Honigsüß
Es war kalt geworden und meine Füße taten weh. Mittlerweile war sie zwanzig Minuten überfällig und langsam wurde ich ungeduldig. Ich zündete mir eine Zigarette an. Genau so lange würde ich noch warten. Bis die Zigarette fertiggeraucht war.
Zwei Zigaretten später sah ich eine Gestalt näherkommen. Adrenalin flutete meinen Körper, brachte mich zum Zittern und ließ meine Knie zu Pudding werden. Der Schweiß brach mir aus allen Poren und mein Herz schlug so laut, daß ich einen Moment lang befürchtete, sie könnte es von weitem hören und Verdacht schöpfen, bevor sie nahe genug herangekommen war.
Ich wartete bewegungslos in der Dunkelheit, bis ich ihre Schritte hörte, dann hielt ich die Luft an. Als sie an mir vorbeiging, sprang ich aus der Hecke, packte sie von hinten und drückte ihr den Lappen fest aufs Gesicht. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß das verdammte Miststück sich so heftig wehren würde. Ihr Ellbogen traf mich zwischen die Rippen und ich krümmte mich unwillkürlich zusammen, so daß sie sich ohne Mühe losreißen konnte. Mit einem wütenden Schrei stürzte ich mich auf sie, bevor sie entkommen konnte, riß sie zu Boden und preßte ihr das chloroformgetränkte Stück Stoff wieder über Mund und Nase. Sie bäumte sich auf, schlug nach mir und und wollte sich losreißen. Ich holte aus und schlug ihr so fest ich konnte mit der Faust auf die Nase. Ich konnte kein Knacken spüren, wie ich gehofft hatte, aber ihr Schmerzensschrei verschaffte mir trotzdem ein wildes Glücksgefühl. In dem kurzen Moment, bevor sie endlich das Bewußtsein verlor, sah sie mir ins Gesicht. Das Erstaunen, das sich auf ihren Zügen abzeichnete, bevor ihre Muskeln erschlafften, brachte mich zum Lachen. Ich hätte viel gegeben, um dieses Gefühl des Triumphes konservieren und immer wieder auskosten zu können.
Ich holte das Auto und parkte direkt neben ihr. Sie war nicht wirklich dick, aber immerhin wog sie gut und gerne zwanzig Kilo mehr als ich. Ich hatte einige Mühe damit, sie zur Rückseite des Wagens zu ziehen. Die Rücksitze hatte ich gleich nach meiner Ankunft umgeklappt, um keine Zeit zu verlieren. Rasch öffnete ich den Kofferraumdeckel und kroch hinein. Mit aller Kraft zerrte ich sie nach oben und schaffte es nach einigen Anläufen endlich, sie in den Wagen zu hieven. Während ich den Kofferraum schloß, ergriff die Vorfreude von mir Besitz. Rasch stieg ich ein und fuhr los.
Sie in den Keller zu schaffen war wesentlich einfacher, als sie ins Auto zu bekommen. Ich stieß sie mit den Füßen aus dem Kofferraum, zog sie zum vorsorglich nur angelehnten Kellerfenster und ließ sie hineinfallen. Anschließend versteckte ich den Wagen und beeilte mich, zu meinem Opfer zu kommen.
Mit klopfendem Herzen und reichlich breitem Isloierband fesselte ich ihre Handgelenke an das Rohr, das an der Außenwand, knapp über dem Boden, entlanglief. Erst jetzt bemerkte ich, daß ihr rechter Arm offensichtlich bei dem Sturz gebrochen war. Ich lächelte. Noch bevor die Sonne aufging, würde sie noch einige Schäden mehr zu beklagen haben.
Als ich ihre Fußknöchel aneinanderfesselte, stöhnte sie leise. Ich kniete mich neben sie und schlug ihr ein paarmal mit der flachen Hand ins Gesicht. Die einzige Reaktion war ein leises Wimmern.
"Wach auf, Miststück", sagte ich freundlich und unterstrich meine Worte mit einer weiteren kräftigen Ohrfeige. Wie auf Befehl fingen ihre Augenlider an zu zucken und sie wimmerte wieder, diesmal etwas lauter. Wahrscheinlich schmerzte ihr gebrochener Arm. Ich konnte nicht sagen, wie leid mir das tat.
