Hommage - Oder Ein Tag Wie Jeder Andere
Hommage - Oder Ein Tag Wie Jeder Andere
Es war geschafft. Erledigt. Sie mochte nicht gerne einkaufen. Das Gedränge. Die Fülle der Angebote und die Auswahl dessen, was auf ihrem Zettel stand.
Das Warten an der Kasse.
Dieser Tag war nach einem endlos langen Winter der erste schöne Vorfrühlingstag. Für Mitte März erstaunlich mild. Die Sonne sandte sanft-wärmende Strahlen von einem überwältigend blauen Himmel.
Sie nahm den Weg durch den Park. Immerhin blieben ihr noch zwei Stunden bis ihr Mann nach Hause kommen würde.
Das immer gleiche Spiel. Sie würde am Herd stehen, wenn er den Flur betrat, die Schuhe gegen Hausschuhe austauschen und seine Jacke an die Garderobe hängen würde.
Ein flüchtiger Begrüssungskuss, während sein Blick bereits zur Post auf dem Tisch glitt.
Eingespielt. Seit Jahren. Jeder Tag gleich.
Es schien friedlich im Park.
Die Blätter würden erst im nächsten Monat an den Bäumen erscheinen, aber bereits jetzt war ein leiser grüner Schimmer zu erkennen.
Im Sommer wimmelte es hier von Menschen, doch auch um diese Jahreszeit nutzten einige das schöne Wetter.
Rentner; Mütter mit Kleinkindern, die dem Spielplatz zustrebten; Hundebesitzer, die ihre Schützlinge ausführten. Und natürlich die unermüdlichen Jogger.
Sie suchte sich eine freie Bank am Teich. Hier war es etwas ruhiger als auf der anderen Seite des Parks. Sie setzte sich; stellte den vollen Einkaufskorb neben sich ab.
Eine friedvolle Atmosphäre. Die Sonne wärmte vom gegenüberliegenden Ufer des Sees.
Eine Weile betrachtete sie einfach die Umgebung, die Leute. Versuchte sich zu entspannen.
Diese Auszeit hatte sie sich verdient.
Dann nahm sie das Buch aus ihrer Handtasche. Ein Liebesroman.
So einer der ganz grossen Gefühle.
Sie lehnte sich zurück und schlug das Buch auf der Seite mit dem Lesezeichen auf. An dieser Stelle hatte sie in der Nacht aufgehört zu lesen. Das Schnarchen ihres Mannes war störend gewesen. Es passte nicht zu der bevorstehenden Wiederbegegnung der beiden Hauptfiguren.
In ihrer Neugier hatte sie schon mal vorgeblättert. Dann waren ihr die Augen zugefallen.
Wie passend diese Lektüre: eine Frau lesend im Park.
Sie begann zu lesen, und augenblicklich vergass sie die Welt.
Ein Schatten fiel plötzlich auf die Seiten, und sie spürte die Kühle, die das unerwartete Fehlen der Sonne verursachte.
Sie schaute auf. Erkannte ihn sofort. Er hatte sich kaum verändert.
Mit Überraschung, eher freudigem Erstaunen, sah er auf sie herab.
"Du bist es wirklich! Ich kann es kaum glauben!"
Er. Ihr Lanzelot. Ihr Bedivere. Der Ritter der Königin.
Leibhaftig vor ihr. So lange ersehnt und so sehr gefürchtet.
"Wie geht’s dir?". Scheues Lächeln. Was erwidert die Königin ihrem gefallenen Ritter?
Nach zwölf Jahren.
"Oh, mir geht’s gut. Und du? Was machst du so?"
Ungefragt nahm er neben ihr Platz. Er sah sie an. Die gleichen Augen. Der gleiche Blick.
Dunkel. Warm. Sinnlich.
Er begann zu erzählen. Von den Kindern, seinem Job. Sie konnte nicht folgen. War verzaubert.
Sah in diese Augen .So dunkel. Fragend. Tief. Noch immer Begehren in seinem Blick.
Forschend, samtig, genauso lockend wie vor Jahren. Herausfordernd. Wild und lustvoll.
Aber vor allem: hungrig! - hungrig! Verzweifelt hungrig.
Sie hörte nicht die Worte. Lauschte nur seiner Stimme. Benebelt, verworren, zurückgeworfen in die Vergangenheit. Erinnert an Zeiten, in der diese Stimme sie schon am Telefon feucht werden liess.
Sanft und geschmeidig.
Umschmeichelnd; sie umschleichend wie ein Tiger seine Beute.
