt, überall sehe der Boden aus, als hätte man ein Schwein geschlachtet. Es tue ihm ja Leid, aber er müsse jetzt dringend etwas finden, womit er die Wunde verschließen könne.
Sie sagt, das sei ja nett, dass er sofort über seine Probleme im Büro spreche und sich nicht etwa erkundige oder dafür interessiere, wie ihr Tag gewesen sei.
Horst setzt sich.
Er fragt Helga, wie ihr Tag gewesen sei.
Oh, eigentlich sei nichts Besonderes gewesen, sagt sie. Mittags, nach dem Job, habe sie sich noch bei Prange diese schwarzen Guccipumps holen wollen, die ihr so gefielen, und dort feststellen müssen, dass der Kaufpreis unverschämterweise, praktisch über Nacht, um vierzig freche Euro erhöht worden war; da sei sie natürlich zum Verkäufer, um sich berechtigt zu beschweren, vor allem, nachdem sie sich im Büro schon hatte über ihren Chef ärgern müssen, der wieder nur die Meier (die Schlampe, die ständig Helgas Locher wegnehme und nicht zurückbringe) für ihre Arbeit gelobt habe. Und sie selbst kaum beachtet. Auch der Verkäufer habe den Versuch unternommen, ihr nicht zuzuhören, er und der Chef also beide ähnlich wie früher ihr Vater. Warum nur machten alle Männer es immer wie ihr Vater?
Er unterbricht sie; er sagt, das sei wirklich schrecklich, wie ihr Chef und der Schuhverkäufer sie behandelten, und fordert sie auf, ihm einen Rettungswagen kommen zu lassen, denn er selbst könne wegen seiner vom Blut rutschigen Finger die Nummer nicht anwählen.
Sie fragt, ob er jetzt verrückt geworden sei und sie für seine Sklavin halte? Sie sei todmüde von den Strapazen ihres eigenen Tags und außerdem sei es ein Gebot der Männlichkeit, sich in jeder Situation als Herr der Lage zu definieren. Solle jetzt etwa die Prinzessin den Ritter vor dem bösen Drachen retten und nicht mehr umgekehrt?
Er sagt, er müsse dann auflegen und auf die Straße runter, um ein Taxi zu bekommen – so lange er noch laufen könne.
Sie sagt, wie bitte? Er wisse doch genau, wie sie das hasse, wenn er mittendrin und feige ein Gespräch unterbreche – tue er das etwa, um dem Thema auszuweichen, das sie angesprochen habe? In dem Fall könne er gleich zu seiner Ex zurück, der dummen Schlampe, die sich alles gefallen ließe, solange sie nur eine Gurke in ihrem Salat brauche.
Ob er nicht merke, dass sie, Helga, ihn mehr liebe als er es verdiene, dass das jedoch nicht so einfach sei, wenn er unaufmerksam die gemeinsamen Telefontermine nicht einhalte; dabei solle er dankbar sein, dass eine Frau wie sie mit ihm reden wolle und überhaupt, es mit ihm aushalte. Sei es da zu viel von ihm erwartet, mal auf die Idee zu kommen, sie nach ihren Bedürfnissen zu fragen?
Horst fragt, ob es jetzt für sie in Ordnung sei, wenn er auflege.
Sie sagt, ja okay, da er sie vorher gefragt und auch eine Begründung habe, dürfe er jetzt auflegen, schließlich habe sie Empathie im Unterschied zu manch anderen, da nenne sie aber jetzt keine Namen.
Horst bedankt sich, legt auf.
Drei Stunden später.
Horst steigt aus dem Taxi, wirft einen Blick auf sein Handy und steckt es lächelnd ein; er geht zur Wohnungstür und klingelt. Seine Hand ist einbandagiert.
Helga öffnet und steht in der Tür.
Sie sagt, sie habe sich schon fast Sorgen machen müssen und frage ihn nun, warum es so lange gedauert habe?
Er sagt, er habe das Bewusstsein verloren und die Putzfrau habe ihn erst um zehn nach acht gefunden.
Helga wirft einen Blick auf seine Hand und sagt ihm, dass er ihr armer Liebling sei und oh, das mit der Hand ja stimme, wie schlimm, Gottseidank belüge er sie nicht, was seine Verspätung betreffe, sie habe da auch schon ihre Zweifel gehabt, andererseits bemerke sie aber schon auch, dass er ihr erneut keine Blumen mitbringe. Dabei habe sie ihm doch erst vorgestern gesagt, dass es langsam Zeit werde, sie mal wieder aus eigenem Antrieb spontan mit einem Strauß rote Rosen zu überraschen.
Er schleicht an ihr vorbei ins Wohnzimmer und lässt sich auf das Sofa fallen. Da Rücksicht die Basis jeder glücklichen Ehe sei, habe auch sie rücksichtsvoll beschlossen, dass er heute wegen seiner verletzten Hand nicht wie sonst den Abwasch zu erledigen habe.
Und was gebe es zu essen?, fragt er.
Nichts, sagt sie. Das müsse er doch wissen: kein Abwasch – kein Essen.
Dann erhebt sie sich, geht zur Garderobe, wo sie sich den Mantel greift und zur Wohnungstür geht.
Wohin sie jetzt noch gehe?, fragt er.
Natürlich essen, sagt sie. Mit Frank vom Salsa-Tanzen. Es gebe auch noch Männer, die sich nicht im Büro verstümmelt hätten. Sie wirft ihm eine Kusshand zu. Dann ist sie aus der Tür.
Horst nimmt das Handy, liest noch einmal die sms mit dem Herzchen-Smiley, Kontakt «Bernhard Weber, Arbeitskollege».
Er macht den lästigen Verband ab, nur das Pflaster lässt er auf dem Kratzer.
Er lächelt; er denkt an – Dinge.
Danach wählt er die Nummer.
Vielleicht reicht die Zeit noch.