"Wenn du die Augen nicht aufmachst, werde ich dir ein bißchen wehtun, Schätzchen", sagte ich lächelnd. "Vielleicht macht dich das wieder munter."
Ich tastete mich an ihrem Unterarm bis zur Bruchstelle entlang. Es genügte, leicht daraufzudrücken, um ihr einen Schrei zu entlocken. Sie riß die Augen auf und starrte mich entgeistert an. Mühsam unterdrückte ich den Impuls, ihr meine Daumen bis zum Anschlag in die Augenhöhlen zu drücken. Noch nicht, sagte ich mir.
"Mein Arm", jammerte sie.
"Gebrochen, halb so schlimm."
Sie wand sich ein wenig, sah sich hektisch in dem kleinen Raum um.
"Was hast du vor?" fragte sie flüsternd.
"Schonmal was von Vergeltung gehört? Passender finde ich allerdings den Begriff 'ausgleichende Gerechtigkeit'. Heute bezahlst Du die Rechnung."
"Gott, du... du bist ja wahnsinnig..."
"Halt die Klappe", antwortete ich freundlich lächelnd. "Sonst werd ich dir die Zunge rausschneiden."
Ihr Mund klappte auf, schloß sich, öffnete sich wieder, doch die zu den Bewegungen gehörenden Laute schienen in ihrem Hals steckengeblieben zu sein wie eine Murmel in einem zu engen Schlauch. Schließlich platzte es aus ihr heraus:
"Was willst du denn von mir?"
Ich war erstaunt, daß sie trotz meiner Drohung so ungerührt weiterjammerte. Sie hatte keinerlei Respekt vor mir. Langsam wurde ich wütend.
"Bitte laß mich gehen, meine Kinder warten daheim, sie brauchen mich doch! Mein Arm tut verflucht weh, sicher ist er gebrochen, was willst du denn noch?"
Während sie mit weinerlicher Stimme vor sich hinplapperte, ihr sinnloses Betteln und Flehen ausstieß, zog ich ihr einen Schuh aus, streifte ihren Strumpf ab und riß ein Stück Isoband von der Rolle. Ich lehnte mich an die Wand und beobachtete sie einige Zeit dabei, wie sie sich in Selbstmitleid erging, immer lauter heulte und sich so hineinsteigerte, daß ich es schließlich nicht mehr aushielt.
"Halts Maul und hör mir zu!" herrschte ich sie an. Augenblicklich stellte sie ihr nerviges Gewimmer ein und starrte mich aus verweinten Kleinmädchenaugen erstaunt an. Rotz lief ihr aus der Nase und gab ihr etwas unangenehm Bemitleidenswertes. Ich beugte mich über ihr Gesicht, so tief, daß ich ihren Atem riechen konnte, der stoßartig und heiß in mein Gesicht strömte. Das Gefühl von Machtausgleich, das mich durchströmte, war... erhebend. Ich konnte förmlich spüren, wie die Waagschalen ins Gleichgewicht glitten und wußte, daß die Götter der Gerechtigkeit mit Wohlgefallen auf mich blickten.
"Ich hab dich gewarnt, aber offensichtlich nimmst du mich immer noch nicht ernst", sagte ich leise. "Ich werde dir die Zunge herausschneiden, wie ich es versprochen habe, aber nicht jetzt, noch nicht. Ich will nicht riskieren, daß du jetzt schon an deinem Blut erstickst, schließlich hab ich noch einiges mit dir vor."
Sie riß ihre Augen so weit auf, daß es aussah, als wollten sie aus ihren Höhlen quellen. Nackte Panik sprang mir entgegen. Sie öffnete den Mund, doch bevor sie wieder mit dem Gejammer anfangen konnte, stopfte ich ihr den Strumpf hinein und pappte das Klebeband darüber. Ich betrachtete mein hilfloses Opfer, wie es vor mir lag, gefesselt und geknebelt, während ihm die Tränen aus den Augen strömten. Sie schnaubte ein paarmal und ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, daß sie mit ihrer verrotzten Nase wohl Schwierigkeiten mit dem Atmen hatte. Sie wand sich, wurde panisch und ich sah fasziniert zu. Nach einer Weile befürchtete ich, sie könne wieder bewußtlos werden und wollte schon den Knebel entfernen, als ich hörte, wie sie mühsam etwas Luft einsog.