Timbre- in direkter Verbindung zu ihrem Geschlecht. Sie treffend. Jetzt wieder.
Wusste er das?
"Was machst du denn so?", seine Hand auf ihrem Oberschenkel. Intimität und intuitive Vertrautheit . Wie damals.
Seine Hände, sie schon suchend, noch bevor er selbst es merkte. So grosse, raue Arbeiterhände. Wolllüstig, gierig fordernd, kaum unter Kontrolle .
Finger, die sie ganz ausfüllten.
Ihre Hitze suchend, findend.
Ihre Bitte: tiefer, noch viel tiefer! - verstanden sie instinktiv. Sie wollte diese Finger spüren; so tief, dass ihre Seele berührt würde.
Sie konnten es, ohne das zu wissen.
Er zog seine Hand zurück, legte sie in seinen Schoss. Zuviel Nähe?
Sie erzählte Belanglosigkeiten; nichts vom wirklichen Leben.
Wozu auch? Es gab nicht viel zu berichten.
Sie betrachtete die Hand in seinem Schoss. Dachte an sein Glied. Perfekter Phallus.
Vollendet schön. Glatt und seidig. Schier göttlich.
An sein Sperma. Das jedes mal anders schmeckte. Mal süss, mal salzig, mal bitter.
Süchtigmachend wie Nektar. Sucht . Angst vor Entzug. Nektar!
Sie musste einfach zusehen, wenn es herausspritzte. Wie es ihr über die Finger rann.
Jeder einzelne Tropfen. Sie verteilte es auf ihrem nackten Bauch.
Um die Erinnerung mit nach Hause zu nehmen. Beweis, dass dies wirklich geschehen war.
Klebrige Substanz, die auf ihrer Haut so schnell trocknete.
Der Stolz, sein Zeichen auf ihrer Haut zu tragen, während sie nachts neben ihrem Mann lag.
Der schlief und schnarchte.
Er erzählte von seiner Frau; von wiedergefundener Harmonie in der Ehe.
Verziehen, vergessen, was einmal war. Mit ihr.
Sie dachte daran, wie er damals vor Glück geweint hatte, als sie das tat, was ihn so glücklich machte.
Liebe im Schnee. Im Schatten hoher Bäume. Unter hitzeschwerem Himmel.
Auf Felsen, Geruch von Moos.
Sein nackter Körper, sie schützend, wenn eine Wolke die Wärme nahm.
Lust, Leidenschaft, Lebendigkeit.
Ein Traum, viel wahrer als das Leben.
Sie hörte die Worte aus seinem Mund. Konnte nichts damit anfangen.
Wusste noch genau wie seine Lippen sich auf ihren anfühlten. Geschmeidig, warm, die Zunge so gierig.
Er sprach jetzt vom Umbau, den hohen Kosten.
Weil sie so still geworden war?
Dachte er manchmal an die gestohlenen Nächte? Primitive Hotelzimmer, in denen sie sich so leidenschaftlich liebten. Schamlos. Ganz offen füreinander.
Intensität, die nur durch Wissen um Hoffnungslosigkeit entstehen kann.
Wie er sie danach in seinen Armen hielt; innig, still.
Kein Wort war nötig; es gab nichts zu sagen.
Tristan und Isolde. Der Zaubertrank.
Ein letzter Blick am Morgen auf die feuchten , zerwühlten Laken. Verschworenes Lächeln, wenn sie den Raum verliessen - ohne die Gewissheit auf ein nächstes Mal.
Sie spürte plötzlich die Kühle. Merkte, dass sie fror. Legte das Lesezeichen ins Buch, schlug es zu. Es war spät geworden. In einer Stunde wäre ihr Mann zu Hause.
Und er mochte das Essen pünktlich.
Sie würde es schaffen, wenn sie sich beeilte.
Und dann gab es heute ja noch diesen Film. Viertel nach acht. So ein Film über die ganz grossen Gefühle.
Ihr Mann würde wieder einschlafen. Wie immer. Sowas interessierte ihn nicht.
Sie würde den Film alleine geniessen. Vielleicht mit einem Glas Wein. Manchmal waren auch zwei oder drei nicht schlecht.
Und heute nacht könnte sie weiterlesen. Wie es wohl weitergehen würde?
Ob es bei dieser einen Begegnung bliebe; oder würden sie wieder zueinander finden?
Sie liebte es , sich die Spannung zu bewahren.
So konnte sie sich auf die nächste Nacht freuen.
Dann käme das nächste Buch.
Und bestimmt würde sie wieder bis zum Morgengrauen lesen.