Horror-Shopping
Erwins Nerven liegen blank. Seine Frau Hedwig schleift ihn nun schon seit Stunden von einem Geschäft ins Nächste.
„Bleib gefälligst still stehen! Jetzt lass die Arme doch mal hängen, Erwin!“
„Hedi, das ist jetzt schon der dritte Anzug, den ich hier anhabe. Ich habe dir gesagt, dass mir der Erste am besten gefallen hat.“
„Papperlapapp, Erwin. Du hast doch keine Ahnung von Mode. Außerdem passte der nicht zu den Schuhen.“
„Da hätte ich die Slipper angezogen. Die schwarzen, die ich so gerne anziehe.“
„Die alten Dinger? Auf gar keinen Fall! Damit gehst du nicht auf die Firmung von der Chantal. Da zieht man was Neues an. Ich will mich nicht für dich schämen.“
Hedwig zupft jetzt schon gefühlte zehn Minuten an ihrem Mann herum.
„Jetzt verdreh nicht schon wieder die Augen. Ich seh das im Spiegel.“, ermahnt sie ihn.
„Mach mal ‚so‘.“
Erwin macht ‚so’ und Hedwig wirkt für den Bruchteil einer Sekunde halbwegs glücklich.
„Nee, der gefällt mir doch nicht so richtig.“, nörgelt Hedwig weiter.
„Dunkelblau steht dir nicht. Vielleicht passt ja was Graues besser. Ich guck mal. Nicht weglaufen.“
Erwin nutzt die Gelegenheit, und lässt sich auf den kleinen Hocker in der Umkleide sinken.
So eine Runderneuerung wird Erwin nicht nur Zeit kosten sondern auch Geld, viel Geld.
„Da bin ich wieder“, trällert Hedwig und hält ihm einen dunkelgrauen Anzug hin.
„Der ist hässlich, Hedi. Den zieh ich nicht an.“
„Woher willst du das denn jetzt wissen, Erwin? Du hast den ja noch nicht mal angehabt. Zieh den mal an!“, befiehlt Hedwig und zieht den Vorhang zu.
„Nee, der ist hässlich. Hab ich mir gleich gedacht“, erklärt Hedwig.
„Zieh nochmal den blauen an.“
Erwin verdreht erneut die Augen.
„Der wird jetzt nicht anders aussehen als vor fünf Minuten, Hedi“, argumentiert Erwin.
„Ja, aber es ist ein ganz anderes Licht. Dann sieht der anders aus.“
Erwin spürt, wie die Wut in ihm aufsteigt.
„Hedi, hier sind keine Fenster. Nur diese blöden Lampen. Da sieht alles gleich aus. Auch nach fünf Minuten.
Nach über dreißig Jahren Ehe kennt er diese Art von Hedwig. Vor ein paar Jahren war er noch froh, endlich in den Ruhestand zu gehen und den Rest seines Lebens als Rentner zu verbringen. Er träumte vom Ausschlafen unter der Woche, den Duschen, länger als fünf Minuten, und er wollte sich ein Hobby suchen. Er hatte an etwas Handwerkliches gedacht. Modellbau vielleicht. Fingerfertig war er ja schon immer gewesen.
Als Kind hatte er seinem Vater immer beim Bau von Vogelhäusern geholfen. Aber mit dem Vater starb auch das Interesse für dieses Hobby. Hinzu kam dann, dass er seine Ausbildung zum Industriekaufmann im Betrieb eines Freundes seines Vaters anfing. Gefolgt vom Aufstieg zum Abteilungs- und ein paar Jahre später zum Filialleiter und dem Bezirksleiter für das Ruhrgebiet.
„Ich find den dunkelblauen Anzug besser“, erklärt Erwin selbstbewusst. „Das habe ich dir ja gleich gesagt.“
Erwin zieht den Vorhang zu und zieht sich um. Endlich wieder die Lieblingsslipper. Die sind zwar schon abgetragen und brauchen eigentlich neue Absätze, aber Erwin liebt sie abgöttisch.
Vor einer Anrichte bleibt Hedwig stehen.
„Erwin, komm man her“, fordert sie laut. „Guck mal, die Krawatte zu dem neuen Anzug. Sieht doch gut aus. Die nehmen wir mit.“
Erwin reicht es.
„Nee, ich geh ohne Krawatte“, entscheidet er. „Komm jetzt! Wir gehen bezahlen. Feierabend!“