"Wunderbar, dann können wir ja endlich anfangen", sagte ich lächelnd, während sie noch um jeden Atemzug rang.
Obwohl mich jetzt eigentlich Vorfreude hätte durchfluten sollen, fühlte ich mich mit einem Mal merkwürdig gehemmt. Ich haßte diese Frau, die da hilflos vor mir lag, endlich ausgeliefert und wehrlos, so wie ich es mir seit langer Zeit erträumt hatte. Nun würde sie mich ernst nehmen müssen, sie würde die Rechnung für das begleichen, was sie mir angetan hatte, nun war es an mir, Gerechtigkeit zu üben. Was konnte mich jetzt noch zurückhalten, was konnte mich daran hindern, den Plan umzusetzen, an dem ich zwei Jahre lang gearbeitet hatte? Für einen Augenblick war all mein Haß, war meine grenzenlose Wut wie weggeblasen. Ich fühlte nur noch die unsägliche Trauer, die mir in Hunderten von Nächten den Schlaf geraubt hatte und mir jeden meiner Tage zur Qual machte. Einen Moment lang fragte ich mich, ob sie nicht wirklich schon genug bestraft war, mit ihrem gebrochenen Arm und dem Schrecken, den ich ihr eingejagt hatte. Ich schloß die Augen, atmete tief durch und ließ noch einmal alles Revue passieren, machte mir wieder bewußt, worum ich trauerte. All den Schmerz, alles, was diese verfluchte Person zerstört hatte, rief ich mir ins Gedächtnis zurück. Als die Bilder wieder in völliger Klarheit an meinem inneren Auge vorbeizogen, Bilder aus Schmerz, die mich schon so lange quälten, strömte der Zorn in mein Herz zurück wie Luft in ein Vakuum, füllte mich aus bis in den hintersten Winkel meines Bewußtseins. Und als ich nun auf sie herabsah, kannte ich nur noch einen einzigen Wunsch.
"Jetzt wirst du bezahlen", flüsterte ich.
Ich saß noch einige Zeit neben ihr, nachdem sie aufgehört hatte, sich zu bewegen und gerade als ich sicher war, sie wäre tot und aufstand, um zu gehen, hörte ich ein leises Gurgeln. Langsam ging ich neben ihr in die Hocke.
"Armes Baby. Gleich ist es vorbei", flüsterte ich und strich ihr die blutverklebten Haare aus der Stirn. "Das war nichts im Vergleich dazu, was du mir angetan hast. Dein Schmerz hat ein Ende. Meiner wird ewig anhalten."
Sie starb auf eine ebenso unspektakuläre Weise, wie sie mein Leben zerstört hatte. Und ich zeigte mich von ihren Leiden so wenig beeindruckt, wie sie es von meinen gewesen war.
Auf dem Weg nach Hause fühlte ich mich endlich wieder frei, so frei, wie ich es seit drei Jahren nicht mehr gewesen war. Es schien, als wäre durch meine Rache das Gleichgewicht der Kräfte im Universum wiederhergestellt worden. Was schief gewesen war, war nun wieder gerade. Es war alles wert gewesen, was nun folgen mochte, jede Strafe, die ein Richter über mich verhängen konnte.
Ich hatte damit gerechnet, daß es einige Tage, vielleicht sogar Wochen oder Monate dauern könnte, bis man ihre Leiche in dem leerstehenden Fabrikgebäude finden würde. Aber inzwischen sind acht Jahre vergangen und ich lebe noch immer in Frieden mein endlich wieder geradegerücktes und neu aufgebautes Leben. Ich bereue nichts. Wenn sie in diesem Moment vor der Tür stehen, mich von meiner Familie fortreißen und bis zu meinem Lebensende einsperren würden, ginge ich mit einem Lächeln.
[ 22.07.2002, 08:38: Beitrag editiert von: raven ]